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Der Aufstieg Brodys vor der Ersten Teilung Polens

Wirtschaftlicher Aufstieg und Fall der Stadt Brody

III.1 Der Aufstieg Brodys vor der Ersten Teilung Polens

Die erste Erwähnung fand Brody in den Kriegszügen des Jahres 1084, die in der Nestorchro-nik geschildert werden. Dieses Datum wurde von den Sowjets zur offiziellen Geburtsstunde der Stadt erklärt und 1984 in einem großen Jubiläum gefeiert.69 Damals gehörte die Ortschaft allerdings tatsächlich noch zum Fürstentum Wolhynien.70 Teil der Wojwodschaft Rotreußen wurde sie erst in späteren Jahrhunderten unter polnisch-litauischer Herrschaft. Der Name

„Brody“ selbst bedeutet „Furten“ und lässt auf einen alten Verkehrsweg schließen, der an 68 Dalerac, François-Paulin: Les anecdotes de Pologne ou Memoires secrets du Regne de Jean

Sobieski III. du Nom, Tome II (Amsterdam 1699), S. 303f.

69 CDIAL, F. R-15, op. 1, spr. 132.

70 Nahajevs’kyj, I.: Pryčynok do istoriji horoda Brodiv i joho okolyc’, in: Čumak, Jaroslav (Hg.):

Brody i Bridščyna. Istoryčno-memuarnyj zbirnyk (= Ukrajins’kyj archiv XLVII) (Toronto 1988), S.

36–46, hier S. 37.

dieser Stelle durch die die Ortschaft umgebenden Sümpfe verlief.71 1441 belehnte der polni-sche König Władysław III. Warneńczyk den Starosta von Sandomir (pol. Sandomierz), Jan Sieniński, für seine Dienste gegen die Tataren mit Brody und in der Nähe liegenden Gütern.

Erst nach dem Verkauf des Guts Brody an den Wojwoden von Bełz (ukr. Belz), Stanisław Żółkiewski, im Jahr 1580 begann der Aufstieg der Stadt. Er erreichte für Brody unter dem Stadtnamen Lubicze (pol. auch Lubicz, ukr. Ljubyč), von König Stephan Báthory (ung. Ist-van Báthory, pol. Stefan Batory) am 22. Juli 1584 das Magdeburger Stadtrecht und das Recht, dreimal jährlich einen Jahrmarkt abhalten zu dürfen. Lubicz war die Bezeichnung des Famili-enwappens der Żółkiewskis; der Name Lubicze setzte sich jedoch nicht durch, und bereits bei der Bestätigung der Stadtprivilegien 1597 kehrte man zur Bezeichnung Brody zurück.72

Brody war eine Adelsstadt – sämtliche Stadteinnahmen, aber auch die Rechtsprechung fielen also dem adeligen Grundherrn und nicht dem König zu. Die Entwicklungschancen ei-ner solchen Privatstadt hingen folglich eng mit der Machtstellung der jeweiligen Adelsfamilie zusammen, in deren Eigentum sie sich befand. Ein wichtiger Schritt für den Aufstieg Brodys zu einem der bedeutendsten Handelszentren der Rzeczpospolita war der 1629 erfolgte Ankauf der Stadt durch den Hetman der polnischen Krone Stanisław Koniecpolski (1594–1646) für die stattliche Summe von einer halben Million polnischer Gulden. Zwischen 1630 und 1635 ließ er in Brody von dem französischen Architekten Guillaume de Beauplan eine fünfecki-ge Festung mit einem herrschaftlichen Renaissanceschloss errichten.73 Er gründete 1637 eine Schule und akzeptierte im administrativen Bereich eine gewisse städtische Selbstverwaltung, infolge derer jährlich neue Vertreter mit einem Wójt (ukr. Vijt, dt. Vogt) an der Spitze ge-wählt wurden. Der Wójt war die wichtigste Person im Alltagsleben der Stadt. Er stand unter anderem dem im Magdeburger Stadtrecht vorgesehenen kommunalen Schöffengericht vor, während der Grundherr als höhere Instanz in Streitfällen diente. De facto konnte jedoch nie-mand in der Stadt eine Entscheidung gegen den Willen des adeligen Eigentümers treffen.74 71 Čobit, Dmytro: Jak vynyklo misto Brody (Brody 2002), besonders S. 4f, 11–23.

