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3 Zur Rhythmik biologischer Funktionen

3.2 Circadiane Rhythmen

Biologische Rhythmen mit einer Periodenläng von etwa 24 Stunden findet man vom Einzeller bis zu hochentwickelten Pflanzen- und Tierstämme unter Einschluà der Säugetier und des Menschen. (Rensing 1973; Bünnin 1977).

Ein von Aschoff (1954) bzw. Halberg und Visscher (1954) entwickeltes Konzept des circadianen Systems hilft diese biologischen Rhythmen einzuordnen. Vom lateinischen "circa diem" abgeleitet hat Halberg (1959) den Begriff Circadianrhyfhnzen fŸ diese "ungefahr einen Tag" dauernden Rhythmen eingefŸhr und den Bereich ihrer Perioden späte auf 24

Â

4 Stunden begrenzt (Halberg u.a. 1977). Die Circadianrhythmik beruht (wie auch die anderen drei "Circa-Rhythmen": circatidale, circalunare, circannuale Rhythmik) auf einer endogenen Komponente, die als Eigenfrequenz bei Ausschaltung von synchronisierenden Einflüsse nachgewiesen werden kann. (Aschoff 1955a; siehe Kapitel 3.3: Die Zeitgeber).

Nach Bünnin (1978) hat sich die Circadianrhythmik durch Mutation und Selektion im Laufe der Phylogenese aus Rhythmen anderer Periodenlänge herausgebildet. Dabei blieb die Lokalisation des Zentrums der circadianen Rhythmik nicht auf ein Organ beschränkt Vielmehr gibt es mehrere Zentren, von denen aus der (tierische und auch) menschliche Organismus seine tagesperiodischen Veränderunge verschiedener Funktionen im Sinne eines Multioszillator-

Systems mit ineinandergreifenden Regelkreisen steuert. HierfŸ spricht auch, da beim Säuglin erst nach Wochen einer multiphasischen Oszillation die fŸ den erwachsenen Menschen typische monophasische Tagesperiodik entsteht. (Hellbrügg U. a. 1959).

Zentrale Schrittmacher (die "eigentlichen inneren Uhren") haben ihren Sitz im Zwischenhirn Fü Säugetier ist der wichtigste Schrittmacher fŸ die circadiane Rhythmik im Nucleus supra- chiasmaticus (SCN) lokalisierbar. Dies scheint auch fŸ den Menschen zu gelten. Es besteht eine Verbindung zwischen Lichteinfluà und Melatoninsekretion übe die Netzhaut, das Chiasma, den Hypothalamus und die Zirbeldrüs (die dem dritten Auge der Kriechtiere entspricht). Melatonin gilt als "Entraining Factor" fŸ die Müdigkei beim Menschen. (Arendt u.a. 1985; siehe Kapitel 3.3: Die Zeitgeber).

Bei Reptilien und Vögel spielt die Zirbeldrüs eine wichtige Rolle als Schrittmacher. Die experimentelle Ausschaltung des SCN oder der Zirbeldrüs fŸhr zur Arrhythmie der zuvor circadianrhythmischen Vorgänge Erhaltenbleibende rhythmische Komponenten lassen auf die Existenz von "Unteruhren" schließen (Aschoff u.a. 1987). Ein Multioszillatormodell, das beim Menschen Gültigkei haben soll, wurde von Wever (1 979) vorgestellt.

Beim Menschen belegen übe 100 Mei3grÖß von Funktionen und Organen die Existenz von Circadianrhythmen des Herz-Kreislauf-Systems, der Wärmeregulation des endokrinen und des vegetativen Systems. (Literatur bei Knauth 1983 und Knauth, Kiesswetter, Rutenfianz 1981).

Dabei scheint der Körpertemperatu eine wesentliche Bedeutung zuzukommen.

