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Das Verständnis der Allmacht Gottes: Wunder und Weissagung

TEIL 4 DAS KANONVERSTÄNDNIS BEI CALVIN ALS VORAUSSETZUNG FÜR

4.3 Das Verständnis der Allmacht Gottes: Wunder und Weissagung

Gottes Allmacht im Sinne der potentia absoluta ist auch seine Macht, Wunder zu tun und durch Weissagungen zu wirken. So wie die Bibel davon berichtet, bekräftigen Wunder und Weissagungen nach Calvin die Autorität der Schrift. Sie sind „Stützen“ des Zeugnisses des Heiligen Geistes, aber keine Beweise an und für sich (vgl. Institutio I, 8, 13). Als solche aber wollen sie eigens gewürdigt werden. Ich tue das, indem ich Calvins exemplarische Interpretation einiger Wundergeschichten und Weissagungen in Institutio I, 8, 5-8 daraufhin befrage, wie sie die Autorität der Schrift unterstreichen sollen.

735 Den Sinn der Rede vom „Mund des Herrn“ stellt Calvin im Kommentar zu Num 9,18 folgendermaßen dar:

„Das bedeutet, dass sie sich nach seinem Wort richteten. (…) Und im übrigens zweifle ich nicht, dass auch dem Zeichen die Bedeutung einer Rede beigelegt wird; denn Gott spricht ebenso gut durch äußere Zeichen zu den Augen wie durch Worte zu den Ohren. Man darf aus dieser Redeweise schließen, dass die Bedeutung heiliger Zeichen ins Gegenteil verkehrt und zu nichte gemacht wird, wenn man sie nicht, um einen Ausdruck Augustins zu gebrauchen, als ein ‚sichtbares Wort’ wertet“. E. Quack, Auslegung, Bd. 3, 174.

736 CO 43, 1; Am 1,1; Deus enim ipse suscitat prophetas, et utitur eorum opera.

737 CO 44, 126; Sach 1,1; [...], qui [sc. doctores] sustinent pulicam personam.

738 CO 43, 282; Mi 1,1; [...], ut sustineat persona ipsius Dei

739 CO 43, 282; Mi 1,1; de privata doctrina u. CO 44, 126; Sach 1,1.

740 OS V, 135, 19ff.; IV, 8, 3; Certe illis universis legem dicit. Est autem eiusmodi, quod non patitur quenpiam plus docere quam iussus fuerit. Et postea paleam vocat quicquid a se uno profectum non est.

741 Vgl. CO 42, 517 ; Joel 1,1; Iam quod dicit se tradere verbum Domini, observatu dignum est: quia ostendit se nihil privatim sibi sumere, quasi vellet regnare ex proprio sensu, et subiicere alios suis commentis.

742 Vgl. CO 43, 178f.; Obd 1,1; Quum ergo dicit Obadias hanc esse visionem, perinde est ac si assereret se non temere proforre sua somnia, vel quod ipse ex coniecturis, vel humanis rationibus habeat, sed tantum afferre oraculum oceleste, [...].

743 Vgl. CO 43,1; Am 1,1; Deus enim ipse suscitat prophetas, et utitur eorum opera; sed interim dirigit eos suo spiritu, ne quid proferant nisi ab ipso acceptum, ut fideliter quasi per manus tradant quod ab ipso solo profectum est. CO 43, 282f.; Mi 1,1; [...] quia scilicet nihil affert proprium, sed quod Dominus proferre iussit.

4.3.1 Wunder als Bestätigungen der göttlichen Urheberschaft der Offenbarung Für Calvins Wunderverständnis sind seine Kommentare zu den Wundern, die bei der Gesetzgebung Gottes auf dem Berg Sinai geschahen (vgl. Ex 19, 1744; Ex 19, 16.18745), lehrreich. Calvin fragt, „warum Gott seine Gesetzgebung durch so viele Wunder bekräftigt hat“746. Seine Antwort ist, dass Menschen ohne Wunder das Gesetz als Gottes Wort nicht annehmen können (vgl. Hag 2,6 u. Ps 18,7-9), weil sie „träg, stumpfsinnig und stolz“ sind.

