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Besonderheiten der Daten

Im Dokument Prinzipien kohärenter Kommunikation (Seite 112-116)

Die beobachtbaren Phänomene lassen sich grob drei Bereichen zuordnen: die Oberflächenform der Äußerungen, der Einfluss von Situationsfaktoren und der Gesprächsrahmen. Zunächst sollen die Besonderheiten der Oberflächenform der Äußerungen diskutiert werden. Die Analyse wird an Beispiel (5-4) illustriert, das als prototypisch für aufgabenbezogene OP-Kommunikation unter leicht erhöhter Belastung gelten darf.

(5-4)

1 cop – das gefühl wo die grenze is.

(4.0)

ast – aber da kannste nichts mehr kaputtmachen;

- jetzt dahinten.

cop - <<gepresst> schneids du bitte diese spange; die da 15 kommt von/>

rauszukommen.

Dieser Ausschnitt entstammt der Resektion eines unerwartet großen Abdominal-Tumors. In dieser Sequenz, kurz vor der endgültigen Resektion des Tumors, versucht der Operateur, letztes Gewebe, das den Tumor in der Bauchhöhle verankert, zu entfernen. Diese Sequenz bestätigt zumindest teilweise den Eindruck, den Laien von OP-Kommunikation haben und der auch vom medizinischen Personal geteilt wird: Es wird wenig und vor allem häufig Unverständliches, weil sprachlich inkorrekt oder unvollständig, gesagt. Woher kommt nun dieser Eindruck und ist er linguistisch gerechtfertigt?

Die reine Quantität betreffend stimmt der Eindruck sicher nur zum Teil. Gerade in der ersten Hälfte des Gesprächsausschnitts sind die Äußerungen recht lang, und es treten durchaus auch komplexe Strukturen auf, wie die Einbettung in Zeile 6. Allerdings findet sich im Anschluss daran ein Hinweis auf Auffälligkeiten in der Interaktionsstruktur. Die Pause, die auf COPs Äußerung folgt, ist mit sechzehn Sekunden extrem lang und auch der weitere Verlauf des Ausschnitts ist durch viele Pausen innerhalb und zwischen Turns gekennzeichnet.

Insgesamt summieren sich die Pausen auf über 37 Sekunden, eine Summe, die in Alltagsgesprächen störend wirkte. Auch die Pause, die COP innerhalb seines Turns zwischen Zeile 31 und 33 macht, ist konversationell ungewöhnlich, da am Ende von 31 noch keine übergaberelevante Stelle erreicht wurde. Außerdem ist diese Äußerung intonatorisch und syntaktisch auffällig, da sie als ein nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – korrigierter Abbruch rezipiert wird, weil beide Silben Pitch-Akzent tragen und der infinite Prädikatsteil fehlt.

Dieser wird erst zwei Sekunden später unter Wiederaufnahme des Lokaladverbials in einer dann wieder wegen der Koordination und der Ellipse des Finitums komplexen Struktur nachgeliefert. Dies ist im Übrigen die einzige Ellipse in dieser Sequenz, mithin kann auch in diesem Mittel keine Ursache für eventuell reduzierte Strukturen gesehen werden. Es lassen sich außerdem keine über die auffälligen Pausen hinausgehenden Störungen des Redeflusses feststellen. So ergaben Untersuchungen von Bortfeld, Leon, Bloom et al. (2001, 135), dass Sprecher im Durchschnitt 5,97 Störungen je 100 produzierter Wörter aufweisen. Als Störungen betrachten sie Neustarts, Wiederholungen, Pausenfüller wie ähm, hm oder ah und Füllwörter oder Floskeln wie ich sag mal (Bortfeld, Leon, Bloom et al. 2001, 131). Für das Beispiel (5-2) ergibt sich auf dieser Grundlage eine Quote von 4,6 Störungen je 100 Wörter.

Dieser Befund erklärt sich aus der relativen Kürze der Äußerungen. So konstatieren auch Bortfeld, Leon, Bloom et al. (2001, 135), dass längere Redebeiträge zu einer höheren Störungsquote führen.

Schließlich lassen sich – über die oben erwähnte Ellipse hinaus – nur wenige Syntaxverletzungen feststellen. Eine Ausnahme findet sich in den Zeilen 14 und 15. COP beginnt hier die Produktion eines Relativsatzes, mit dem er die Lage der Struktur spange näher bestimmen möchte. Mit der Produktion des Finitums – kommt – ist der Teilsatz aber abgeschlossen und der Anschluss einer Lokalangabe, die durch die Produktion des von angedeutet wird, ist nicht mehr möglich, da dann eine inkorrekte Finitum-Stellung vorläge.

