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1. GRUNDLAGEN

1.2 Die Zusammenfassung der Geschichte der Schriftentwicklung in Europa und im Mittleren Osten

1.2.3 Die Geschichte der Entwicklung der arabischen Schrift

Nach einigen islamischen Überlieferungen wurde die arabische Schrift von Allah selbst oder doch von Adam „erfunden“59. Diese Überlieferungen können in der modernen Wissenschaft jedoch nur im theologischen, nicht im historischen Sinne Wahrheit beanspruchen. Die unterschiedlichen Meinungen über den Ursprung der arabischen Schrift stimmen in dem Punkt überein, dass ihr Ursprung nicht im ÍiÊaz (Gegend auf der arabischen Halbinsel, um Mekka gelegen) liegt, sondern dass die arabische Schrift Ergebnis der Verbindung der Einwohner des HiÊaz mit anderen in der Nähe gelegenen städtischen Kulturen im Yemen, im mittleren Euphrattal, in Syrien, in NabaÔīya (heutiges Jordanien) und im Íauran (Gebirge im Nordosten Palästinas) gewesen ist60. Der Kontakt zwischen den Wüstenarabern und den sesshaften Kulturen wurde hauptsächlich durch den Handel geprägt. Ein Teil der arabischen Stämme gab seine beduinische Lebensweise auf, wurde sesshaft und hat sich an ein neues Leben angepasst61.

Auf der arabischen Halbinsel wurde aus der Sinai-Schrift (s. o.) eine Schrift entwickelt, die zuerst von den Sabäern im heutigen Yemen (ab 700 v. Chr.)62, ab dem 6.

Jahrhundert v. Chr. bei den Lihyaniten und Thamuditen in Nord- und seit dem 2.

Jahrhundert n. Chr. bei den Safaiten in Zentralarabien verwendet wurde. Diese Schrift, von den arabischen Grammatikern „Musnad“ genannt, wurde mit der Islamisierung

59 vgl. Khatibi, 1989, S. 21 f.

60 vgl. ŠÐštīr, ÝAbdal-MuÎsin: al-WaÛÐfa az-zuÌrufÐyya lī- l-Îarf al-ÝarabÐ, Kairo 2000, S. 19.

61 vgl. ÉumÝa, IbrÁhīm: QiÒÒat al-kitÁba al-ÝarabÐya, Kairo 1979, S. 15f.

62 Schriftbeispiele bei Driver, Godfrey: Semitic Writing, Oxford 1948, S. 145; Datierung bei Gese, Hartmut:

Die Religionen Altsyriens, Altarabiens und der Mandäer, Stuttgart 1970, S. 393.

verdrängt. Ein Abkömmling dieser Schrift wird bis heute in Äthiopien verwendet.

Seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. war Aramäisch die Sprache der Fernhändler im Nahen Osten, im Perserreich (539-330 v. Chr.) war es auch die erste Amtssprache. In Tema (heute al-ÝUla in Saudi-Arabien) wurden aramäische Inschriften aus dieser Zeit gefunden. Seit dem 4. Jahrhundert v. Chr. begann die aramäisch Schrift, quadratische Formen anzunehmen, aus der einerseits die moderne hebräische Schrift, andererseits die palmyrenische und nabatäische Schrift hervorgingen. Nach den Eigennamen in den Inschriften zu schließen, waren die Nabatäer und Palmyrener Araber, auch wenn sie in aramäischer Sprache schrieben. Den quadratischen Charakter verlor die aramäische Schrift im Gebiet von Edessa (heute Urfa / Türkei). Edessa war seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. das Zentrum des Christentums in den Euphratländern. Aus der edessinischen Schriftentwickelte sich im 4. / 5. Jahrhundert die Estrangelo-Schrift (von syrisch angela

= Evangelium), seit dem 6. Jahrhundert aus dieser die runde, die Buchstaben miteinander verbindende Serto-Schrift. Die Ähnlichkeit zwischen Serto und der arabischen Schrift ist auffallend63. Die Namen der Buchstaben in der kanaanitischen, aramäischen und syrischen Schrift sind nahezu identisch, allerdings folgen die Buchstaben einer unterschiedlichen Reihenfolge64.

Der erste westliche Wissenschaftler, der diesen Zusammenhang beschrieb, war 1724 der Numismatiker Georg Jakob Kehr. Diese Beobachtung wurde 1865 von Theodor Nöldeke (1836-1930) bestätigt und ist seit Rudolf Euting (1869-1913) und Mark Lidzbarski (1868-1928) allgemein anerkannt65. Die arabischen Arabisten NÁmī ËalÐl YaÎyÁ 66, und Nabia Abbot67 kamen ebenso zu dem Schluss, dass dieser Konsens nicht zu bezweifeln sei. .

Aus der vorislamischen Zeit sind vier arabische Steininschriften erhalten geblieben. Die erste Inschrift wurde in Zabad (Abb. 19), südöstlich von Íalab, gefunden68 und befindet sich heute im Kunstgeschichtlichen Museum in Brüssel69. Die Inschrift, die sich an einer Kirche befand, (Mar Sirkis)70 befand, ist in griechischer, syrischer und arabischer

63 vgl. Diringer, David: The Alphabet, 3rd revised edition, Bd. 2, London 1968, S. 218.

