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2.3 Titrationskalorimetrie

2.3.4 Datenanalyse

Es ist offensichtlich, daß Reaktionen mit großem K-Wert bei einer kleinen Gesamt-konzentration [P]tot des Proteins in der Meßzelle durchgeführt werden müssen. Weil die Verringerung der Proteinkonzentration und die damit einhergehende zwangsläufige Ver-ringerung der Ligandenkonzentration aber gleichzeitig die Wärmetönung der Reaktion so weit verringern kann, daß das Detektionslimit unterschritten wird, ist es in diesen Fällen nur möglich, die Stöchiometrie n und die Bindungenthalpie ∆H, nicht aber nicht die Bindungs-konstante K zu bestimmen.

gehemmt ist, wenn die Substratkonzentration auf Null extrapoliert wird. Üblicherweise werden Inhibitionskonstanten Ki, die sich reziprok zur Bindungskonstanten K verhalten, durch kinetische Experimente vermessen. Eine Möglichkeit ist die Messung von Katalysegeschwindigkeiten bei verschiedenen Substrat- und Inhibitorkonzentrationen und bei kompetitiver Hemmung des Enzyms. Durch spektroskopische Messung der Abspaltungsrate eines Chromophors vom Substrat wird die Reaktion verfolgt. Der Ki-Wert ergibt sich dann aus der Anwendung der Gleichungen der Michaelis-Menten-Kinetik. Diese spektroskopische Methode hat den Vorteil, daß nur sehr kleine Mengen an Substanz bei den Messungen verbraucht werden. Weil aber die Bindungskonstante nur bei ungefähr äquivalenten Konzentrationen (Produktkonzentration ≈ Ki) genau gemessen werden kann, sind die gemessenen Signale oft relativ klein, so daß signifikante Fehler auftreten können. Tame (1999) gibt an, daß Messungen von Ki-Werten mit Fehlern von bis zu 50% behaftet sein können.

Obgleich die van’t Hoff Enthalpie ∆HvH identisch zur kalorimetrisch bestimmten Enthalpie

∆H sein sollte, werden zahlreiche Beispiele zitiert, bei denen größere Differenzen zwischen den Enthalpien beider Bestimmungsmethoden beobachtet werden (Liu & Sturtevant, 1995;

Naghibiet al., 1995).

Weil die Änderung der Enthalpie ein nahezu ubiquitäres Kennzeichen für molekulare Wechselwirkungen ist, zeigen praktisch alle wichtigen Reaktionen ein meßbares kalorimetrisches Signal. Deshalb bietet die Titrationskalorimetrie die Möglichkeit der direkten Bestimmung nicht nur der Bindungskonstante sondern auch der Enthalpie, Entropie und Stöchiometrie mit nur einer Messung. Nur für Systeme, bei denen ∆H gleich Null ist, ergibt sich kein meßbares kalorimetrisches Signal.

Die Freie Bindungsenthalpie ∆G besteht nach der Gibbs-Funktion aus zwei energetischen Komponenten: Enthalpie∆H und Entropie∆S:

S T H G = ∆ − ∆

(Gleichung 2.17)

Bei den Größen ∆G, ∆H und ∆S handelt es sich immer um Standardgrößen unter Gleich-gewichtsbedingungen, also genau ∆G0, ∆H0 und ∆S0. Zur besseren Übersicht werden die Indizes im folgenden nicht berücksichtigt.

Über eine weitere Gleichung ist die Freie Enthalpie ∆G mit den verschiedenen Gleichgewichtskonstanten in Beziehung:

K

D

T R K T R

G = − ln = ln

(Gleichung 2.18),

wobei K die Bindungskonstante (oder auch Assoziationskonstante), KD die Dissoziations-konstante, T die absolute Temperatur und R die Gaskonstante sind.

