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2 Der Textkorpus

2.2 Die Textauswahl

2.2.6 Die Texte des politischen Katholizismus

Historischer Hintergrund für die Entstehung der politischen Strömung des Katholizismus286 war die Situation der katholischen Kirche, in die sie aufgrund der territorialen Neuordnung im Rahmen des

Reichsdeputationshauptschlusses und durch die Säkularisation gekommen war. Im Zuge dieser Neuordnung hatte man alle geistlichen Territorien samt Landeshoheit und großen Teilen des kirchlichen Besitzes auf weltliche Fürsten verteilt287. Eine der Folgen dieser Entmachtung war, dass viele katholische Gebiete in „durch

Herrscherdynastie und Tradition protestantisch geprägten Staaten, so das Rheinland [...] an Preußen, oder die katholischen Gebiete am Oberrhein [...] an das Großherzogtum Baden gefallen waren“288, was häufig zu tiefgreifenden Spannungen führte.

Zentrales Ziel des politischen Katholizismus im Vormärz war es, in dieser neuen Situation für die Kirche eine unabhängige Stellung im Staat zu erreichen und die Kirchenhoheit des Staates abzubauen289. Darüber hinaus kämpfte man – wie die politischen Konservativen - gegen die individualistische Auffassung der Moderne und für eine Besinnung auf göttliches Recht, auf die göttlich vorgegebene Herrschaftsordnung der Monarchie und gegen die freie Gestaltung politischer Verhältnisse290. Die in diesem Zusammenhang eingesetzte

Organologiemetaphorik des politischen Katholizismus fand in der Forschung als „Organologiedenken“ größere Beachtung291. Auch mit den sozialen Schattenseiten der Moderne und der Industrialisierung setzte man sich in dieser politischen Bewegung auseinander292. „Im ganzen blieb die politische Theorie des Katholizismus [...] auf die ständische Gesellschaftsordnung, auf die korporativ - zünftische Einbindung und Absicherung des

Individuums festgelegt, auf das Leben in der Über- und Unterordnung, mit starken Reminiszenzen eines feudalen Patriarchalismus, der zu seiner historischen Begründung gern auf das Vorbild des Mittelalters zurückgriff – gegen die Kompetenzfülle und den Zentralismus des modernen Staates, seinen >revolutionären<

Egalitarismus, seine Tendenz zur >Atomisierung< der Gesellschaft.“293

284Stahl, F.J., Die Philosophie des Rechts, Zweiter Band, Rechts- und Staatslehre auf der Grundlage christlicher Weltanschauung, Erste Abtheilung, [zitiert als „Rechts- und Staatslehre II, 1“], Heidelberg 1845 und Zweite Abtheilung [zitiert als „Rechts- und Staatslehre II, 2“], Heidelberg 1846.

285Hardtwig 1998, S. 165.

286Einen knappen Forschungsüberblick über den politischen Katholizismus im Vormärz bietet Hardtwig 1998, S. 241f.; Klug 1995, S. 21ff. Zur Frühgeschichte des politischen Katholizismus vgl. auch Franz 1954; Langner 1975; Huber 1988; Maier 1988; Morsey 1988. Zur Frage der weithin unumstrittenen Benennung der Strömung vgl. Klug 1995, S. 21.

287Vgl. hierzu Hardtwig 1998, S. 166f.

288Klug 1995, S. 42.

289Vgl. hierzu Fenske 1994, S. 58.

290Vgl. hierzu Hardtwig 1998, S.171.

291Vgl. z.B. zu Adam Müllers „Organismusdenken“: Matala de Mazza 1999 und Busse 1928.

292Vgl. hierzu Hardtwig 1998, S.171f.

293Hardtwig 1998, S.171.

