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Der normative Charakter logischer Gesetze

Im Dokument SCHLUSSFOLGERN 02 (Seite 58-62)

1. Die mechanische Analyse

1.4 Frege zum Status logischer Gesetze für unser Denken

1.4.1 Der normative Charakter logischer Gesetze

Werden die logischen Gesetze als normative Gesetze des richtigen Schließens begriffen, so spricht man auch von einer Auffassung der Logik als normati-ver Wissenschaft, und tatsächlich findet sich eine solche bereits explizit bei Frege:

Wie die Ethik kann man auch die Logik eine normative Wissenschaft nennen. Wie muss ich denken, um das Ziel, die Wahrheit zu erreichen.61

60 Vgl. Boghossian 2014, 4. Die Taking Condition ist jedoch schwächer als Freges Defi-nition. Denn im Gegensatz zu Freges Definition setzt sie nicht voraus, dass die Prämissen, die zur Rechtfertigung der Konklusion herangezogen werden, wahr sind, sondern ledig-lich, dass die schließende Person glaubt, diese seien wahr. Sie kommt mit Freges Definiti-on jedoch darin überein, dass eine PersDefiniti-on einen Schlussakt nur dann vollzieht, wenn sie die Prämissen als «Rechtsgrund» für die Wahrheit der Konklusion begreift und sie deswe-gen die Konklusion aus den Prämissen herleitet.

61 Frege 2001a, 38.

Diese Bestimmung der Logik als normative Wissenschaft scheint auf den ers-ten Blick anderen Stellen zu widersprechen, an denen Frege die logischen Gesetze als deskriptive Gesetze des Wahrseins und nicht als Gesetze des rich-tigen Denkens bezeichnet. In einem zentralen Abschnitt seines Essays «Der Gedanke» wird dieser scheinbare Widerspruch von ihm jedoch aufgelöst oder zumindest etwas entschärft:

[D]er Logik kommt es zu, die Gesetze des Wahrseins zu erkennen. Man gebraucht das «Gesetz» in doppeltem Sinne. Wenn wir von Sittengesetzen und Staatsgesetzen sprechen, meinen wir Vorschriften, die befolgt werden sollen, mit denen das Ge-schehen nicht immer in Einklang steht. Die Naturgesetze sind das Allgemeine des Naturgeschehens, dem dieses immer gemäß ist. Mehr in diesem Sinne spreche ich von Gesetzen des Wahrseins. Freilich handelt es sich hierbei nicht um ein Gesche-hen, sondern um ein Sein. Aus den Gesetzen des Wahrseins ergeben sich nun Vor-schriften für das Fürwahrhalten, das Denken, Urteilen und Schließen. Und so spricht man wohl auch von Denkgesetzen.62

Als «Gesetze des Wahrseins» sind die logischen Gesetze deskriptive Gesetze.

Der paradigmatische Fall eines deskriptiven Gesetzes ist für Frege das Natur-gesetz. Naturgesetze schreiben der Natur nicht vor, wie sie sich verhalten soll, sondern sie beschreiben, wie sich natürliche Vorgänge allgemein vollzie-hen. Es ist daher unmöglich, dass ein Naturgeschehen von einem Naturge-setz abweicht, und falls sich eine solche Abweichung doch feststellen lässt, so ist dies ein Indiz dafür, dass wir uns darüber geirrt haben, dass es sich bei dem vermeintlichen Gesetz tatsächlich um ein gültiges Naturgesetz handelt.

Im Gegensatz zu den Naturgesetzen beschreiben die Gesetze der Logik keine Geschehnisse, sondern ein Sein, wie Frege sagt. Es ist eine notorisch schwie-rige Frage, was Frege damit meint. Ich werde diese Frage im Folgenden nicht abschließend beantworten, sondern lediglich eine mögliche Interpretation anführen, die sich ausschließlich auf den spezifischen Fall des Schlussgesetzes konzentriert.

Wir haben gesehen, dass Frege in seiner Schrift «Logik» das Ziel der Logik dahingehend bestimmt, «Gesetze des richtigen Schliessens» aufzustel-len.63 Das logische Gesetz ist hier ein normatives Gesetz des richtigen

Den-62 Frege 2003a, 35.

