• Keine Ergebnisse gefunden

Brody als regionales Bildungszentrum

Schule als multikulturelle Lebenswelt

VII.1 Brody als regionales Bildungszentrum

Als älteste weltliche Bildungseinrichtung in Brody erwähnt Barącz für das Jahr 1637 eine Schule, die mit der wichtigsten Bildungsinstitution der Rzeczpospolita, der Krakauer Aka-demie, in einer institutionellen Verbindung gestanden haben soll.530 Abgesehen davon gab es in vorösterreichischer Zeit vermutlich auch im Umfeld des Brodyer Dominikanerklosters eine Schule. Für jüdische Kinder stellten, auch wenn es keinen Beleg in der Sekundärliteratur gibt, sicherlich mehrere Chejder (jüdische Religionsschulen für Buben ab drei Jahren) das wichtigste Bildungsangebot dar. Zusätzlich war das der Synagoge angeschlossene Lehrhaus (jid. Broder kloyz) weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt531 und machte Brody zu einem geistigen Zentrum des osteuropäischen Judentums.

526 Zur Person Herz Homberg vgl. z.B. Sadowski: Haskala und Lebenswelt; Varga, Péter: Die drei Mendelssohns. Wirkungen der deutsch-jüdischen Aufklärung in Osteuropa (= Asteriskos 2) (Buda-pest 2001), S. 77–83; Balaban, Majer: Z historji żydów w Polsce. Szkice i studja (Warszawa 1920);

Ochs, David: Die Aufklärung der Juden in Galizien 1772–1848 (ungedr. Diss.: Wien 1937), S. 20f.

527 Röskau-Rydel: Kultur an der Peripherie, S. 71.

528 Holzer: Enlightment, S. 79f.

529 Im Jahr 1788 gab es 5.907 jüdische Schüler (und Schülerinnen), 1789: 6.268, 1806: ca. 3.500, vgl. CDI-Im Jahr 1788 gab es 5.907 jüdische Schüler (und Schülerinnen), 1789: 6.268, 1806: ca. 3.500, vgl. CDI-AL, F. 146, op. 85, spr. 1903, S. 117; Holzer: Enlightment, S. 80.

530 Barącz: Wolne miasto, S. 22.

531 Vgl. z.B. Wurm: Z dziejów, S. 44f.

Die Erste Teilung Polens brachte große Veränderungen mit sich. Wann und welche Schu-len aufgrund der maria-theresianischen Schulordnung in Brody errichtet wurden, ist jedoch unklar. In einer der umfangreichen galizischen Kreisbeschreibungen wird für 1783 in Brody bereits eine nicht näher spezifizierte Schule erwähnt532 und die Errichtung weiterer Haupt-schulen angeregt.533 Diesen Vorschlag nahm Joseph II. auf und dekretierte mit dem Patent vom 15. Jänner 1784 die Gründung von Trivial- und Hauptschulen in Zamość (ukr. Za-mostja), Brody, Tarnów, Rzeszów, Przemyśl und Jaroslau sowie deren Ausstattung mit metho-disch geschulten Lehrern, die sowohl die deutsche als auch die polnische Sprache beherrschen mussten.534 Diese Anordnung wurde noch im selben Jahr umgesetzt. Diese neu errichtete (christliche) Haupt(normal)schule stand unter dem Patronat des Landesguberniums und des Stadteigentümers, also der Familie Potocki.535 Am 24. Mai 1784 wurde ebenfalls, gegen an-fänglichen Widerstand der Eltern und des Kahalvorstands, eine deutsch-jüdische Normal-schule in Brody eröffnet.536 Diese beiden Schulen legten den Grundstein für Brodys Stellung als regionales Bildungszentrum während der nächsten hundert Jahre.

Im Anfang 1788 verfassten Visitationsbericht beschrieb der jüdische Schulaufseher Herz Homberg die Lage der deutsch-jüdischen Schule Brodys als ziemlich trostlos:

„1) Belauft sich die Zahl der ganzen schulbesuchenden Jugend in beyden Klassen nicht höher als auf 180 Köpfe, von denen wieder ein ziemlicher Theil nur selten in der Schule erscheinet. Bei einer so zahlreichen Judenschaft, wie dort ist, dürften wohl 800 und mehrere schulfähige Kna-ben seyn. Untergefertigter verlangte das Verzeichniß der schulfähigen Jünglinge; allein weder die Lehrer, noch die Gemeinvorsteher konnten ihn hierüber befriedigen, weil ein solches daselbst noch nicht existirt.

