• Keine Ergebnisse gefunden

1.2 Der Linguistische Hintergrund: Dialog und Kohärenz

1.2.1 Dialog

In dieser Arbeit werden Prinzipien kohärenter Kommunikation entwickelt. Zu diesem Zweck muss geklärt sein, was unter Kohärenz und unter Kommunikation verstanden wird.

Kohärenz wird im nächsten Abschnitt behandelt. Der Kommunikationsbegriff wird hier weit gefasst im Sinne einer zeichengebundenen und absichtsvollen Informationsübermittlung zwischen – menschlichen – Individuen. Für die linguistische Analyse sind insbesondere die

sprachlichen Elemente dieser Informationsübermittlung von Interesse, obgleich es inzwischen ein Allgemeinplatz sein dürfte, darauf hinzuweisen, dass es erstens auch eine non-verbale Kommunikation gibt und dass diese zweitens mit ihren verbalen Gegenstücken interagieren kann. Im Zentrum dieser Studie steht die sprachliche Seite. Sprachliche Informationsübermittlung kann in verschiedenen Modalitäten und unter unterschiedlich weit gehendem Einbezug des Informationsempfängers geschehen. Am wenigsten einbezogen ist ein Empfänger in nicht adressierten schriftlichen Texten und am weitesten in allen Situationen, in denen Sprecher- und Hörerrolle3, also die Sender- und Empfängerrolle, in häufigem Wechsel stehen. Landläufig wird diese Situation Gespräch oder Dialog genannt. Da diese Terminologie in der Forschung durchaus nicht unumstritten ist, soll hier kurz auf die unterschiedlichen Begriffsverständnisse eingegangen werden und eine Sprachregelung für den weiteren Verlauf dieser Arbeit getroffen werden.

Nach Speck (1995, 16) ist schon mit der Benennung des Untersuchungsgegenstandes als Gespräch, Diskurs oder Konversation eine Festlegung bezüglich der theoretischen Verankerung getroffen. Diese findet sich dann analog in der Gesprächs-, Diskurs- oder Konversationsanalyse. Dazu kommt noch eine Redeweise von der Dialogforschung, wie sie sich beispielsweise in Speck (1995) findet. Dialogforschung sei immer dann am Platze, wenn

„komplexe sprachliche Handlungen Untersuchungsgegenstand sind“ (Speck 1995, 17). Unter dieser Definition lassen sich die drei eben genannten Begriffe allerdings auch subsumieren.

Der Begriff Dialog ist aber in Gefahr, zu weit und zu eng zugleich zu sein: Zu eng ist der Begriff, wenn man darunter – wie es intuitiv meist geschieht – eine dyadische Interaktionssituation versteht. Schon Dell Hymes konstatierte:

„The common dyadic model of speaker-hearer specifies sometimes too many, sometimes too few, sometimes the wrong participants“ (Hymes 1974, 54).

Davon ausgehend setzt sich Kerbrat-Orecchioni (2004) für eine Erforschung von Dialogphänomenen ein, die nach Dilogen, Trilogen und Polylogen differenziert. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal dieser Dialogvarianten ist die Zahl der zu einem bestimmten Zeitpunkt aktiv in der Interaktion involvierten Personen. Aufgrund dieses Merkmals sind Konstellationen, die über einen Dilog hinausgehen in ihrer Struktur, aber auch in ihrer zeitlichen Konstanz instabil (Kerbrat-Orecchioni 2004, 7). Dementsprechend zeigt

3 In dieser Arbeit wird Maskulinum als Genus zur Bezeichnung von Sprecher und Hörer verwendet. Diese Entscheidung hängt mit der Festlegung der Genusverwendung im Analyseteil zusammen, auf die im Kapitel 4 eingegangen wird. Sie dient zudem der Einheitlichkeit und leichteren Lesbarkeit des Textes. Im Übrigen weckt selbst eine Festlegung auf die Verwendung Sprecherin-Hörer oder auch Sprecher-Hörerin klischeebelastete Assoziationen.

Grosjean (2004), dass aus einem Mehrparteiengespräch – bei der Schichtübergabe in verschiedenen Stationen eines Krankenhauses – echter Polylog entstehen kann. So kommt in einer asymmetrischen Redesituation zwar einem Sprecher bzw. einem Sprecher-Adressatenpaar aufgrund von Funktion oder Status – der beispielsweise aus ihrer Zugehörigkeit zum Personal der kommenden oder der gehenden Schicht erwächst – das hauptsächliche Rederecht zu. Andere Sprecher können aber wegen inhaltlicher Kompetenz, die sich aus dem Redegegenstand ergibt oder wegen ihres Status für längere Zeit in den Dilog eingreifen. Voraussetzung für dieses Eingreifen ist allerdings, dass die Sprecher zum Kreis der potenziellen Redepartner gehören. Traverso (2004) zeigt komplementär dazu, wie sich polylogische Situationen im Zeitverlauf eines Mehr-Parteien-Gesprächs herausbilden und wieder auflösen. Diese Dynamik lässt sich in den Daten, die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bilden, auch feststellen. Allerdings führt eine Analyse des Teilnehmerstatus hier zu weit, zumal diese allein nichts über die kognitive Seite der wechselseitigen Abstimmung und Anbindung der Redebeiträge aussagt. Diese Studie kommt also mit einem weniger differenzierten Begriff aus.

Das oben zitierte Dialogverständnis ist zu weit, weil es keine konstitutiven Merkmale von Dialogen benennt. Diese deutet beispielsweise Linell (1998) an:

„Summing up, we can say that, at an abstract level, dialogue and communication involve, by definition, some kind of coordination (or cooperation), coherence, reciprocity and mutuality (e.g. with regard to moral commitments), but empirically these properties are never present in their entirety”

(Linell 1998, 14).

Die im Nachsatz angedeutete Einschränkung dieser Definition ist allerdings fragwürdig. Denn auch wenn es sich denken lässt, dass es eher einseitige oder wenig kohärente Interaktionsereignisse gibt, so sind doch die genannten Merkmale – insbesondere Kohärenz und Koordination – Voraussetzung für eine alle Beteiligten zufrieden stellende Interaktion. Diese Merkmale werden für die hier untersuchten Interaktionsereignisse nicht eigens untersucht, sondern als gegeben vorausgesetzt. Einzig das Explikandum Kohärenz steht aufgrund der Besonderheit der Daten in Frage; vgl. dazu Kapitel 5. Somit wäre Dialog ein möglicher Begriff für meinen Untersuchungsgegenstand. Ich ziehe aber den des Gesprächs vor, weil er die Zahl der potenziell beteiligten Personen offen lässt und zudem etwas weniger theoriebelastet ist als Diskurs oder Konversation. Hinter diesen beiden steht zum einen die Diskursanalyse, die sehr stark die interpersonalen Beziehungen und Machtgefüge fokussiert, und zum anderen die Konversationsanalyse, die strikt an der Oberfläche der Gesprächsstruktur bleibt und jegliche Aussagen über kognitive Prozesse ablehnt. Der Begriff Gespräch wird im Weiteren auch bei der Diskussion beispielsweise

semantischer Ansätze verwendet, in denen der Begriff discourse eingesetzt wird, um Verwechslungen mit dem diskursanalytischen Terminus zu vermeiden.

Im Dokument Prinzipien kohärenter Kommunikation (Seite 15-18)