[ ][ ] P [ ] PL L

K K

D

=

= 1

(Gleichung 2.19)

Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird diese Nomenklatur für die Bindungskonstante K und die Dissoziationskonstante KD beibehalten. Um die thermodynamisch bestimmten Dissoziationskonstanten eindeutig von den durch kinetisch-spektroskopische Messungen bestimmten zu unterscheiden, werden die letzteren als Ki-Werte bezeichnet. Die kinetisch bestimmten Ki-Werte sind den KD-Werten sehr ähnlich (siehe auch Diskussion der Ergebnisse in den Kapiteln 3 und 4).

D

i

K

K

(Gleichung 2.20)

K

i

T R G ≈ ln

(Gleichung 2.21)

Enthalpie.Es ist noch einmal wichtig klarzustellen, daß die mit einem ITC-Gerät gemessene Enthalpie ∆H die gesamte Wärmetönung des kompletten Systems darstellt. Das beinhaltet sowohl die Wechselwirkungen zwischen den reagierenden Molekülen als auch

Wärme-tönungen, die durch weitere Prozesse entstehen, zum Beispiel durch konformative Änderungen, Ionisierung von polaren Gruppen (siehe Kapitel 2.3.5) und Wechselwirkungen mit den anderen Pufferkomponenten. Wird bei der Datenanalyse die Bindungsisotherme ohne entsprechende Korrektur an die Meßpunkte angepaßt, so erhält man nicht die Enthalpie des eigentlichen Bindungsschritts, sondern eine um die überlagerte Reaktion modulierte Enthalpie.

Für den Fall, daß einer der beiden Reaktionspartner vor der Bindung in assoziierter Form vorliegt und vor der eigentlichen Bindung dissoziiert, sollte diese Dissoziationswärme nicht in die Bindungsdaten einbezogen werden. Außerdem kann ein solcher konzentrationsabhängiger Prozeß zu einer asymmetrischen Bindungsisotherme führen. Die Korrektur der Bindungsdaten um die Ionisierung einzelner Gruppen im Protein bzw. Liganden ist Gegenstand des nächsten Kapitels und soll an dieser Stelle deshalb nicht weiter diskutiert werden.

Bindungskonstanten. Es ist zu beachten, daß Messungen im Bereich der Gleichgewichts-thermodynamik keine Aussagen über die Geschwindigkeit einer Assoziation machen können, d.h. daß hier nicht die Kinetik einer Bindung betrachtet wird, sondern die energetischen Änderungen, die sich auf den Wechsel zwischen zwei Zuständen beziehen. In einem ITC-Experiment wird die Abgabe (exothermer Prozeß) bzw. die Aufnahme (endothermer Prozeß) von Wärme registiert. Der Grad der Wechselwirkungen wird durch das Massenwirkungs-gesetz (Gleichung 2.19) mit der Bindungskonstanten K beschrieben.

Die Wärmemessungen sind analog zu den Messungen, die verschiedene physikalische Eigenschaften messen, um die Bindungskonstante K zu bestimmen. In spektroskopischen Methoden wird das Ausmaß der Reaktion zum Beispiel anhand von Änderungen in der Absorption oder Fluoreszenz einer chromogenen Komponente verfolgt. Die Eigenschafts-änderungen werden bei verschiedenen molaren Verhältnissen zwischen Ligand und Protein von Null bis zu einem großen Überschuß gemessen.

Um das Gleichgewicht zu beschreiben, ist es notwendig, bei Konzentrationen zu arbeiten, bei denen signifikante Mengen von freiem Liganden, freiem Protein und dem Komplex vorhanden sind. Bei der ITC wird das Bindungsexperiment mit Konzentrationen oberhalb der Dissoziationskonstante KD durchgeführt. Nur bei den höheren Konzentrationen kann die Bindungskonstante K und somit auch die Freie Enthalpie ∆G aufgrund des sigmoiden

Kurvenverlaufs der Bindungsisothermen bestimmt werden (vergleiche auch die Argumen-tation in Kapitel 2.3.2 bezüglich der Gleichung 2.15). Sind die Konzentrationen im Verhältnis zur Dissoziationskonstanten zu hoch, sind im sigmoiden Bereich der Bindungsisothermen zu wenige Meßpunkte zur präzisen Kurvenanpassung vorhanden. Bei zu niedrigen Konzentrationen wird die Bindungsisotherme nahezu eine horizontale Kurve, die keine präzisen Informationen bezüglich der Bindungskonstanten K mehr in sich trägt (Abbildung 2.18).

