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Die Möglichkeiten, Anforderungsmodelle anzuwenden, sind vielfältig (vgl. Tabelle 4-1). Ziel der Anwendung kann es sein, vor dem Hintergrund eines Anwendungszwecks eine bestimmte Aussage zu machen - z.B. über die Qualität der Informationsverarbeitung oder über das für einen Bereich opti-male Softwareprodukt. Hier geht es also darum, eine Endzahl aus der Überprüfung der einzelnen An-forderungen zu erhalten, indem einzelne Werte miteinander verrechnet werden. Alternativ kann das Ziel sein, sich eine Übersicht über die Erfüllung einzelner Teilgraphen zu machen - in diesem Fall ist die Verwendung von Profilen besonders geeignet (siehe Kapitel 4.3.4).

Bei allen Anforderungsmodellen werden die Bewertungen der Unterelemente verrechnet, um die Be-wertung des Oberelements zu erhalten. Es werden so die BeBe-wertungen der Unterelemente ”nach oben hin” miteinander verrechnet, bis letztlich ein Wert für die Wurzel des Graphen ermittelt werden kann.

Als Zwischenprodukte erthält man dabei auch die Bewertungen der Anforderungsknoten sowie aller Ziele.

4.3.1 Festlegen von Normierungs-, Gewichtungs- und Verrechnungsfunktionen

Die Normierungs-, Gewichtungs- und Verrechnungsfunktionen hängen vom geplanten Anwendungs-zweck des Anforderungsmodells ab. Sie werden daher erst an dieser Stelle festgelegt. Folgende Schritte sind beim Vorliegen eines Anforderungsmodells vor der eigentlichen Durchführung der Be-wertung durchzuführen:

Festlegen der Normierungsfunktionen α

Die Normierungsfunktionen sollen die tatsächlichen Ausprägungen jeder Anforderung auf eine ge-meinsame Skala abbilden (siehe Kapitel 3.3.3). Hierfür muß für alle möglichen Ausprägungen aller Blattanforderungen die Abbildung auf eine gemeinsame Skala festgelegt werden.

Die Skala selber kann intervallskaliert sein (z.B. 0 - 3 oder 1 -5), oder ordinalskaliert (z.B. ”nicht er-füllt”, ”teilweise erer-füllt”, ”ganz erfüllt”). Die möglichen Ausprägungen müssen dann jeweils einem Wert dieser Skala zugeordnet werden.

Vor Anwendung eines Anforderungsmodells müssen also folgende Informationen vorhanden sein:

• Menge aller möglichen Ausprägungen für alle Blattanforderungen;

• Festlegung einer normierten, quantitativen Skala;

• Abbildung aller möglichen Ausprägungen auf jeweils einen Wert der Skala (Normierungsfunktio-nen).

Festlegen der Gewichtungsfunktionen β

Die Gewichtungsfunktionen gewichten die normierten Bewertungen von Anforderungen (siehe Kapi-tel 3.3.3). Es muß festgelegt werden, wie die normierten Bewertungen und die jeweilige Gewichtung eines Elements verrechnet werden sollen. Üblich ist hierbei die Multiplikation von Gewichtung und normierter Bewertung.

Ist keine Gewichtung erwünscht, entfällt dieser Schritt.

Festlegen der Verrechnungsfunktion χ

Die Verrechnungsfunktion dient zur Verrechnung der gewichteten, normierten Bewertungen der ein-zelnen Anforderungen (siehe Kapitel 3.3.3). So verrechnet sie die Bewertungen von Unterelementen zu der Bewertung ihres Oberelements, bis schließlich die Wurzel des Anforderungsmodells eine Be-wertung erhält, die damit der GesamtbeBe-wertung einer konkreten Ausprägung des Anforderungsmo-dells entspricht.

Typische Verrechnungsfunktionen sind Summenbildung, Mittelwertbildung und Produktbildung. Der jeweils passende Einsatzzweck wird im folgenden Kapitel 4.3.2 untersucht.