63 Frege 1983a, 3.

kens. Eine Person schließt aber nur dann richtig und ist berechtigt, von den Prämissen zur Konklusion fortzuschreiten, wenn die Schlussfolgerung, die sie vollzieht, gültig ist. Es ist daher naheliegend, dass ein deskriptives logi-sches Gesetz im Fall der Schlussfolgerung ein Gesetz ist, das einen gültigen Zusammenhang propositionaler Gehalte oder, wie Frege sagen würde, einen gültigen Zusammenhang von Gedanken beschreibt. Das «Sein», von dem Frege spricht, kann entsprechend als eine deduktive Ordnung von Gedanken interpretiert werden. Drücken etwa die Sätze «p» und «Wenn p, dann q»

wahre Gedanken aus, dann drückt der Satz «q» notwendig einen wahren Ge-danken aus. Als deskriptives Gesetz beschreibt der Modus Ponens «p, wenn p, dann q; also q» also einen zeitlos gültigen Zusammenhang von Sätzen oder, genauer, von Gedanken, die durch Sätze ausgedrückt werden. Daraus lässt sich nun eine Regel ableiten – die Schlussregel Modus Ponens –, die vorschreibt, wie man richtig schließt. Dieser Punkt lässt sich hinsichtlich al-ler Schlussregeln verallgemeinern. Ein Schlussakt ist nur dann gültig, wenn er einen logischen Zusammenhang wahrheitsfähiger Gehalte ausdrückt.

Schlussgesetze beschreiben einen solchen Zusammenhang. Sie sind damit mit Bezug auf unser Denken Regeln – oder, wie Frege sagt, Vorschriften –, die uns dabei anleiten, ein Urteil aus anderen Urteilen herzuleiten, sowie Re-geln, durch die wir Schlussakte bezüglich ihrer Gültigkeit evaluieren können.

Eine deduktive Ordnung von Sätzen entspricht zwingend einem logischen Gesetz, so wie das Naturgeschehen zwingend durch ein Naturgesetz erklärt werden kann. Wie Frege am Beispiel des Sittengesetzes verdeutlicht, kann eine konkrete Handlung hingegen von einer Vorschrift, die sie anleitet, ab-weichen. Frege scheint damit nahezulegen, dass der Vollzug eines konkreten Schlussaktes nicht immer dem Gesetz entspricht. Es scheint möglich, dass eine Person von der Vorschrift abweicht und dementsprechend kritisiert werden muss. Dies ist dann der Fall, wenn sie einen Fehlschluss vollzieht.

Eine entscheidende Motivation für die Doppelung des logischen Geset-zes als deskriptives Gesetz des Wahrseins einerseits und als normatives Ge-setz des Denkens andererseits ist Freges vehemente Verteidigung einer anti-psychologistischen Konzeption der Logik. Würden die Gesetze der Logik pri-mär beschreiben, wie Menschen im Allgemeinen schließen, so würde dies ih-ren Charakter als Gesetze, durch die ein logisch notwendiges Verhältnis zwi-schen Prämissen und Konklusion ausgedrückt wird, unterminieren. Darüber hinaus ginge der normative Aspekt der Logik insgesamt verloren, wären die

logischen Gesetze lediglich deskriptive Denkgesetze: Würde ein Schlussge-setz lediglich beschreiben, wie Menschen im Allgemeinen ein Urteil aus wei-teren Urteilen herleiten, so könnte es uns gerade nicht vorschreiben, wie wir schließen sollen.64Zumindest dann nicht, wenn wir im Denken, d. h. im Ur-teilen und Schließen, auf Wahrheit aus sind.65Denn ein deskriptives Denk-gesetz würde gerade nicht sagen, was wahr ist, sondern nur, was im Allge-meinen für wahr gehalten wird. Einem solchen Gesetz zu folgen, oder ihm schlicht zu entsprechen, hieße höchstens, das eigene Denken dem Denken der Anderen anzupassen. Mit anderen Worten, derobjektive Charakter ratio-naler Denkakte ginge verloren, wären die logischen Gesetze als solche nicht von unserem Denken verschieden, sondern lediglich deskriptive Denkgeset-ze.66Der normative Charakter eines logischen Gesetzes als Vorschrift kann also nur davon abgeleitet sein und macht laut Frege überhaupt nur dann Sinn, wenn das logische Gesetz primär ein deskriptives Gesetz des Wahrseins ist. Wie ich zeigen werde, hat Frege damit recht, dass ein logisches Gesetz niemals ein deskriptives Denkgesetz im soeben genannten Sinne sein kann.

