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Der Generationenbegriff

Im Dokument Gibt es eine »Net Generation«? (Seite 51-54)

Die Organisation geschichtlichen Wissens in einem Generationenkonzept hat Tradition, besonders in den USA. Die früheren Generationen vor der Net Generation (1983-1991;

auch Generation Y oder Generation @ genannt) haben bei US-Forschern ähnlich blumi-ge Namen: Die Matures (1900-1946), die Baby Boomers (1946-1964) und die Genera-tion X28 (1965-1982).29

Eine frühe30Auseinandersetzung mit Generationenbegriffen zur Medienjugend führt Ei-ke HebecEi-ker in seinem Buch »Die Netzgeneration – Jugend in der Informationsgesell-schaft« (2001). Hebecker will jedoch weder eine Beschreibung der Net Generation noch einen empirischen Nachweis erstellen, aber auch keine Widerlegung ihrer Exis-tenz mit Hilfe »soziographischer oder nutzungsbezogener Daten« erbringen. Hebeckers Perspektive ist eine soziologische, sie »richtet sich vielmehr auf die kommunikativen Bedingungen und Intentionen der gesellschaftlichen Thematisierung, Bewertung und Konstruktion von Jugend« (S. 30), sie analysiert den gesellschaftlichen Diskurs über Ju-gend und die Konstruktion von Generationenbegriffen. Er hält am Konzept der Genera-tion fest, denn es geht ihm nur um die damit verbundenen Deutungsmuster und Dis-kursschemata, die Repräsentation der Netzgeneration in den Medien und der Öffent-lichkeit: Er begreift die Generationsmetapher als »kulturelle, soziale und zeitliche Fremdheitsrelationen zwischen den Altersgruppen, die sich in der Aneignung von Neu-en MediNeu-en begründNeu-en.« (S. 185) EinNeu-en prägNeu-endNeu-en Nexus von MediNeu-en und GNeu-eneration lehnt er ab: »Generationen werden demnach weder durch Literatur noch durch Medien generiert.« (S. 130) Die Analyse kann uns hier nicht im Detail beschäftigen, sie macht aber durchweg deutlich, welch komplexes Phänomen Jugend ist und wie differenziert die Individuen betrachtet werden müssen, die derselben Alterskohorte angehören.

In der Regel wählen diese Generationenkonzepte ein markantes Merkmal einer be-stimmten Zeitperiode, um damit eine Metapher für die gesamte Kohorte eines Zeitab-schnitts zu bezeichnen, der sie gemeinsame Merkmale und Eigenschaften attribuieren.

Generation wird oft gleichbedeutend mit Kohorte oder Jahrgang gebraucht. Nach Par-nes, Vedder und Willer (2008, S. 11) »beruht aber die im Barthesschen Sinne ›mytholo-gische‹ Potenz des Generationenkonzepts auf seiner vermeintlichen Selbstverständlich-keit.« Das Generationenkonzept hat auch in der Geschichtswissenschaft im Anschluss an Wilhelm Dilthey und Karl Mannheim eine kritische Diskussion geweckt (Weigel 2002; Weisbrod 2005; Jureit & Wildt 2005), die zur Skepsis gegenüber dem Begriff

28 Der Begriff wurde durch den gleichnamigen Roman »Generation X« (1993, deutsch 1994) des kanadischen Schriftstellers Douglas Coupland angeregt.

29 Die Zuschreibungen, die man diesen »Generationen« gegeben hat, sind nachzulesen bei Howe und Strauss.

30 Das Buch von Hebecker beruht auf seiner Dissertation »Generation @ – Jugend in der Informationsgesellschaft«.

Diss. Universität Gießen aus dem Jahr 2000. Das Thema wird von ihm bereits 1997 in einem Aufsatz angeschnitten.

mahnt (Lepsius 2005). Weisbrod sieht im »fast inflationären Begriffsgebrauch« ein

›doppeltes Dilemma‹: die ›lebensweltliche Evidenz‹, die auf den »Anschein einer natür-lichen und daher universalen Lebenserfahrung« zurückzuführen sei, und die ›emphati-sche Überdetermination‹. Mit dem Begriff der Generationalisierung bezeichnet er den aktiven Prozess der Umdeutung von Biographien.31