64 vgl. Bahnasī, ÝAfīfī: ŠamÁl wa- Êanūb, ÍiwÁr al-fann al-islÁmī, Arabische Emirate, aš-ŠÁriqa 2001, S. 14.

65 vgl. Grohmann, Adolf: Arabische Paläographie, Wien 1971, S. 11.

66 vgl. NÁmī, ËalÐl YaÎyÁ: AÒl al-ÌaÔÔ al-ÝarabÐ wa-tÁrīÌ taÔauwwurihi ilÁ mÁ qabla al-islÁm, Kairo, 1935., S.

67 vgl. Abbot, Nabia: The rise of the North Arabic script and its QurÞÁnic development with a full description 6.

of the QurÞÁn Manuscripts in the Oriental Institute, Chicago 1938, S. 5.

68 vgl. Yūsuf, AÎmad: al-ÌaÔÔ al-kūfÐ, Kairo 1934, S. 31.

69 vgl. Grohmann, 1971, S. 14.

70 vgl. al-ËÁzin, Wahīb: min as-SÁmīyyīn al-Ýarab, Beirut 1962, S. 170 f.

Sprache verfasst71. In der Inschrift werden die Namen von Personen erwähnt, bei denen es sich vielleicht um diejenigen handelt, die den Bau der Kirche durchgeführt oder befohlen haben. Der arabische Text lautet: ﺲﻴﻘﻟا ﺮﻣ ﺮﺑ ﺎﻴﻠهو ﻮﻔﻨﻣ ﻊﻣأ ﺮﺑ ﻮﺣﺮﺷ ﻪﻟﻷار (ﺺﻨﺑ)

ﻮﺤﻳﺮﺷو وﺮﺘﺳو وﺪﻌﺳ ﺮﺑ ﻮﺣﺮﺳو )

ﻮﺤﻳﺮﺳو

( ( binaÒÒ r al-ilāh šaraÎū bar amÝ manfū wa-hilyā bar mer al-Qais wa-saraÎū bar saÝdū wa sitrū wa-šarīÎū)72. Dass die Inschrift mit dem Jahr 512 christlicher Zeitrechnung datiert ist, ergibt der griechische Text73. Das Original wird in der Abteilung Naher Osten der Musées Royaux d′Art et d’Histoire (Inv.-Nr. A.

1308) aufbewahrt74.

Die zweite ist die Inschrift von Ises (Usais, Ses; Abb. 19 a), 105 Kilometer südöstlich von Damaskus gelegen75. Sie wurde im September 1955 entdeckt76. Die Inschrift enthält einen arabischen Text von vier Zeilen, der lautet ( ﻚﻠﻤﻟا ثﺮﺤﻟا ﻲﻨﻠﺳرأ ﻲﺳوﻷا ةﺮﻴﻐﻣ ﻦﺑ ﻢﻴهاﺮﺑإ

ﺖﻨﺳ ﺔﺤﻠﺴﻣ ﻦﻤﻴﻠﺳ ﻰﻠﻋ 423

. ; Mich, ĪbrÁhīm bn MuÈīra al-Ausī, schickt mir der König von Al-Ëar×,77 gegen Sulaiman MasallaÎa im Jahr 423).

Die dritte ist die Inschrift von Íurran, einer Stadt südlich von Damaskus, im Íurran-Gebirge (Abb. 19 b), die in den Ruinen einer Kirche auf einem Stein oberhalb der Tür gefunden wurde78. Sie ist im Jahre 568 in zwei Sprachen verfasst worden, Griechisch und Arabisch79. Der Text lautet .ﺮﺒﻴﺧ ﺪﺴﻔﻣ ﺪﻌﺑ 463 ﺖﻨﺳ لﻮﻃﺮﻤﻟا اذ ﺖﻴﻨﺑ ﻮﻤﻠﻇ ﺮﺑ ﻞﻴﺒﺣﺮﺷ ﺎﻧأ. (Ich bin ŠarÎabīl bar Úalamū, ich habe dieses Gebäude im Jahr 463 nach der Zerstörung von Ëaībar errichtet).

Die vierte Inschrift ist die von Umm al-Éimmal bekannt (Abb. 19 c). Sie wurde von einer archäologischen Expedition der Princeton-Universität nach Syrien im Jahre 1904/0580 im nördlichen Schiff einer Doppelkirche (zwei unmittelbar nebeneinander gebaute Kirchen) gefunden. Littmann vertritt die Auffassung, dass einige christliche Araber diese Inschrift angefertigt haben81. Diese Inschrift ist als einzige nicht datiert.

71 vgl. an-Naqšabandī, NÁÒir As-Sayyid MaÎmūd: manšÁÞ ÌaÔÔ Ýarabī wa-taÔawwuruhu ÎattÁ Ýahd al-ÌulafÁÞ ar-rÁšidīn, Bagdad 1947, S. 132.

