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4.2.1 Übersicht über das Anforderungsmodell

Ein Anforderungsmodell soll vollständig und gleichzeitig übersichtlich sein. Sinnvollerweise verwen-det man daher drei verschiedene Darstellungen:

Eine Übersicht, welche die Namen der Ziele und Anforderungen in ihrem Zusammenhang zeigt, z.B. als Tabelle (insbesondere bei komplexen, stark ”vernetzten” Graphen) oder als Graph (bei weniger komplexen Modellen). Graphen haben gegenüber Tabellen bei kleineren Modellen im all-gemeinen die größere Anschaulichkeit und werden daher auch in anderen Bereichen gerne ver-wandt (z.B. bei Entscheidungsbäumen im ”Operations Research”). Ab einer gewissen Komplexität des Modells wird aber die grafische Darstellung unübersichtlich, und es muß auf miteinander ver-knüpfte Tabellen zurückgegriffen werden. Es ist auch möglich, jeweils Teilgraphen (statt des ge-samten Graphen) grafisch darzustellen.

Eine vollständige Darstellung, welche jedes Element der Übersichtsdarstellung referenziert und die zugehörigen Eigenschaften (vgl. Tabelle 3-2 für Ziele und Tabelle 3-3 für Anforderungen) auf-listet. Unbedingt notwendig ist diese für die Anforderungen in den Blättern des Graphen, welche letztlich konkret angewandt werden sollen (z.B. für Bewertungen).

Sowie eine ergänzende Darstellung, welche Rahmenbedingungen wie Interessengruppen, Anwen-dungszweck, Hinweise zu Bewertungen, Begründungen für den Aufbau des Anforderungsmodells, allgemeine Definitionen etc. enthält.

Jedes Ziel bzw. jede Anforderung sollte einen eindeutigen Index haben, der so gewählt ist, daß Ele-mente mit höherem Detaillierungsgrad einen höheren Index haben als solche mit geringerem Detail-lierungsgrad.

Ausführliche Beispiele finden sich in Kapitel 5 .

Tabelle 4-12 stellt einige Publikationen von Anforderungsmodellen beispielhaft gegenüber, weitere Beispiele finden sich in Kapitel 2.

Anwendungszweck Quelle Aufbau

Auswahl von Pflegeinformati-onssystemen

[GMDS et al. 1996] (S. 12 ff.) 5 Hierarchieebenen mit ca. 120 Anforderungen

Auswahl eines

Dienstplanprogrammes

[Agnes Karll Institut für Pflege-forschung 1995] (S. 159 ff)

3 Hierarchieebenen mit ca. 110 Anforderungen

Auswahl von Klinischen Arbeitsplatzsystemen

[Gierl L et al. 1999] 3 Hierarchieebenen mit ca. 700 Anforderungen

Pflichtenheft für rechnerge-stützte Krankenhausinformati-onssysteme

[Boese J et al. 1994] (S. 189 ff) 4 Hierarchieebenen mit ca. 800 rein funktionalen Anforderungen

Tabelle 4-12: Beispiele für vorhandene Anforderungsmodelle.

Gut erkennbar ist die starke Zunahme der Anzahl der Anforderungen mit zunehmender Hierarchie-ebene. Die genannten Publikationen wählen jeweils die Übersichtsdarstellung als einzige Präsenta-tionsform der Anforderungen aus.

4.2.2 Festlegen der möglichen Ausprägungen der Blattanforderungen

Die Blattanforderungen (also die Anforderungen ohne Unterelemente) werden eingesetzt zu Bewer-tungs- und Vergleichszwecken. Während bei den übrigen Elementen eines Anforderungsmodells je-weils Name und Erläuterung genügen, müssen daher bei den Blattanforderungen mindestens das Be-wertungskriterium und die möglichen Ausprägungen angegeben werden. Dies erfolgt sinnvollerweise nach Abschluß der Aufstellung des Anforderungsmodells.

Bei der Formulierung der Bewertungskriterien und seiner möglichen Ausprägungen sollten folgende Punkte besonders berücksichtigt werden:

• das Kriterium muß konkret genug formuliert sein, um überprüfbar zu sein; ist dies nicht möglich, sollten die Anforderungen in Unteranforderungen aufgeteilt werden;

• das Kriterium soll so formuliert sein, daß eindeutig klar ist, was gemeint bzw. was zu überprüfen ist;

• das Kriterium sollte genau einen Aspekt abdecken; passen mehrere Aspekte zu einer Anforderung, sollte diese zunächst in Unteranforderungen aufgeteilt werden;

• die möglichen Ausprägungen des Kriteriums sollten in etwa gleich weit auseinander liegen, um Verzerrungen bei den Ergebnissen der Bewertung zu vermeiden;

• jede mögliche Ausprägung sollte in der Realität prinzipiell auch auftreten können;

• die möglichen Ausprägungen sollten so formuliert werden, daß die Ausprägung auf der Mitte der Skala im allgemeinen am häufigsten auftreten wird;

• die möglichen Ausprägungen sollten so formuliert sein, daß sie disjunkt sind; bei einer Bewertung sollte die Zuordnung der beobachteten Realität zu einer Ausprägung damit eindeutig sein;

• statt der Ausformulierung jeder möglichen Ausprägung kann es bei größeren Skalen auch sinnvoll sein, nur den beiden Extremwerten eine klartextliche Bezeichnung zu geben, wie es z.B. beim ISO-Bogen zur Softwareergonomie gemacht wird ([DIN 1996]);

Zu diesen und verwandten Problemen bei Messungen und Skalenbildung gibt es zahlreiche Literatur (z.B. [Friedman CP et al. 1997], [Issac S et al. 1989], [Thorndike R et al. 1977], [Lienert GA 1969]), daher wird auf vertiefende Ausführung an dieser Stelle verzichtet.

