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Die globale Wasserproblematik und ihre Ursachen

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ten, die Befriedigung eines Mindestbedarfs oder die technischen und finanziellen Ressourcen zur Kom-pensation von Mangelerscheinungen. Beispielsweise kommt ein verhältnismäßig wohlhabendes Land wie Israel mit 461 m3Süßwasser pro Person und Jahr aus, ohne daß von existentiellem Wassermangel mit zer-störerischen Folgen für die wirtschaftliche Entwick-lung bzw. die menschliche Gesundheit gesprochen werden könnte, wenngleich es sich dabei um einen sehr fragilen Zustand handelt.

Für eine realistische und regional differenzierte Bewertung der globalen Wasserkrise schlägt der Bei-rat deshalb einen ähnlichen Ansatz vor, wie er bereits im Jahresgutachten zur Bodenproblematik darge-stellt worden ist (WBGU, 1994). Dieser Ansatz wür-de die globale Wasserkrise durch einen komplexen Indikator bewerten, der das natürliche Wasserdarge-bot und den (wachsenden) menschlichen Nutzungs-druck in ein Verhältnis setzt, dabei aber gleichzeitig das Abhilfe- oder Problemlösungspotential einer Gesellschaft berücksichtigt. Wo das Dargebot knapp, der Nutzungsdruck hoch und das Abhilfepotential gering sind, ist die globale Krise in besonderem Maße akut; wo dagegen ein geringer Nutzungsdruck einem hohen Wasserdargebot gegenübersteht und die Gesellschaft gleichzeitig über eine Reihe von Op-tionen zur Problemlösung verfügt, ist keine Krise ge-geben. Zwischen diesen beiden Polen liegt wahr-scheinlich die Mehrheit der Länder der Welt. Der zu formulierende Kritikalitätsindex sollte vor allem der Abschätzung von Wasserkrisen in naher Zukunft dienen, fungiert also als Frühwarnsystem. Er muß da-her einen „dynamischen“ Zuschnitt besitzen und ak-tuelle Trends berücksichtigen.

Mit Hilfe dieses „lokalen”, zusammengesetzten Indikators K(r),

K(r) = Wasserentnahme

, Wasserverfügbarkeit * Problemlösungspotential ließe sich die weltweite Süßwasserproblematik in Form eines Kritikalitätsindexes regional aufgelöst bewerten. Die einzelnen Größen hängen jeweils von unterschiedlichen Einflußfaktoren ab: Die Wasser-entnahme wird bestimmt durch die lokale Bevölke-rungsdichte, die spezifischen Wirtschaftsformen (be-sonders hinsichtlich ihrer Wassereffizienz und ihres Wasserverschmutzungspotentials), die Umweltbe-dingungen und die kulturellen Spezifika. Für die Wasserverfügbarkeit sind Klima, Vegetation, Boden-beschaffenheit, Hydro- und Topographie, Klimava-riabilität sowie installierte wasserbauliche Maßnah-men verantwortlich. Das Problemlösungspotential als die „weichste“ der drei im Indikator auftretenden Größen könnte sich an der Wirtschaftskraft eines Standortes (BSP pro Kopf), einem Indikator für was-serbezogenes Know-how, an der Menge und Qualität

der vorhandenen Wasserver- und -entsorgungsinfra-struktur sowie an einem Indikator für die Effizienz und Stabilität der relevanten politischen Institutio-nen bemessen lassen.

Gegenwärtig stehen jedoch nur einige der benötigten Eingangsgrößen in hinreichend kleinräu-miger Auflösung zur Verfügung. Gleichwohl ist die Erfassung und Aufbereitung ihrer Datengrundlage für eine weitergehende Beurteilung der regionalen Bedeutung der Süßwasserproblematik in naher Zu-kunft unumgänglich. Hierin sieht der Beirat neben der weiteren Aufklärung der Funktionszusammen-hänge dringenden Forschungsbedarf.