Körperkerntemperatur die "Referenzvariable" der physiologischen Rhythmen

Insbesondere die Körperkerntemperatu fand in vielen chronobiologischen Untersuchungen Beachtung, so da sie inzwischen als Referenzvariable gelten kann. (Kiesswetter 1988). Eines- teils ist die Körperkerntemperatu auch wahrend des Schlafs leicht zu messen, anderenteils fallt ihr Rhythmus durch eine nur geringe Anpassungsgeschwindigkeit nach Zeitgeberverschiebung und einen relativ kleinen Anpassungsspielraum auf. (Vergleiche Kapitel 3 . 3 : Anpassunper- halten physiologischer und psychischer Funktionen bei Zeitgeber\'erschiebung). Das bedeutet die Körperkerntemperatu besitzt einen sehr stabilen Tagesgang. Man nimmt an, da übe diesen stark endogen bestimmten Rhythmus die endogene Komponente des circadianen Systems erforscht werden kann. (Kronauer u.a. 1982; Wever 1985a).

Da der Körperkemtemperaturrhythrnu eine stark endogene und wenig flexible Kennzeich- nung besitzt, geht auch aus Untersuchungen von Wever (1979) hervor (siehe Kapitel 3 . 3 : Die Zeitgeber), der in Freilaufversuchen einen Zustand der "Inneren Desynchronisation" zwischen dem Schlaf-Wach-Rhythmus und dem Körperkerntemperaturrhythmu fand. Der Temperatur-

rhythmus lief mit einer Periode von 25 Stunden frei und blieb damit dicht an der normalen Tagesdauer von 24 Stunden. Auch unter Schlafdeprivation bleibt die Circadianrhythmik der Korperkerntemperatur (wenn auch verändert erhalten. (Akerstedt, Fröber 1977; Fröber

1977).

Die menschliche Körperkerntemperatu beträg im Durchschnitt 37' C. Dabei weist sie alters- und geschlechtsabhängig Abweichungen auf. Die Tagesschwankungsbreite der Körperkern temperatur beträg nicht ganz 1,5O C. Das Temperaturminimum an einem normalen Tag mit nicht verschobenem Schlaf-Wach-Rhythmus findet sich zwischen 03.00 und 04.00 Uhr währen des Schlafes und beträg ca. 36,3O C. Noch währen des Schlafes kommt es dann zum Temperaturanstieg, der in den Morgenstunden besonders steil und zum Nachmittag hin flacher verläuft Körpertemperaturmaxim werden fŸ die Zeit zwischen 14.00 und 21.00 Uhr mit Ca.

37,3O C angegeben. Bei visueller Einschätzun der Lage des Temperaturmaximums lag dieses eher späte (20.00 Uhr: Blake 1971; Hockey, Colquhoun 1972), bei einer Einschätzun mit Hilfe eines mathematischen Verfahrens wie z.B. mit der Cosinormethode lagen die Temperaturmaxima eher fruher (15.00 bis 17.00 Uhr: Reinberg u.a. 1975a; Fröber 1977;

Minors u.a. 1976; Wever 1980; Benoit u.a. 1981; Kiesswetter u.a. 1981; Vokac u.a. 1981).

Wie alle homoiothermen Lebewesen muà der Mensch die Körperkerntemperatu in engen Grenzen gegen äuße Einflüss (unterschiedliche Lufttemperaturen und Luftbewegungen) und sich ändernd innere Bedingungen (z.B. unterschiedliche Wärmeproduktio durch körperlich Arbeit) aufrecht erhalten. Das erfordert eine komplizierte Wärmeregulation (Vergleiche Kapitel 2.5 : Thermoreguiation und klimatische EinflŸsse)

Das Temperaturregelungszentrum homoiothermer Lebewesen liegt im Zwischenhirn. (Vergl.

Kapitel 3.2. Circudiuize Rhythmen). Uber die Formatio reticularis scheint das im Hypothala- mus gelegene Temperaturregelungszentrum hnktionell beeinfiuß zu werden, so da durch psychisch oder physisch bedingte Afferenzen eine situationsgerechte Temperatursollwert- erhöhun resultiert. Durch eine komplexe endogene Steuerung erfolgt die Sollwerteinstellung gemä dem Tagesrhythrnus. Die Körperkerntemperatu wird hauptsächlic Ÿbe die Wärme abgabe in Form von Wärmestrahlung Wärmeleitun und Konvektion, ferner durch Wasserver- dunstung übe die Haut und Lunge sowie COi-Freisetzung reguliert. Die Steuerung der Warrneabgabe geschieht insbesondere durch unterschiedlichen Wärmetranspor im Blutkreis- lauf Zu hohen Wärmeabgabe kommt es bei guter Durchblutung peripherer Körperregione und der Haut, wenig Wärmeverlus tritt auf, wenn die Blutgefaß der Peripherie verengt sind.

