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5.3.1 Analysestichprobe der Patienten

In der Gesamtstichprobe der Patienten sind die internalen Kontrollüberzeugungen (M = 28) und sozial-externalen Kontrollüberzeugungen (M = 27) am stärksten ausgebil-det, gefolgt von den fatalistisch-externalen Kontrollüberzeugungen (M = 23). Diese Ergebnisse bestätigen bisherige Forschungsergebnisse, die zeigen, dass chronisch Kran-ke im Vergleich zur AllgemeinbevölKran-kerung insbesondere auch häufig sozial-externale Kontrollüberzeugungen aufweisen, während in der Allgemeinbevölkerung die interna-len Kontrollüberzeugungen eindeutig am stärksten ausgebildet sind. (Birchwood et al., 1993; Goodman, Cooley et al., 1994; Haley, Drake, Bentall & Lewis, 2003; Harrow, Hansford & Astrachan-Fletcher, 2009; Lohaus, 1992; Lasar & Loose, 1994; Varkey &

Sathyavathi, 1984). Der Zusammenhang zwischen zunehmendem Schweregrad der Er-krankung und real abnehmenden Kontrollmöglichkeiten, i. d. R. den internalen Kon-trollmöglichkeiten, ist einleuchtend. Internale Kontrollverluste bedingen jedoch Gefühle der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins. Negativ verstärkend kommt bei vielen Patien-ten ein reduziertes Selbstbewusstsein infolge der Erkrankung hinzu. Zukunftsängste und die Suche nach Stützen außerhalb der eigenen Person sind verständliche Folgen dieser Dynamik. Patienten „klammern“ sich infolge dieser Wechselwirkungen viel häufiger an mögliche externale Hilfen (Angehörige, professionelle Helfer) und sind offener für fata-listische Erklärungen ihrer Lebenssituation und „Wunderheiler“, als dies gesunde Men-schen tun. Dies hat weitreichende Folgen für die Therapie psychiatrischer Erkrankun-gen: Ziel ist, den Patienten wieder Selbstwirksamkeitserfahrungen zu ermöglichen, wel-che ihre internalen Kontrollüberzeugen weiter stärken und ihre externalen Zuschreibun-gen reduzieren. Patienten sollen Behandlungserfolge nicht external attribuieren („Glück“ oder „weil der Therapeut so gut ist“), sondern als logische Folge ihrer eigenen Anstrengung erkennen. Dementsprechend muss sich auch der Therapeut seiner Aufgabe als „Helfer zur Selbsthilfe“ bewusst sein. Schließlich sind auch Zusammenhänge zwi-schen erhöhten externalen Kontrollüberzeugungen und vermehrten Einschränkungen in der beruflichen Funktionsfähigkeit belegt (Eklund, 2007; Michon et al., 2008). Dies zeigt, dass die Ausprägung der Kontrollüberzeugungen nicht nur Auswirkungen auf die Krankheitsbewältigung im engeren Sinne sondern auch weitreichende Folgen für

Le-bensbereiche hat, die für die Autonomie und soziale Integration der Erkrankten von großer Wichtigkeit sind.

Betrachtet man die Stichprobe der Patienten in Abhängigkeit von ihrer Diagnose, so stimmen die durchschnittlichen Ausprägungen der internalen, sozial-externalen und fatalistisch-externalen Kontrollüberzeugungen mit der Gewichtung in der Gesamtstich-probe überein. Einzig in der Subgruppe der depressiven Patienten überwiegen die sozi-al-externalen die internalen Kontrollüberzeugungen noch knapp. Dies kann mit der be-sonderen Psychopathologie von depressiven Patienten erklärt werden, welche häufig von Unentschiedenheit, fehlendem Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein gekennzeich-net ist. Die Studie von Goodman und Mitarbeiter (1994) belegt dementsprechend einen signifikanten Zusammenhang zwischen einem geringem Selbstwertgefühl und vermehr-ten externalen Kontrollüberzeugungen bei den schizophrenen und depressiven Patien-ten, welcher sich nicht in der gesunden Kontrollgruppe findet. In der Studie von Har-row, Hansford und Astrachan-Fletcher (2009) waren die externalen Kontrollüberzeu-gungen bei den depressiven Patienten im Vergleich zu den schizophrenen Patienten ebenfalls signifikant höher. Diese Studie belegt jedoch auch, dass die internalen Kon-trollüberzeugungen nach Abklingen der akuten Krankheitsphase, insbesondere in sym-ptomfreien Zeiten, in ihrem Ausmaß i. d. R. wieder zunehmen.