3.1.1

Modellierung der Wasserentnahme

Um anzudeuten, in welche Richtung eine inte-grierte und transdisziplinär verankerte Abschätzung der globalen Wasserkrise gehen könnte, hat der Bei-rat eine erste Näherung des vorgeschlagenen Kriti-kalitätsindex entwickelt. Die im folgenden vorge-stellte regionale Kritikalitätsabschätzung KA(r) setzt die Grundüberlegungen zu K(r) auf der Basis des derzeit verfügbaren Datenmaterials um. Sie er-laubt eine bezüglich der zu berücksichtigenden Ein-flußgrößen zwar noch lückenhafte, bezüglich der not-wendigen regionalen Auflösung gleichwohl hinrei-chende Abschätzung der weltweiten Wasserkrise.

Diese Abschätzung ist zudem prospektiv, weil sie auf der Basis von Szenarien der Klimaforschung die drei entscheidenden Kritikalitätsfaktoren bis zum Jahr 2025 verfolgt. Der Beirat stützt sich dabei hinsicht-lich der Komponenten „Wasserentnahme“ und

„Wasserverfügbarkeit“ auf die Vorarbeit des Zen-trums für Umweltsystemforschung an der Gesamt-hochschule Kassel (Alcamo et al., 1997), hinsichtlich der Komponente „Wasserspezifisches Problemlö-sungspotential“ sowie der integrierten Modellierung auf die Vorarbeit einer Arbeitsgruppe des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (Lüdeke et al., 1997).

Der „Zähler“ der globalen Wasserkritikalitätsab-schätzung wird durch die Wasserentnahme des Men-schen definiert. Die Hauptkomponenten der Wasser-entnahme sind:

• Landwirtschaft,

• Industrie,

• Haushalte.

Die verfügbaren nationalen Entnahmedaten wur-den für 1995 (bisweilen ältere Werte) auf der Basis der aktuellen Bevölkerungsdichteverteilung und an-derer Informationen (z. B. Verteilung der landwirt-schaftlichen Bewässerungsfläche) auf eine geogra-phische Auflösung von 0,5º x 0,5º skaliert. Zu den

De-terminanten der Entnahme zählen u. a. die Bevölke-rungsgröße, die Höhe des Bruttoinlandsprodukts pro Kopf und die Intensität der Wassernutzung bezogen auf die industrielle Produktion. Zur Berechnung der zukünftigen Entwicklung der Wasserentnahme bis zum Jahr 2025 wurden drei verschiedene Szenarien gerechnet: ein niedriger, ein mittlerer und eine hohe Entnahme. Der hier vorgelegten Kritikalitätsab-schätzung liegt das mittlere Szenario (M) zugrunde.

Es basiert zum einen auf den regional aufgelösten Bevölkerungs- und Wirtschaftsannahmen des IS92a-Szenarios des IPCC (Weltbevölkerung: 8.205 Mio.

Menschen, BIP pro Kopf im weltweiten Durch-schnitt: 7.314 US-$), zum anderen auf sektoral und wirtschaftsgeographisch differenzierten Annahmen über die Wassereffizienz im Zuge wirtschaftlicher Entwicklung. Wasserpreise und deren Änderung wurden von dieser Abschätzung nicht explizit berücksichtigt.

Für den Haushaltssektor wurde dabei, gestützt auf Zeitreihen aus Industrie- und Entwicklungsländern, angenommen, daß die Pro-Kopf-Entnahme mit stei-gendem Pro-Kopf-Einkommen stetig zunimmt. Bei einer Höhe von 15.000 US-$ erreicht dieser Wert sein Maximum, fällt dann relativ rasch auf die Hälfte des Maximalwerts ab und bleibt ab ca. 20.000 US-$ kon-stant. Die Entnahme der Industrie wurde auf die sek-torale Bruttowertschöpfung bezogen. Die Modellan-nahmen gehen davon aus, daß eine zunächst kon-stant hohe Wasserentnahme ab einem bestimmten Wert der industriellen Bruttowertschöpfung pro Kopf auf 50% absinkt; dieser Wert wurde für Länder mit einer geringen Wasserverfügbarkeit bei ca. 5.000 US-$ angesetzt, bei Ländern mit hoher Wasserver-fügbarkeit tritt die Verbrauchsdämpfung erst bei ca.

