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Die Oberrheinkorrektion und ihre Folgen im Untersuchungsgebiet

Im Dokument Eidesstattliche Erklärung (Seite 51-55)

III. HYDROGEOGRAPHISCHE MERKMALE DES UNTERSUCHUNGSGEBIETES

III.2. A NTHROPOGENE V ERÄNDERUNGEN

III.2.1. Die Oberrheinkorrektion und ihre Folgen im Untersuchungsgebiet

wasser-baulichen Veränderungen hatten erheblichen Einfluss auf die Hydrodynamik der Inundationsflächen, weshalb sie im folgenden genauer abgehandelt werden.

III.2.1.1 Erste Regulierungsmaßnahmen im Untersuchungsgebiet

Der Versuch der Menschen, die natürliche fluviale Dynamik des Flusses zu bändigen, korrelierte seit jeher mit der Kultivierung der Flussaue. In dem Maße, wie die Kultivierung und Besiedlung der Rheinniederung vorangetrieben wurde, wuchs auch das Bedürfnis, neugewonnenen Flächen vor Hochwasser zu schützen. Vor Tulla waren bereits eine Reihe von lokalen Maßnahmen zur Flussregulierung in Angriff genommen worden:

Den Römern wird bereits ein versuchter Durchstich bei Speyer (sog. Oder) zugeschrieben, ohne dass allerdings eindeutige Beweise hierfür vorliegen. Der erste nachweisbare Durchstich erfolgte 1391 bei Sondernheim. Im Jahr 1617 wurde zum Schutz der Dörfer Neupotz und Leimersheim ein Durchstich erfolgreich ausgeführt.

Die Folge war jedoch eine verstärkte Bedrohung des flussabwärts gelegenen Linkenheim, so dass auch hier Ende der 1620er Jahre ein Durchstich ausgeführt wurde, der allerdings keine unmittelbare Verbesserung der Situation brachte (MUSALL 1971a, S.388). Im Untersuchungsgebiet selbst wurden keine Durchstiche vor dem 19. Jh. ausgeführt. Der Rhein selbst jedoch verkürzte seinen Lauf in einem natürlichen regressiven Sprung zwischen Waldsee und Altrip in der Zeit zwischen 1580 und 1590. Dem Sprung waren seit der Mitte des 16. Jh. große Hochwasserereignisse vorangegangen. Um 1700 wurde ein weiterer natürlicher Durchbruch bei Mechtersheim, der Phillipsburg vom Rhein abgeschnitten hätte, durch einen Dammbau erfolgreich verhindert (MUSALL 1971a, S.388).

III.2.1.2. Politische Rahmenbedingungen

Erst mit der Neuordnung Deutschlands durch Napoleon und der Schaffung des Großherzogtums Baden wurde es möglich, den Strom über Hunderte von Kilometern hinweg in ein einheitliches Flussbett zu zwingen und weite Teile der Aue durch Ausdeichung in - damals dringend benötigte - landwirtschaftliche Nutzfläche umzuwandeln. Es sei aber darauf hingewiesen, dass die 1817 bis 1885 andauernden Korrektionsarbeiten in erster Linie zur Festlegung einer französisch-badischen (bzw.

nach 1815 einer bayrisch-badischen) Grenzlinie dienten. Landgewinnung und Hochwasserschutz der Rheinanliegergemeinden waren zwar erwünscht und geplant, aber dennoch zweitrangige Ziele. Dies unterscheidet die Tullaschen Maßnahmen in der Zielsetzung deutlich von allen früheren flussbaulichen Projekten. Zahlreiche Widerstände mussten vor Beginn der eigentlichen Arbeiten ausgeräumt werden (eine gute Zusammenfassung hierzu findet sich bei JAKOBS 2002, S. 44 ff):

Von Seiten der Rheinanliegergemeinden wurden die Pläne zur Regulierung des Rheins ohne große Begeisterung aufgenommen, da sie nach der Flussbauordnung von 1807 die Unterhaltung der Dämme in Fronarbeit zu leisten hatten. Auf Bestreben

Tullas wurde die Fron 1816 durch einen Steuerzuschlag abgelöst und die Arbeiten von staatlich bezahlten Lohnarbeitern durchgeführt (JAKOBS 2002, S.45). Der größte politische Widerstand gegen die Rektifikationsarbeiten kam von den Anliegerstaaten am Mittel- und Niederrhein, insbesondere von Preußen, da man eine Verschärfung der Hochwassergefahr fürchtete. Nach langwierigen Verhandlungen einigte man sich darauf, einige der geplanten Eingriffe nicht durchzuführen. Die nie ausgeführten Durchstiche bei Speyer, Altrip und Neckarau zählten hierzu.