2) Sind die wirklichen Schüler bis auf einige sehr wenige, aus der ärmsten Klasse der Juden, just solche, die keinen sonderlichen Einfluß auf die grössere Gesellschaft haben werden. Da kein Ver-zeichniß vorräthig war, so konnte man hierüber von niemandem Auskunft erhalten.

3) Klagten die Gemeinde, und deren Vorsteher über allzugrosse Härte, mit welcher ihre Jugend in der Schule behandelt wird. Und es zeigte sich auch wirklich

532 In einer anderen Kreisbeschreibung von Oktober 1788 wird für den gesamten Brodyer Kreis nur eine deutsche Schule erwähnt, und zwar die Kreisschule, womit vermutlich die 1784 errichtete christliche Hauptschule gemeint ist. Vgl. ÖStA/AVA, Hofkanzlei, Ktnr. 402A, III A 5, Gal., 1787-März 1808, 12 ex mart. 1789 Brody.

533 ÖStA/AVA, Hofkanzlei, Ktnr. 232, II A 6, Gal., 108 ex dec. 1783 (II. Teil), ad 27.

534 Piller’sche Gesetzessammlung (1784), S. 5–7.

535 Ploščans’kyj: Torgovel’nyj gorod. Cerkvi, S. 283f.

536 CDIAL, F. 146, op. 1, spr. 208.

4) Eine allgemeine niederschlagende Furcht bey derselben, so bald man sie ins Auge fasste, und eine unbeschreibliche Ausgelassenheit, sobald man sie nicht zu bemerken schien, und den Blick von ihr wegwandte. Die wahren Symptome einer klassischen Behandlung von der einen, und des Mangels an Achtung von der andern Seite.

5) Hat man bey der zu verschiedenen Malen angestellten Prüfungen wahrgenommen, daß die Schüler des 1. Lehrers [vermutlich Iser Minden, BKY] in den Gegenständen mittelmässige Schritte gethan haben; die des 2. Lehrers aber, noch sehr zurück sind; welches um so befrem-dender ist, da man die Uiberzeugung hat, daß es dieser Lehrer Weinfeld an eigener Kultur nicht mangeln läßt. Die Schuld hieran schob der Lehrer auf die Nachlässigkeit der Gemeinvorste-her bey der nöthigen Unterstützung, wenn die Schüler den Unterricht nicht gehörig, und un-unterbrochen genießen wollen; diese aber schoben es gegentheils auf die Nachlässigkeit des Leh-rers: und ungeachtet Jacob Landau [Unterstreichung im Original], einer der Vorsteher, für einen Schulfreund, und Beförderer der öffentlichen Erziehung bekannt ist, so kann man den Mangel des guten Fortgangs gleichwohl nicht dem Lehrer ganz zur Last legen, wenn man betrachtet, daß die Vorsteher überhaupt dem deutschen Unterricht nicht zugethan sind, und alles anwenden, denselben wo nicht zu hindern, zum wenigsten nicht mit dem gehörigen Nachdruck betreiben zu lassen, und wogegen die Stimmen eines einzigen vernünftigen Vorstehers viel zu unkräftig ist, als daß er ihm Leben und Wirksamkeit zu ertheilen vermögend wären.

6) Gebricht es der Schule nun sehr am Raume, auch nur die Hälfte der muthmaßlich nach ei-nem genauen Verzeichnisse sich ergebende Anzahl der Schulfähigen aufzunehmen.