15.000 US-$ ein. Hintergrund dafür ist die Annahme, daß die industrielle Produktion aufgrund der größe-ren Flexibilität in der Auswahl von Produkten und Produktionsprozessen eher an das Wasserdargebot anpaßbar ist als das häusliche Wirtschaften. Die Was-serentnahme der Landwirtschaft als der weltweit größte Entnahmebereich wurde untergliedert in die Entnahme des weltweiten Nutztierbestands sowie in die Entnahme für Bewässerungslandwirtschaft.

Szenario M geht hinsichtlich dieser letzten Kompo-nente, gestützt u. a. auf die FAO-Studie von Alex-andratos (1995), für die Industrieländer von einer Konstanz der Bewässerungsfläche aus, für die Ent-wicklungsländer von einer – regional unterschiedlich großen – Zunahme derselben, analog zum bevölke-rungsbedingt wachsenden Nahrungsbedarf. Die Effi-zienz der Bewässerung soll sich dabei auf allen Flächen um 0,5% pro Jahr erhöhen, was einer Ver-besserung von insgesamt 16% bis 2025 entspricht.

3.1.2

Modellierung der Wasserverfügbarkeit

Die Berechnung der Wasserverfügbarkeit erfolgte im Rahmen umfangreicher Modellrechnungen auf der Basis einer Aufteilung der Erde in 1.162 Wasser-einzugsgebiete (Alcamo et al., 1997). In Überein-stimmung mit der Auflösung globaler Datenbasen wurde die Wasserverfügbarkeit mittels einer Gitter-auflösung von 0.5° x 0.5° modelliert. Unter Berück-sichtigung der treibenden klimatischen Variablen so-wie der Boden- und Vegetationsbeschaffenheit, der Hangneigung und des hydrologischen Untergrunds des dazugehörigen Bodentyps, wurde in jeder Gitter-zelle die tägliche Wasserbilanz berechnet und mit den empirisch bestimmten jährlichen Abflußwerten verglichen und kalibriert.

Auf der Ebene der Wassereinzugsgebiete läßt sich die gesamte Wasserverfügbarkeit als Summe aus jährlichem Oberflächenabfluß und der Grundwas-sererneuerung in diesem Gebiet bestimmen. Obwohl die zeitliche Auflösung der Modellrechnungen feiner ist, können die Resultate nur im Jahresmittel inter-pretiert werden, da Lateralflüsse nicht explizit berücksichtigt wurden. Diese Mittelung ist aufgrund der Speicherfähigkeit der Abflußsysteme und des Bodens sicherlich vertretbar.Als Stärke bewertet der Beirat, daß die Modellierung der Wasserverfügbar-keit auf der Basis der Wassereinzugsgebiete die hy-drologischen Gegenheiten sehr viel genauer erfaßt als eine Beschreibung auf Länderebene, wie sie vie-len anderen Modellierungen der globavie-len Wasserkri-se zugrundeliegt.

Es sollte allerdings erwähnt werden, daß die Aus-sagekraft der Modellergebnisses durch eine Reihe bisher noch nicht oder nur ungenügend erfaßter Aspekte beschränkt wird. An erster Stelle ist dabei der Gesichtspunkt der Wasserqualität zu nennen. Für eine realistische Bewertung der globalen Wasserkri-tikalität wäre es dringend erforderlich, zu internatio-nal vergleichbaren Wasserqualitätsindikatoren auf aggregiertem Niveau zu kommen. Da Qualitätsver-schlechterungen (z. B. durch Einleitung toxischer In-dustrieabwässer in die Vorfluter) große Mengen von Süßwasser für Trink- oder gar für Brauchwasser-zwecke unbrauchbar machen können, stellt dies auch unter dem Gesichtspunkt der Abschätzung des quan-titativen Aspekts der Wasserkrise eine wesentliche Einschränkung dar. Zum Qualitätsaspekt gehören auch mögliche Sedimentfrachten, die als Folge des Abflusses die Wasserqualität und damit die direkte Verfügbarkeit beeinflussen. Des weiteren bleiben eine Reihe weiterer Aspekte im Rahmen der Zu-kunftsszenarien unberücksichtigt: intra-annuelle Kli-mavariabilität, schwer zu prognostizierende