4.2.3 Festlegen der Gewichtungen

Soll eine gewichtete Bewertung der Anforderungen und Ziele erfolgen, muß für jedes Element des Anforderungsmodells eine Gewichtung vergeben werden.

Dabei sollten jeweils die Gewichte der Unterelemente eines Elements in der Summe 1 ergeben. Dies hat den Vorteil, daß bei Wahl einer additiven Verrechnungsfunktion die gewichtete Bewertung eines Oberelements einen interpretierbaren Wert ergibt - sie ist dann nämlich der gewichtete Mittelwert seiner Unterelemente.

Die konkrete Vergabe der Gewichtungen kann auf zwei Arten erfolgen. Dabei wird top-down vorge-gangen, wenn eine Gewichtung der Blattanforderungen a priori nicht bekannt ist, sondern schrittweise ermittelt werden soll. Das Bottom-up-Vorgehen bietet sich an, wenn die Blattanforderungen bereits fest gewichtet werden können. Die beiden Vorgehensweisen sehen dabei wie folgt aus:

Top-down-Vorgehen: Ausgehend von der Wurzel des Anforderungsmodells, werden jeweils die Teilelemente eines Elements gewichtet unter Berücksichtigung der Bedingungen, daß die Summe ihrer Gewichte jeweils 1 (entsprechend 100%) sein sollte.

Abbildung 4-1 zeigt ein Beispiel: zuerst werden die Knoten der zweiten, dann der dritten Ebene ge-wichtet. Die Summe der Unterelemente eines Elements ist 1. Das Element mit zwei Oberelementen bekommt zwei verschiedene Gewichtungen (es trägt in verschiedenem Maße zur Erfüllung seiner

beiden Oberelemente bei, dies ist in der folgenden Abbildung durch die Vergabe von zwei Gewich-tungen demonstriert).

1

0,2 0,3 0,5

1

0,2 0,3 0,5

0,8 0,2/0,5 0,2 0,3

Abbildung 4-1: Top-down-Vergabe von Gewichtungen im Graphen eines polyhierarchischen Anforderungsmodells.

Dargestellt ist der Graph eines Anforderungsmodells. O = Ziel bzw. Anforderung. Die Zahl gibt die Gewichtung des Knotens an. Es sind beispielhaft Schritte bei der top-down-Vergabe von Gewichtungen dargestellt. Erläuterungen im Text.

Bottom-up-Vorgehen: Hier müssen zwei Schritte erfolgen. Zuerst werden die Blattanforderungen unter Benutzung einer festen Skala (z.B. von 0 - 3) gewichtet und die Gewichtungen der Oberele-mente dann schrittweise durch Mittelwertbildung der Gewichte ihrer jeweiligen UntereleOberele-mente er-mittelt. In einem zweiten Schritt werden dann diese absoluten Gewichte in relative Gewichte umge-rechnet, wobei die Summe der Gewichte der Unterelemente wiederum 1 (entsprechend 100%) sein sollte. Hierzu werden die absoluten Gewichte dividiert durch die Summe der absoluten Gewichte der Unterelemente (Bsp.: Die beiden Unterelemente eines Elements mit den absoluten Gewichten 1 und 3 werden umgerechnet in 1/4 und 3/4).

Abbildung 4-2 zeigt ein entsprechendes Beispiel.

1 3/1 2 3

1 2 3

2 2

2 2

2

0,25 0,75/0,167 0,33 0,5

2 2

2 2

0,25 0,33 0,5

0,33 0,33 0,33

1

3/1

0,75/0,167

Abbildung 4-2: Bottom-up-Vergabe von Gewichtungen im Graphen eines polyhierarchischen Anforderungsmodells.

Dargestellt ist der Graph eines Anforderungsmodells. O = Ziel bzw. Anforderung. Die Zahl gibt die Gewichtung des Knotens an. Es sind beispielhaft Schritte bei der Bottom-up-Vergabe von Gewichtungen dargestellt. Erläuterungen im Text.

Die eigentliche Gewichtung wird jeweils individuell, je nach Einsatzzweck und beteiligten Interes-sengruppen festgelegt. Elemente, die mehrere Oberelemente haben, erhalten durch das beschriebene Vorgehen verschiedene Gewichtungen - je nachdem, auf welches Oberelement sich die Betrachtung gerade bezieht. Dies macht inhaltlich Sinn, da das betrachtete Element unterschiedlich stark zu seinen verschiedenen Oberelementen beitragen kann.