Der nun, auf allerhöchsten Befehl verordnete Unterricht für die sogenannten Behelfer, oder Assistenten der jüdischen Religionslehrer, verursacht in Ansehung des Schulraums eine neue Schwierigkeit; indem es deren daselbst über 150 gibt, die man nirgends unterbringen kann.“537 Aus diesem Bericht ersieht man, dass die 1784 eröffnete deutsch-jüdische Normalschule drei Jahre später eigentlich noch nicht so recht funktionierte. Homberg regte daher neben der Errichtung eines größeren Gebäudes auch die Einführung einer dritten Klasse an, eine not-wendige Voraussetzung für den Hauptschulstatus. Außerdem hielt er eine weitere deutsch-jüdische Schule, allerdings nur auf dem Niveau einer Trivialschule, in Brody für notwendig, da es nicht nur zu viele Schüler in der Grundstufe gab, sondern auch die Assistenten zu zahlreich waren. Es ist bemerkenswert, dass der Staat diese jiddisch „Belfer“ genannten Ge-hilfen im traditionellen jüdischen Chejder verpflichtete, eine weltliche Schule zu besuchen.

Das bedeutet erstens, dass die galizischen Kreisämter einen gewissen Überblick über die Zahl der Religionsschulen hatten und diese auch tolerierten. Zweitens zeigt sich, dass der Staat die 537 APKW, Teki Schneidera, 190, Bericht des jüdischen Schulaufsehers Herz Homberg von seiner Schul-APKW, Teki Schneidera, 190, Bericht des jüdischen Schulaufsehers Herz Homberg von seiner

Schul-bereisung nach Brody, ans Gubernium, 20.2.1788, Nr. 4363.

jüdische Bevölkerung nicht nur mittels der offiziellen deutschen Schulen umzuformen ver-suchte, sondern ebenso auf indirektem Weg über deren traditionelle Bildungsinstitutionen.

Hombergs Anregungen dürften tatsächlich umgesetzt worden sein, denn eine Aufstellung für die Schuljahre 1788/89 und 1789/90 weist unter den insgesamt 93 deutsch-jüdischen Schu-len Galiziens 91 TrivialschuSchu-len sowie zwei HauptschuSchu-len aus und zwar in Lemberg und Brody.

Geleitet wurde letztere von Iser Minden und zwei weiteren Lehrern, die insgesamt 150 Schü-ler und 56 Belfer unterrichteten (1788/89). Im darauf folgenden Schuljahr waren es sogar 213 respektive 61. Neben dieser jüdischen Hauptschule wurde aber zusätzlich noch eine deutsch-jüdische Trivialschule mit dem Lehrer J. Oesterreicher eingerichtet, der nur 56 (1788) bezie-hungsweise 123 (1789) Schüler betreute. Chejderassistenten hatte er keine zu unterrichten.538

Dieses deutsch-jüdische Bildungssystem wurde sowohl von der rabbinischen Orthodoxie als auch von chassidischer Seite abgelehnt, wobei aber zumindest das Verhältnis der Ortho-doxie ambivalent war. Der auch von Homberg gelobte Älteste der Brodyer Gemeinde, Jakob Landau, hielt 1784 bei der Eröffnung der Haupt(normal)schule eine Aufmunterungsrede an die jüdische Jugend.539 Das hinderte ihn jedoch nicht, sich im August 1790, kurz nach dem Tod Josephs II., einer Delegation an Kaiser Leopold II. anzuschließen, die um die Schließung aller galizischen deutsch-jüdischen Schulen bat. Man argumentierte, dass sie für die Gemein-den eine zu große finanzielle Belastung darstellten, dass das Schulpersonal die talmudischen Lehrinhalte verachte, für den Hebräischunterricht zu wenig Zeit bliebe und das gemeinsame Lernen von Buben und Mädchen unsittlich sei; der Schulbesuch solle daher nur freiwillig und für Mädchen gar nicht stattfinden. In einem mit 10. Dezember 1790 datierten Gutachten zu diesem Gesuch kritisierte Herz Homberg die, abgesehen von einigen wenigen Kaufleuten, generelle Ignoranz der galizischen Juden gegenüber den deutsch-jüdischen Schulen, insbe-sondere die ablehnende Haltung der Rabbiner. Er wies darauf hin, dass kleinere Gemeinden ohnehin nicht verpflichtet seien, solche Schulen zu errichten, und dass in Brody im Vergleich zu den hundert Religionslehrern und 73 Belfern die vier deutschen Lehrer nicht ins Gewicht fielen, die zudem nicht von der Gemeinde bezahlt würden,540 und schließlich dass die mo-ralischen Bedenken bei dem jungen Alter der Schüler irrelevant sei, obwohl eigene Mäd-chenschulen in seinen Augen ebenfalls wünschenswert wären.541 Letzteres wurde zumindest 538 CDIAL, F. 146, op. 85, spr. 1903, S. 112–117.