Deshalb löst das Wunder erstens „Furcht und Zittern“ vor Gott bei ihnen aus. Ihre Gotteserkenntnis führt zugleich zu der Selbsterkenntnis, dass sie Sünder sind. Weiter: Das Wunder verursacht Gottesgewissheit und Vertrauen auf Gott: „Denn nichts kann uns so sehr dazu treiben, das Vertrauen und die Gewissheit unseres Herzens auf den Herrn zu werfen, als das Misstrauen gegen uns selber und die Angst, die aus dem Bewusstsein unserer Not in uns aufkommt“747. Darum: Das Wunder veranlasst dazu, Gott zu verehren. Das Volk soll sich „im Gebet vor Gott“ beugen.748

Die Kommentare Calvins zur Verleihung der Zehn Gebote (vgl. Ex 34,28 und 31,18) interpretieren das vierzigtägige Fasten von Moses als Wunder, das diesem Menschen übermenschliche Kraft gibt. Es verleiht ihm damit – bekräftigt durch einen „strahlenden Glanz“ (Ex 34,29)749 – die Autorität eines Gesandten Gottes. „Wenn Mose nur wenige Tage auf dem Berge geblieben wäre, so wäre seine Autorität nicht so unwiderruflich durch das strahlende Wunder bekräftigt worden. Die 40 Tage jedoch bewirkten die volle Glaubwürdigkeit seiner Mission, auf dass das Volk wissen sollte, dass er von Gott gesandt war. Denn eine so lange Zeit Hunger auszuhalten ging über das Menschenmögliche hinaus“750. Das Wunder erzielt denn auch beim Volk den gewünschten Effekt: Sie erkennen Moses als Beauftragten Gottes an und vertrauen seiner Mitteilung, dass das von ihm mitgebrachte Gesetz Gottes Wort ist.

Im Unterschied zu den Zauberern, die sich durch ihr „Gaukelspiel“ selbst Anerkennung verschaffen wollen, dient das Wunder also dazu, die Beauftragung des Gesandten Gottes zu unterstützen751 und die Zustimmung der Menschen, an die sie sich wenden, zu befördern: „Auch ist der Erwähnung wert, daß bei jeder Erzählung von Wundern

744 Ex 19,1: Im dritten Monat nach dem Auszug der Söhne Israel aus dem Land Ägypten, an eben diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai.

745 Ex 19,16.18: Und es geschah am dritten Tag, als es Morgen wurde, da brachen Donner und Blitze los, und eine schwere Wolke <lagerte> auf dem Berg, und ein sehr starker Hörnerschall <ertönte>, so dass das ganze Volk, das im Lager war, bebte. […] Und der ganze Berg Sinai rauchte, weil der HERR im Feuer auf ihn herabkam. Und sein Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens, und der ganze Berg erbebte heftig.

746 CO 24, 194; Ex 19,1; Nunc tenemus cur legis promulgatio tot miraculis sancita fuerit.

747 OS IV, 33, 14ff.; III, 2, 23; Enimvero nihil tam nos ad fiduciam certitudinemque animi in Dominum reiiciendam expergefacit quam nostri diffidenita, et concepta ex conscientia nostrae calamitatis anxietas.

748 Vgl. CO 24, 201; Ex 19,16; nempe ut suppliciter populus coram Deo se prosterneret, foedusque sibi propositum sancte amplexaretur: quia nunquam penetrat in animos religio, ut serio Dei verbum recipiant, donec purgatis ac correctis vitiis probe subacti fuerint.

749 Ex 34,29: Es geschah aber, als Mose vom Berg Sinai herabstieg – und die beiden Tafeln des Zeugnisses waren in Moses Hand, als er vom Berg herabstieg –, da wußte Mose nicht, daß die Haut seines Gesichtes strahlend geworden war, als er mit ihm geredet hatte.

750 CO 25, 116; Ex 34,28; Si paucis tantum diebus in monte retentus esset, non ita illustri miraculo sancita fuisset eius autoritas. Quadraginta vero dies plenam eius legationi fidem fecerunt, ut sciret populus divinitus esse missum: quia tam longi temporis ieiunium ferre, modum humanae natruae excessit.

751 Vgl. OS III, 75, 27ff.; I, 8, 6; Sed qua coniectura magum fuisse insimulant qui tantopere ab hac superstitione abhorret, ut lapidibus obruere iubeat qui tantum consuluerit magos et ariolos [Levit. 20. a. 6]? Certe nemo impostor praestigiis ludit qui non obstupefacere vulgi animos studeat captandae famae causa. Quid autem Moses? se et fratrem Aharonem nihil esse clamans, sed tantum exequi quae Deus praescripsit [Exod. 16. b. 7], satis abstergit omnem sinistram notam. Die Erklärung von P. Tillich über den Unterschied zwischen Zauber und Wunder ist in diesem Zusammenhang angebracht: „Was einen nicht erschüttert und nur Staunen erregt, hat keine Offenbarungsmacht. Was einen erschüttert, ohne auf das Seinsgeheimnis hinzuweisen, ist nicht Wunder, sondern Zauberei.“ Ders., Systematische Theologie, Bd.1, 142.

zugleich strafend solche Dinge mit berichtet werden, die das ganze Volk zum Einspruch (gegen die Wahrheit des Berichtes) hätten aufstacheln müssen, wenn dazu der geringste Anlaß vorgelegen hättte! Daraus erhellt, daß diese Menschen durch nichts anderes zur Zustimmung gebracht wurden als eben dadurch, daß sie auf Grund eigener Erfahrung mehr als genug überzeugt waren“752. Es löst Erschütterung und Staunen aus und führt zu „lauter Bestätigungen“753 der von Moses verkündigten Lehre und der Autorität ihres Verkündigers754 (vgl. Num 16,24: Num 20,10-11; Ex 17,6: Num 11,9; Ex 16,13). Die Eingebung der Offenbarung geschieht nicht auf wunderbare Weise, sondern Wunder bestätigen die Offenbarung.