72 vgl. Yūsuf, 1934, S. 31f.

73 vgl. Littmann, Enno: Arabic inscriptions, Leiden 1949, S. 14.

74 vgl. Grohmann, 1971, S. 14.

75 vgl. ÍaÔūm, Nūr ad-Dīn: QaÒr Êabal sīs al-ummawī, Damaskus 1963, S. 243 u. Íasan, Zakī MuÎammad:

funūn al-islam, Kairo 1944, S. 44.

76 vgl. ÍaÔūm, 1963, S. 16.

77 al-Íarī× ibn Éubla siegte 528 über al-Mundhir al-LaÌmī III.

78 vgl. Welfenson, IsrÁÞīl: tÁrīÌ al-luÈÁt as-sÁmÐya, Kairo 1929, S. 192.

79 vgl. Yūsuf, 1934, S. 32.

80 vgl. Littmann, 1949, S.1.

81 ebd.

Die Mehrheit der Experten verbindet sie mit dem sechsten Jahrhundert nach Christus82. In diesen Inschriften kommen alle arabischen Buchstaben außer den Buchstaben zīn (ز) und Òad (ص) vor.

Wenn man die arabischen und nabatäischen Buchstaben vergleicht, fällt die Ähnlichkeit zwischen ihnen, besonders bei den Buchstaben bÁÞ, (ب) Êīm hÁÞ (ﻩ), lÁm (ل), nūn (ن), tÁÞ (ت), und lÁm Alif (ﻻ), auf.

Obwohl es eine arabische Schrift schon Ende des 4. bis Anfang des 5. Jahrhunderts nach Christus gab, wurde sie nach den archäologischen Befunden nur für kurze Inschriften benutzt, eine Literatur gab es nicht83. Der Grund dafür dürfte die Hochschätzung des gesprochenen Wortes auch bei den sesshaft gewordenen Arabern sein, für die die rein mündliche Kultur der Beduinen immer noch Vorbild war. Im vorislamischen Arabien war besonders die Dichtung populär. Die Dichter trugen ihre Werke öffentlich auf einer Art Bühne vor.

In der vorislamischen Zeit waren die Araber sehr stolz auf ihre Sprache, aber sie war nicht heilig. Als MuÎammad den neuen Glauben predigte, gehörte zu seinen Grundsätzen, dass Gott sein Wort in Büchern überliefert wissen wollte und dass den Arabern nun auch ein solches Buch in ihrer Sprache anvertraut werden sollte.

Gleichwohl lag der Koran zu Lebzeiten MuÎammad s noch nicht als Buch vor, wenngleich die Suren zumindest seit der medinensischen Zeit aufgeschrieben wurden.

Diese Aufzeichnungen trugen jedoch in erster Linie privaten Charakter, wichtiger war die Rezitation Suren. Nachdem 633 viele ÎuffÁÛ (Männer, die den Koran verinnerlichen und rezitieren) in den Schlachten, die nach dem Tod des Propheten folgten, gefallen waren, ließ der Kalif Abu Bakr (632-634) die Offenbarungen MuÎammad s schriftlich sammeln, um sie zuverlässig zu bewahren. Unter dem Kalifen ÝU×mÁn ibn- ÝAffÁn (644-656) wurde ein für authentisch erklärter Text des Korans vorgelegt. Mit der Verbreitung des Korans und der islamischen Mission in allen Ländern fand die arabische Schrift weite Verbreitung und wurde in unterschiedlichen, nichtarabischen Sprachen benutzt, darunter ins Persische und Türkische.

Hundert Jahre später, nachdem das Abbasidenkalifat (742-1258 n. Chr.) in Bagdad

82 ebd. u. Grohmann, 1971, S. 14.

83 vgl. Gaur, 1984, S. 97.

errichtet worden war, war die arabische Schrift nicht nur effektiv verbessert worden, sondern man begann Kalligraphie zur Kunstform zu entwickeln und sie in der arabischen Welt zu etablieren. Mehrere Elemente trugen zu dieser Entwicklung bei: Es gab zu allererst das geheiligte Wesen des Korans selbst. Da der Text eine direkte Offenbarung Gottes war, musste er nicht nur korrekt übertragen werden, sondern in einer Art und Weise, die seinem göttlichen Ursprung im Erscheinungsbild Rechnung tragen sollte, also so schön und tadellos, wie es nur menschenmöglich war84. „In diesem Kontext war der Schriftgelehrte, besonders der Schreibkünstler, kein bloßer Bediensteter oder Handwerker mehr, sondern eine Person, die mit dem Willen und den Absichten Gottes in Einklang stand“85.

Grabar beobachtet, dass alle unterschiedlichen Entwicklungen der Schriftzeichen, im frühen Stadium der islamischen Zivilisation, tatsächlich eher typologischer als ästhetischer Natur waren. Zwischen dem mittleren 7. und frühen 10. Jahrhundert wurde eine große Anzahl von Schreibschriften entwickelt, die Klarheit durch Standardisierung der Schrifttypen anstrebten86, damit beschäftige ich mich ausführlicher im folgenden Abschnitt.