539 CDIAL, F. 146, op. 1, spr. 208, S. 13. Für eine genaue Analyse der Rede vgl. Sadowski: Haskala und Lebenswelt, S. 113–116.

540 Das kann eigentlich nicht stimmen, denn das deutsch-jüdische Schulsystem wurde generell sehr wohl von den galizischen jüdischen Gemeinden beziehungsweise vom von diesen gespeisten jüdischen Schulfond finanziert.

541 Wolf, G.: Zur Geschichte des jüdischen Schulwesens in Galizien, in: Allgemeine Zeitung des Juden-tums. Ein unparteiisches Organ für alles jüdische Interesse, Heft 15, 14.4.1887, S. 231–233 hier S. 231f.

teilweise umgesetzt, da 1792 in Brody eine deutsch-jüdische Mädchenschule errichtet wurde.

Wer die Kosten für diese Schule trug, ist unklar, da zufolge eines Hofkanzleidekrets vom 7.

August 1801 dem jüdischen Schulfonds aufgetragen wurde, „vorübergehend“ das Jahresgehalt der Lehrerin von 300 Gulden zu übernehmen – übrigens 50 fl. weniger als ihr männlicher Kollege Iser Minden 1790 verdiente.542

In welcher Straße die deutsch-jüdische Knabenschule genau untergebracht war, ist nicht bekannt. Wir wissen nur, dass die ersten beiden Klassen in Räumlichkeiten der Kultusge-meinde und die 3. Klasse in einem zugemieteten Privatraum unterrichtet wurden. Lage und Zustand der Klassenzimmer wurden vom Hauptlehrer Minden jedenfalls heftig beklagt.543 Die christliche Hauptschule dürfte zunächst in einem sehr schlechten Holzhaus eingerichtet worden sein. Laut einem Gutachten von 1783 sollte diese Schule gemeinsam mit dem Orden der Sœurs de la Charité in das aufzuhebende Dominikanerkloster am Ringplatz transferiert werden, was nach der Kreisbeschreibung von 1787 jedoch nicht geschehen sein dürfte. Zwar scheint der Frauenorden (gemeinsam mit seinen Kranken und wohl auch eventuellen Schüle-rinnen) tatsächlich dorthin übersiedelt sein, nicht aber die Normalschule. Nun wurde vorge-schlagen, die christliche und die jüdische Normalschule im hölzernen einstigen Gebäude der Soeurs de la Charité unterzubringen, das entgegen der ursprünglichen Absicht nicht zuguns-ten des Religionsfonds verkauft worden war.544

Wann die christliche Hauptschule ihr späteres Gebäude in der Schulgasse nahe der Fes-tungsmauer bezogen hat ist unklar; vermutlich bald nach 1811. In jenem Jahr bemühte sich das Kreisamt intensiv um die Anmietung eines neuen Gebäudes, wobei es sich bitter beklagte, dass Graf Potocki, der in seiner Funktion als Grundherr und Schulpatron sowohl bei der Su-che als auch bei der Finanzierung eines neuen Normalschulgebäudes mitzuwirken hätte, seine Pflichten vernachlässigte.545

Die Israelitische Realschule

Der auf lange Sicht bedeutendste Schritt zu Brodys Rolle als regionalem Bildungszentrum wurde mit der Eröffnung der Israelitischen Realschule am 8. Februar 1818 gesetzt.

542 ÖStA/AVA, Hofkanzlei, Protokollbuch Galizien 1801, S. 449f, 26 ex aug. 1801; Sadowski: Haskala und Lebenswelt, S. 139.

543 CDIAL, F. 146, op. 3, spr. 2278, Bericht des Oberlehrers der Brodyer Hauptschule, Minden, vom 18.11.1789.

544 ÖStA/AVA, Hofkanzlei, Ktnr. 232, II A 6, Gal., 108 ex dec. 1783 (II. Teil), ad 32; CDIAL, F. 726, op. 1, spr. 1332; ÖStA/AVA, Hofkanzlei, Ktnr. 402A, III A 5, Gal., 1787-März 1808, Kreisbeschreib. 1787, ad d.