Konträre Ergebnisse findet eine frühe Studie von Pryer und Steinke (1973). In ihrer Stichprobe von 115 Patienten mit psychischen Störungen überwiegen die externalen Kontrollüberzeugungen bei den schizophrenen Patienten und Patienten mit Persönlich-keitsstörungen im Vergleich zu depressiven und undifferenziert Erkrankten. Sie bestäti-gen damit eine Studie von Harrow und Ferrante (1969), welche ebenfalls die schizo-phren Erkrankten als das signifikant am meisten external attribuierende Klientel belegt.

Weitere Studienergebnisse über den Vergleich von Kontrollüberzeugungen psychisch Kranker in Abhängigkeit von ihrer Diagnose liegen bisher nicht vor. Eventuell prägten frühere Zeiten andere Einstellungen und Kontrollüberzeugungen bezüglich eigener Er-krankung, so dass die konträren Ergebnisse dieser zwei frühen Forschungsarbeiten durch einen anderen Zeitgeist erklärt werden könnten.

Gut belegt sind inzwischen auch positive Zusammenhänge zwischen internalen Kon-trollüberzeugungen und Krankheitseinsicht (Donohoe, Donnel, Owens & O’Callaghan, 2004; Warner, Taylor, Powers & Hyman, 1989; Williams & Collins; 2002) sowie Compliance der Patienten (Haley, et al., 2003).

5.3.2 Analysestichprobe der Angehörigen

In der Gesamtstichprobe der Angehörigen sind die internalen Kontrollüberzeugungen (M = 26) am stärksten ausgebildet, gefolgt von den sozial-externalen (M = 23) und den fatalistisch-externalen Kontrollüberzeugungen (M = 19). Vergleichbare quantitative Studien fehlen bisher. Die einzige bereits in der Einleitung (Kapitel 1.2.3.2) näher be-schriebene qualitative Studie kann aufgrund der geringen Fallzahl (n = 6) nicht zum Vergleich herangezogen werden.

Bisher wird in der Forschung allgemein angenommen, dass sich die Kontrollüber-zeugungen von Angehörigen psychisch Kranker nicht von der Normalbevölkerung un-terscheiden (Bentson et al., 1997; Holley, 1998; Stolle & Stark, 1994). Valide Belege für diese Annahme stehen jedoch noch aus. Bestätigt sich diese Annahme, so wäre dies ein Hinweis auf stark ausgeprägte Ressourcen der Angehörigen: Trotz der von ihnen vielfach genannten Hilflosigkeit und Ohnmacht wären sie in ihren Kontrollüberzeugun-gen stabil. Sehr gut möglich wäre auch, dass sich die KontrollüberzeugunKontrollüberzeugun-gen der Ange-hörigen zumindest mit zunehmender Erkrankungsdauer und -schwere der Patienten (wie bei den Patienten belegt) verändern. Auch sie erfahren in ihrer Rolle als Fürsorger um den Erkrankten vielfach Ohnmacht und sind von „externalen Helfern“ (Therapeuten) und Entscheidungen Dritter (Bewilligungen von finanziellen Hilfen, Vergabe von Wohnheimplätzen) abhängig. Es wäre also verständlich, wenn diese Erfahrungen nicht nur die Kontrollüberzeugungen der Patienten, sondern auch die ihrer Angehörigen mo-difizieren würden. Denkbar ist, dass das Ausmaß der internalen Kontrollüberzeugungen der Angehörigen über dem der Erkrankten, aber unter dem der Normalbevölkerung liegt. Der Nachweis dieser Meinung ist jedoch aus den vorliegenden Daten nur bezüg-lich der Abstufung Patient – Angehöriger mögbezüg-lich (vgl. Kapitel 5.3.3), nicht aber be-züglich der Differenzierung der Kontrollüberzeugungen von Angehörigen im Vergleich zur Normalbevölkerung, da in der vorliegenden Studie der Vergleich mit der gesunden Kontrollgruppe fehlt. Anstehende Forschungen bezüglich dieser Fragen hätten auch Einfluss auf Möglichkeiten der Unterstützung der Angehörigen. Durch Information über diese – meist unreflektiert stattfindenden – psychodynamischen Zusammenhänge, könn-ten die Angehörigen Entlastung der Gestalt erfahren, dass sie Erklärungen für ihre Ge-fühle der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit finden und im Sinne einer konstruktiven Krank-heitsbewältigung mit professioneller Unterstützung ihr Augenmerk auf die Stärkung ihrer internalen Kontrollüberzeugungen lenken könnten.

5.3.3 Vergleich der Kontrollüberzeugungen der Patienten und der Angehörigen

Im Vergleich der Kontrollüberzeugungen der gesamten Analysestichproben der Patien-ten und Angehörigen verfügen die PatienPatien-ten sowohl über höhere sozial-externale wie über höhere fatalistisch-externale Kontrollüberzeugungen, nicht aber über höhere inter-nale Kontrollüberzeugungen.

