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2. Schriftelemente in Bildern westlicher Künstler in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

2.5 Primitivismus als Alternative:

2.5.2 A. R. Penck (geb. 1939)

A. R. Penck, eigentlich Ralf Winkler, wurde am 5. Oktober 1939 in Dresden geboren.

Mit zehn Jahren begann Winkler nach eigenen Angaben, Landschaften und Porträts zu malen336. Nach dem Ende seiner Grundschulzeit 1953 belegte er einen Mal- und Zeichenkurs an der Volkshochschule Dresden. Bei seinem Lehrer Jürgen Böttcher traf

333 ebd.

334 Rosenthal, 1987, S. 60.

335 DIE ZEIT 03.03.2005 Nr.10, S. 45.

336 vgl. Grisebach, Lucius u. a., in: Kirchner, Thomas (Hrsg.): a.r. penck, München 1988, S. 11.

sich privat ein Schülerzirkel, der sich nicht nur mit Malerei, sondern auch mit Jazz befasste337. Daneben „hatte er schon immer eine große Affinität zur Literatur“338. 1955 brach Winkler die Schule ab und begann eine Lehre als Werbezeichner. 1956 erhielt er für einige Holzschnitte einen Preis des Wettbewerbs der Lehrlinge und Berufsschüler des Bezirks Dresden, ebenso für ein Gedicht. Einige Gemälde, die er ebenfalls eingereicht hatte, wurden als bürgerlich-dekadent zurückgewiesen339. Nach dem Abbruch seiner Lehre bemühte sich Winkler vergeblich darum, einen Studienplatz für Bildende Künste zu erhalten. Im Herbst 1957 richtete Winkler gemeinsam mit seinem Freund Peter Makolies ein privates Atelier in einem Gartenschuppen ein340. Im Herbst 1961 konnte Winkler an der Ausstellung „Junge Künstler. Malerei“, der Deutschen Akademie der Künste (später Akademie der Künste der DDR) teilnehmen. In einer Kritik der von der FDJ herausgegebenen Zeitschrift „Junge Kunst“ wurde Winklers Arbeit als „Dilettantismus“ bezeichnet. Wichtiger als künstlerische Mängel für diese Beurteilung dürfte die Tatsache gewesen sein, dass Winkler nicht „… Auf dem Weg, den die Partei den Künstlern gewiesen hat“341, wandelte.

Seit dem Mauerbau 1961 war Winkler „für die folgenden neunzehn Jahre innerhalb der kulturellen und politischen ,Eiszeit’ eingeschlossen, die ein totalitäres Regime seinen unglücklichen Bürgern auferlegte. Als Untergrund-Progressiver vom Kunststudium und jedem anderen Aspekt des institutionellen Lebens ausgeschlossen, entwickelte Penck ein System der Malerei, die sehr seiner eigenen freien Form der Jazzmusik entsprach.

Wie der Jazz selbst, entwickelte sich der Prozess als Mittel, die dynamische Wechselwirkung von Individuum und Kollektiv auszudrücken, eine Dynamik, die im kommunistischen Lager durch ihre monolithische Kollektivierung aller Dinge grausam blockiert wurde“342. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen arbeitete Winkler in dieser Zeit u. a. als Heizer, Nachtwächter, Briefträger und in einer Margarinefabrik343. Anfang der sechziger Jahre entwickelte Winkler, der bis dahin vor allem in einem naiv-impressionistischen und kubistischen Stil gemalt hatte, eigene Stilrichtungen, so seine

„Systembilder“ mit Menschendarstellungen im Stil steinzeitlicher Höhlenmalereien und erste Standart-Arbeiten. Er bezeichnete sie als „eine Form von Concept-Art. Diesen

337 vgl. Grisebach, 1988, S. 12.

338 Selzer, 2001, S. 205.

339 vgl. Grisebach, 1988, S. 13.