545 APKW, Teki Schneidera, 190, Schreiben des Kreisamts ans Gubernium vom 6.1.1811, Zl. 9995.

Das große Vorbild war die von dem Aufklärer Joseph Perl (1773–1839) in Tarnopol 1813 eröffnete Israelitische Realschule. Tarnopol war zu jener Zeit kein Teil der Habsburgermonar-chie, da das Gebiet rund um die Stadt infolge des Schönbrunner Friedensvertrags von 1809 an Russland abgetreten werden musste. Der russländische Gouverneur dieses Gebiets Ignatz von Theyls (Tejl’s) unterstützte Perl in dessen Bemühungen um die Errichtung einer an den wirtschaftlichen Notwendigkeiten orientierten, vierstufigen Schule für jüdische Buben, be-ziehungsweise einer „Industrie-Klasse“ mit handwerklicher Arbeit für Mädchen. Anders als bei den gescheiterten deutsch-jüdischen Schulen der josephinischen Ära legte Perl besonderes Augenmerk auf die „hebräischen Gegenstände“. Er hatte richtig erkannt, dass nur solides Bibel- und Talmudstudium sowie guter Hebräischunterricht die Akzeptanz einer Schule un-ter der jüdischen Bevölkerung wachsen lassen würde. In den weltlichen Fächern waren zwar Stunden für Sittenlehre und Rechnen vorgesehen, der Schwerpunkt lag jedoch eindeutig beim Erlernen der Unterrichtssprache Deutsch. Dazu kamen anderere Sprache wie Polnisch, Jiddisch, Französisch und eventuell Russisch. Diese Schule in Tarnopol wurde in der Hoff-nung errichtet, für das östliche Europa als Modell zu dienen.

Tatsächlich wurde auf Anregung eines Hofdekrets, das Informationen über den Zustand der österreichischen Schulen einforderte, mit dem galizischen Gubernialdekret vom 12. Juni 1813 die Auskunft verlangt, ob nicht auch in Brody eine jüdische Realschule notwendig wäre.

In einem von den israelitischen Gemeindevorstehern am 24. Juni 1814 eingereichten Bericht wird der Hoffnung auf die Errichtung einer solchen Schule Ausdruck verliehen.546 Auch die Volksschuloberaufsicht war prinzipiell für die Errichtung einer Realschule, regte aber eine gemeinschaftliche, von der jüdischen und christlichen Gemeinde zu erhaltende Bürgerschule an. Gestützt auf einen Bericht des Złoczówer Kreishauptmanns äußerte sich der Gutachter des Landesguberniums zurückhaltend gegenüber letzterer Absicht und zwar mit dem Argu-ment, dass

„ad a) der christliche Handelsstand nur aus 18 inkorporirten Kaufleuten bestehe, dagegen aber der jüdische Handelsstand 190 wirkliche Kaufleute in sich fasse, daher

ad b) der erstere mit dem leztern eben so wenig in Verhältniß stehe – als überhaupt die christliche Bevölkerung in Brody ungemein kleiner als die jüdische seye. In Anbetracht dieses Unverhältni-ßes zwischen dem christlichen und jüdischen Bevölkerungs Standes zu Brody und in der weite-ren Ansicht, daß der christliche Handelsstand in seiner lezten Protokolls Äußerung bestimt die Abwigung zu erkennen gibt, seine Kinder an einem gemeinschaftlichen Unterrichte mit jenen der israelitischen Gemeinde Theil nehmen zu lassen daßselber auch übrigens nicht im Stande ist,

546 Neue Schule für Israeliten, zu Tarnopol in Galizien, in: Sulamith, eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter den Israeliten, IV, Bd. 2 (1812).

die Errichtung und Unterhaltungskösten einer eigenen dießfälligen Lehranstalt zu tragen, glaubt diese gehorsamste Landesstelle auf die Errichtung einer blos jüdischen Realschule [Unterstrei-chung im Original] in Brody um so mehr einrathen zu sollen“547

