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2.7 Die Diagnoseverfahren bei Multiple Sklerose

2.7.1 Die evozierten Potenziale

Die Untersuchung des ZNS mit Hilfe von evozierten Potenzialen wurde von DAWSON erstmals durchgeführt. Zwei Überlegungen führten zu der Verwendung von evozierten Po-tenzialen bei der Untersuchung des ZNS. Es wurde gezeigt, dass eine Demyelinisierung im ZNS, wie im peripheren Nervensystem zu einer Verlangsamung der Reizweiterleitung führt. Darüber hinaus konnte damit eine Unterscheidung zwischen Demyelinisierung und degenerativen neuronaler Erkrankungen vollzogen werden. HALLIDAY führte 1972 eine Untersuchung mit Hilfe von evozierten Potenzialen bei einer Entzündung des Sehnerven durch (vgl. HALLIDAY, McDONALD und MUSHIN, 1972, S. 982). Somatosensorische evozierte Potenziale wurden bei einer Vielzahl von Erkrankungen, darunter auch MS, durchgeführt, um eine Beteiligung des ZNS nachzuweisen (vgl. BAKER et al., 1968;

NAMEROW, 1968). Die systematische Anwendung von evozierten Potenzialen begann mit den visuellen evozierten Potenzialen, welche bei 90% der Fälle einen starken Anstieg der Latenzzeit bei Optikusneuritis zeigten (vgl. HALLIDAY, McDONALD und MUSHIN, 1972, S. 982). Mehrere nicht so eindrucksvolle Verlangsamungen der Reizweiterleitung wurden kurz darauf bei somatosensorischen (vgl. DESMEDT und NOEL, 1973, S. 352) und auditiven evozierten Potenzialen (vgl. CHIAPPA et al., 1980, S. 135) festgestellt.

Eine Verlangsamung innerhalb des Motorkortex wurde mit Hilfe von elektrischer und magnetischer Reizung gefunden (vgl. HESS, MILLS und MURRAY, 1986, S. 355). Mit evozierten Potenzialen wird versucht eine klinisch symptomlose Läsion zu finden oder festzustellen, ob in einer Läsion eine Demyelinisierung stattfindet. Bei MS sind auf Grund der Strukturen, die am häufigsten betroffen sind nicht alle Methoden der evozierten Po-tenziale gleichermaßen zu verwenden. Besondere Bedeutung kommt hierbei den visuellen evozierten Potenzialen zu.

2.7 Die Diagnoseverfahren bei Multiple Sklerose 2 DIE MULTIPLE SKLEROSE 2.7.1.1 Die visuellen evozierten Potenziale

Die Methode, die HALLIDAY in der ersten Untersuchung zur Verlangsamung der Reizwei-terleitung des visuellen Systems verwendete erwies sich als beinahe optimal zur Diagnose der Optikusneuritis. Das Standardverfahren beinhaltet ein Schachbrettmuster mit weißen und schwarzen Flächen, welches mit einer Frequenz von 2 Hz über einen Zeitraum von 50 Minuten rotierend dargestellt wird. Die Reizantwort lässt sich hauptsächlich in einer positiv ausgerichteten Kurve bei 100ms nach dem Reiz darstellen. Eine Entzündung des Sehnerven führt zu einer Abnahme der Amplitude oder bei schwerwiegenden Fällen zu einem völligen Ausbleiben. Bei Wiedererlangung der Sehkraft ist ein Anstieg dieser Am-plitude zu beobachten und es kommt bei 90% der Fälle zu einer verzögerten Reizantwort.

Diese Verzögerung wurde im Mittel mit 35 ms bestimmt und bleibt bei 90% der Pati-enten bestehen, obwohl die Latenzzeit nach einigen Monaten kürzer werden kann oder in manchen Fällen zu normalen Werten zurückkehrt (vgl. HALLIDAY, McDONALD und MUSHIN, 1973b, S. 661). Eine vollständige Normalisierung der Latenzzeit wurde bei 19%

der Patienten mit Optikusneuritis beobachtet (vgl. MATTHEWS und SMALL, 1979, S.