Das Hamburger Institut für Sozialforschung hat 2003 eine Tagung mit kulturwissen-schaftlichem Fokus zum Generationenkonzept veranstaltet (Jureit & Wildt 2005).32 Die Rezensenten im Literaturbrief des Deutschen Jugendinstituts (Lange u.a. 2006) bezeich-nen den kulturwissenschaftlichen Rahmen als »Notwendiges Korrektiv gegenüber gene-rations-rhetorischen Verkürzungen«, die insbesondere dann auftreten, wenn, von den Medien propagiert, die »Jugend zum Programm erhoben« wird, wobei es noch hinge-hen mag, wenn Generation als Selbstbeschreibung in Anspruch genommen wird, wäh-rend »methodologische Tücken, […] dann offenbar werden, wenn Selbst- und Fremd-beschreibung auseinander fallen und zum Beispiel Wissenschaftler eine Generation wie die ›89er‹ entdecken, die partout keine sein will.« (S. 73)

Im Band zur Hamburger Tagung (Jureit & Wildt 2005) wurden die vielfältigen Aspekte deutlich, unter denen der Generationenbegriff diskutiert werden kann, von der Anthro-pologie, über die Philosophie und Soziologie zur Kulturwissenschaft und Kunstge-schichte, mehrere Autoren betonen wie Lepsius »›Generation‹ ist ein in hohem Maße unspezifizierter Begriff, so dass man alles damit assoziieren kann.« (S. 47). Es ist hier nicht der Ort, auf alle Facetten der spannenden Diskussion einzugehen, ich will nur zwei Aussagen erwähnen, die Berührung mit dem hier diskutierten Thema haben. Rai-ner Lepsius, der sich nicht als »Freund dieser linearen GeRai-nerationszuschreibungen«

sieht (S. 51) und »skeptisch gegenüber der Generationenforschung« ist, wendet metho-dologisch ein: »Generation ist also oft nur eine Zuschreibung und man muss schon ge-nau bestimmen, über welche Prozesse die Relevanz und die Funktion dieser Zuschrei-bungen tatsächlich erfolgt.« (S. 51) Dennoch hält er den Begriff für »vielleicht zweck-mäßig bei der Analyse von kulturellen Eliten, insbesondere von politischen Eliten.« Ne-ben dieser eingeschränkten Funktion in der kulturpolitischen Analyse hält er nichts vom Generationenbegriff, da er im wesentlichen Deduktion sei, wobei er sich mit diesem Argument auf die wissenschaftliche Forschung bezieht und nicht auf populäre Schriften, die ich hier diskutiere:

»Zuschreibungen ohne Angabe von Zuschreibungsregeln und vage definierte Generati-onslagerungen. Damit verbunden ist noch die Annahme, dass sich damit irgendetwas er-klären ließe, was aber nicht der Fall sein kann, da es reine Deduktionen sind.« (S. 52)

31 Bernd Weisbrod ist Sprecher des Graduiertenkollegs »Generationengeschichte« der Universität Göttingen [http://www.generationengeschichte.uni-goettingen.de/projekte.html].

32 Ein Tagungsbericht [http://www.his-online.de/download/tagungsbericht_generationen.pdf] von Christoph Corne-li§en, Düsseldorf, deutet die Vielfalt der Perspektiven zu dem Thema an. Von Sigrid Weigel wird berichtet, sie »plä-dierte in ihrem Schlussreferat allerdings dafür, in der Geschichtsschreibung auf das Generationenkonzept überhaupt zu verzichten.«

In einem weiteren Beitrag setzt sich Kaspar Maase mit dem populären Gebrauch des Generationenbegriffs in der Werbung und den Medien auseinander. Er registriert zu-nächst die Zunahme des Generationenbildes in der wissenschaftlichen und populären Buchproduktion seit 1993. An zwei Fällen kann er nachweisen, wie die jeweilige Me-tapher geboren wurde, bei der »Generation Golf« und der »Generation Ally«: »Golf und Ally wurden nicht nur Bestseller; die Texte waren und sind auch Bezugspunkte ei-ner Geei-nerationendiskussion in deutschen Feuilletons.« (S. 230) Die Entstehung der