72 Lipiński, Tymoteusz: Miasto Brody z dawnemi przynależytościami (Warszawa 1851), S. 1–3;

Ploščans’kyj, Venedikt M.: Galyc’ko-rus’kyj torgovel’nyj gorod Brody, in: Literaturnoe obščestvo Galyc’ko-russkoj matycy (Hg.): Naukovyj zbornyk na god 1868, I–II (L’vov 1869), S. 56–69, hier S. 57f.

73 Krawców, S.: O układzie przestrzennym miasta Brody w XVI–XVII w., in: Kwartalnik architektury i urbanistyki, 37 (1992), S. 3–15, hier S. 3, zitiert nach Petryschyn, Halina: Die Judenviertel in der Stadtplanung und Stadtentwicklung Ostgaliziens, mit besonderer Berücksichtigung der Zeit vom Ende des 18. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts., in: Mayrhofer, Fritz/Opll, Ferdinand (Hg.): Juden in der Stadt (Linz 1999), S. 221–296, hier S. 235. Für eine Beschreibung des Schlosses im 17. Jahrhundert vgl. Aleksandrovyč, Volodymyr: Opys zamku v Brodach 1689 roku, in:

Ukrajins’kyj archeografičnyj ščoričnyk, nova seria, (2004), S. 544–565.

74 Sozans’kyj, Ivan: Z mynuvšyny mista Brodiv. Pryčynky do istoriji mista v XVII v. (Brody 2003 [L’viv 1911]), S. 13, 22.

Koniecpolski wirkte vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet. Neben der 1633 erfolgten Bestäti-gung der bisherigen Rechte durch König Władysław IV. Wasa, erreichte er die Verleihung des Stapelrechts für alle Waren, die aus den Wojwodschaften Wolhynien, Kiew (pol. Kijów, russ.

Kiev, ukr. Kyjiv) und Polesien nach Polen transportiert wurden, beziehungsweise von Danzig (pol. Gdańsk) und Polen nach diesen Gebieten, sowie die Befreiung der Brodyer Kaufleute von Brückenzoll und anderen Abgaben. Mit diesen Privilegien war Brody den wichtigsten Königsstädten der Rzeczpospolita, wie Krakau (pol. Kraków), Lemberg, Thorn (pol. Toruń) oder Lublin praktisch gleichgestellt.75

Gehandelt und gelagert wurden in Brody Fische, Flachs, Hanf, Häute, Honig, Hopfen, Salpeter, Salz, Wolle und vieles mehr. Getragen wurde diese Wirtschaftstätigkeit vor allem von den unter Koniecpolskis Herrschaft in die Stadt gerufenen Armeniern, Juden, Schotten, Griechen und Deutschen, während die polnischsprachige Bevölkerung neben der Verwaltung vor allem in handwerklichen Berufen unterkam und die ukrainischsprachigen Einwohner vorwiegend im primären Sektor beschäftigt waren. Die kleinste dieser ethno-konfessionellen Gruppen waren die Schotten, die als Mittelsmänner von Verwandten fungierten, die in Zen-tralpolen oder Danzig Handel mit Westeuropa trieben. Sie hatten aber genauso auch Kon-takte nach Kiew und teilweise sogar bis Moskau (russ. Moskva). Insgesamt sind 66 Namen schottischer Händler aus den zwei Jahrzehnten ihrer Anwesenheit in Brody belegt. Nach dem Cheml’nyc’kyj-Aufstand von 1648 sind in der Stadt keine Schotten mehr nachgewiesen.76 Dieser Aufstand hatte zu einer weitgehenden Zerstörung Brodys geführt. Nur die Festung, in die sich der Großteil der Stadtbürger aber auch Einwohner aus der Umgebung geflüchtet hatten, konnte der Belagerung der Kosakentruppen standhalten. Die orthodoxe77 ukrainisch-sprachige Stadtbevölkerung dürfte sich, im Gegensatz zu den Bewohnern des Umlands, den Aufständischen nicht angeschlossen haben.78

Eine besonders bemerkenswerte Bevölkerungsgruppe waren die sich erstmals 1634 in Brody niederlassenden Armenier. Nach der Eroberung Podoliens durch das Osmanische Reich 1672