Dass die geringe Zahl an Christen in Brody ein Ablehnungsgrund für eine gemeinschaftlich finanzierte Realschule war, ist wenig erstaunlich. Das Argument, der christliche Handelsstand habe sich explizit einverstanden erklärt, seine Kinder auch in eine jüdische Schule zu schi-cken, ist hingegen sehr bemerkenswert und verweist erneut auf ein gutes Zusammenleben der Konfessionen. Christliche Händler hatten offenbar wenige Berührungsängste mit ihren jüdischen Standeskollegen, schließlich führten sie einen ähnlichen Lebenswandel und hatten ähnliche Wirtschafts- und Bildungsinteressen (vgl. Kap. V).

Per Studienhofkommissionsdekret vom 10. Juli 1815 wurde die Position des galizischen Gu-bernialgutachtens übernommen und die Errichtung einer zweistufigen jüdischen Realschule in Brody genehmigt.548 Die Kosten sollten teils aus einem einzuhebenden Schulgeld, teils aus einem ihrer Steuerklasse entsprechenden Beitrag der jüdischen Gemeindemitglieder und teils durch einen Aufschlag auf die Koscherfleischsteuer gedeckt werden. Dafür erhielt die Kultus-gemeinde das Recht, die die Schule leitenden Inspektoren selbst zu bestimmen und besaß bei der Lehrerauswahl ein Vorschlagsrecht. Die Stundentafel zeigt den Schwerpunkt der Schule auf wirtschaftskundliche Fächer wie Mathematik, Rechungswesen, Warenkunde und Fremd-sprachen (vgl. Tab. VII/1).549 Bei letzteren ist interessant, welche Bedeutung das Italienische als Handels- und Kultursprache in der Habsburgermonarchie noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts genoss. Zwar hatten einzelne, in erster Linie christliche, Handelshäuser Kon-takte nach Triest und nach Lombardo-Venezien, für Brody und dessen jüdische Händler mit ihren intensiven Beziehungen nach Osteuropa hätte man aber eher Polnisch oder Russisch als Fremdsprachen erwarten können. Ob letztere beide Sprachen durch kontinuierliche Han-delsreisen zu einem gewissen Ausmaß ohnehin beherrscht wurden, oder ob Jiddisch als lingua franca der Osteuropakaufleute hinlänglich ausreichte, ist nicht zu beantworten.

547 CDIAL, F. 146, op. 66, spr. 32, Gutachten von Neuhaus, Lemberg 31.3.1815, Zl. 12409/655, S. 16f.

548 CDIAL, F. 146, op. 66, spr. 32, Genehmigungsdekret der Studienhofkommission auf Grundlage des Gubernialberichts vom 31.3.1815 vom 10.7.185, Zl. 1575/400, S. 42–44.

549 CDIAL, F. 146, op. 66, spr. 32, S. 39.

Tab. VII/1: Stundentafel des 1. und 2. Jahrgangs der Israelitischen Realschule

Fächer des 1. Jahrgangs Std. Fächer des 2. Jahrgangs Std.

Moral nach Bne-Zion 2 Moral 2

Schriftliche Aufsätze 3 Schriftliche Aufsätze 3

Schönschreiben 3 Schönschreiben 2

Deutsche Sprachlehre mit Recht- und Dictando-Schreiben

3 Buchhaltungswissenschaft 3

Rechnen 3 Rechnen, Wechselrechnung und das

Nöthigste aus dem Wechselrechte

3 Erdebeschreibung und Weltgeschichte 4 Erdebeschreibung und Weltgeschichte 4

Naturgeschichte 2 Naturgeschichte und Waarenkunde 4

Zeichnen sammt dem Nöthigsten aus der Baukunst

4 Zeichnen 4

Französische Sprache 4 Französische Sprache 4

Italienische Sprache 5 Italienische Sprache 4

Gesamtstundenzahl 33 33

Quelle: CDIAL, F. 146, op. 66, spr. 32, S. 39.