340 vgl. Grisebach, 1988, S. 15.

341 Bartke, Eberhard in: Junge Kunst. Organ des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend, 5, 1961, Heft 11, S. 34-40 zitiert nach: Grisebach, 1988, S. 20 f.

342 Wheeler, 1991, S. 313.

343 vgl. Grisebach, 1988, S. 24.

Begriff kannte ich damals nicht. Standart = Konzept, Plan, Idee, Strategie“344. Eine Ausstellung, in der Werke von Winkler und seinen Freunden gezeigt wurden, im Puschkinhaus in Dresden musste vorzeitig abgebrochen werden, weil „in den Räumen noch alle möglichen anderen Veranstaltungen stattfanden, was dann auch als Kultur bezeichnet wurde. Tanzveranstaltungen oder sozialistische Hochzeiten unterm Leninbild und so. Der ganze Laden platzte, als sich eine Braut weigerte, unter so einem Bild – es war, glaube ich, das Anti-Kälte-Bild von Ralf – zu heiraten“345.

1966 versuchte Winkler erneut, einen „offiziellen“ Status als Bildender Künstler in der DDR zu erreichen, indem er sich um die Mitgliedschaft im Verband Bildender Künstler bewarb. Er wurde zwar als Kandidat aufgenommen, jedoch nach Ablauf der Kandidatenzeit 1969 nicht als Vollmitglied bestätigt.

Ende 1968 zeigte die Galerie Hake in Köln die erste Einzelausstellung mit Werken Winklers unter dem Titel „deutsche avantgarde 3. a.r.penck, Bilder“346. Winkler wählte sein Pseudonym nach dem Geologen Albrecht R. Penck (1858-1945). So wie der Geologe die Erdgeschichte, so habe Winkler die Kunstgeschichte erforscht347 . Außerdem ermöglichte ihm das Pseudonym, im Westen auszustellen, ohne dass die Behörden der DDR ihn, den nonkonformistischen Künstler, der seine Bilder regelrecht in den Westen schmuggeln musste, belästigten. Während A. R. Penck in der Bundesrepublik von Galerien und Museen entdeckt wurde, konnte Ralf Winkler in der DDR nur privat, halb versteckt ausstellen. Nachdem in der DDR 1979 mit einer Änderung des Strafgesetzbuches die ungenehmigte Mitwirkung an ausländischen Publikationen – wozu auch Ausstellungskataloge gehören konnten – als „illegale Nachrichtenübermittlung“ unter Strafe gestellt wurde, stellte Penck 1980 einen Antrag auf „ständige Ausreise und Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR“, dem noch im selben Jahr stattgegeben wurde. Nachdem Penck in die Bundesrepublik gekommen war, ließ er sich bei Köln nieder. 1983 übersiedelte er nach einem längeren Aufenthalt in Israel nach London. 1989 erhielt er eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf.

Charakteristisch für die Arbeiten Pencks der sechziger Jahre waren die Welt- und Systembilder. Penck verstand diesen Stil als Realismus, obwohl die Menschen aufs

344 Penck im Interview mit Johannes Gachnang, 1975, S. 148, zitiert nach: Grisebach, 1988, S. 30.

345 Peter Herrmann im Gespräch mit Jürgen Schweinebraden am 9. Februar 1988, zitiert nach: Grisebach, 1988, S. 31.

346 vgl. Grisebach, 1988, S. 33.

347 vgl. Grisebach, 1988, S. 32.