75 Barącz: Wolne miasto, S. 17.

76 Šyjan, Rajsa V.: Kupci šotlands’koho pochodžennja u Brodach v peršij polovyni XVII st., in:

Zrobok, Bohdan (Hg.): Brody i Bridščyna. Istoryčno-memuarnyj zbirnyk. Kniha II (Brody 1998), S. 92-95; Kravčenko, Volodymyr: Dokumenty z istoriji torhivli šotlandciv iz Zamostja i Brodiv u Kyjevi 40-ch rokiv XVII stolittja, in: Ukrajins’kyj archeografičnyj ščoričnyk, nova seria, (2004), S. 482–503, hier S. 486f; Mandel, Yehoshu’a-Shiko/Meltzer, Aviv/Parvari-Leiner, Josef/

Shmuszkin-Rubinstein, Sarah-Samith (Hg.): Ner tamid. Jizkor liBrodi: sefer zikaron liqehilat Brodi usevivata (Jerušalajim 1994), S. 21.

77 Die Wojewodschaft Rotreußen ist der Kirchenunion erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts beigetreten, die Protoukrainer Brodys waren zur Zeit des Chmel’nyc’kyj-Aufstands also ebenfalls noch orthodox.

78 Sozans’kyj: Z mynuvšyny, S. 62–69; Ploščans’kyj: Torgovel’nyj gorod, S. 62.

gab es eine weitere Zuwanderung von Armeniern nach Brody, vor allem aus Jazłowiec (ukr. Jaz-lovec’) und Kamieniec Podolski (russ. Kamenec-Podol’skij, ukr. Kam’’janec’-Podil’s’kyj). Obwohl ihre Zahl stets sehr gering blieb – so gab es beispielsweise 1678 insgesamt nur zwölf Familien – gehörten sie zu den reichsten und einflussreichsten Bewohnern der Stadt, teilweise wurden sie auch in die Stadtvertretung gewählt, 1683 soll sogar ein Armenier Bürgermeister gewesen sein.79 Nach dem verheerenden Brand des Jahres 1742, bei dem praktisch die gesamten Lagerbestände der mit Ost- und Südosteuropa handelnden Armenier vernichtet wurden, begann die Gemein-de schrittweise, meist in Richtung Lemberg abzuwanGemein-dern. Eine armenische Pfarre bestand in Brody bis in österreichische Zeit. Nach 1779 wurden die wenigen verbliebenen Armenier seel-sorgerisch vom Prior des Brodyer römisch-katholischen Dominikanerklosters betreut. Bis heute geblieben ist nur die gleich hinter dem Ringplatz verlaufende „Armenierstraße“.80

Eine im 17. Jahrhundert immer wichtiger werdende Gruppe war die jüdische Bevölke-rung, die im Rahmen der Verleihung des Magdeburger Stadtrechts 1584 erstmals erwähnt worden war, aber wahrscheinlich bereits davor in Brody ansässig gewesen sein dürfte.81 Juden kauften zunehmend Immobilien von römisch-katholischen und orthodoxen Einwohnern und besaßen bald die Mehrheit der Häuser am Ringplatz. Solange keine älteren christlichen Vorrechte beeinträchtigt waren, unterlag die jüdische Bevölkerung keinerlei Niederlassungs-, Gewerbs- oder Handelsbeschränkungen, was durch die Erneuerung der örtlichen Privilegien 1699 nochmals ausdrücklich festgehalten wurde. Ab diesem Zeitpunkt konnten Juden auch in die politische Vertretung und theoretisch ins Bürgermeisteramt gewählt werden. Sie wa-ren zwar von den Stadtverteidigungspflichten ausgenommen, mussten aber ein Drittel der kommunalen Ausgaben begleichen sowie weiterhin die königliche Schutzsteuer zahlen. Das Rabbiner-, Kantoren- und Gemeindehaus sowie das Spital waren aber von jeglicher Besteue-rung ausgenommen. Diese günstigen Bedingungen führten zu einem weiteren Zustrom von Juden nach Brody, vor allem aus Lemberg und Przemyśl (ukr. Peremyšl’). Als schließlich nach den Verwüstungen des Brands von 1742 die konkurrierenden armenischen Händler aus Bro-dy abzogen, wurden die Juden endgültig zur wirtschaftlich wichtigsten Kraft vor Ort.82 Der Hajdamakenaufstand (Kolijivščyna) 1768–1769 brachte eine Welle an jüdischen Flüchtlingen

79 Sozans’kyj: Z mynuvšyny, S. 38–41; Daškevyč, Jaroslav: Rozselennja virmeniv na Ukrajini v XI – XVIII st., in: Ukrajins’kyj istoryčnyj zbirnyk, Nr. 1 (1971), S. 150–181, hier S. 154. Obwohl nicht klar ist, ob das nicht nur ein Bürgermeister (wójt) für die eigene armenische Gemeinde war.