»Generation Golf« etwa »weist auf die tragende Rolle von intellektuellen Urhebern hin, von Autorinnen und Autoren. Die reden über Generation nicht uneigennützig […] sie wollen damit die eigene Position im wirtschaftlichen und kulturellen Feld verbessern.«

(S. 234) Der Wissenschaftler als »Anbieter von Generationsmodellen« handelt auf

»strukturierten Märkten der Generationsdeutung« mit akademischen Produkten. Die Verbrämung durch Wissenschaftler führte letzten Endes dazu, dass dies eigentlich »e-phemere Produkt des Lifestylemarktes« (S. 242) von der Frankfurter Allgemeinen Zei-tung als ›empirisch nachgewiesen‹ behauptet wurde (S. 235).

Warum derartige Diskussionen in bestimmten gesellschaftlichen Gruppen so viel Reso-nanz bekommen, könnte eventuell mit einer Schwäche der Individuation bei den Rezi-pienten zusammenhängen: »Für nennenswerte Teile der gutausgebildeten jüngeren Mit-telschichten stellt das Angebot, sich einer Generation zuzurechnen, ein hilfreiches In-strument der Ortsbestimmung und Selbstauslegung dar.« (S. 230) Aus einer soziolo-gisch-kulturkritischen Perspektive ist Generation ein Mittel zur »anschaulichen Ord-nung der Sozialwelt, zur sinnhaften Selbstpositionierung im historischen Wandel« (S.

240). Man kann den Eindruck bekommen: Es ist ein weiter Weg zur Unabhängigkeit und Autonomie des Individuums.

Angesichts der unterschiedlichen Motive, sich des Generationenkonzepts zur Beschrei-bung von zeitgeschichtlichen Phänomenen und Weltdeutungen zu bedienen, schlagen Parnes, Vedder und Willer (2008, S. 20) vor: »Nicht die Frage, ob es so etwas wie Gene-ration oder GeneGene-rationen gibt, gilt es also zu analysieren, sondern in welcher Weise und mit welchem Interesse ihr Vorhandensein jeweils deklariert oder konstruiert wird.«

(Hervorhebung im Original)

Am Beispiel der Generation X hat Inken Bartels (2002) »zum inflationären Gebrauch des Begriffes ›Generation‹ im aktuellen Mediendiskurs« eine interessante volkskund-lich-kulturanthropologische Magisterarbeit an der Universität Hamburg verfasst, die zu der Erkenntnis kommt: »Die Analyse Generation X‹ in den USA hat gezeigt, dass die Verwendung des Generationsbegriffes unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten irre-führend ist.« Sie erläutert nach einem Überblick über Artikel zur Generation X, dass der Generationenbegriff fast synonym mit Jugend gebraucht wird und dass es stets Minder-heiten sind, die stellvertretend für die Generation stehen und deren Einheit ein Produkt der Medien ist und gelangt zu einer Schlussfolgerung, die ebenso auf die Autoren der Netzgeneration applizierbar ist:

»Jugend wird mit Etikettierungen, Formeln sowie Bildern versehen und zu einem gesell-schaftlichen (positiven oder negativen) Leitbild verallgemeinert. Am Themenfeld ›Jugend‹

besteht reges Interesse, da sie nach wie vor als Motor des Wandels gilt. Allerdings, wie die Analyse der Medien deutlich gemacht hat, wollen die Älteren die Richtung des Wan-dels bestimmen. Bei allen Fremdzuschreibungen der Jugend spiegeln sich stets die Vor-stellungen, Wünsche und Ängste der Erwachsenen wider. So sagen Schlagwörter wie

›Generation X‹ oder ›89er‹ weit mehr über ihre Erfinder aus, als über die, die damit ge-meint sind.«

Im Dokument Gibt es eine »Net Generation«? (Seite 51-54)