III.2.1.3. Durchstiche im Untersuchungsgebiet

Die sechs im Untersuchungsgebiet gelegenen Durchstiche wurden allesamt nach dem zweiten Staatsvertrag zwischen Baden und Bayern von 1825 durchgeführt:

Rheinsheimer Durchstich Nr.2:

Vollendung des Durchstichs1826; Aufnahme des Talweges 1832 Mechtesheimer Durchstich:

Vollendung des Durchstichs1837; Aufnahme des Talweges 1844 Oberhausener Durchstich:

Vollendung des Durchstichs1842; Aufnahme des Talweges 1844 Angelhofer Durchstich:

Vollendung des Durchstichs 1826; Aufnahme des Talweges 1876 (50 Jahre!) Otterstadter Durchstich:

Vollendung des Durchstichs 1833; Aufnahme des Talweges 1845 Ketscher Durchstich

Vollendung des Durchstichs 1833; Aufnahme des Talweges 1839

Zwei der Durchstiche, der Rheinsheimer Durchstich Nr. 2 und der Angelhofer Durchstich, wurden sogleich nach Vertragsabschluß von 1825 ausgeführt, wogegen die Proteste seitens Preußens und anderer Rheinanlieger den Beginn der Arbeiten an den anderen Durchstichen verzögerte.

Die obige Liste macht deutlich, dass der Rhein nicht immer sein neues Bett bereitwillig annahm: Am Otterstädter Durchstich vergingen 12, am Angelhofer Durchstich sogar mehr als 50 Jahre, bis der Fluss den neuen Talweg annahm.

III.2.1.4. Die Auswirkungen der Oberrheinkorrektion

Die schwerwiegendste Folge der Oberrheinkorrektion stellte die Tiefenerosion des Flusses dar. Mit der Korrektion wurde der Lauf insgesamt um 81,8 km (ca. 23%) verkürzt. Die Erosions- und Transportleistung des südlichen Oberrheins betrug schon vor der Korrektion 600.000-700.000 t Material pro Jahr, das er aus dem eigenen, bis zu 12 km breiten, Bett entnahm. Als dieselben Mengen nach der Korrektion aus dem neuen, lediglich 200-250 m breiten Bett entnommen wurden, stellte sich eine – von Tulla durchaus vorhergesehene und erwünschte - starke Tiefenerosion ein. Die Folge war eine Absenkung des Grundwasserstandes in der Rheinebene; nördlich der Isensteiner Schwelle erreichte die Tiefenerosion mit 6-8m ihr stärkstes Ausmaß (VIESER 1985, S. 34.f; TITTIZER, KREBS 1996, S. 27ff). Im Bereich des Unter-suchungsgebietes fand allerdings teilweise wieder eine Wiederaufhöhung statt:

MUSALL gibt für den Rhein bei Philippsburg eine Vertiefung der Stromsohle um 1,26

m bis 1861 an, die bis 1884 durch Akkumulation im Flussbett wieder um 0,45 m reduziert wurde (MUSALL 1969 S.201). Nach unabhängig voneinander durchgeführten Berechnungen von PICHL und HORN liegt die Tiefenerosion von 1820 bis 1950 bzw. bis 1970 bei Speyer und Ketsch bei 1,6 m (PICHL 1958, S.325;

HORN 1977, S.214). Noch DÖRRER ist die Stromsohle im Bereich des Untersuchungsgebietes um etwa 2m abgesunken (DÖRRER 1984, S.113).

Diese Änderungen der Stromsohle sind bei dem Vergleich von rezenten mit historischen Wasserständen und Inundationsflächen zu berücksichtigen.

Die Vertiefung der Stromsohle bedingte wiederum ein Absinken des Grundwasserspiegels in der Aue. Dadurch wurde eine deutliche Ausweitung des Ackerlandes auf vormals feuchte Grünlandstandorte möglich. Ehemals feuchte Waldstandorte wurden wiederum in Grünland und teilweise sogar in Ackerland umgewandelt (quantitative Untersuchungen hierzu s.u.). Neben einer Ausweitung der Nutzflächen erfolgte auch eine Aufwertung der vorhandenen Flächen z.B. die Bestockung der Waldflächen mit wirtschaftlich wertvolleren Holzarten oder die Gewinnung trockener Wiesen aus Feuchtwiesen und Weiden (JAKOBS 2002, S. 52).

Aus ökologischer Sicht waren die Folgen der Rheinkorrektion eindeutig negativ.