4.3.2 Typische Bewertungsszenarien

Je nach Einsatzzweck des Anforderungsmodells können vier typische Szenarien unterschieden wer-den. Sie unterscheiden sich insbesondere in der Wahl ihrer Normierungs-, Gewichtungs- und Ver-rechnungsfunktionen:

1. Keine Durchführung von Bewertungen: Dies ist der triviale Fall, daß ein Anforderungsmodell nur zu Zwecken der Beschreibung und nicht der Bewertung eingesetzt wird. Hier reichen Minimalan-forderungen mit Angabe von Name und Erläuterung im Anforderungsmodell aus. Weder Bewer-tungskriterien noch die drei Funktionen werden benötigt.

2. Reine Betrachtung der Erfüllung bzw. Nichterfüllung von Anforderungen: Die Normierungsfunkti-onen α bilden hier die tatsächliche Ausprägung auf eine nur zweistufige Skala (0 = nicht erfüllt, 1

= erfüllt) ab. Auf Gewichtungen wird dabei verzichtet. Die Verrechnungsfunktion besteht aus Summenbildung (= Zählen der erfüllten Anforderungen), Mittelwertbildung (= Prozentualer Anteil der erfüllten Anforderungen) oder Produktbildung (Oberelement nur erfüllt, wenn Unterelemente alle erfüllt).

3. Nutzung komplexerer Normierungsskalen ohne Gewichtung: Hier bilden die Normierungsfunktio-nen α die tatsächliche Ausprägung auf eine intervallbasierte Skala (z.B. 0 - 5) ab. Die Verrech-nungsfunktion besteht häufig aus einer Summenbildung (= Ermittlung Gesamtbewertungen) oder Mittelwertbildung (= Ermittlung Durchschnittsbewertungen).

4. Nutzung komplexerer Normierungsskalen mit Gewichtung: Dies stellt die komplexeste Form der Bewertung und Verrechnung von Anforderungen dar. Die Normierungsfunktionen bilden wieder auf intervallbasierte Skalen ab. Alle Anforderungen sind gewichtet. Die Gewichtung erfolgt mittels Multiplikation. Die Verrechnungsfunktion besteht dann häufig aus der Aufsummierung der ge-wichteten Bewertungen. Ein Oberelement ist damit gleich dem gege-wichteten Mittelwert der Unter-elemente. Diese Methode wird allgemein im Rahmen von Nutzwertanalysen (siehe z.B. in [Haux R et al. 1998]) eingesetzt.

Tabelle 4-13 stellt die verschiedenen Szenarien zusammen und gibt jeweils typische Anwendungsbe-reiche an. Gegeben seien dabei eine Menge von Zielen und Anforderungen. Je nach Szenario werden unterschiedliche Eigenschaften der Ziele und Anforderungen betrachtet. Die verwendeten Variablen-bezeichnungen sind den Definitionen aus Kapitel 3.3 entnommen: N ist der Name, E die Erläuterung, G die Gewichtung, K ein Bewertungskriterium, WK die Menge von möglichen Ausprägungen von K, Soll der Sollwert, Ist der Istwert, B eine normierte Bewertung, GB die gewichtete normierte Bewer-tung einer Anforderung. GBU sind die gewichteten Bewertungen der Unteranforderungen einer gege-benen Anforderung.

1. Keine Normie-rungsfunktion αi

-- αi(Ist)∈{0, 0} αi(Ist)∈{0-5} αi(Ist)∈{0-5}

Typische Gewich-tungsfunktion βi

-- βi(B) = B (trivial) βi(B) = B (trivial) βi(B) = G*B

Tabelle 4-13: Vier Verrechnungsszenarien innerhalb polyhierarchischer Anforderungsmodelle.