Es stellt sich aber die Frage, ob es nicht eine andere, sinnvolle Auffassung gibt, gemäß der ein logisches Gesetzals solches ein Denkgesetz ist. Eine sol-che werden wir im sechsten Kapitel mit Kant kennenlernen.67

Ein ernstzunehmender Einwand gegen meine Interpretation des Zusam-menhangs zwischen deskriptiven und normativen Denkgesetzen lautet, dass sich dieser Zusammenhang in Freges frühen Texten, insbesondere in der Be-griffsschrift und denGrundgesetzen der Arithmetik, nicht so einfach darstel-len lässt, wie ich es hier auf der Grundlage einer Passage aus seinem späten Aufsatz «Der Gedanke» getan habe. Erstens muss darauf hingewiesen wer-den, dass Frege in seinen frühen Schriften nur wenige Axiome anführt und Schlussregeln dann als Handlungsanweisungen begriffen werden, wie von bestimmten begriffsschriftlichen Sätzen zu einem weiteren Satz fortgeschrit-ten werden kann. Dabei gibt es in der Begriffsschriftnur eine solche Regel,

64 Vgl. Frege 2003a, 35f.

65 Vgl. Frege 2001a, 38.

66 Für eine Darstellung des objektiven Charakters rationaler Denkakte bei Frege vgl.

Ricketts 1986.

67 Ich werde in Kapitel 6.3.1 auch Freges Argument gegen eine psychologistische Auf-fassung der Logik nochmals aufgreifen.

die Regel Modus Ponens.68Problematisch für meine Interpretation ist dann aber vor allem die Tatsache, dass, wie Christoph Pfisterer zeigt, die Begrün-dung der Schlussregel in derBegriffsschriftnicht unabhängig vom Begriff des Urteilens vorgenommen werden kann.69Dies spricht gegen die Idee, dass die Schlussregel sich direkt aus einem logischen Gesetz ableiten lässt, dessen Gültigkeit nicht vom Urteils- oder Schlussakt abhängt. Diese Schwierigkeit stammt meines Erachtens aus Freges schillerndem Gebrauch der Begriffe

«Urteilen» und «Schließen». Wie Maria van der Schaar in ihrem Aufsatz

«Frege and the Judging Agent» zeigt, findet sich etwa in der Begriffsschrift ein, wie sie es nennt, «logischer Begriff des Urteils», der nicht auf den seeli-schen Vorgang des Urteilens und damit nicht auf einen konkreten Vollzug eines Urteils in Raum und Zeit verweist, sondern lediglich darauf, dass ein bestimmter Satz als wahr beurteilt wird.70In seinem späten Aufsatz «Der Ge-danke» geht es hingegen primär um Vorschriften für konkrete Denkvollzüge.

Wie wir gesehen haben, können diese Vorschriften oder Regeln nicht durch die Vollzüge selbst gerechtfertigt werden, sondern nur mit Bezug auf die de-skriptiven Denkgesetze, aus denen sie abgeleitet werden. Ich werde im Fol-genden weiterhin mit dieser Unterscheidung und der Doppelung des Begriffs des logischen Gesetzes, die sich in Freges späten Schriften findet, arbeiten.

Dies passt zum Thema der vorliegenden Untersuchung, die nicht einen rein logischen Begriff des Urteils oder des Schließens – sollte es einen solchen denn überhaupt geben – zu ihrem Gegenstand hat, sondern den konkreten Vollzug einer Schlussfolgerung. Die weiterführende Frage, wie sich meine In-terpretation der oben zitierten Passage aus «Der Gedanke» zu Freges frühen Schriften verhält, werde ich hingegen leider unbeantwortet lassen.

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