äußerste reduziert wurden. „Für ihn lag der wirkliche Realismus eben nicht in einer naturalistischen, äußerliches Wohlbefinden vorspiegelnden Malerei, wie sie in den fünfziger Jahren in der DDR gefordert wurde“348. Grisebach deutet den Titel

„Weltbild“, 1961 (Abb. 70), in dem Penck das erste Mal Buchstaben verwendete, wörtlich als Beschreibung des Zustandes der Welt im Kalten Krieg349. In der Mitte sind eindeutig Szenen des Konflikts zu erkennen. Zwei kleine Strichmännchen stehen sich gegenüber und zeigen mit ausgestrecktem Arm aufeinander. Das linke Strichmännchen hat den Mund weit geöffnet, als würde es laut rufen. Hinter ihnen stehen größere Strichmännchen, die Waffen in den Händen tragen, das auf der linken Seite zwei Schwerter, das auf der rechten eine Pistole. Auf beiden Seiten sind Strukturen zu erkennen, die man als Radarantennen und Raketenabschussvorrichtungen deuten kann.

Weiter gibt es auf beiden Seiten dreiarmige Strichmännchen, die etwas zu erklären scheinen, auf der linken Seite ein kleineres, das eine Tafel mit der Aufschrift „Λ = Λ“ hält, auf der rechten ein großes, das eine Tafel mit der Aufschrift „Λ = A+ ~ A“ hält.

Der „Lehrer“ auf der linken Seite steht auf einer Konstruktion, die Kirchner als Fließband deutet. Während es mit einem Arm die Tafel hält, stützt es mit den beiden anderen die Raketenbasis. Der „Lehrer“ auf der rechten Seite stützt zwar auch mit einem Arm die Raketenbasis auf seiner Seite, streckt aber den zweiten Arm einem Strichmännchen mit zwei Köpfen entgegen, das eine Art Handkurbel betätigt. Sein dritter Arm setzt sich über die Tafel hinaus in Form eines Pfeils fort, der auf das Männchen an der Kurbel zuläuft, als ob ein Informationsfluss angedeutet werden soll.

Der „Lehrer“ auf der linken Seite ist demgegenüber völlig isoliert. Das Männchen an der Handkurbel hat sein Pendant auf der linken Seite in einem ebenfalls zweiköpfigen Männchen am Fließband. Auf diesem Fließband steht außer dem „Lehrer“ ein zweites Männchen, dass mit einer Pistole zwei Männchen bedroht, die die Arme heben. Ganz links kehrt ein Männchen der Szene den Rücken zu. Zeigt sich auf der linken Seite ein eher bedrohliches Szenario, so auf der rechten ein idyllisches: Neben einem sich umarmenden Paar spielt ein Kind mit einem Ball. In diesem Bild drückt sich nach Meinung Kirchners die zu diesem Zeitpunkt noch gegebene positive Einstellung Pencks zur DDR wieder: Die bedrohlichen Szenen spielen sich links, kartographisch für Westen, die friedlichen rechts, kartographisch für Osten ab. Bei der Betrachtung der Systembilder fällt auf, dass Penck Buchstaben nur selten zu kompletten Wörtern

348 Grisebach: Ich sehe meine Arbeit nach wie vor als Bildforschung, in: Grisebach, 1988, S. 70-88, hier S.

75.

349 vgl. Kirchner, Thomas: A.R. Penck – Kann Kunst noch Wissenschaft sein?, in: Grisebach, 1988, S. 89-93, hier S. 90.

zusammensetzt, sondern sie in einer Art algebraischer oder logischer Gleichung benutzt.

Seine von Logik und Mathematik geprägte Sprache zeigt sich auch an der Verwendung von Ziffern und mathematischen Zeichen.

Anstatt die Strichmännchen als Doppelgänger des Betrachters zu zeichnen, zu dem er Zuneigung empfinden kann, sind Pencks Strichmännchen weit entwickelte Formen einer verschlüsselten Schrift. In anderen Bildern stellt Penck Personen als Schattenrisse dar. Die dargestellten Personen interagieren mit anderen Piktographien. Während die Piktographien in diesen Gemälden an jungpaläolithische Höhlenmalereien erinnern, unterstreichen die schematischen und diagrammatischen Zusammensetzungen das Gemälde als eine Karte, die der Künstler an die Wand gehängt hat. In dieser Hinsicht sind Pencks Standardgemälde – seine Fahnen und Banner – als Herausforderungen der Institutionen und der institutionellen Denkweise gedacht.