Hochwasserereignisse lösten zwar über aufquellendes Grundwasser noch vielerorts Vernässungen aus, bewirkten aber seltener flächenhafte, strömende Überflutungen.

Die Korrektion bedeutete die Zerstörung des zuvor für die Aue so typischen Mosaiks von sich beständig wandelnden trockenen und feuchten Standorten: Natürliche Aue- und Retentionsflächen wurden auf die Bereiche der Dammvorländer reduziert; die Seitenerosion des Flusses wurde unterbunden; die Zahl der Inseln und Kiesbänken im Gerinne ging dramatisch zurück; neu entstandene Altarme verlandeten rasch (VIESER 1985, S. 34.f; TITTIZER, KREBS 1996, S. 27ff). Das Ende der natürlichen Morphodynamik des Flusses bedrohte und reduzierte zahlreiche vom beständigen Prozess des Wandels abhängige Tier- und Pflanzenarten bzw. Gesellschaften. Die Grundwasserabsenkung löste eine „Versteppung“ (DÖRRER 1984, S.113) aus, einen Sukzessionsprozess hin zur Verbreitung von Artengesellschaften, die sich den trockeneren Standortbedingungen besser anpassten. Die Verlandung der Altarme hatte in Verbindung mit der Uferbefestigung im Hauptstrom den Verlust der wichtigsten Laichplätze für viele Fischarten zur Folge. Innerhalb weniger Jahrzehnte versank die Rheinfischerei in der Bedeutungslosigkeit.

Die vom Hauptstrom abgeschnittenen Altrheine boten günstige Eiablageplätze für Stechmücken. In den ersten Jahrzehnten nach der Tullasche Korrektion waren sie bei Hochwasser noch direkt mit dem Strom verbunden. RIEHL schildert 1857 die Situation in den direkt an den Altrheinen gelegenen Dörfer nach dem Abschluss der Arbeiten an den Durchstichen (RIEHL 1857, S.10f):

„In dem Maße als das Hauptbett des Stromes geradliniger und Wasserreicher wird, versumpfen und verlanden die abgeschnittenen Seitenarme, die Altrheine. (…). Die Dörfer (…) sind in der heißen Jahreszeit häufig in eine so stinkende Sumpfluft gehüllt, die aus dem unmittelbar vor den Häusern stagnierenden Wasser aufsteigt, dass man dann kaum anders als mit verhaltener Nase in ihre Straßen einwandern kann. (…). Es sind diese Altrheine jedenfalls nur sehr allmählig trocken zu legen, da sie durch das Rheinwasser, welches in der Tiefe den Kies- und Sandboden durchdringt, das sogenannte „Quellwasser“, mit dem Hauptstrom trotz der Dämme in Verbindung bleiben. Der Spiegel der Altrheine steigt und fällt mit der Rheinflut.“

Der Verlandungsprozess der bei der Oberrheinkorrektion geschaffenen Altrheinarme dauert im Prinzip bis in die Gegenwart an. Dabei sind zwei Entwicklungen zu

beobachten: Zum einen gibt es die bereits größtenteils verlandeten Flächen wie z.B.

die Böllenwörth bei Otterstadt. Sie befinden sich nach wie vor in einem permanenten Verlandungsprozess: Laub und Totholz füllt allmählich die noch vorhandenen Senken und Schluten. Nur an wenigen Stellen (zumeist an den quer zur Strömungsrichtung gebauten Waldwegen) ist nach einem Hochwasser überhaupt Erosionstätigkeit festzustellen. Insgesamt war während der sich von 1997 bis 2001 hinstreckenden Geländearbeiten ein eindeutiges Überwiegen der Akkumulations-prozesse zu beobachten, was ein weiteres Auffüllen der auch bei starken Hochwasserereignissen nur gering durchströmten Schluten und Senken und die weitere Einebnung der Reliefunterschiede in der rezenten Aue zur Folge haben dürfte.

Zum anderen wurden Altarme oftmals im Zuge der Kiesgewinnung vollständig ausgeräumt und in „Baggerseen“ mit Rheinanschluss umgewandelt (wie z.B. der Otterstädter oder der Angelhofer Altrhein). Diese Altarme werden von Baggerschiffen weiterhin ausgetieft und können mit ihrer steilen Uferböschung und den wenigen verbleibenden Verlandungsflächen den durch die Entkiesung zerstörten Lebensraum für die auenspezifischen Tier- und Pflanzenarten nicht ersetzen.

