• Keine Ergebnisse gefunden

Die Datenerhebung: Planung und Durchführung

Im Dokument Prinzipien kohärenter Kommunikation (Seite 104-107)

Die Festlegung auf den Operationssaal als Untersuchungsfeld war zusätzlich zu den oben genannten Überlegungen dadurch bedingt, dass die Untersuchung in ein umfassenderes Forschungsprojekt, Group Interaction in High Risk Environments (GIHRE) der Gottlieb Daimler und Carl Benz-Stiftung, eingebunden war. Der medizinische Sektor war einer der Untersuchungsbereiche dieses Projekts. Die Anbindung an das Projekt hat wesentlich zur Akzeptanz der Beobachtung bei den Ärzten und beim Pflegepersonal beigetragen, da dadurch ein über die linguistische Grundlagenforschung hinausgehender Anwendungsbezug hergestellt werden konnte, der die Arbeitswelt der Beobachteten betrifft. Im Rahmen der Mitarbeit am Projekt sind eine Reihe von Publikationen des Autors entstanden, die Anwendungsfragen mit unterschiedlich weit entwickelten Vorläufern des hier vorgestellten Modells bearbeiten (Grommes 2000, Grommes und Grote 2001, Grommes und Dietrich 2002, Dietrich, Grommes und Neuper 2004, Sexton, Grommes, Zala-Mezö et al. 2004). Zum Teil betreffen diese Publikationen neben der Medizin auch den Luftfahrtsektor (Dietrich und Grommes 2003, Grote, Zala-Mezö und Grommes 2003; 2004). Einen Überblick über das Gesamtprojekt gibt unter anderem Dietrich (2003).

Zunächst war vorgesehen, Daten aus einem OP-Simulator, die durch Kooperationspartner im Projekt bereit gestellt werden sollten, als Datenbasis zu verwenden.

Hier verfestigte sich aber nach ersten Analysen der Eindruck, dass verzerrende Faktoren aufgrund der Simulationssituation auftreten. Zum einen ist das Anästhesie-Team, das zunächst im Fokus der Untersuchung im GIHRE-Projekt stehen sollte, im Vergleich zur realen Situation personell stärker besetzt und erhält so einen quantitativ zu großen Anteil an der Kommunikation. Darüber hinaus wurden die Simulationsteilnehmer bei der Vorbereitung auf die Teilnahme an den Simulatorsitzungen darauf hingewiesen, dass in der Simulation und der anschließenden gemeinsamen Auswertung das kommunikative Verhalten, nicht eine Kontrolle der fachlichen Eignung zur Diskussion steht. Es musste daher davon ausgegangen werden, dass dieses Verhalten nicht dem im Berufsalltag entspricht. Zusätzlich werden in den Simulationen deutlich mehr und risikoreichere Krisensituationen induziert als im realen OP zu erwarten sind. Diese Faktoren waren vor Beginn der Zusammenarbeit nicht hinreichend deutlich geworden.

Als Folge wurde eine eigenständige Datenerhebung in realen OPs als notwendig erachtet. In einer Vorstudie im August 1999 wurden fünfzehn Operationen im St.-Franziskus-Hospital in Münster/Westf. beobachtet. Dies ist ein Allgemeinkrankenhaus, in dem neben einer Spezialisierung in Gefäßchirurgie vor allem Routineoperationen wie z.B. bei einem Leistenbruch durchgeführt wurden. Diese Operationen wiesen gemessen an den obigen Anforderungen zu wenig Variation auf und führten zu einem geringen Kommunikationsbedarf. Diese Vorstudie wurde für die Zwecke dieser Arbeit nicht weiter ausgewertet. Sie half aber, mit den Abläufen im OP und den institutionellen Rahmenbedingungen vertraut zu werden. Außerdem konnten die technischen Anforderungen für eine zielführende Datenerhebung ermittelt werden. Die eigentliche Datenerhebung erfolgte von November 1999 bis Januar 2000 in der Robert-Rössle-Klinik in Berlin-Buch.

Dies ist eine onkologische Spezialklinik, in der für die Zwecke dieser Untersuchung hinreichend komplexe Operationen durchgeführt werden. Im Beobachtungszeitraum entstanden vierzehn Video- und Tonaufnahmen, von denen acht analysiert wurden. Details dazu werden im nächsten Abschnitt erläutert.

