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1. GRUNDLAGEN

1.2 Die Zusammenfassung der Geschichte der Schriftentwicklung in Europa und im Mittleren Osten

1.2.2 Arten und Anwendung der europäische Schrift

Bereits am Anfang der christlichen Ära hatten die Römer eine große Vielzahl von Schriftarten entwickelt, um sie verschiedenen Aspekten des täglichen Lebens anzupassen. Neben denen, die für Steininschriften taugten, gab es noch formale Bücherschriften, sowie mehrere kursive Handschriftarten, geeignet für Anmerkungen persönlicher, administrativer oder kommerzieller Natur. Die wesentlichen Bücherschriften der späten römischen Periode, Unziale (Abb. 12) und Halbunziale, favorisierten eine Verringerung der Größe der einzelnen Buchstaben und eine Tendenz in Richtung größerer Neigung der Buchstaben war zu erkennen. Sie haben auch das Vier-Linien-System (anstatt des alten Zwei-Linien-Systems) eingeführt, um die Anordnung der einzelnen Steigungen und Gefälle anzupassen. Nach dem Zerfall des römischen Reiches und mit der Verbreitung des Christentums wurde die Unziale zur bevorzugten Schrift der christlichen Literatur53 . Im 6. Jahrhundert wurde die Halbunziale in Irland eingeführt. Von dort aus wurde, als Resultat der Klostergründungen der irischen Mönche, die neue irische Schrift zu den Rheinfranken (Fulda), Alemannen (St. Gallen), nach Aquitanien (Tours) und Italien (Bobbio) gebracht. Auf den britischen Inseln, wo das Christentum von irischen und römischen Missionaren eingeführt worden war, führte die resultierende Kombination von Schriftarten im 8. Jahrhundert zur Entwicklung der angelsächsischen Handschrift54,

51 vgl. Gaur, 1984, S. 127.

52 vgl. Gray, 1986, S. 12.

53 vgl. Gaur, 1984, S. 165.

54 vgl. Gaur, 1984, S. 171.

einer Schrift, die bis weit nach der Eroberung durch die Normannen vorherrschte.

Wegen ihrer geographischen Isolation waren die britischen Inseln und Irland in der Lage, eine gewisse Gleichförmigkeit beizubehalten, soweit es mehrere formale Buchschriften betraf. Dagegen entwickelten sich auf dem europäischen Kontinent viele lokale Schriftarten, wie zum Beispiel das süditalienische Beneventinisch (Abb. 13), das fränkische Merowingisch (Abb. 14), das Westgotische in Spanien und viele andere Schriften. Dieser Prozess des Auseinanderfallens wurde schließlich durch Karl den Großen (742-814) zum Erliegen gebracht, dessen neu gewonnenes Imperium eine neue Einheit nach Westeuropa brachte55. Dort entstand eine Schrift, die Karolingische Minuskel (Abb. 15), die in den höfischen und Klostereinrichtungen dienen sollte. Die Karolingische Minuskel war eine Schrift der großen Klarheit und Harmonie, die das Vier-Linien-System mit wenig Ligaturen und Abkürzungen verwendete und häufig künstlerisch die großen oder Unzialbuchstaben für Initialen und Überschriften verschönerte. Diese Klarheit des graphischen Schriftbildes ging später teilweise verloren mit der Entwicklung der anderen Hauptschrift, der gotischen Minuskel (und ihren verschiedenen Unterformen und späteren Entwicklungen), die ihren Platz in den 12. und 13. Jahrhunderten eroberte. (Abb. 16). Diese Schrift „zerbrach“ die gebogenen Elemente der Buchstaben in eckige Kombinationen der Striche, fügte dekorative kleine Füße und Köpfe hinzu und führte feine Haarlinien ein, um einzelne Schriftzeichen zu verbinden.