Entscheidender Anstoß für die Entwicklung der politischen Bewegung des politischen Katholizismus waren die Kölner Wirren von 1837, in denen der preußische Staat den Kölner Erzbischof Droste-Vischering verhaftete, was zu einem Sturm der Entrüstung bei den Katholiken und zu deren aktiver Auseinandersetzung mit dem Staat führte294. Von zentraler Bedeutung für Programmdiskussion und für die Sammlung Gleichgesinnter war in diesem Zusammenhang der 1838 erschienene „Athanasius“ von Joseph Görres295, der daher für die Diskursanalyse auswählt wurde. Er beschäftigt sich zentral mit den Kölner Wirren und wurde – wie

Zeitgenossen und Forschungsliteratur einhellig feststellen - zum weit verbreiteten „Politischen Manifest“ des politischen Katholizismus296.

Auch die „Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland“297, die ab 1838 in München erschienen, waren für die Formierung des politischen Katholizismus von entscheidender Bedeutung. Die Zeitschrift war „das meistgelesene und am weitesten verbreitete katholische Presseorgan. Sein Einfluß ist nicht nur an seiner Verbreitung abzulesen, sondern auch am weiten Spektrum der Mitarbeiter, unter denen sich viele große Namen aus Politik und Geistesleben der Zeit befanden.“298

Für die Analyse wurden die Artikel ausgewählt, die sich grundlegend mit Staat und Gesellschaft beschäftigen, wobei zudem darauf geachtet wurde, dass sich die Artikel weitgehend gleichmäßig über den Zeitraum zwischen 1838 und 1847 verteilen. Die Autoren verfassten ihre Artikel anonym299, dennoch gelang es der Forschung, einige Artikel ihren Verfassern zuzuordnen300. 16 der insgesamt 27 in dieser Arbeit analysierten Artikel301

294Vgl. hierzu z.B. Schnabel 1955 und Lill 1962.

295Görres, Joseph, Athanasius, In: Joseph Görres, Ausgewählte Werke in zwei Bänden, Frühwald, W. (Hg.), Band 2, Freiburg u.a. 1978 [zitiert als „Athanasius“].

296Vgl. zur Bedeutung dieser Schrift z.B. Bauer 2002; Hürten 1999; Klug 1995, S. 242ff.; Wacker 1990.

297Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, München 1838-1847, Phillips, G./Görres, G. (Hg.), [zitiert als HPBl]. Vgl. zu der Zeitschrift z.B. Weber 1983; Obenaus 1986, S. 82f. mit Literaturüberblick; Albrecht/Weber 1990, S. 7ff.;

Klug 1995, S. 274ff.

298Klug 1995, S. 277.

299Zu den Autoren vgl. Albrecht/Weber 1990 und Klug 1993, S. 274ff.

300Hierzu Albrecht/Weber 1990.

301„Sittliche Freiheit, Gewissensfreiheit, politische Freiheit“, (Jarcke) HPBl 1 (1838/1), Art. 24; „Studien und Skizzen zur Schilderung der politischen Seite der Glaubensspaltung des 16. Jahrhunderts“, (Jarcke) HPBl 4 (1839/2), Art. 24; „Naturlehre des Staates“, (Jarcke) HPBl 4 (1839/2), Art. 54; „Über die Gefahr einer sozialen Revolution durch die unteren Volksklassen und über deren Stellung in älterer und neuester Zeit“, (Jarcke) HPBl 5 (1840/1), Art. 44; „Fortsetzung: Über die Gefahr einer sozialen Revolution durch die unteren Volksklassen und über deren Stellung in älterer und neuerer Zeit“, (Jarcke) HPBl 5 (1840/1), Art. 51;„Schluß: Über die Gefahr einer sozialen Revolution durch die unteren Volksklassen und über deren Stellung in älterer und neuerer Zeit, (Jarcke) HPBl 5 (1840/1), Art. 56; „Über die vorherrschenden Tendenzen der Gegenwart“, (Jarcke) HPBl 12 (1843/2), Art. 39; „Blicke auf den gegenwärtigen Standpunkt der staatswissenschaftlichen Theorie“, (Jarcke) HPBl 12 (1843/2) Art. 61; „Blicke auf den gegenwärtigen Standpunkt der staatswissenschaftlichen Theorie“, (Jarcke) HPBl 13 (1844/1), Art. 32; „Zeitläufte. Stellung der Zensur zum protestantischen Fortschritt“, (Jarcke), HPBl 14 (1844/2), Art. 44; „Zeitläufte: Schluß“, (Jarcke), HPBl 17 (1846/1), Art. 46; „Zeitläufte“, (Jarcke), HPBl 19 (1847/1), Art. 13;