1967/68 malte Penck die ersten „Standarts“, Bilder, deren „Struktur so einfach ist, dass jeder es perzipieren und imitieren kann … Verkehrszeichen, Warenzeichen, Schilder gehören zu Standarts“350. Die Strichmännchen aus den Systembildern behielt er bei, ließ sie aber nicht mehr untereinander agieren, sondern sich dem Betrachter mit erhobenen Händen zuwenden.

„1970/71 entstanden die ersten großen Standart- Leinwände. Sie beinhalteten skripturale Äußerungen in Form von Graffiti, Kritzeleien, Mitteilungen, Hinweisen, Kürzeln, geheimnisvollen Botschaften als Knotenpunkte des Informationsaustauschs in der Stadt oder Spuren des Denkens und der Auseinandersetzung von Menschen mit Hilfe von Signalen. In dadaistisch anmutender Riesenschrift finden sich verschiedene Schriftarten eingebettet zwischen zahlreichen Zeichnungen und Symbolen“351.

In größerem Umfang scheint Penck erst 1973 Worte in den Standarts verwendet zu haben, als er mit der Serie „Standart Ende“ sein Experiment mit den Standarts abbrechen wollte. Die Entwicklung endete mit dem letzten Bild dieser Serie „Standart – Endart“ (Abb. 71), wo sich im linken Drittel des Bildes an die Aussage „Final space is an maximum of the complexity of the system an an maximum of the monotony of the parts of the system“ eine Reihe hingekritzelter Kreuze, die Vokalreihe UOAIE, die Buchstabenfolge

350 Penck, A.R.: Was ist Standart, 1970, zitiert nach: Grisebach, 1988, S. 35.

351 Selzer, 2001, S. 206.

AAAAAAAAAAA ABABABABABAB AABAABAABAAB AABBABAABBAB AAABBAABAAA,

einige unleserliche Krakel und schließlich auf einem gepunkteten Untergrund ein großer Farbspritzer anschließen. Die restlichen zwei Drittel werden von einem Fensterkreuz in grau-brauner Farbe eingenommen, durch das eine Art Laubwerk sichtbar wird. Seine schwarze Farbe kontrastiert mit dem weißen Hintergrund, wie sich Laubwerk vom durchscheinenden Tageslicht abhebt. Das Bild wird mit einer schwachen Spur aus roter Farbe umgeben.

Penck benutzt in seinen Systembildern und Standarts die primitivste Form der Menschendarstellung, das Strichmännchen, dennoch kann man sie nicht „wie die Werke eines Expressionisten noch eines Primitivsten“352 sehen, weil ihre Strukturen komplex sind.

Pencks Kunst fordert den Betrachter auf, sein Netzwerk der Zeichen, Symbole und Bilder zu entziffern. Seine Symbole ähneln denen, die in der Logik, Mathematik und Kybernetik verwendet werden. „Dennoch bleibt die Arbeit unveränderlich eher kryptisch und persönlich als linguistisch übersetzbar“353.

Pencks Zeichensystem, das unterschiedlichen Kulturen entstammt, von der Steinzeit bis zum Computerzeitalter, wirkt verwirrend und faszinierend zugleich. Obwohl einige seiner Symbole entziffert werden können, ergeben sie doch im Kontext der Bilder keinen sein. „Analog hierzu verlieren auch die wörtlich lesbaren eingeflochtenen Begriffe, Schlagworte und Sätze im Beziehungsgeflecht völlig an eindeutiger Bedeutung“ 354.

352 Yau, John in: Peltason, 1993, S. 15.

353 Wheeler, 1991, S. 313.

354 Selzer, 2001, S. 207.

3. Schriftelemente in Bildern Arabischer Künstler in der