Verän-131 Modellierung der Wasserverfügbarkeit D 3.1.2

derungen der Landnutzung und Vegetationsände-rungen. Auch die Abschätzung der zukünftigen Nie-derschlagsmuster als Folge eines Klimawandels sind gegenwärtig noch mit großen Unsicherheiten behaf-tet. Der Beirat betont hier ebenfalls den Forschungs-bedarf.

Um den Einfluß des Bevölkerungswachstums, ökonomischer Veränderungen und auch des Klima-wandels auf die Wasserkrise abzuschätzen, wurde ne-ben den Wasserentnahmeszenarien ein Wasserver-fügbarkeitsszenario formuliert, wobei die zukünfti-gen Temperatur- und Niederschlagswerte für das Jahr 2025 mit Hilfe des Klimaszenarios eines gekop-pelten globalen Atmosphäre-Ozean-Zirkulations-modells (GCM) des Hamburger Max-Planck-Insti-tuts für Meteorologie bestimmt wurden (siehe Kap.

D 1.3). Dieses GCM-Ergebnis beruht auf zukünfti-gen Treibhausgasemissionen, wie sie im Rahmen des IS92a-Szenarios (IPCC, 1992) für möglich gehalten werden und die keine Emissionsreduktionsstrate-gien beinhalten. Die CO2-Äquivalent-Konzentration in der Atmosphäre wird sich demnach im Jahr 2025 um 50% gegenüber dem Wert zwischen 1980 und 1990 erhöht haben. Aufgrund der gegenwärtig si-cherlich noch vorhandenen Unsicherheit hinsichtlich der regionalen Niederschlagsabschätzungen wurden die Wasserverfügbarkeitsmodellierungen sowohl mit dem genannten Klimaszenario als auch mit den Re-sultaten eines Modellaufs eines weiteren GCMs (Ge-ophysical Fluid Dynamics Laboratory) durchgeführt.

Grundsätzlich lassen sich mit heute verfügbaren glo-balen Klimasimulationen Niederschlagsverteilungen nur auf großräumiger Skala verläßlich interpretie-ren. Es besteht deshalb verstärkter Forschungsbe-darf hinsichtlich der Entwicklung regionaler Klima-szenarien.

Wie sich der Klimawandel auf die globale Wasser-bilanz auswirken wird, ist derzeit nicht eindeutig ge-klärt. Man kann mit einer gewissen Sicherheit davon ausgehen, daß der Anstieg der globalen Mitteltem-peratur um 1,5–4,5 °C zu einem Anstieg der mittle-ren Jahresniederschläge um 3–15% weltweit fühmittle-ren wird (IPCC, 1996a). Während erhöhte Niederschläge die Wasserverfügbarkeit (z. B. für Landwirtschaft) verbessern, hat der Temperaturanstieg einen gegen-teiligen Effekt (z. B. durch erhöhte Evapotranspira-tion). Selbst wenn man einen positiven globalen Net-toeffekt des Klimawandels auf die Wasserverfügbar-keit annimmt, besteht größere Unsicherheit hinsicht-lich der Frage der regionalen und zeithinsicht-lichen Vertei-lung des Niederschlags. Auch hier besteht nach An-sicht des Beirats eine wichtige Forschungslücke, de-ren Schließung die Prognosekraft des eingangs skiz-zierten Kritikalitätsindex deutlich erhöhen würde.

