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4.3 Operateur

4.5.2 Calcium

Insgesamt erhielten 10,3% (n = 205) der Patienten bei Entlassung aus der stationä-ren Behandlung eine Calciumsubstitution. Jeder dieser Patienten wies einen perioperativ erniedrigten Calciumwert auf. Perioperative latente Hypocalcämien im Bereich von 2,0 – 2,2 mmol/l wurden in 3% (n = 29) der Fälle, manifeste Hypocalcämien unter 2,0 mmol/l in 40,2% (n = 166) der Fälle zum Entlassungszeit-punkt noch mit Calcium behandelt (vgl. Abbildung 27).

5 Diskussion 44

5 Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, Veränderungen der chirurgischen Operationstechniken bei benignen Schilddrüsenerkrankungen in der Zeit von 2001 bis 2010 an einer großen Zahl operierter Patienten zu eruieren sowie die Folgen dieser Änderungen für die behandelten Patienten darzustellen. Neben der Bedeu-tung des Operationsverfahrens wurden andere Kriterien wie z. B. die zugrunde lie-gende Erkrankung, das Alter und Geschlecht der operierten Patienten und die Erfah-rung der Operateure als Einflussfaktor auf das Resultat der Schilddrüsenoperation mit einbezogen. Das Resultat der Untersuchung ist als Diskussionsbeitrag zu der schwierigen Entscheidung gedacht, welchem Patienten mit welcher Grunderkran-kung man auf der Basis der bisherigen Erfahrung welche Form der chirurgischen Behandlung der Schilddrüse empfehlen sollte.

5.1 Epidemiologie

5.1.1 Diagnosen

Die Entscheidung für eine Schilddrüsenoperation hängt von pathophysiologischen und morphologischen Kriterien wie Malignität, knotigen Veränderungen sowie der Notwendigkeit zur Beseitigung einer Hyperthyreose, von den individuellen Begleit-umständen des Patienten wie z. B. Alter und Komorbidität und dessen individuellem Therapieziel ab. Der häufigste Grund für einen der mehr als 120.000 operativen Eingriffe an der Schilddrüse jährlich in Deutschland ist eine Struma. Bei der euthyreoten Struma ohne Autonomie ergibt sich die Operationsindikation meist aus der Strumagröße und damit einhergehender mechanischer Einschränkungen, da der Verkleinerungseffekt durch Medikamente relativ begrenzt ist [34].

Die Schilddrüsenautonomie stellt zunächst eine klassische Indikation für die Radio-jodtherapie dar. Bei deutlicher Schilddrüsenvergrößerung ist jedoch auch bei Auto-nomie eine Operationsindikation gegeben. Bei isolierten autonomen Adenomen sind Radiojodtherapie und Operation als gleichwertig zu betrachten [34].

Bei der Therapie des Morbus Basedow konkurrieren die drei gängigen Verfahren Medikamente, Radiojodtherapie und Operation miteinander. Eine Operationsindikati-on kommt insbesOperationsindikati-ondere dann in Frage, wenn thyreostatische Medikamente nicht vertragen werden, kontraindiziert sind oder nach mehrmonatiger medikamentöser Therapie keine Besserung der Hyperthyreose erreicht wurde. Weitere Gründe für eine Operation sind eine sehr große Schilddrüse mit lokal komprimierender Wirkung, die Notwendigkeit einer schnellen therapeutischen Wirkung oder wenn begleitend eine endokrine Orbitopathie besteht. [34].

5 Diskussion 45 Auch im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen war in den meisten Fällen der von 2001 bis 2010 operierten Patienten eine Struma die Diagnose, die zur Schilddrüsen-operation führte. Mehr als Zweidrittel der benignen SchilddrüsenSchilddrüsen-operationen wurden aufgrund einer bilateralen Knotenstruma durchgeführt. Davon waren 60,7% Strumen ohne Autonomie und 15,2% Strumen mit diffuser oder multifokaler Autonomie. Die übrigen Operationsindikationen verteilten sich auf die unilaterale Knotenstruma mit 14,5% bei isolierten Adenomen ohne Autonomie und 2,2% mit Autonomie und den Morbus Basedow in 6,2% der Fälle. Im Vergleich zur Untersuchung von R. Wentrup [9] an 2019 Schilddrüsenoperationen über den Zeitraum von 1985 – 1996 an der Charité in Berlin ist der Anteil der Operationen aufgrund eines Morbus Basedow, der dort bei 12,2% lag, in der vorliegenden Untersuchung niedriger. In der Berliner Un-tersuchung lag der Anteil der Struma-Operationen bei 64%. Dort wurden jedoch auch Operationen aufgrund bösartiger Schilddrüsenerkrankungen (6,3%) statistisch mit ausgewertet, die in der vorliegenden Erhebung nicht berücksichtigt wurden.