„Zeitläufte“, (Jarcke), HPBl 19 (1847/1), Art. 23; „Glossen zur Zeitgeschichte“, (Jarcke) HPBl 19 (1847/1), Art.43;

„Zeitläufte“, (Jarcke) HPBl 20 (1847/2), Art. 23; „Zeitläufte“, (Jarcke) HPBl 20 (1847/2), Art. 29.; „Sittliche Freiheit, Gewissensfreiheit, politische Freiheit (Jarcke), HPBl 1 (1838/1), Art. 24.

stammen von dem maßgeblichen Initiator und Autor der Zeitschrift, Karl Ernst Jarcke302. Sieben Autoren konnten nicht ermittelt werden303, zwei stammen von Arndts304 und je einer von Konstantin v. Höfler305 und Ignaz Döllinger306.

Obwohl die anspruchsvollen Publikationen in der Regel nur die Intelligenz erreichten, handelte es sich beim politischen Katholizismus um eine Massenbewegung. Sein Rückgrat bildeten „Millionen von Menschen

bäuerlichen und kleinbürgerlichen Standes“307, die nach wie vor fest in die konfessionelle Tradition eingebunden waren und sich von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen bedroht sahen, die ihre Identität gefährdeten. Dies war der entscheidende Hintergrund für die Mächtigkeit der katholischen Bewegung308. Der politische Katholizismus konnte im Vormärz noch keine gefestigten Organisationsstrukturen ausbilden. Er war zunächst „stark von Einzelpersönlichkeiten geprägt, die sich allenfalls in gesellig-politischen Kreisen mit Gleichgesinnten zusammenfanden: Erst in den 1840er Jahren entstanden protoparteiliche Strukturen.“309

302Zu Biographie und Werk von K.E. Jarcke vgl. z.B. Kraus 1990; Klug 1995, S. 274ff.

303„Das göttliche Recht der Könige“ (anonym) HPBl 1 (1838/1), Art.18; „Was bezeugt die Geschichte?“ (anonym) HPBl 3 (1839/1), Art. 47; „Aphorismen über die Ursprünge der englischen Verfassung“ (anonym) HPBl 3 (1839/1), Art. 51; „Die alten rheinischen Fürsten“ (anonym), HPBl 3 (1839/1), Art. 67; „Die conservative Parthei in Deutschland“, (anonym) HPBl 8 (1841/2), Art. 64; „Die Geschichte der Physik, besonders im Mittelalter“, (anonym) HPBl 10 (1842/2) Art. 8; „Zur

Charakteristik des gesellschaftlichen Zustands des neunzehnten Jahrhunderts“, (anonym) HPBl 14 (1844/2), Art. 10.

304„Die deutsche Salon-Poesie der Frauen“, (Arndts), HPBl 19 (1847/1), Art. 39; „Aphorismen zur Signatur des Radikalismus oder falschen Liberalismus“, (Arndts) HPBl 13, (1844/1), Art. 8.

305„Über katholische und protestantische Geschichtsschreibung“, (Höfler) HPBl 16 (1845/2), Art. 18.

306„Über das Verhältnis der katholischen Kirche zur Demokratie in Nordamerika und Europa“ (Döllinger) HPBl 2 (1838/2), Art. 5.

307Gollwitzer 1993, S. 63.

308Vgl. hierzu Gollwitzer 1993, S. 63f.

309Klug 1995, S. 43.