Die Abschätzung der globalen Wasserkritikalität darf nicht zu leichtfertig hinsichtlich

durchschnittli-cher Verfügbarkeitswerte sein. Gerade wenn man be-denkt, daß die Landwirtschaft weltweit der größte Wasserentnehmer ist – das Kernproblem der Süß-wasserverknappung also sehr eng mit dem Kernpro-blem der Gefährdung der Welternährung koppelt – dann sollte auch ein globaler und integrierter Index eine vorsichtige Abschätzung der Wasserverfügbar-keit mit Blick auf natürliche Variabilitäten haben.

Daher wurde in vorliegendem Szenario nicht der durchschnittliche monatliche Niederschlag berück-sichtigt, sondern ein Niederschlag, wie er in eher trockenen Jahren fällt (nur 10% aller Jahre sind trockener).

3.1.3

Wasserspezifisches Problemlösungspotential Der Mensch ist nicht nur Verursacher von Wasser-krisen, er ist auch dazu in der Lage, Maßnahmen zur Dämpfung ihrer Folgen zu ergreifen. Soziale Akteu-re und Systeme besitzen eine Vielzahl von Optionen, um dies zu tun. Beispielhaft sei hier nur erwähnt (sie-he dazu ausführlic(sie-her Kap. D 5):

• Überregionaler Transport von Wasser aus Über-schußgebieten.

• Ausgleich von saisonalen Dargebotsschwankun-gen durch wasserbauliche Maßnahmen.

• Verbesserung der Wasserqualität durch Reini-gungstechniken und/oder Umstellung der Pro-duktionspalette.

• Substitution herkömmlicher Wasserquellen (z. B.

durch Meerwasserentsalzung).

Diese und andere Maßnahmen sind abhängig vom Entwicklungsstand einer Gesellschaft, ihrem wasser-spezifischen Problemlösungspotential. Ihre Haupt-stoßrichtung ist die effektive Erhöhung des Wasser-dargebots. Sie sind dabei zu unterscheiden von Maß-nahmen, die bei den verwendeten Entnahmesze-narien zur Erhöhung der Wasserverbrauchseffizienz führen. Die Meinungen darüber, wie man dieses Po-tential definiert und mißt, differieren je nach vertre-tenem Entwicklungsbegriff. Damit ist eine grundle-gende Frage innerhalb der Diskussion um das Ver-hältnis Gesellschaft-Natur im allgemeinen berührt:

die Frage nämlich, ob und wie stark der Mensch durch seine wirtschaftliche und technische Lei-stungsfähigkeit dazu in der Lage ist, natürliche Knappheiten – ungeachtet ihres natürlichen oder an-thropogenen Ursprungs – durch den (zusätzlichen) Einsatz sozio-ökonomischer Faktoren zu überwin-den oder zumindest zu kompensieren.

Projiziert man diese Frage in den Horizont der Ökonomie-Ökologie-Debatte, so lassen sich – ideal-typisch und leicht überspitzt – vier Positionen aus-machen, in denen sich der Grad der

Substituierbar-keit des natürlichen Kapitalstocks durch sozio-öko-nomisches Kapital denken läßt (Tab. D 3.1-1).

Der Beirat hält die beiden idealtypischen Extrem-positionen – völlige Substituierbarkeit und völlige Nicht-Substituierbarkeit – für wenig realistisch. Daß eine Gesellschaft mit hinreichend viel Geld „alles“

kann, scheint gerade angesichts der Nicht-Substititu-ierbarkeit von Wasser für menschliche Zwecke un-plausibel. Umgekehrt besteht mit Blick auf die jahr-tausendealte menschliche Erfahrung im Umgang mit der knappen Ressource Wasser kein Anlaß zu der Annahme, daß moderne Gesellschaften völlig unfle-xibel regionalen Knappheiten ausgeliefert sind. Das reduziert das Spektrum plausibler Positionen auf die beiden mittleren, denen der Beirat hier Rechnung tragen will. In der Kritikalitätsabschätzung wurde darauf verzichtet, nur eine einzige Substituierbar-keitsposition einzunehmen. Der Beirat hält sowohl eine moderat substitutionalistische (hier vereinfa-chend als „Umweltökonomie“ bezeichnet) als auch eine moderat nicht-substitutionalistische (hier als

„Ökologische Ökonomie“ bezeichnet) Position für vertretbar und möchte beide heranziehen, um zu zwei verschiedenen Einschätzungen des gesellschaft-lichen Kurationspotentials für die globale Wasserkri-se zu gelangen.