Bei Nutzung der ungewichteten Summenbildung sind Manipulationen am Endergebnis einfacher als bei der Mittelwertbildung. Durch Erhöhung der Anzahl der Teilelemente eines Elements kann bei Summenbildung seine Bewertung erhöht werden. Es ist daher sinnvoll, daß alle Elemente etwa die gleiche Anzahl von Unterelementen haben. Ansonsten sollte die Mittelwertbildung bevorzugt werden.

4.3.3 Durchführung der Bewertungen

Nach Festlegung der Normierungsfunktionen α, der Gewichtungsfunktion β und der Verrechnungs-funktion χ kann nun entsprechend den Ausführungen in Kapitel 3.3.3 die eigentliche Bewertung der Anforderungen durchgeführt werden. Für Elemente mit mehreren Oberelementen werden jeweils mehrere gewichtete Bewertungen (für jedes Oberelement eine) ermittelt. Bei der Verrechnung wird dann jeweils die zum betrachteten Oberelement passende gewichtete Bewertung genommen. Tabelle 4-14 stellt die Schritte im einzelnen vor.

Wiederhole für jede Blattanforderung A

Ermittle die tatsächliche Ausprägung von A Normiere die Bewertung von A mit Hilfe von αi

Wiederhole, solange nicht alle Elemente gewichtet bewertet sind

Wiederhole für jedes Element N’, welches eine ungewichtete Bewertung hat Ermittle die gewichtete(n) Bewertung(en) von N’ mit Hilfe von βi

Wiederhole für jedes Element N’’, welches noch keine Bewertung hat und dessen Unterele-mente Ui alle gewichtet bewertet sind

Ermittle die Bewertung von N’’ mit Hilfe von χ

Tabelle 4-14: Durchführung von Bewertungen in polyhierarchischen Anforderungsmodellen.

Die Bewertung des Anforderungsmodells ist abgeschlossen, wenn für alle Elemente eine Bewertung vorliegt.

4.3.4 Darstellung der Ergebnisse

Die einfachste Darstellungsweise ist die Angabe der Bewertungen der Blattanforderungen in Form einer Tabelle. Ausgehend davon werden dann die Bewertungen aller Oberelemente errechnet, wie im vorherigen Kapitel erläutert.

Neben der Bestimmung ”eines” Wertes, nämlich der Bewertung der Wurzel eines Anforderungsmo-dells, ist es häufig auch interessant, ”Profile” zu bilden, also die Bewertungen des gesamten Anforde-rungsmodells übersichtlich darzustellen. Diese Darstellung kann z.B. in Form von Tabellen oder gra-fischen Profilen erfolgen.

Übliche grafische Darstellungsarten sind z.B. Polaritätsprofile und Kiviat-Graphen ([Seelos JH 1990]). Dabei wird für jedes überprüfte Kriterium der mögliche Wertebereich als Skala und der reale Wert als Punkt auf dieser Skala eingetragen. Bei Polaritätsprofilen werden die verschiedenen Krite-rien untereinander geschrieben, so daß die Skalen übereinander angeordnet sind. Der Verlauf der rea-len Ausprägung je Kriterium ergibt damit ein Profil. Werden die Skarea-len der einzelnen Merkmale nicht untereinander angeordnet, sondern strahlenförmig um ein Zentrum angeordnet, spricht man von einem Kiviat-Graphen.

Ein Beispiel für ein Polaritätsprofil von Pflegeprozeßdokumentationssystemen findet sich in Kapitel 5.1.2, daher wird an dieser Stelle auf eine weitere Ausführung verzichtet.

Die Bildung von Profilen erlaubt zum einen einen guten Überblick über die Gesamtheit der überprüf-ten Kriterien. Zum anderen können sie detaillierte Vergleiche verschiedener Objekte (z.B. Pflegepro-zeßdokumentationssysteme) unterstützen, indem sie die Profile der verschiedenen Objekte nebenein-ander anordnen. Eine Beispiel hierfür findet sich in [Francis I 1983], welcher Profile von statistischen Softwareprodukten sowie deren Bewertung durch Benutzer und Entwickler grafisch in Form von Pro-filen übersichtlich gegenüberstellt.