Zusätzlic zur Drosselung der Durchblutung in peripheren Geweben wird bei Kälteexpositio Ÿbe Thermorezeptoren der Haut und des Rückenmarke eine gesteigerte Wärmeproduktio hervorgerufen. In erster Linie geschieht das in der quergestreiften Muskulatur und äuße sich

als Kältezittern Die gesteigerte Wärmeproduktio kann ein Vielfaches der Wärmeerzeugun in Ruhe (Grundumsatz) erreichen. (Wenzel, Piekarski 1982; Kahle, Burchardt 1984; vergleiche Kapitel 2.5 : Thermoregula fion und klimatische Einfliisse).

Bedeutung besitzt die Körperkerntemperatu (IST-Wert) nicht nur f i r die Temperaturregelung sondern auch in Bezug auf die Regulation von Stoffwechselabläufen Enzymaktivitä und nichtkatalysierte biochemische Reaktionen hänge von spezifischen Körperkerntemperature ab. (Aschoff l955b; Hensel 1970; Kiesswetter 1988).

Rhythmik psychischer Funktionen

Chronopsychologische Untersuchungen bedienen sich am häufigste psychophysiologischer Maß und Selbstbeurteilungsmethoden. Das Anliegen der Chronopsychologie ist es, mit Hilfe dieser Methoden den zeitlichen Verlauf psychischer Phänomen einzuordnen. Die Aufdeckung von Leistungstiefs und Leistungshöhe soll zur Klärun der Frage beitragen, wie der Mensch den Anforderungen seiner Umwelt und insbesondere seiner Arbeitswelt am besten gerecht werden kann.

Fü die Darstellung von vollständige circadianen Leistungsverläufe stellt die Schlafphase ein Problem dar, das sich nur durch Schlafdeprivation löse läß Es ist jedoch ein Unterschied, ob der Schlaf ganz oder nur zu den Meßzeitpunkte unterbunden wird. Bleibt man nachts wach, resultiert - vorsichtig ausgedrück - eine relative Aktivierung des Organismus. (Pöppe u.a.

1970). Dies konnte auch f i r verschiedene physiologische Funktionen wie die Körper temperatur und die Herzfrequenz beim Ubergang von Tagschichtarbeit zur ersten Nachtschicht gezeigt werden. (Kiesswetter u.a. 1981). Schlafdeprivation, tageszeitliche Schlaflage, Dauer des Schlafes und Schlafgewohnheiten entfalten einen Einfluà auf psychophysiologische und insbesondere Leistungsverläufe Dieser Einfluà drück sich in Veränderunge der Akrophase oder der Amplitude der Tagesschwankung aus, sodaà Tageskurven entstehen können die mit einem kosinoidalen Verlauf nicht mehr übereinstimmen (Literaturiibersicht bei Knauth, Kiesswetter, Rutenfranz 198 1).

Aktiviertheit

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Leistung

Zum Verständni circadianrhythmischer Leistungsverläuf wurde ein eindimensionales Akti- viertheitskonzept entwickelt und auf die umgekehrt U-formige Abhängigkei zwischen der Höh der Aktiviertheit und der Leistung verwiesen. Selbstbeurteilungen sollen laut Thayer

( 1 970) einen aussagekraftigeren Indikator fü die Aktiviertheit abgeben als individuelle physio- logische Maß (Körpertemperatur Herzfrequenz, Adrenalinausschüttung allein.

Als Methoden fü die Erfassung der subjektiven Aktiviertheit kamen "Ratingskalen", das sind durch Punkte eingeteilte Skalen (kerstedt, Froberg 1976; Akerstedt 1977), "visuelle Analog- skalen" ohne Einteilung der Skalen (Folkard u.a. 1976, 1978; Froberg 1977; k e r s t e d t u.a.

