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Boghossians Einwand

Im Dokument SCHLUSSFOLGERN 02 (Seite 86-89)

2. Das Dilemma des Schlussfolgerns

2.4 John Broomes Theorie des Schlussfolgerns

2.4.1 Boghossians Einwand

Paul Boghossian unterscheidet zwei alternative Interpretationen des Regelfol-gens, die dispositionale und die intentionale Interpretation. Er zeigt, dass bei-de Interpretationen ungeeignet sind, um bei-den Vollzug einer Schlussfolgerung als eine regelgeleitete Tätigkeit zu begreifen.

Diedispositionale Interpretationdes Regelfolgens sagt, dass eine Person genau dann einer Regel folgt, wenn sie die verlässliche Disposition hat, in einer bestimmten Situation im Normalfall eine bestimmte Handlung zu voll-ziehen. Wir müssen an dieser Stelle nicht weiter auf die Frage eingehen, ob es sich dabei überhaupt um eine sinnvolle Interpretation des Regelfolgens han-delt. Denn es ist klar, dass ihre Anwendung auf den Fall der Schlussfolgerung zur mechanischen Analyse führt, die ich im ersten Kapitel bereits zurückge-wiesen habe. Es wäre uns in diesem Fall nicht möglich, wie Boghossian schreibt, durch den Begriff der Regel zu erklären, was es bedeutet, dass eine Person die Prämissen dazu gebraucht (takes), die Konklusion zu rechtferti-gen:

Now, if all we mean by a thinker’s applying the rule MP to the contents (1) and (2) is that the thinker is disposed, when considering such contents, to form the conclu-sion (3), we have clearly lost any prospect of representing the Taking Condition through the deployment of the notion of following a rule. This will just look like regular causation of some thoughts by others, without the element of taking that Frege rightly saw to be essential to inference.106

Obwohl Broome meint, dass die Taking Condition nicht als Bedingung be-griffen werden darf, die einer Erklärung der Schlussfolgerung vorausgeht, glaubt er doch, dass seine Theorie die Taking Condition erfüllt.107Aber auch unabhängig von der Taking Condition ist klar, dass Broome eine andere In-terpretation des Regelfolgens im Blick haben muss, denn er grenzt seine Po-sition explizit von einer rein mechanischen Analyse (dem jogging account, wie er diese Analyse nennt) ab.

106 Boghossian 2014, 15.

107 Vgl. Broome 2014, 24.

Es bleibt also scheinbar nur dieintentionale Interpretationübrig, zumin-dest wenn man wie Boghossian die beiden Interpretationen letztlich als die zwei einzigen sinnvollen Alternativen versteht. Wie Boghossian zeigt, führt die intentionale Interpretation jedoch zu einer zirkulären Erklärung der Schlussfolgerung. Laut der intentionalen Interpretation folgen wir einer Re-gel dann, wenn wir uns die ReRe-gel erstens vergegenwärtigen und zweitens dar-aus ableiten, was zu tun ist. Wie wir gesehen haben, scheint Broome auf den ersten Blick eine solche Interpretation nahezulegen, wenn er etwa davon spricht, dass die Schlussregel uns sagt (tells you), was zu tun ist, um die Kon-klusion aus den Prämissen zu «konstruieren».108Wie wir gleich sehen wer-den, lehnt er die intentionale Interpretation jedoch ab. Problematisch an die-ser Interpretation ist, dass die Fähigkeit des Regelfolgens die Fähigkeit zu schließen bereits voraussetzt:

On this intentional construal of rule-following, then, my actively applying a rule can only be understood as a matter of my grasping what the rule requires, forming a view to the effect that its trigger conditions are satisfied, and drawing the conclusion that I must now perform the act required by its consequent. In other words, on the intentional view of rule-following, rule-following requires inference.109

Eine Regel sagt mir, was ich in einer bestimmten Situation zu tun habe. Neh-men wir daher als allgemeines Schema für eine Regel den Satz «Wenn S, tue A». Wie wir gesehen haben, glaubt die dispositionale Analyse, dass es ausrei-chend dafür ist, von einer Person zu sagen, dass sie dieser Regel folgt, wenn sie die verlässliche Disposition hat, im Normalfall A zu tun, wenn die Situati-on S vorliegt. Die intentiSituati-onale InterpretatiSituati-on hingegen sagt, dass eine PersSituati-on nur dann der Regel folgt, wenn sie erstens die Regel anerkennt und sich also bewusst ist, dass sie A tun soll, wenn S, und sie zweitens auf der Grundlage der Regel dazu übergeht, A zu tun, wenn sie bemerkt, dass sie sich in der Situation S befindet. Damit setzt aber die Fähigkeit, einer Regel zu folgen, die Fähigkeit zu schließen bereits voraus. Denn aus der Regel abzuleiten, was in der Situation S zu tun ist, besteht scheinbar in nichts anderem als dem

Her-108 Vgl. Broome 2013, 231.

109 Boghossian 2014, 13.

leiten der Konklusion «A» aus den beiden Prämissen «Wenn S, dann A» und

«S».

Boghossians Einwand ist interessant, denn er macht uns auf eine weitere Schwierigkeit aufmerksam, mit der eine Erklärung des Schlussfolgerns kon-frontiert ist. Ich bin Frege darin gefolgt, dass eine Person nur dann eine Schlussfolgerung vollzieht, wenn sie die Prämissen entsprechend einer Schlussregel –Frege selbst spricht von einer Vorschrift110 – mit der Konklu-sion verbindet. Verstehen wir diese Bedingung nun so, dass die schließende Person eine Schlussregelanerkennenund aus ihrableitenmuss, was zu tun ist, so wird die Erklärung zirkulär. Ich werde in diesem Sinne vom Zirkulari-tätsproblem sprechen. Damit erscheint es erneut rätselhaft, wie es möglich ist, eine Schlussfolgerung zu vollziehen. Denn einerseits muss man dazu scheinbar einer Schlussregel bewusst folgen, andererseits kann damit nicht gemeint sein, dass wir aus der Regel ableiten, was zu tun ist. Das Zirkulari-tätsproblem darf nicht mit dem Regressproblem verwechselt werden, obwohl beide Probleme nahe beieinanderliegen. Das Zirkularitätsproblem macht deutlich, dass eine Erklärung der Schlussfolgerung durch den Begriff des Re-gelfolgens zirkulär ist. Regelfolgen und Schlussfolgern liegen letztlich zu nahe beieinander, um das eine durch das andere – Regelfolgen durch Schlussfol-gern oder SchlussfolSchlussfol-gern durch Regelfolgen – erklären zu können. Boghossi-an selbst schließt daraus, dass der Begriff des Regelfolgens und damit auch der Begriff einer Schlussfolgerung als regelgeleitete Aktivität ein primitiver Begriff ist, der nicht weiter analysiert werden kann.111Auch wenn ich dies für einen interessanten Vorschlag halte, wird daraus letztlich nicht ersichtlich, wie wir dem Dilemma des Schlussfolgerns begegnen und wie wir das Re-gressproblem lösen können. Broome hat auf Boghossians Einwand geant-wortet. Er hält daran fest, dass der Begriff der Schlussfolgerung nicht-zirkulär durch denjenigen des Regelfolgens erklärt werden kann.

110 Frege 1993, 30.

111 «[I]nference is essentially a matter of following a rule of inference in one’s thought;

and we can have no expectation that we will be able to give a non-circular analysis of what following a rule of inference amounts to.» Boghossian 2014, 17.

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