4.3.2 Weissagungen unter der Vorsehung Gottes

Calvin geht beim Verständnis der Weissagungen davon aus, dass Weissagungen unbegreiflich sind. Deshalb sagt er im Kommentar zu Gen 49,10 (Weissagung über den Stamm Juda), dass

„diese Stelle zwar dunkel war“755, dass jeder vernünftige Mensch aber dennoch in der Lage ist, die Weissagung zu verstehen, wenn er auf ihre Erfüllung blickt. Alles, was in der Schrift geweissagt wurde, ging in Erfüllung. Das bestätigt die Autorität der Schrift. Es bestätigt, dass die Schrift von Gott stammt. Sie ist „ein klarer Spiegel, in dem Gott deutlich erscheint“756. Auch wenn die in ihr bezeugten Weissagungen zunächst mehr verheißen, als Menschen zu verstehen vermögen, unterstützen sie am Ende das Zeugnis des Heiligen Geistes. Calvins Verständnis der Weissagung beruht deshalb auf der Glaubenseinsicht: Die erst unwahrscheinlich scheinende Weissagung geht tatsächlich in der Geschichte der Menschen in Erfüllung.

Hier bezieht Calvin die dynamische Spannung zwischen dem ewigen Ratschluss Gottes und seiner Ausführung durch Menschen mit in seine Überlegungen ein. Er sieht die Weissagung nicht als abstraktes Eindringen einer übernatürlichen Macht in die zeitliche Geschichte der Menschen an, sondern als konkrete Leitung menschlichen Redens durch Gottes Geist und das Walten seiner Vorsehung, die diesem Reden und damit auch ihrer schriftlichen Gestalt Autorität verleiht.757 Die Weissagungen wie die Wunder, von welchen die Schrift berichtet, geben damit dem Menschen, der seine Vernunft gebraucht, Anhaltspunkte für die Autorität der Schrift. Aber erst der geistgewirkte Glaube vermag diese Autorität wirklich anzuerkennen. „Töricht handelt aber, wer den Ungläubigen beweisen will, die Schrift sei Gottes Wort. Denn das kann ohne den Glauben nicht erkannt werden!“758 Ohne den geistgewirkten Glauben führt auch die Anerkennung der Macht Gottes bei den in der Schrift von ihr bewirkten Wundern und erfüllten Weissagungen nicht zur Anerkennung der Autorität der Schrift. Gottes in der Schrift bezeugte potentia absoluta verleiht der Schrift

752 OS III, 75, 20ff.; I, 8, 6; Nam et hoc notatu dignum, quoties narrat de miraculis, simul odiose coniungi quae totum populum stimulare ad reclamandum poterant si vel minima fuisset occasio; unde apparet non aliter ut subscriberent fuisse adductos, nisi quia plus satis convicti erant sua experientia.

753 OS III, 74, 34f.; I, 8, 5; Iam vero tot ac tam insignia quae refert miracula, totidem sunt Legis ab ipso latae proditaeque doctrinae sanctiones.

754 Vgl. OS III, 75, 10f.; I, 8, 5; nonne hinc Deus ipsum caelitus commendabat tanquam indubium Prophetam?

755 CO 23, 958; Gen 49,10; Quanquam obscurus est hic locus, […]

756 OS III, 76, 29f.; I, 8, 7; Breviter, unum canticum [Deut. 32] illustre speculum est in quo Deus evidenter apparet.

757 „Mußte da nicht seine Zunge vom Geiste Gottes geleitet sein? Wie unverschämt wäre es, wenn man leugnen wollte, dass durch derartige Beweise die Autorität der Propheten bekräftigt und auf diese Weise erfüllt worden wäre, was sie selber anführen, um ihrer Rede die Glaubwürdigkeit zu sichern!“ in: OS III, 77, 12ff.; I, 8, 8; Cuius impudentiae erit negare talibus documentis sancitam fuisse Prophetarum authoritatem, adeoque impletum esse quod ipsi iactant ad vindicandam sermonibus suis fidem?

758 OS III, 81, 25ff.; I, 8, 13; Sed inepte faciunt qui probari volunt infidelibus, Scripturam esse verbum Dei: quod nisi fide, cognosci nequit.

keine göttliche Qualität. In ihr ist alles auf die Erweckung des Glaubens durch den Heiligen Geist ausgerichtet.

4.4 Die Überlieferungsgeschichte der Heiligen Schrift unter der besonderen