1982; Monk u.a. 1983) oder "Adjektivskalen" (Debus 1974; Thayer 1978) zum Einsatz. Die Entwicklung der Aktiviertheit übe einen normalen Wachtag (07.00 Uhr bis 23.00 Uhr) entsprach dabei stets einer umgekehrt U-forrnigen Kurve, wobei abgesehen von Unter- suchungen von Folkard u.a. (1978) eine Rechtsschiefe auftrat: das Aktiviertheitsmaximum lag zwischen 11 .OO und 15.00 Uhr. Ein zusätzliche "Mittagstief" zeigte der Aktiviertheitsverlauf bei Thayer (1 978).

Die durch physiologische Messungen und Selbstbeurteilungen belegte modellhafte Darstellung eines tagesperiodischen Aktiviertheitsverlaufes entspricht auch einer kosinoidalen Kurve mit einer Periode von 24 Stunden, einem Maximum am Nachmittag und einem Minimum in der Nacht. (Froberg 1977, Froberg u.a. 1975, Akerstedt U. Froberg 1977). Eine Beziehung zwischen Aktiviertheitsverlauf und Verlauf der Leistung kann positiv, invers korreliert oder auch völli unregelmäß sein. Fü die Vorhersage von Leistungsverläufe ist dieses Modell nicht geeignet. (Knauth, Kiesswetter, Rutenfianz: Rhythmen im Leben, 1981).

Abgesehen vom Aspekt der Aktiviertheit finden andere befindlichkeitsspezifische Aspekte wie z.B. der Lust-Unlust-Aspekt oder der Anspannungsaspekt in der Literatur wenig Beachtung.

(Kiesswetter 1988). Die Befindlichkeit wird jedoch als mehrdimensionales Konzept verstanden, in dem die Aktiviertheit nur eine Gröà darstellt. (Janke, Debus 1978; Thayer 1978). Uber den Nutzen einer mehrdimensionalen Befindlichkeitsanalyse unter chronopsychologischen Frage- stellungen kann zur Zeit wegen der einseitigen Betrachtungsweise nur wenig ausgesagt werden. Uber die Abhängigkei bzw. Unabhängigkei der Befindlichkeitsdimensionen unter- einander gibt es nur vereinzelte Hinweise. (Debus 1974; Froberg 1977; Thayer 1978; siehe Kapitel 5.2.3.1 : Hinweise zur Eigenschaftswörterlist EWL-N).

Untersuchungen der Tagesrhythmik psychischer Leistungen haben zur Unterscheidung von zwei Testaufgabengruppen gefhhrt. Die eine befindet sich hinsichtlich ihrer Leistungstages- kurve in etwa in Phase mit der Körpertemperatur die andere deutlich nicht. Die erste Aufgabengruppe mit Leistungsmaximum am späte Nachmittag (entsprechend der Zeit der Maxima von Körpertemperatu und subjektiver Aktiviertheit) umfaß Aufgaben, die den Kategorien langfristiges Behalten, Entscheidungsverhalten, Informationsverarbeitung, Senso- motorik und Wahrnehmung sowie Aufmerksamkeit zuzuordnen sind. Die andere Gruppe von Aufgaben bezieht sich auf die Kategorien kurzfristiges Behalten und logisches Denken. Diese Aufgaben sind komplexerer Art und erfordern mehr Denkarbeit. Die Leistungsmaxima liegen in den Nacht- oder fruhen Morgenstunden. (Hockey u.a. 1972).

Es könnt sein, da die zwei Aufgabengruppen zwei unterschiedliche psychische Funktionen ansprechen, die zu den nicht Übereinstimmende Leistungsgipfeln fŸhren (Hockey U

Colquhoun 1972; Literaturübersich bei Knauth u.a. 198 1).

Auch Rutenfranz und Colquhoun (1979) fanden, da die Beanspruchung durch unterschied- liche Arbeiten zu gleichen Tageszeiten nicht gleich empfunden wurde. Dieser Behnd spricht ebenfalls dafŸr da verschiedene Leistungsfunktionen zu unterschiedlichen Tageszeiten ihre Maximalwerte erreichen können

Zum Zusammenhang zwischen Leistungsrhythmen und physiologischen Rhythmen auf individuellem Niveau ist zu sagen, da die beste Voraussage zur Wirksamkeit einer Leistung durch das Maà subjektiver Aktiviertheit gemacht werden kann. (Fröber 1977). Keine direkte Beziehung besteht zwischen Körpertemperaturhö und absoluter Leistungshöhe (Rutenfranz u.a. 1972).