80 Barącz: Wolne miasto, S. 93f, 118; Barącz, Sadok: Rys dziejów ormiańskich (Tarnopol 1869), S. 76f;

Mel’ničuk, Ja. S.: Armjanskoe poselenie v Brodach, in: Istoričeskie svjazy i družba ukrainskogo i armjanskogo narodov, Tom III (Erevan 1971), S. 250–254.

81 Chonigsman: Evrei, S. 6.

82 Gelber: Toldot jehudej Brodi, S. 24–28; Mandel/Meltzer/Parvari-Leiner/Shmuszkin-Rubin-stein (Hg.): Jizkor liBrodi, S. 20.

in die Stadt, die dazu führte, dass die Zahl der jüdischen Einwohner Brodys bei der Annexi-on Galiziens durch die Habsburger mit über 7.000 Seelen jene Lembergs um rund tausend übertraf.83

Der ständige Zuzug von Juden nach Brody führte im Lauf des 18. Jahrhunderts zu ei-nem enormen Bedeutungszuwachs dieser jüdischen Gemeinde (jid. Kehile) innerhalb des polnisch-litauischen Judentums. In der innerjüdischen Vertretung der neun unabhängigen Kehiles der Wojwodschaft Rotreußen war Brody direkt vertreten und stellte zwischen zwei und vier der zwölf, manchmal dreizehn Wojwodschafts-Repräsentanten.84 Außerdem ent-sandte die Stadt auch eigene Abgeordnete in die Vierländersynode für Großpolen, Kleinpo-len, Rotreußen und Wolhynien (hebr. Waad arba aracot, jid. Vad arbe arotses), dem höchsten jüdischen Gremium der Rzeczpospolita. Der nach dem verheerenden Feuer von 1742 erfolgte Bau der riesigen Synagoge zeugt ebenfalls vom Prestige Brodys. Diese prächtige, als Festungs-bau errichtete, sogenannte Alte Synagoge dominiert das Stadtbild bis heute. Der Name ist irreführend, da sie mit großer Wahrscheinlichkeit nicht das älteste gemauerte jüdische Got-teshaus der Stadt war. Die kleinere, einst gleich nebenan gelegene Neue Synagoge dürfte älte-ren Datums gewesen sein. Da letztere allerdings 1804 älte-renoviert wurde, schien sie den Leuten vermutlich jünger (vgl. auch Abb. V/1 auf S. 147).85

Die Bedeutung Brodys lag aber nicht nur in seiner zahlenmäßigen Größe und dem Reich-tum seiner Gemeinde, sondern vor allem in ihrem spirituellen Ansehen. Zentrum der religiö-sen Gelehrsamkeit war die von Chaim Landau gegründete Brodyer Klause (jid. Broder kloyz, hebr. klaus rabata d’kehila k’doša Brodi). Die dort ausgebildeten Rabbiner genossen selbst in Westeuropa einen hervorragenden Ruf als Vertreter der strengen jüdischen Orthodoxie mit guter Kenntnis der Kabbala. Der Umstand, dass 1764 in Brody neben dem offiziell angestell-ten Rabbiner noch weitere sieben „pensionierte“ Rabbiner aus der Umgebung lebangestell-ten, zeigt, welchen religiösen Stellenwert diese Stadt besaß.86

Andere Beispiele dafür sind der Religionsdisput aus dem Jahr 1743, der Frankistenbann 1756 und der Chassidenbann von 1772. Im ersten Fall hatte der Bischof von Łuck (russ. Luck, ukr. Luc’k) die Brodyer jüdischen Gelehrten per Ultimatum zu einer Diskussion der religiö-sen Fundamente der jeweiligen Religionen aufgefordert, mit dem unausgesprochenen Ziel, 83 Encyclopaedia Judaica. Das Judentum in Geschichte und Gegenwart (Berlin 1929), S. 1094;

Cho-nigsman: Evrei, S. 30.