Die häufigste Indikation für eine Schilddrüsenoperation an einer benignen Schilddrü-senerkrankung stellt somit die bilaterale Struma ohne Autonomie dar.

5.1.2 Altersverteilung

Die einzelnen benignen Schilddrüsenerkrankungen haben unterschiedliche Altersgip-fel. So tritt zum Beispiel ein Morbus Basedow meistens zwischen dem 20. und 40.

Lebensjahr auf. Von einer Schilddrüsenautonomie sind vorwiegend Patienten über 40 Jahre betroffen [20,35]. Die Frage nach einem Zusammenhang zwischen Le-bensalter und Operationsindikationen bei Schilddrüsenoperationen, ließ sich anhand der vorhandenen Fachliteratur nicht eindeutig beantworten.

In der vorliegenden Arbeit betrug das mittlere Lebensalter bei Schilddrüsenoperation 52,2 Jahre. Zusammenhänge zwischen Lebensalter und Operationsindikation wur-den nicht festgestellt. Auch die Wahl des Operationsverfahrens im Zusammenhang mit dem Lebensalter ergab keine signifikanten Unterschiede. Eine andere Untersu-chung zeigte, dass sich das Alter des Patienten nicht auf die beiden spezifischen Komplikationen der Schilddrüsenchirurgie, die postoperative Hypocalcämie und Recurrensparese, auswirkt [36]. Die Hypocalcämie-Rate ist in der ansonsten ver-gleichbaren Untersuchung von R. Wentrup [9] nur eingeschränkt beurteilbar, da dort eine transiente Hypocalcämie mit einem Plasma-Calcium unter 2,1 mmol/l bis zu 6 Wochen nach der Operation anders definiert ist als in der vorliegenden Untersu-chung. Im Vergleich zu den Daten von R. Wentrup [9] fand sich in dem in Trier ope-rierten Patientenkollektiv, möglicherweise aufgrund der radikaleren Operationstech-nik, eine höhere Rate an Nachblutungen und Recurrensparesen bei über 70-jährigen Patienten (vgl. Tabelle 16).

5 Diskussion 46

Tabelle 16 Komplikationsraten bei über 70-jährigen im Vergleich

Wentrup, R [9] Eigene Untersuchung

Zeitraum 1985 1996 2001 - 2010

Anzahl der Patienten 166 201

Rate der Nachblutungen 2,4% 3,5%

Transiente Hypocalcämie 18,1% 27,4%

Transiente Recurrensparese 4,8% 9%

5.1.3 Geschlechterverteilung

Die geschlechtsspezifischen Inzidenzen der einzelnen Schilddrüsenerkrankungen sind unterschiedlich. So ist das Auftreten einer euthyreoten Struma bei Frauen und Männern gleich häufig, wohingegen an einem Morbus Basedow 5-mal mehr Frauen erkranken als Männer. Insgesamt sind Frauen 4-9-mal häufiger von Schilddrüsener-krankungen betroffen als Männer [9, 20, 37, 38]. Postoperative Nachblutungen sind selten [9, 39, 40, 41], hängen möglicherweise von der Größe der Schilddrüse sowie vom Alter der Patienten ab (siehe unten) und sollen bei Männern mehr als doppelt so häufig auftreten wie bei Frauen [9, 39, 41]. In der vorliegenden Untersuchung gab es jedoch weder bezüglich postoperativer Nachblutungen noch bezüglich Recurrensparesen sowie Hypocalcämieraten statistisch signifikante Unterschiede (vgl. Tabelle 17). Im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen wurden zwar 2,5-mal mehr weibliche als männliche Patienten an benignen Schilddrüsenerkrankungen operiert, signifikante Unterschiede in der Operations-Indikation und der Radikalität des Operationsverfahrens bestehen jedoch nicht. Die mikroinvasive Technik fand ihre Anwendung jedoch eindeutig häufiger bei weiblichen als bei männlichen Patien-ten (vgl. Abbildung 8 S.21), was möglicherweise durch den Wunsch der Patientinnen nach kleineren Narben erklärt werden kann und somit kosmetische Gründe hat [42, 43].