Der vom Beirat eingangs vorgeschlagene Kritika-litätsindex würde eine Reihe weiterer Dimensionen der Problemlösung berücksichtigen. Die hier umge-setzte Kritikalitätsabschätzung geht aus pragmati-schen Gründen davon aus, daß der volkswirtschaftli-che Entwicklungsgrad einer Gesellschaft – gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf – als erste Nähe-rung für das wasserrelevante Kurationspotential die-nen kann. Es ist eine vorderhand plausible Annahme, daß eine reiche Volkswirtschaft ein größeres Krisen-bewältigungspotential besitzt als eine arme. Gleich-wohl unterscheiden sich die Grade, in denen mensch-liches Kapital natürliche (auch: anthropogene) Kri-sen ausgleichen kann. Dem tragen die im folgenden vorgestellten zwei Szenarien Rechnung. Als Eintei-lungsprinzip des Bruttoinlandsprodukts wurde eine Vier-Klassen-Lösung gewählt, die mit den vier Was-serknappheitsklassen numerisch analog ist und der Einteilung der Weltbank in Volkswirtschaften mit hohem, mittelhohem, niedrigem und sehr niedrigem

Pro-Kopf-Einkommen entspricht. Die Werte für das BIP pro Kopf liegen nur in länderweiter Auflösung vor. Das ist in diesem Fall aber keine nennenswerte Beeinträchtigung der Aussagekraft des Modells, weil davon auszugehen ist, daß der entscheidende Akteur die nationale Politik darstellt.

Unabhängig davon allerdings, wie man die Substi-tuierbarkeit natürlicher Ressourcen für eher hoch oder eher niedrig hält – in jedem Fall muß zweierlei bedacht werden:

• Effektivität: Die zur Kuration einer Wasserkrise ergriffenen Maßnahmen müssen zielführend wir-ken.

• Opportunitätskosten: Die kurativ verwandten Mittel stehen der Gesellschaft nicht für andere, womöglich ebenfalls wichtige Aufgaben zur Ver-fügung.

Einfacher gesagt: Man kann viel Geld auch schlecht ausgeben, und man kann auch gut ausgege-benes Geld nicht noch einmal verwenden. Das für die Abschätzung der weltweiten Wasserkrise zugrun-degelegte BIP pro Kopf ist nicht daraufhin unter-sucht worden, inwiefern es diese beiden Bedingun-gen erfüllt. In beiden Szenarien wird von einer Art Durchsickereffekt ausgegangen: ein höheres BIP wird die Wahrscheinlichkeit dafür erhöhen, daß Ab-milderungsmaßnahmen ergriffen werden. Erst auf der Basis einer syndromspezifischen Analyse der globalen Wasserkrise würde es dann allerdings mög-lich sein, beiden Aspekten genauer Rechnung zu tra-gen. Es soll noch darauf hingewiesen werden, daß die Annahme einer Abschwächung der Wasserkrise durch verstärkten Kapitaleinsatz, die vor allem Szen-ario I zugrundeliegt, unter Umständen mit den BIP-Kopf-Prognosen des IPCC kollidiert. Diese Pro-gnosen berücksichtigen normalerweise nicht die wachstumsdämpfenden Effekte von Ressourcenver-knappung, sind also besonders bei Szenario I wahr-scheinlich zu optimistisch.