Vergleicht man die Kontrollüberzeugungen der Gesamtstichproben der Patienten und Angehörigen in Abhängigkeit von der Diagnose des Patienten so verfügen die Patienten aller vier Diagnosegruppen jeweils über höhere sozial-externale und fatalistisch-externale Kontrollüberzeugungen als die zugehörigen Angehörigen. In der Diagnose-gruppe der bipolar affektiv erkrankten Patienten liegen ferner auch im Bereich Internali-tät höhere Kontrollüberzeugungen bei den Patienten wie bei ihren Angehörigen vor.

Da sowohl für den Vergleich der Ergebnisse zu den gesamten Analysestichproben wie zu den Ergebnissen bezüglich der Auswertung der Kontrollüberzeugungen in Ab-hängigkeit von der Diagnose des Patienten vergleichbare Daten/Studien bisher gänzlich fehlen, können diese Ergebnisse nur als vorläufig interpretiert werden. Die im Vergleich zu den Angehörigen stärker ausgeprägten sozial-externalen wie fatalistisch-externalen Kontrollüberzeugungen der Erkrankten sind jedoch gut erklärbar. Einen gewissen Kon-trollverlust teilen sowohl Patienten wie Angehörige. Beide leiden am „Auf-und-Ab der Erkrankung“, haben wenig Einfluss auf die akute Symptomatik, sind von Dritten (The-rapeuten, Sozialarbeitern etc.) abhängig, bzw. stoßen in bedrängenden Sinnfragen an ihre Grenzen und sind gegenüber fatalistischen Erklärungen in Fragen der Erkrankung offener als gesunde Menschen. Bei der Gruppe der Patienten kommt jedoch noch das Ausgeliefertsein an die Erkrankung im engeren Sinne hinzu. Nur sie leiden an Sympto-men ihrer Erkrankung wie möglicherweise formalen Denkstörungen, inhaltlichen Denk-störungen wie Wahn, Halluzinationen und Ich-Störungen, „Leere im Kopf“ und „Nicht-Denken-Können“, Konzentrationsschwierigkeiten, Müdigkeit und anderen kognitiven Einschränkungen. Auch nur sie haben mit nicht immer geringen Nebenwirkungen ihrer verordneten Medikation zu kämpfen. Diese gegebenenfalls akute Krankheitssymptoma-tik bedingt noch einmal einen anderen Kontrollverlust, als ihn die Angehörigen erfah-ren, so dass es nachvollziehbar erscheint, dass die Patienten noch einmal stärker exter-nal attribuieren, als dies die Angehörigen tun.

Der Vergleich der Kontrollüberzeugungen der Patienten und Angehörigen in der Ge-samtstichprobe der Patienten-Angehörigen-Paare (n = 111) bestätigt das bisher

disku-tierte Muster: Die Patienten besitzen signifikant höhere sozial- und fatalistisch-externale Kontrollüberzeugungen als ihre Angehörigen. Dies hat Gültigkeit auch für die schizo-phrenen Patienten dieser Paarstichprobe (n = 36). Erstaunlicherweise unterscheiden sich die unipolar depressiven (n = 40) und die bipolar affektiv erkrankten Patienten (n = 18) in dieser paarigen Auswertung jedoch jeweils bezüglich der drei untersuchten Subska-len des Fragebogens zu Kontrollüberzeugung nicht von ihren Angehörigen. Auch die persönlichkeitsgestörten Patienten der paarigen Auswertung (n = 17) zeigen ein anderes Antwortmuster und unterschieden sich bezüglich der internalen und externalen Kon-trollüberzeugungen nicht von ihren Angehörigen. Dies kann möglicherweise durch die geringen Stichprobengrößen der diagnosenspezifischen Subgruppen in der Paarauswer-tung bedingt sein. Denkbar ist jedoch auch, dass die Angehörigen der bipolar und de-pressiv Erkrankten durch die jeweils spezifische Psychopathologie des Patienten in an-derer (höherer) Weise belastet sind und somit dem Patienten ähnlichere Kontrollüber-zeugungen ausbilden, als dies die Angehörigen der anderen beiden Diagnosegruppen F20 und F60/61 tun. Die diagnosespezifische Auswertung des Belastungsfragebogens (vgl. Kapitel 5.2.3 sowie Tab. 4.2 und 4.4) stützt die letztgenannte Hypothese. Insbe-sondere für die Angehörigen der bipolar affektiv Erkrankten der Gesamtstichprobe wie der Patienten-Angehörigen-Paar-Stichprobe wurden für spezifische Belastungsbereiche höhere Belastungsscores ermittelt, als dies für Angehörigen der anderen Diagnosegrup-pen der Fall war.