Die Datenerhebung erfolgte durch den Verfasser persönlich. Die für das endgültige Sample eingesetzten Geräte zur Tonaufnahme waren ein MiniDisc-Recorder und ein Mikrofon, das an der Trennung zwischen OP- und Anästhesiebereich angebracht war. Das Anästhesiepersonal ist wegen dieser Anordnung – und passend zum Fokus dieser Arbeit auf das verbale Verhalten des chirurgischen Teams – nur fallweise auf den Aufnahmen erfasst,

nämlich immer dann, wenn sich jemand aus diesem Team direkt an das Chirurgie-Team wendet. Zusätzlich zur Tonaufnahme wurde eine Videoaufnahme angefertigt, bei der die Kamera aus einer fixierten Position etwas unterhalb der Augenhöhe ein Überblicksbild liefert, aus dem grob das non-verbale Verhalten – insbesondere die Hinwendung zu bestimmten Gesprächspartnern – hervorgeht. Die Datenerhebung und die anschließende Auswertung wurde von Dr. med. Carsten Engelmann fachlich begleitet. Dr. Engelmann traf die Auswahl der Operationen aufgrund der erwartbaren Komplexität der Operation und fungierte als Gewährsperson für Aussagen über die Operationen im Analysekapitel dieser Arbeit.

Beobachtungen in einem derartig sensiblen Bereich wie dem Operationssaal eines Krankenhauses stellen besondere Anforderungen an den Datenschutz, und zwar sowohl auf Seiten des Patienten als auch auf Seiten des beteiligten Personals. Daher wurden die folgenden Maßnahmen getroffen. Der Verfasser wurde in beiden Institutionen als regulärer Hospitant akkreditiert, um seinen Zugang zum Operationssaal zu legitimieren. Durch diesen Umstand ist er auch an die ärztliche Schweigepflicht gebunden. Dieses Vorgehen vereinfachte die Beobachtung insofern, als dass keine besonderen Vorkehrungen getroffen werden mussten, um dem Verfasser Patientendaten unzugänglich zu machen. Etwaige Kenntnisse über diese Daten darf er aus Gründen der Schweigepflicht nicht preisgeben. Des Weiteren wurde Sorge getragen, dass die Patienten nicht in den Blickwinkel der Kamera kamen oder, falls doch, durch Tücher und Apparate auf den Aufnahmen nicht zu erkennen sind. Außerdem wurden die Video- und Tonaufnahmen sofort nach der Aufnahme nach einem alphanumerischen System kodiert, das ihre Auffindbarkeit sicherstellt, aber keine Zuordnung zu einzelnen Patienten und auch nicht zu bestimmten kalendarischen Daten zulässt. So wirdgewährleistet, dass nicht aufgrund des Operationstyps nachträglich Patienten und Patientendaten identifiziert werden können. Patientennamen und Daten, die während der Aufnahmen genannt wurden, wurden nachträglich gelöscht. Bei längeren patientenbezogenen Passagen wurde die Aufnahme ad hoc unterbrochen. Auf Seiten des Personals wurde mit etwas weniger Aufwand vorgegangen. Alle beteiligten Statusgruppen wurden durch den Verfasser und die Gewährsperson während ihrer regulären Dienstbesprechungen über Art und Zielsetzung der Datenerhebung aufgeklärt und ihnen wurde mitgeteilt, dass sie zu jedem Zeitpunkt – vor, während und nach der Aufzeichnung – der Aufzeichnung widersprechen können. Das führte dazu, dass während einiger Aufnahmen auf Aufforderung durch das Personal hin, die Aufnahme unterbrochen wurde. In einem Fall wurde die Aufzeichnung kurz nach Beginn der Operation gänzlich abgebrochen, da ein Beteiligter nicht beobachtet werden wollte. Aus Datenschutzerwägungen weist diese Arbeit eine weitere Besonderheit auf: Mit

einer Ausnahmen wird auf alle Mitglieder der Ärzteteams im Maskulinum Bezug genommen und auf die Mitglieder anderer Statusgruppen im Femininum. Diese Festlegung entspricht einerseits weitgehend der Realität, andererseits wird dadurch verhindert, dass die wenigen Personen, die diesem Schema widersprechen, identifiziert werden können.

Im Dokument Prinzipien kohärenter Kommunikation (Seite 104-107)