Von diesem prinzipiellen Einwilligungsbeschluss bis zur feierlichen Eröffnung der Schule durch den Brodyer Bürgermeister Theodor Gruber am am 8. Februar 1818 vergingen aller-dings noch zweieinhalb Jahre intensiver Verhandlungen.550 Im Mai 1816 gab es einen Pro-testbrief mit rund 200 Unterschriften von Brodyer Juden, die auf die exorbitanten Kosten der Realschule und die ökonomischen Probleme der Stadt hinwiesen und um ein Ende des Schulprojekts baten.551 Obendrein hatte der Lemberger Kreisrabbiner Jakob Ornstein An-fang Mai 1816 einen kollektiven Bann gegen die Stadt ausgesprochen – er bezeichnete Brody

„als eine verführte Stadt“ mit deutschsprechenden Einwohnern – und sich entsetzt über die Schulgründungspläne gezeigt (vgl. Kap. V.3).552 Die Vermutung des Złoczówer Kreishaupt-manns, dass zwischen dem Bann und der Eingabe der Brodyer Juden ein ursächlicher

Zusam-550 Reden bei der feierlichen Eröffnung der Israelitischen Realschule zu Brody in Gallizien, gehalten am 8ten Februar 1818, in: Sulamith, eine Zeitschrift zur Beförderung der Kultur und Humanität unter den Israeliten, V, Bd. 2 (1818), S. 57.

551 CDIAL, F. 146, op. 66, spr. 33, Eingabe Brodyer Juden vom 29.5.1816, S. 55f, 61–67.

552 ÖStA/AVA, Kult. Min IV, T 5, ad Sept. 1816, zitiert in: Gelber: Toldot jehudej Brodi, S. 196, Fußnote 125.

menhang besteht, ist durchaus wahrscheinlich.553 Der Bannspruch war die härteste Sanktions-maßnahme, zu der eine jüdische Gemeinde greifen konnte, ähnlich der Exkommunikation in der Katholischen Kirche. Zwar stand der Lemberger Kreisrabbiner hierarchisch nicht über der Brodyer Gemeinde, ein solches Signal konnte jedoch nicht spurlos an den Gläubigen vorübergehen. Parallel dazu versuchten die Orthodoxen ein alternatives Schulprojekt ins Le-ben zu rufen, indem sie 1817 eine Jeschiwa (Talmudhochschule) gründeten. Diese wurde je-doch bereits ein Jahr später von den Behörden geschlossen, nachdem deren Leiter Rabbi Zvi Hersch Ha-Levi (auch Hirsch Heller) von aufgeklärten Juden angeschwärzt und des Landes verwiesen worden war.554

Auch die Auswahl der ursprünglich fünf vorgesehenen Lehrer verursachte Probleme und zog sich mehrere Jahre hin; dabei waren die Stellen österreichweit ausgeschrieben.555 Obwohl Sprachlehrer mit 500 Gulden Jahresgehalt556 nur halb soviel verdienten wie Hauptlehrer, gab es hier den größten Andrang. Um die Stelle des Französischlehrers bewarben sich immerhin fünf Kandidaten (von denen allerdings drei als ungeeignet bezeichnet wurden) und für die Italienischstelle drei, die sich auch gleichzeitig für das Französischlehramt beworben hatten.

Schließlich wurde der bisherige Kreislehrer Thomas Milowicz (Tomislav Milović, Tommaso Milovic), der in Zengg (ital. Segna, kroat. Senj) in Dalmatien geboren war, für beide Fremd-sprachen angestellt.557 Für die Unterrichtsfächer Moral, deutsche Sprachlehre, Aufsätze und Schönschreiben hatten sich in Lemberg drei Kandidaten dem Auswahlverfahren unterzogen, und ein Lehrer aus Böhmen hatte um Versetzung auf diese Stelle angesucht. Allerdings

Schließlich wurde der bisherige Kreislehrer Thomas Milowicz (Tomislav Milović, Tommaso Milovic), der in Zengg (ital. Segna, kroat. Senj) in Dalmatien geboren war, für beide Fremd-sprachen angestellt.557 Für die Unterrichtsfächer Moral, deutsche Sprachlehre, Aufsätze und Schönschreiben hatten sich in Lemberg drei Kandidaten dem Auswahlverfahren unterzogen, und ein Lehrer aus Böhmen hatte um Versetzung auf diese Stelle angesucht. Allerdings