III.2.1.5. Begleitende Meliorationsmaßnahmen und ihre Folgen

Eine eingehende Betrachtung der die Oberrheinkorrektion begleitenden Meliorationsmaßnahmen im Untersuchungsgebiet findet sich bei JAKOBS (2002, S.53 f):

Im Zuge der „in Wert“ Setzung der neuen, dem Rheinstrom mühsam abgerungenen Flächen wurden umfangreiche Entwässerungsmaßnahmen durchgeführt. Eine Methode bestand darin, das natürliche Gefälle auszunutzen und ein enges Netz von rheinparallelen Gräben flussabwärts in den Fluss münden zu lassen. Stellenweise wurden Dampfpumpen installiert – im Untersuchungsgebiet z.B. auf Speyerer Gemarkung und auf der Rheinschanzinsel (MUSALL, 1969 S. 202f). Bei diesen Maßnahmen wurde offensichtlich der Effekt der sich zeitgleich vollziehenden Sohlenerosion und die dadurch bedingte Grundwasserabsenkung unterschätzt:

Viele der zuvor zu feuchten Wiesen büßten aufgrund Wassermangels an Ertrag ein und mussten wieder bewässert werden. Ein solches Bewässerungsgebiet entstand beispielsweise um die Domäne Insultheim im Hockenheimer Rheinbogen. Es wurde dort ein in den Rheinstromatlanten des 19. Jahrhunderts detailliert verzeichnetes Netz von Be- und Entwässerungsgräben geschaffen. Aus den Karten lassen sich sogar die angewandten Bewässerungsmethoden erschließen.

Teilweise machten die Bewässerungsverfahren eine großflächige Planierung bzw.

einen aufwändigen Umbau des Geländes notwendig. Das Wasser für die Bewässerung lieferte der Kraichbach. Planierungsarbeiten wurden auch auf Ackerland durchgeführt – so z.B. von der Zuckerfabrik Waghäusel, die große Areale des Hockenheimer Rheinbogens gepachtet hatte. Um zu vermeiden, dass der fruchtbare Oberboden nach der Planierung eine ungleichmäßige Mächtigkeit hatte, hob man ihn zunächst ab, planierte das Gelände und trug ihn wieder auf (ZAHN 1914 S. 151). Eine weitere Methode bestand darin, feuchten Standorten wie z.B.

moorigen Wiesen Kieselsäure zuzugeben – in dem Glauben, man verbessere damit die Bodeneigenschaften. Erst später erkannte man, dass der eigentliche Vorteil dieser Zugabe in einer Verfestigung des zuvor weichen Bodens und in einer Erhöhung des Geländes bestand (ZAHN 1914, S.145). Auch die systematische Maulwurfsjagd durch hauptberufliche Maulwurfsjäger wurde als Boden verbessernde Maßnahme betrieben, bis dieses Tier allmählich Anfang des 20. Jahrhunderts als Nützling erkannt wurde.

Aus heutiger Sicht mutet es fast schon befremdlich an, mit welchem Aufwand die landwirtschaftliche Aufwertung der neu gewonnenen Flächen betrieben wurde. Es darf aber nicht vergessen werden, das die Meliorationsmaßnahmen in die Frühphase der Industrialisierung fallen. Chemischer Dünger und andere heute selbst-verständliche Mittel zur Ertragssteigerung standen der damaligen Landwirtschaft, welche die Nahrung für eine exponentiell wachsende Bevölkerung bereitstellen musste, noch nicht zur Verfügung. Die Neugewinnung der landwirtschaftlichen Nutzfläche war in Deutschland an ihre natürliche Grenzen gestoßen. Die Flussauen waren mit die letzten Flächen, die noch für eine Neugewinnung von Ackerland genutzt werden konnten. Nur in diesem Zusammenhang können die Nutzungs-intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzfläche unter erheblichem Arbeitsaufwand und mit oftmals nur geringen Ertragssteigerungen angemessen bewertet werden. Die Folgen dieser Maßnahmen wirken sich auf die Hydrodynamik des Unter-suchungsgebietes bis heute aus. Auch wenn die Ent- und Bewässerungsgräben größtenteils Ihre Funktion weitestgehend eingebüßt haben und nicht mehr in Stand gehalten werden, stellen sie bei Hochwasser noch immer Leitlinien für Druckwasserflächen und den oberflächlichen Abfluss dar. Erst durch die Meliorationsmaßnahmen wurden die ehemaligen Auen endgültig in kultivierbare Flächen überführt und die Voraussetzung für die nächste (und in ihren Folgen wohl dramatischste) „Phase“ der Nutzungsintensivierung, – die Errichtung von Industrie-/Gewerbe- und Wohnflächen in der einstigen Aue, – geschaffen (s.u.)

Im Dokument Eidesstattliche Erklärung (Seite 51-55)