COP bricht die Konstruktion daher ab und versucht ASTs Wissensstand mittels der Frage in 17 zu klären. Die dazwischenliegende Äußerung von AST, die nicht an COP, sondern an ISR gerichtet ist, ist nun ein weiterer und diesmal typischer Fall von Tilgung. Gerade die Anforderung von Instrumenten, wie hier einer langen Schere, wird in der OP-Kommunikation realisiert, indem das angeforderte Objekt benannt wird und die erste Silbe oder die Stammsilbe intonatorisch markiert wird. Strukturen wie diese und die häufige Verwendung von Imperativen und ähnlichen Äußerungsformaten können zur Wahrnehmung von Reduktion beitragen. Bleibt noch ein syntaktisches Phänomen zu erwähnen, das ebenfalls keine strukturelle Reduktion, sondern eher eine erhöhte Komplexität bedeutet. Dies ist die Rechts-Herausstellung, wie sie in Zeile 36 zu sehen ist. Davon sind häufig Temporal-Adverbiale betroffen. Der Defiziteindruck, der dabei entsteht, ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass der Rezipient solche Strukturen als Selbstreparaturen auffasst, also als ob der Sprecher ein in der vorhergehenden Struktur fehlendes Element nachliefern würde.

Der wesentliche Teil der Reduktion scheint auf der lexikalischen Seite zu liegen. Hier fällt zunächst die Verwendung von Pronomina auf. Selbstredend werden in unmittelbarer

Kommunikation die Personalpronomina zur Referenz auf die Kommunikationspartner häufig verwendet, da ja die Gesprächsteilnehmer salient sind und Referenz auf diese nicht immer wieder neu etabliert werden muss. Auffällig ist aber, dass auch auf die manipulierten Objekte sowie auf Vorgänge und Handlungen oft pronominal referiert wird. So wird auf die fragliche Gewebespange aus Zeile 14 in den Zeilen 23, 26, 30, 39 und 40 mit dem – klitisierten – Pronomen es referiert. Und diese Referenz ist keineswegs eindeutig, da in 24 mit es auf das Schneiden der Spange referiert wird und in Zeile 28 eher auf den Tumor, der wegen seines Gewichts COPs Bewegungsfreiheit einschränkt. Allerdings ist die Referenz im Neutrum nicht unproblematisch. Möglicherweise versteht AST den Tumor hier als das zu haltende Objekt. In den Zeilen 50/51 wird dann mit ihm tatsächlich auf den Tumor referiert. Auch in anderen Sequenzen findet sich dieser Pronomina-Gebrauch, mitunter um Demonstrativa ergänzt.

Ebenso wird bei Lokalisierungen sparsam mit lexikalischem Material umgegangen. Meist werden die genauen Orte nicht benannt, sondern nur über Lokaladverbiale – Zeile 14/15: ...

diese spange die da kommt ... – bezeichnet. Immerhin wird eine recht große Bandbreite an Lokaladverbialen eingesetzt, häufig wie im Falle von lateral auch aus dem fachsprachlichen Vokabular. Dagegen treten Attribute kaum auf, und wenn, dann meist nur, um die Qualität von Handlungen – gut, schlecht, schnell – zu bestimmen. Bleibt noch zu erwähnen, dass Verben zwar stärkere Variation aufweisen als die übrigen Wortarten, aber auch hier gibt es starke Beschränkungen. Häufig sind die Modalverben müssen und können, außerdem fällt im Unterschied zur Alltagslexik das fachsprachliche Vokabular – hier z.B. die spezifische Verwendung von exponieren – auf. Darüber hinaus finden sich vor allem grundlegende Handlungsverben – tun, machen, kommen, sehen etc.. Mithin ist gerade die Variation bei denjenigen Wortarten am stärksten beschränkt, die viel lexikalische Information transportieren. Daraus dürfte wohl im Wesentlichen der Reduktionseffekt resultieren.

Für eine am Kommunikationserfolg und damit am Zustandekommen von Kohärenz interessierte Analyse heißt das vor allem, dass die traditionelle Aufstellung des Repertoires kohärenzstiftender lexikalischer Mittel nicht ausreicht. Am deutlichsten zeigt sich das bei Betrachtung der in dieser Hinsicht prototypischen anaphorischen Pronomina. Die Dichte des Vorkommens von es in der obigen Sequenz ließe aus herkömmlicher Perspektive auf entsprechend starke Kohärenz zwischen den Äußerungen schließen. Diese besteht auch, lässt sich aber wegen der hochgradigen Mehrdeutigkeit von es – es: das, was COP macht; es: das Schneiden; es: die Spange etc. – ohne Berücksichtigung der Konzeptualisierungsebene der Sprachproduktion nicht verstehen. Erst auf dieser Ebene und unter Rekonstruktion der

mehrere Äußerungen zurückreichenden Planungsschritte zeigt sich die Einbettung der Äußerungen in einen übergeordneten Rahmen, der die Behauptung von Kohärenz rechtfertigt.

Im Dokument Prinzipien kohärenter Kommunikation (Seite 112-116)