84 Wurm, Dawid: Z dziejów Żydostwa Brodskiego. Za czasów dawnej Rzeczypospolitej polskiej (do r.

1772) (Brody 1935), S. 33; Mandel/Meltzer/Parvari-Leiner/Shmuszkin-Rubinstein (Hg.): Jizkor liBrodi, S. 23.

85 Wurm: Z dziejów, S. 43f; Kravtsov, Sergei: Die Juden der Grenz- und Freihandelsstadt Brody, in:

David. Jüdische Kulturzeitschrift, 27 (Dez. 1995), S. 16–19, hier S. 17.

86 Wurm: Z dziejów, S. 47f.

die jüdische Bevölkerung zum Christentum zu bekehren. Am 13. Juni 1756 verhängte die Gemeinde Brody über die Anhänger des Frankismus – einer um die Jahrhundertmitte in der ganzen Rzeczpospolita verbreiteten messianischen Bewegung – den Bannfluch (hebr. herem).

Andere bedeutende Städte wie Lemberg, Dubno oder Luck folgten kurz darauf diesem Bei-spiel.87

Die Einschätzung der Rolle des Chassidismus in Brody ist schwierig. Der offizielle Kahal (hebr. kahal, jid. kool) war ganz klar rabbinisch-talmudisch orientiert und lehnte diese mys-tische Form des Judaismus ab. Nur wenige Monate vor der Annexion Galiziens durch das Habsburgerreich führte das am 21. Juni 1772 erneut zur Verhängung eines Banns, diesmal über die Anhänger des Baal Schem Tow (ca. 1700–1760), des Begründers des Chassidismus – der übrigens eine kurze Zeit in Brody gelebt und dort seine zweite Frau geheiratet hatte. In der Re-alität dürfte hingegen der mehrheitlich unter den ärmeren Schichten verbreitete Chassidismus in Brody geduldet worden sein.88 Außerdem unterstützen Chassiden in der späteren Auseinan-dersetzung zwischen jüdischer Orthodoxie und der Haskala immer wieder die Positionen der rabbinischen Traditionalisten.

Die Ansiedlung von Juden, aber auch Armeniern, Schotten und Griechen, entsprach der üblichen Politik adeliger Eigentümer zur wirtschaftlichen Förderung ihrer Privatstädte. Für Brodys Aufstieg war es von Vorteil, dass die Stadt in den Jahrhunderten vor der Ersten Tei-lung Polens nicht nur im Besitz von Adeligen war, die zu den größten und mächtigsten Ver-tretern der polnischen Szlachta zählten, sondern, dass diese, zumindest zeitweise, auch vor Ort residierten. Umstrittene Eigentumsverhältnisse führten lediglich in der Periode um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert zu Schwierigkeiten. Jan Aleksander Koniecpolski (gest.

1719) hatte Brody 1690 an den polnischen Thronfolger Jakub Ludwik Sobieski (1667–1737) verkauft, diese Abtretung jedoch später als nicht rechtskräftig aufgefasst und die Stadt wieder-holt militärisch angegriffen, um seine Ansprüche geltend zu machen. Erst nach zweimaliger Verurteilung durch ein Tribunal in Lublin 1700 und 1714 verzichtete Koniecpolski auf Brody.

Inzwischen hatte ein osmanisches Heer gemeinsam mit Tataren 1696 die Stadt verwüstet, und im Zuge des Großen Nordischen Kriegs (1700–1721) war es 1709 zur Plünderung durch russ-ländische Einheiten und 1711 durch Truppen Koniecpolskis und anderer Großgrundbesitzer gekommen. Erst nach dem Ende dieses langwierigen Kriegs kehrte in Brody wieder Ruhe ein – mittlerweile war Józef Potocki (1673–1751) der rechtmäßige Eigentümer der Handelsstadt, die er 1704 um 15.000 Taler von Sobieski gekauft hatte.89 Im Besitz dieser Magnatenfamilie

87 Chonigsman: Evrei, S. 24; Wurm: Z dziejów, S. 52–57.

88 Dubnow, Simon: Geschichte des Chassidismus (Berlin 1931), S. 81f; Mandel/Meltzer/Parvari-Leiner/Shmuszkin-Rubinstein (Hg.): Jizkor liBrodi, S. 25.