Das 14. Jahrhundert, die Blütezeit der gotischen Schrift, war für viele Teile Europas eine Zeit der großen Verwüstung. Die Pest, die von 1348 bis 1350 wütete, endlose dynastische Streitigkeiten, plündernde Söldner und ein rivalisierender Papst in Avignon (1378-1415) untergruben den Glauben und das Vertrauen der Menschen an die errichtete Ordnung sehr. In Norditalien entstand unter dem Einfluss der reichen Handelsstädte wie Florenz und Venedig eine Sehnsucht nach der Vergangenheit, die den Weg für die Renaissance ebnete. Künstler, Schreiber, Gelehrte und ihre Gönner wandten ihre Aufmerksamkeit dem Studium der römischen Antike zu. Die römische Kapitale erschien jetzt als Norm für eine schöne Schrift.

Die frühen Humanisten, wie Coluccio Salutati (1330-1406), Nicola Niccoli (1363-1437) und Poggio Bracciolini (1380-1459), forderten einen klaren Schriftindex (Manuskript), der sich vom Gotischen unterscheiden sollte. Die Handschrift der Humanisten, die

55 vgl. ebd.

insbesondere von Poggio entwickelt wurde, basiert auf Handschriften der karolingischen und besonders den romanischen Schriften der Manuskripte, von denen die klassischen Texte abgeschrieben wurden56. Es ist die Handschrift, die in sehr vielen schönen Manuskripten der Renaissance benutzt wurde und ist das Modell, auf dem die französische und italienische Schrift basieren. Diese neue Schrift, die Antiqua (Abb.

17), wurde besonders von professionellen Kopisten benutzt. Der kursive italische Schriftstil (Abb. 18), der ungefähr zur gleichen Zeit entstand, wurde als Buchhandschrift verwendet, aber auch als schnellere, weniger formale Handschrift. Als solche wurde sie zum Modell für zeitgenössische Handschrift und für die Wiederbelebung der kursiven Kalligraphie im zwanzigsten Jahrhundert57. Mit den neuen handgeschriebenen Büchern der Humanisten wurden neue Großbuchstaben eingeführt. Die frühen Buchstaben, die zum Beispiel von Poggio benutzt wurden, sind im Wesentlichen mit der Feder geschrieben; sie ähneln weder den karolingischen Großbuchstaben noch stehen sie in einer Beziehung zu den gemeißelten römischen Buchstaben. Tatsächlich, wie man erwarten würde, sind sie der romanischen Rustica näher, die in den Manuskripten gefunden wird, die sie kopierten58.

Wie bei jeder Schrift wurde eine Vielzahl an Variationen verwendet. Die auffälligste Eigenschaft der formlosen Handschrift dieser Zeit waren die Schräge und das Verengen der ovalen und runden Buchstaben, alle Buchstaben wurden dicht zusammen geschrieben, häufig aneinander angeschlossen, und die aufsteigenden Linien waren sehr hoch.

Die italienische Schreibschrift wurde zuerst als ein Schriftbild von den damaligen kursiven Handschriften entwickelt, die sehr populär geworden waren. Ludovico Arrighis italienisches Design war ein besseres als die meisten, wurde jedoch von allen Druckern vernachlässigt. Es ist dieses Design (welches er beim Arbeiten als Schrift in der Kanzlei im Vatikan verwendete), das wir heutzutage als die italienische Schrift kennen.

Um 1600 begann die nächste Entwicklung in der Geschichte der Schrift, dies lag am wachsenden Einfluss der spitzen Feder und des Stiches. Diese Änderung von der quadratischen Spitze zu der spitzen und flexiblen Feder, führte zu einem Schriftstil der

56 vgl. Gray, 1986, S. 122.

57 vgl. ebd.

58 vgl. ebd.

extremen Kontraste, von haarfeinen bis zu kräftigen breiten Strichen.

Diese Änderung verlief etappenweise, da im 16. Jahrhundert Federn die einzigen Schreibgeräte waren, die verwendet wurden. Diese konnten nur bis zu einem bestimmten Grad angespitzt und geschärft werden, da sie von Natur aus sehr weich waren. Während des ersten Viertels des 19. Jahrhunderts war der Gebrauch von Stahlspitzen aufgekommen, die zu einer sehr feinen Spitze geschliffen werden konnten und auch Kupferfedern, die eine Ableitung von der Gravur waren und im 17.

Jahrhundert weit verbreitet waren. Hierfür wird eine gespaltene, spitze Feder benötigt, anstatt einer kantigen Feder, wie sie für alle anderen Schriftarten benutzt wird.