11). Diese Rückbildung wird mit dem Prozess der Remyelinisierung in Verbindung ge-bracht. Bei Kindern betrug die Zahl der komplett Genesenen 50%, wodurch vermutet wird, dass Kinder eine größere Fähigkeit zur Remyelinisierung aufweisen als Erwachsene (vgl. KRISS, FRANCIS und CUENDET, 1988, S. 1253). Wenn nur ein kleiner Teil der Fasern, die für die zentrale Verarbeitung des Sehens verantwortlich sind betroffen ist, kann es sein, dass dieser pathologische Prozess mit den gebräuchlichen Methoden nicht festgestellt werden kann. In diesen Fällen könnte eine isolierte Reizung der inneren 4°des Sichtfeldes nötig sein, um eine Diagnose stellen zu können. Visuelle evozierte Potenziale sind bei Patienten hilfreich, die keine körperlichen Ausfälle zeigen, wodurch eine nicht strukturelle Ursache vermutet wird. Eine normale Kurve in Amplitude und zeitlichem Verlauf bei einer Sehschärfe von 6/24 oder weniger deutet sehr stark auf einen nicht organischen Prozess hin. Andererseits ist oft nicht eindeutig festzustellen ob eine orga-nische Veränderung stattfindet und wenn keine körperlichen Einschränkungen erkennbar sind, ist ein Feststellen einer Verzögerung der Reizantwort ein sehr wichtiges diagnosti-sches Mittel. Die häufige Anwendung von visuellen evozierten Potenzialen bei MS ist auf die Häufigkeit zurückzuführen mit der eine Optikusneuritis als erstes Symptom einer MS auftreten kann. Bei wahrscheinlicher MS sind es 70% und bei sicherer MS sind es 90% die eine Veränderung der visuellen evozierten Potenziale zeigen. Es konnte gezeigt werden, dass bei Patienten die keine visuellen Einschränkungen erkennen lassen, diejenigen ein höheres Risiko eine MS zu entwickeln haben, bei denen Auffäligkeiten der visuellen evo-zierten Potenziale (VEP) nachgewiesen werden konnten. VEP werden heute als einziges

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elektropysiologisches Mittel bei der Diagnose von MS eingesetzt. Dieses diagnostische Mittel hat zwar einen nicht so hohen Stellenwert wie ein MRT, aber es gibt Situationen in denen ein MRT unauffällig bleibt und ein VEP einen Hinweis auf Demyelinisierung liefert. Bei Patienten mit einem unklaren klinischen Bild, bei denen eine MS ein mögliche Erklärung der Symptome liefern könnte, sind die VEP eine geeignete Möglichkeit eine Demyelinisierung nachzuweisen. Der Grund der Verzögerung kann dann unter Einbezug der anderen Auffälligkeiten gefunden werden.

2.7.1.2 Die motorischen evozierten Potenziale

Die motorischen evozierten Potenziale (MEP) zählen zu den Möglichkeiten, die zur Dia-gnose von MS zur Verfügung stehen. Es gibt zwei verschiedene Methoden der kortika-len Stimulation, elektrisch und magnetisch. Beide Methoden zeigen eine Verzögerung der Reizantwort bei MS Patienten (vgl. BARKER, FREESRON und JARRAT, 1986, S.

1325). Allerdings sind die Reizantworten bei afferenten MEP durchaus unterschiedlich.

Der Grund dafür könnte die synaptische Übertragung sein. Bei Erstellung der Diagnose sollte unbedingt daran gedacht werden, dass der Verlangsamung der Reizantwort eine ausschließlich degenerative Erkrankung, wie die Erkrankung des Motoneurons zu Grunde liegen könnte. Trotzdem deutet eine Verzögerung über 20 ms auf einen demyelinisieren-den Prozess hin (vgl. THOMPSON, DAY und ROTHWELL, 1986, S. 91). Es kommt sehr selten vor, dass die MEP Auffälligkeiten zeigen und andere klinischen Untersuchungen nicht, deshalb wurde den MEP bei der Diagnose von MS keine große Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. HESS, MILLS und MURRAY, 1986, S. 355). Allerdings können sie bei komplizierten Fällen von Nutzen sein. In einer Studie mit 19 Patienten mit primär und sekundär progressiver MS konnte eine Erhöhung der Verzögerung der zentralen motori-schen Reizweiterleitung bei vier Patienten gefunden werden, welche ebenfalls neue Läsio-nen des Rückenmarks erkenLäsio-nen ließen. Dennoch zeigten 15 Patienten keine Verlängerung der Verzögerung der Reizantwort des zentralen motorischen Kortex. Es wurde daher an-genommen, dass dieser Verschlechterung eher ein Axonsverlust als eine Demyelinisierung zu Grunde liegt.

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