3.1.4

Formulierung einer Kritikalitätsabschätzung Auf der Basis des Verhältnisses der Wasserent-nahme zur Wasserverfügbarkeit läßt sich für jede

133 Formulierung einer Kritikalitätsabschätzung D 3.1.4

Grad der Substituierbarkeit von natürlichem durch sozio-ökonomisches Kapital

Gering bis Gering Hoch Hoch

überhaupt nicht bis völlig

Ökonomischer Radikaler Ökologische Umwelt- Radikaler

Idealtyp Ökologismus Ökonomie ökonomie

Ökono-mismus

Tabelle D 3.1-1

Idealtypische Ökonomie-Ökologie-Auffassungen.

Quellen: Jansson et al., 1994; Pearce und Turner, 1990; Radke, 1996;

Rennings und Wiggering,

Zelle des Gitters eine Abschätzung der Kritikalität der Wasserentnahme bestimmen. Diese Größe vari-iert von relativ kleinen Werten, die nur gering ge-nutzte Wassereinzugsflächen kennzeichnen, bis hin zu Werten größer 1. Letztere bezeichnen Entnahme-bereiche, in denen die Nutzer dieser Umweltressour-ce über die erneuerbaren Wassermengen hinaus auch fossile Grundwasserreserven, Meerwasserentsal-zungsanlagen oder z. B. auch rezyklierte Ressourcen benutzen.

Durch die Verknüpfung dieses Verhältnisses aus Wasserentnahme und Wasserverfügbarkeit mit der Wasserverfügbarkeit pro Kopf läßt sich nach Kul-shreshtha (1993) ein Wasserknappheitsindex kon-struieren, in dem zwei kritische Aspekte besonders betont werden: Zum einen die fast vollständige Ent-nahme der erneuerbaren Wassermenge (Verhältnis Entnahme zu Verfügbarkeit) und zum anderen eine geringe verbleibende Gesamtverfügbarkeit pro Kopf. Durch diesen zweiten Aspekt wird der Tatsa-che Rechnung getragen, daß es einen Unterschied macht, ob eine identische Entnahmequote noch rela-tiv viel oder aber nur relarela-tiv wenig Nutzungsspiel-raum läßt (Tab. D 3.1-2).

Die Ergebnisse dieser Klassifikation geben eine erste Einschätzung der regionalen Bedeutung der Süßwasserkrise wieder. Bei der Betrachtung dieser Größe ergibt sich, daß trotz der zu erwartenden kli-mabedingten globalen Zunahme des Wasserdarge-bots gerade in Gebieten, in denen heute schon Was-serknappheit herrscht, in Zukunft eine Verschärfung der Situation zu erwarten ist (Alcamo et al., 1997).

Diese Rechnungen berücksichtigen allerdings noch nicht das regional vorhandene wassserspezifi-sche Problemlösungspotential. Diese Größe, die das sozio-ökonomische Linderungs- oder Kurationspo-tential repräsentiert, kann in erster Näherung durch die Entwicklung des BIP pro Kopf abgeschätzt wer-den. Je nach Substituierbarkeit des natürlichen

Kapi-talstocks werden folgende Bewertungsmatrizen in dieser Abschätzung zugrundegelegt:

Der Grundgedanke hinter beiden Matrizen ist re-lativ einfach: Geht man von einer hohen Substituier-barkeit von Wasser durch BIP pro Kopf aus, dann las-sen sich auch Krilas-sen und Knappheiten (Wasser-knappheitsklassen 3 und 4) relativ gut kompensie-ren, während dies bei der Annahme geringer Substi-tuierbarkeit deutlich weniger der Fall ist. Im Falle der niedrigsten Einkommensklasse allerdings kommen beide Positionen darin überein, daß die Wasser-knappheit nicht kompensiert werden kann. Die Aus-wahl der Kritikalitätsinidices zwischen diesen beiden Extrembewertungen kann man als Interpolation ver-stehen.

Integriert man nun alle bisher diskutierten

Integriert man nun alle bisher diskutierten

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