Entropie.Nach der Bestimmung der Enthalpie∆H und der Bindungskonstanten K durch eine ITC-Messung wird der entropische Beitrag ∆S mit Hilfe der Gleichungen 2.17 und 2.18 berechnet. Dabei macht man sich zunutze, daß die Freie Enthalpie ∆G proportional dem natürlichen Logarithmus der Bindungs- bzw. Dissoziationskonstanten ist. Da bei konstanter Temperatur gemessen wird, kann der Anteil -T∆S aus der Differenz von Freier Enthalpie∆G und Enthalpie ∆H mit Hilfe von Gleichung 2.17 bestimmt werden. Wie schon bei den Betrachtungen über die Enthalpie beschrieben (siehe oben), sind auch in dem Term der Entropie alle Beiträge des gesamten Systems in der Meßzelle enthalten.

Stöchiometrie. Ein weiterer Vorteil der ITC-Methode für die Untersuchung von bio-molekularen Wechselwirkungen ist die Möglichkeit, die Stöchiometrie der Umsetzung direkt aus der Bindungsisothermen zu bestimmen, wenn mit Konzentrationen oberhalb der Dissoziationskonstanten KDgemessen wird. Eine obere Grenze für die Konzentrationen muß hierbei nicht eingehalten werden, wenn am Ende des Titrationsexperimentes die Gesamt-konzentration des Liganden (gebunden und ungebunden) oberhalb der GesamtGesamt-konzentration des Proteins (unkomplexiert und komplexiert) liegt, weil nur dann eine Stufenfunktion erhalten wird, an der sich die Stöchiometrie direkt ablesen läßt (siehe Abbildung 2.18). Ist die Konzentration zu niedrig bezüglich der Dissoziationskonstanten KD (vergleiche c-Wert aus Gleichung 2.15), geht die Bindungsisotherme von einer sigmoiden Kurve in eine fast horizontale Kurve über, die keine exakten Informationen über die Stöchiometrie mehr zuläßt (Abbildung 2.18).

Durch Benutzung von Standardsoftware zur Datenanalyse bei der ITC wurden für die Wechselwirkung vom trp Repressorprotein mit einem Oligonucleotid (trp-Operator) durch die Anpassung der Bindungsisothermen an die Meßwerte zwei unabhängige Bindungsmodi gefunden (Ladburyet al., 1994).

Änderung der Wärmekapazität. Die ITC erlaubt die direkte Messung der Bindungs-enthalpie ∆H. Bestimmt man die Bindungsenthalpie einer Reaktion über einen Temperatur-bereich, so kann die Änderung der Wärmekapazität bei konstantem Druck unter der Voraussetzung, daß ∆Cp temperaturunabhängig ist, durch folgende Gleichung ausgedrückt werden:

1 2

1 2

T T

H C

p

H

T T

= ∆

(Gleichung 2.22)

T1 und T2 sind hierbei zwei verschiedene experimentelle Temperaturen und ∆HT1 und ∆HT2

die dazugehörigen Enthalpiewerte. Wenn die ∆H-Werte für eine Reihe von Titrations-experimenten gegen die korrespondierenden Temperaturen aufgetragen werden, so bestimmt die Steigung des Graphen den∆Cp-Wert.

Daß biologische Reaktionen fast immer zu einer Veränderung der Wärmekapazitäten führen, hat auch eine praktische Bedeutung für die ITC-Experimente. Ist das Signal für die Enthalpie bei der Meßtemperatur zu klein, um eine präzise Aussage über die Bindungsdaten zu machen, kann die Reaktion bei einer anderen Temperatur durchgeführt werden, um eine vollständig auswertbare Bindungsisotherme zu erhalten.