89 Ploščans’kyj: Torgovel’nyj gorod, S. 64–66; Lipiński: Brody, S. 10f.

sollte die Stadt nun über hundert Jahre verbleiben, ehe sie 1833 um 6,2 Millionen Gulden weiterverkauft wurde.90

Trotz mehrerer Feuersbrünste entwickelte sich Brody unter den Potockis endgültig zum bedeutendsten Warenumschlagplatz der südöstlichen Rzeczpospolita. Besonders Stanisław Potocki (1698–1760) bemühte sich um einen reibungslosen Ablauf der Jahrmärkte, vor allem um die riesigen, bis in die 1780er-Jahre zwei Mal jährlich stattfindenden Pferdemärkte.91 Der schwäbische Zeitgenosse Kratter verwies auf den zweischneidigen Charakter der Fördermaß-nahmen und meinte kritisch: „Sein Aufkommen hat Brody der P[otockischen] Familie zu verdanken, die durch List, Gewalt, Ertheilung schmeichelnder Vorrechte für die handelnde Judenschaft, nach und nach Jahrmärkte an sich gezogen [hat]…“92 Unter List und Gewalt verstand der Autor die Praxis mächtiger Grundeigentümer, vorbeiziehende Händler durch patrouillierende Truppen in die eigene Ortschaft zu zwingen, dort ihre Waren auszupacken und lokalen Händlern zum Kauf anzubieten – so wäre aus dem Stapelrecht eine Stapelpflicht geworden.93 Belegt ist bloß, dass Józef Potocki der jüdischen Gemeinde nach dem Brand von 1742 einen günstigen Kredit über eine Million Gulden gewährte, um den Handel wieder in Schwung zu bringen, und dass er und sein Sohn stets um den Schutz „seiner“ Händler be-müht waren.94 Diese Protektion ermöglichte jedenfalls der Privatstadt Brody, die königliche Stadt Lemberg im Fernhandel weit hinter sich zu lassen.

So wurde Brody zunehmend zu einem zentralen Umschlagplatz für Rohstoffe aus Ost-europa beziehungsweise aus dem Osmanischen Reich sowie für hochwertige Manufaktur-erzeugnisse aus Westeuropa. Aus den deutschen Staaten kamen Fäden, goldene und silberne Gallonen sowie Nürnberger Waren (Zinn- und Messingprodukte, Dosen, Nadeln, Galante-riewaren …), aus Frankreich Seide und aus England Baumwolle. Aus den österreichischen Erbländern lieferte man Eisenwaren wie steirische und oberösterreichische Sensen und aus Italien Korallen sowie gefärbte Seide. Aus Polen-Litauen schließlich wurden Bernstein, Weih-rauch und Pelze jeglicher Art nach Brody verkauft. Letztere kamen ebenfalls aus Russland, das obendrein noch landwirtschaftliche Produkte, Hanf, Wachs und Flachs lieferte; auch Tee, Kaffee, Zucker und Pfeffer langten über Russland oder das Osmanische Reich in Brody ein.

Schließlich wären auch noch die Produkte Südostpolens, wie Talg, Wachs und Salpeter zu 90 Lutman: Studja, S. 151.

91 Barącz: Wolne miasto, S. 100, 120f.

92 Kratter, Franz: Briefe über den itzigen Zustand von Galizien. Ein Beitrag zur Staatistik und Men-schenkenntnis, 2. Bd. (Leipzig 1786), S. 102.

93 Kratter: Briefe, Bd. 1, S. 212.

94 Wischnitzer, Mark: Die Stellung der Brodyer Juden im internationalen Handel in der zweiten Hälf-te des 18. Jahrhunderts, in: Wischnitzer, Mark/Elbogen, Ismar/Meisl, Josef (Hg.): Festschrift zu Simon Dubnows 70. Geburtstag (Berlin 1930), S. 113–123, hier S. 114.

erwähnen. Um eine Vorstellung von den Größenordnungen zu bekommen, gibt Barącz fol-gende Zahlen als jährlichen Umsatz für die letzten Jahrzehnte des 18. Jahrhunderts an: 12.000 Zentner Wachs [1.200 Tonnen], 5.000 Zentner Honig, 4.000 Zentner Talg, 5.000 Zentner Salpeter, 4.000 Zentner Kaffee, Zucker und Pfeffer, 300.000 bearbeitete Häute, Sensen für 200.000 Rheintaler sowie (Korallen)ketten und gefärbte Seide für 100.000 Rheintaler.95

