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Die sachliche Dimension: Nachhaltigkeit als Forschungsgegenstand

Nachhaltigkeitsforschung könne, so Hacker und Artmann, nur interdis-ziplinär erfolgen. Es seien beispielsweise einerseits naturwissenschaft-liche Modellierungen der Auswirkungen menschnaturwissenschaft-lichen Handelns auf Ökosysteme und anderseits sozialwissenschaftliche Analysen der Fol-gen ökologischer VeränderunFol-gen für gesellschaftliches Zusammenleben

20 Hacker, Jörg (Hrsg.): Nachhaltigkeit in der Wissenschaft, Deutsche Akademie der Natur-forscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften, Nova Acta Leopoldina, Bd. 117, Nr. 398, Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, 2013.

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erforderlich. Zusätzlich müsste die psychologische Perspektive genannt werden, die unabdingbar ist und dringend in diesem Diskurs benötigt wird. Die Autoren gehen einen Schritt weiter und fordern „transdiszi-plinäres Vorgehen“, d.h. die Beteiligung gesellschaftlicher Interessens-gruppen bereits bei der Zielfestlegung und anschließend durch ihr Wissen auch während des Verlaufs eines Forschungsprozesses. Der Wis-senschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltfragen fordert dies ebenfalls, damit die Gesellschaft der Wissenschaft künftig ausreichend zusätzliche Ressourcen für die Ausweitung der Nachhaltig-keitsforschung zur Verfügung stelle. Darüber hinaus müsse die Politik

„gesellschaftliche Dialoge über die Ziele, die die Forschungs- und Ent-wicklungsaktivitäten leiten sollen“21 anstoßen. Die Wissenschaft würde sich im Gegenzug in einer Art „Gesellschaftsvertrag“ dazu verpflichten, sich verstärkt an den Zielen der Gesellschaft im Rahmen einer „Großen Transformation“ zu nachhaltiger Entwicklung zu orientieren.

In diesem Zusammenhang stellt sich unter der Perspektive der Internationalität die Frage, wie sich die Südgesellschaften in diesem Diskurs artikulieren können. Viele der Entscheidungen des Nordens betreffen auch sie – oft sogar noch viel stärker als die Verursacher im Norden. Die Gesellschaften und die Wissenschaftler der Schwellen- und Entwicklungsländer müssen ein Mitspracherecht bei der Festlegung ei-ner gemeinsamen Forschungsagenda zu Nachhaltigkeit haben. Und sie müssen dieses Recht auch dann haben, wenn sie dafür zunächst keine Mittel zur Verfügung stellen können!

Der DAAD fördert durch entwicklungspolitisch ausgerichtete Pro-gramme gezielt die aktive Mitsprache des Südens im Rahmen trans-disziplinärer und internationaler Kooperationen, die unmittelbar einen Beitrag zur Umsetzung der Agenda 2030 leisten:

• In den exceed-Zentren arbeiten fünf deutsche Hochschulen in gro-ßen globalen Netzwerken an Lösungen von ausdrücklich interdiszi-plinär zu bearbeitenden Problemen im Gesundheits-, Wasser- oder Klimabereich, aber auch zu „gerechter Arbeit“. Sie bilden nicht nur

21 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU): Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation. Berlin:

WBGU, 2011.

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Doktoranden aus, sondern holen Wissenschaftler aus dem Süden in ihre Forschungsteams, diskutieren gemeinsam Forschungsthemen und -methoden. Sie publizieren gemeinsam und machen damit von Süd und Nord gemeinsam entwickelte Positionen global sichtbar.

Ihre Forschungsagenda ist bereits transdisziplinär. Sie übergreift nicht nur Disziplinen, sondern sie hilft diejenigen Probleme zu lösen, die unter Einbezug der Weltgesellschaft als prioritär für nachhaltige Entwicklung eingestuft wurden.

• Seit kurzem fördert der DAAD zudem sieben bilaterale SDG-Gra-duiertenschulen, die jeweils gemeinsam von einer Universität des Südens und einer deutschen Hochschule getragen werden. Die zu lö-senden Probleme stammen aus der Agenda 2030 und den Themen-feldern der Sustainable Development Goals (SDGs). Auch hier haben die konkrete Forschungsagenda nicht allein Wissenschaftler des Nordens, sondern die Partner gemeinsam festgelegt. Um eine hohe Qualität zu gewährleisten, nutzen die internationalen Teams syste-matisch digitale Austauschplattformen, globale E-Libraries und ge-genseitige Gastdozenturen. Auch die Digitalisierung eröffnet große Chancen, die selbstgesetzten Ziele zu erreichen. Diese Gruppen be-schäftigen sich beispielsweise mit der Erforschung und Anwendung von Katalyseprozessen zur Einsparung von Energie oder mit nach-haltiger und partizipativer Stadtentwicklung, einem Bereich, in dem ausdrücklich auch der Norden lernen kann.

Diese internationalen SDG-Graduiertenschulen arbeiten von Beginn an transdisziplinär. Auch in unseren Partnerinstitutionen im Süden entste-hen auf diese Weise fachübergreifende und internationale Strukturen.

So können die Universitäten des Südens künftig transformativer werden und im globalen Forschungsdiskurs mithalten – und sie können diesen Diskurs durch die unverzichtbare Perspektive der Hauptbetroffenen entscheidend erweitern.

Vergleichbare Kooperationen fördert der DAAD auch im Programm

„Welcome to Africa“ und im Rahmen der „Afrikanischen Fachzentren“.

Ein Beispiel „transformativer Wissenschaft“ ist das südafrikanisch-deutsche Zentrum für Entwicklungsforschung der University of Western Cape und der Ruhr-Universität Bochum. Hier steht interdisziplinäre For-schung zu den Zielen der Agenda 2030 im Mittelpunkt. Dabei ist die

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Unterstützung mit ausreichenden Mitteln zwar unverzichtbar, aber sie ist nicht allein ausschlaggebend. Dies kann nicht besser ausgedrückt werden als durch DAAD-Stipendiat Stanely Awesh: „If you speak to an-yone in our class: One of the greatest achievements of the programme is to meet brilliant brains coming from all over the world. That is so-mething money cannot buy.”

Soll die „Große Transformation“ erfolgreich sein, werden weit mehr solcher echter und langfristiger Wissenschaftspartnerschaften nötig sein – mit Afrika, aber auch mit den anderen Kontinenten. Zur Stärkung der Partner im Süden bräuchte es mehr Unterstützung der Wissenschaftsorganisationen des Südens in ihrem nationalen Diskurs um Mittelverteilung, so dass sie solche Zentren künftig auch finanziell mit unterstützen, damit die Agenda mitbestimmen und dann auch die Anschlussfinanzierung übernehmen. Ob eine solche Unterstützung po-litisch vermittelbar und mit den vorhandenen Instrumenten durchführ-bar ist, bleibt eine zu klärende Frage.

Zeitliche Dimension: Nachhaltigkeit als Eigenschaft von