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Bildung in evangelischer Perspektive:

Menschen sind unvollkommen und verletzt, Biografien fragmenta-risch und brüchig. Auch Bildung führt Menschen nicht zu Vollkommen-heit. Idealistische Überschätzung von Bildung und ungebrochener Fort-schrittsglaube bewirken Überforderung.

Evangelische Bildungsarbeit bedenkt, dass Gott selber am Kreuz die Brüchigkeit menschlichen Lebens durchlitt. Sie erinnert daran, dass nur Gott vollkommen ist.

In einem gar nicht kirchlich geprägten Seniorenheim der Arbeiterwohlfahrt in Werder/

Havel treffen sich allwöchentlich an Demenz erkrankte Bewohner*innen zum Singen. Hinzu kommen interessierten Mitsänger*innen von außen, aus der Kirchengemeinde Werder und aus Potsdam. Gemeinsam wird gesungen, geredet und viel gelacht. Manch einer ist nicht mehr in der Lage sich mitzuteilen. Er sitzt in seinem Rollstuhl dabei – und trägt seinen Teil zum Gelingen des Ganzen bei, indem er schweigend zuhört; versunken in den Zauber der Musik. „Das sind die größten und schönsten Momente, wenn jemand zur Ruhe kommt, der sonst immerzu schreit; wenn jemand zuhört, bei dem wir überhaupt nicht sicher sind, ob er noch irgendwas mitbekommt.“ So beschreibt es eine der Pflegerinnen. Inzwischen ist die Begleitung der Bewohner*innen zu diesem ganz besonderen Chorprojekt unter den Pflegekräften sehr beliebt. Jede möchte dabei sein, wenn wieder der Kuckuck erklingt, das Lieblingslied der Chormitglieder.

Der Kirchenkreis Potsdam hat zwei Jahre lang die Seelsorge für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen finanziert. Ein Pfarrer im Entsendungsdienst bekam Zeit und Gele-genheit, hier neue Wege auszuprobieren. Er konnte den veränderten Bedingungen und

„Der Winter ist vorüber, vorbei ist der April,

im Maien heimgekommen, der Kuckuck bleibt nicht still.

|: Kuckuck, kuckuck, vorbei ist der April, im Maien heimgekommen, der Kuckuck bleibt nicht still. :|

1.10

1. IMPULSE AUS DER EVANGELISCHEN BILDUNGSPRAXIS

reine Pflegeheime. Demenzerkrankungen nehmen zu – und die Belastung für die Pflegenden steigt kontinuierlich. Der Chor in Werder ist eines von drei Leuchtturmprojekten. Hinzu kommen regelmäßige Konzerte für Menschen mit und ohne Demenz in Potsdam und ein Theaterprojekt, in dem Kinder, Jugendliche und an Demenz erkrankte Männer und Frauen bereits ein Stück entwickelt und aufgeführt haben.

Kindheit in früherer und heutiger Zeit hat sich als gute thematische Brücke zwischen den Generationen erwiesen. Inzwischen ist ein Folgeprojekt erwachsen, das mit Briefen und Bildern die Distanz zwischen Kindheit und Alter überwindet. In Planung ist ein Fotoprojekt, das sich mit den Spätfolgen von Flucht und Vertreibung in Familien auseinandersetzt.

Biblisch entlehnt ist der Titel: „… der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied …“.

Eine Demenzerkrankung belastet alle. Das ganze Leben steht Kopf – für die Erkrankten selbst wie für die Angehörigen. Wo kann ich noch hingehen, wenn ich mir niemals sicher sein kann, wie sich mein Partner oder meine Partnerin verhält? Was können wir noch gemeinsam unternehmen, wenn nur eines gewiss ist: normal und angepasst benimmt sie oder er sich nicht mehr. Wohin mit meiner Unsicherheit, meiner Ohnmacht? Mit meiner Verzweiflung und Vereinzelung, die Demenzerkrankungen mit sich bringen?

Menschenwürde endet nicht bei der Diagnose Demenz. Die Aufgabe für Kirche muss daher heißen: Teilhabe und Integration insbesondere dort schaffen und ermöglichen, wo es sonst keiner mehr für möglich hält. Ein Konzert, in dem es niemanden stört, wenn laut mitgesungen wird oder jemand einen Akkord auf dem Klavier anschlagen möchte.

Das Theaterstück, das bei jeder Aufführung ganz anders wird, weil keine Wiedergabe des intensiv Eingeübten gelingen wird. Und der Chor, der von der Wiederholung des Bekann-ten und oft Gesungenen lebt – und von den Stimmen derer gestützt wird, die noch lesen und neue Lieder erlernen können. All das macht es Menschen möglich, sich nützlich und angenommen zu fühlen, die sonst häufig nur noch in ihrem Zimmer im Heim „dahinvege-tieren“ oder von wohlmeinenden Verwandten in den immer gleichen Erinnerungen an die Vergangenheit begleitet werden können.

ZEPT FÜR DIE EKBO

Faszinierend, dass das Lieblingslied in Werder kein altbekanntes, sondern ein neu erlerntes war. Das Lied vom Kuckuck durfte bei keiner Probe fehlen. Und bei den Aufführungen vor Publikum war es der Renner. Voller Begeisterung sangen die Seniorinnen und Senioren den Refrain mit – und immer wieder rührte eine Frau die Anwesenden: Vollständig verwirrt sang sie Kuckucksrufe in das Lied hinein. Er passte zwar selten an der Stelle, wo sie sang, doch ihre Freude, ihr Lachen, ihre Zufriedenheit über ihr Mittun und die wichtige Aufgabe als Kuckuck waren ihr anzusehen – und machten deutlich, dass alle Ziele, die sich zu Beginn mit der Idee eines Chores für gesunde und an Demenz erkrankte Menschen verbunden hatten, weit übertroffen wurden.

Die Arbeiterwohlfahrt als Trägerin des Heims hat nach Ende der Projektphase nun das notwendige Geld bereitgestellt, um den hervorragenden Chorleiter auch zukünftig finan-zieren zu können. Auch das ist ein Erfolg.

Der Mai, der liebe Maien, das ist die beste Zeit, er lässt die Liebe blühen, sobald der Kuckuck schreit.

|: Kuckuck, kuckuck, vorbei ist der April, im Maien heimgekom-men, der Kuckuck bleibt nicht still. :|“

1. IMPULSE AUS DER EVANGELISCHEN BILDUNGSPRAXIS

ZEPT FÜR DIE EKBO

2. BILDUNG IN

EVANGELISCHER

VERANTWORTUNG –