Die zwei wichtigsten Partnerstädte für Brody waren Berdyczów im Osten und Leipzig im Westen; in geringerem Ausmaß waren auch noch die Jahrmärkte in Frankfurt/Oder, Breslau (pol. Wrocław) und Naumburg für die Brodyer Händler von Bedeutung. Bis zur Gründung Odessas (ukr. Odesa) 1794 wurde der Großteil der in Brody aus dem Westen einlangenden Waren auf den seit 1675 bestehenden Jahrmärkten in Berdyczów weiterverkauft. Dieser Han-del wurde praktisch ausschließlich von Juden getragen und durch vielfache Verwandtschafts-beziehungen zwischen den Händlerfamilien dieser beiden Städte begünstigt.96

In den Leipziger Messestatistiken tauchen erstmals 1728 jüdische Händler aus Brody auf;

unter den insgesamt 21 aus Polen stammenden Kaufleuten waren drei aus der hier untersuch-ten Stadt. Innerhalb von zehn Jahren stieg deren Zahl sogar auf über zehn, was mehr als der Hälfte aller jüdischen Händler aus der Rzeczpospolita entsprach. Wenig erstaunlich fehlten nach 1743, also nach dem Großbrand, aber auch aufgrund hoher Transitzölle durch Schlesien, die Brodyer Kaufleute für mehrere Jahre gänzlich auf den Leipziger Messen. Ab den 1760er-Jahren traten diese wieder massiv in den Vordergrund.97 In den letzten beiden Jahrzehnten des 18. und den ersten beiden des 19. Jahrhunderts war die Anwesenheit der Brodyer jüdischen Händler durchaus ein Faktor, der über Erfolg oder Misserfolg der Messe entscheiden konnte.

Viel wichtiger als die reine Anzahl der Brodyer Kaufleute waren deren umfangreiche Einkäufe von besonders wertvollen Waren wie zum Beispiel Seide. Diese Bedeutung lässt sich auch daran ersehen, dass die Brodyer Kaufleute in Leipzig häufig Kredit bekamen, und erst nach Weiterverkauf der Waren ihre Schulden begleichen mussten.98 Für diese Kreditvergabe war das 95 Kratter: Briefe, Bd. 2, S. 106; Barącz: Wolne miasto, S. 121; Brodyer Gerichtsarchiv Liber

Dona-tiorum ad 1785/86, Nr. 164, zitiert nach: Lewin, Maurycy: Geschichte der Juden in Galizien unter Kaiser Joseph II. (Wien 1933), S. 67.

96 Wischnitzer: Stellung der Brodyer Juden, S. 115.

97 Freudenthal, Max: Leipziger Meßgäste. Die jüdischen Besucher der Leipziger Messen in den Jahren 1675 bis 1764 (Frankfurt Main 1928), S. 52f. Die christlichen Händler aus Polen-Litauen wurden hier nicht berücksichtigt.

98 Markgraf, Richard: Zur Geschichte der Juden auf den Messen in Leipzig 1664–1839 (ungedr.

Diss.: Rostock 1894), S. 15f, 68–70; Hasse, Ernst: Geschichte der Leipziger Messe (= Preisschriften der Fürstlich-Jablonowskischen Gesellschaft der Wissenschaften 25) (Leipzig 1885), S. 352; Demian, Johann Andreas: Darstellung der österreichischen Monarchie nach den neuesten statistischen Be-ziehungen (Wien 1804), S. 114; Reinhold, Josef: Polen-Litauen auf den Leipziger Messen des 18.

Jahrhunderts (= Abhandlungen zur Handels- und Sozialgeschichte 10) (Wien 1971); Middell,

Ka-Vorhandensein von ausreichend vielen Wechseln eine Voraussetzung. Das Hauptzahlungsmit-tel für die Händler aus Osteuropa sHauptzahlungsmit-tellten im 18. Jahrhundert Amsterdamer Wechsel dar, erst im 19. Jahrhundert wurden in Brody auch Wechsel auf die Leipziger Messe gehandelt.99

Spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war Brody also ein Schlüsselort im

Spätestens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts war Brody also ein Schlüsselort im