5 Diskussion 47

Tabelle 17 Geschlechtsspezifische Komplikationsraten

Weiblich (n=1423) Männlich (n=573) Signifikanz (p) Nachblutungsrate 1,3% (n=19) 2,4% (n=14) > 0,05

Recurrensparese 6,3% (n=90) 6,6% (n=38) > 0,05 Hypocalcämie 23,6% (n=336) 13,4% (n=77) > 0,05

5.2 Operationsverfahren

Dem Schweizer Arzt Theodor Kocher gelang vor einem Jahrhundert die Mortalität der Schilddrüsenoperation durch sorgfältige Blutstillung und Antisepsis von 12,8% in 1878 auf 0,5% in 1917 zu senken [44]. Heute haben Schilddrüsenoperationen bei benigner Grunderkrankung fast keine Mortalität mehr. In den beschriebenen Fällen sind hauptsächlich ältere Risikopatienten betroffen [45, 46, 47]. Bei fast 2000 Opera-tionen im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen trat kein einziger derartiger Fall perioperativer Letalität auf.

Allerdings finden sich noch immer operationsbedingte Folgen wie eine Recurrensparese oder postoperative Hypocalcämie, deren Häufigkeit aber abhängig von der Grunderkrankung und der Operationstechnik zu sein scheint. Dieses sollte in der vorliegenden Arbeit mit ähnlichen Erhebungen vergangener Jahre an anderen Kliniken verglichen werden.

Die Indikation zur Schilddrüsenoperation war in dem untersuchten Patientenkollektiv ähnlich der Indikation vergleichbarer Untersuchungen [9, 41, 48, 49]. Allerdings wur-den in der vorliegenwur-den Erhebung keine malignen Schilddrüsenerkrankungen be-rücksichtig, die in vergleichbaren Untersuchungen einen Anteil von 0,5 – 18% haben [9, 50, 51, 52] und z. T. andere Operationstechniken wie eine Lymphadenektomie erforderlich machen.

Insgesamt wird in den eigenen Daten und im Vergleich zu den anderen Untersu-chungen über die letzten Jahre ein Trend hin zur radikaleren Schilddrüsenchirurgie deutlich. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass die gewebeerhaltenden Tech-niken, von welchen man sich ehemals einen Erhalt der Eigenregulationsfähigkeit der hypothalamisch-hypophysär-thyreoidalen Achse versprach, mehr und mehr von den totalen Resektionsverfahren ersetzt werden [1,2,3,4]. Hierzu zeigte eine Multicenter-studie mit mehr als 6.000 Patienten keinen Vorteil der subtotalen im Vergleich zur fast-totalen oder totalen Thyreoidektomie im Hinblick auf eine postoperative

Hypothy-5 Diskussion 48 reose, da trotz der Substanzerhaltung bei der subtotalen Thyreoidektomie in den meisten Fällen eine postoperative Thyroxin-Substitution erforderlich war [53].

Im Patientenkollektiv der vorliegenden Untersuchung ist im Jahr 2010 die Anzahl an Hemithyreoidektomien bereits 7-mal höher als noch im Jahre 2001. Die Fallzahl von totalen Thyreoidektomien hat sich während dieser 10 Jahre verdreifacht. So werden im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen statt subtotalen Resektionen heute eher Hemithyreoidektomien durchgeführt und die fast-totale Schilddrüsenresektion lässt ihren Platz zunehmend der totalen Thyreoidektomie.

Die Betrachtung der gewählten Operationstechniken in Abhängigkeit der zugrunde-liegenden Erkrankung bestätigt die zunehmende Verdrängung der gewebeerhalten-den Verfahren zugunsten der Radikalität. Blickt man einige Jahre zurück, so stößt man in der Literatur noch auf größere Vorsicht und Zurückhaltung im Hinblick auf die totale Thyreoidektomie bei benigner Knotenstruma. So empfiehlt z. B. eine Untersu-chung an 5195 Patienten mit benigner Struma aus dem Jahre 2003 noch die subtota-le Thyreoidektomie als Standardeingriff, da die totasubtota-le Thyreoidektomie mit erhöhter post-operativer Morbidität einherging [54]. In der zum Vergleich heranziehbaren Untersuchung der Berliner Charité aus dem Jahr 1999 an 1292 Patienten mit Struma nodosa [9] erfolgte in nur 1,9% der Fälle eine totale Thyreoidektomie und in 61% der Fälle eine fast-totale oder subtotale Thyreoidektomie.

Bereits wenige Jahre später schon beschreiben verschiedene Autoren in der Litera-tur die totaleThyreoidektomie bei der benignen multinodulären Struma als Methode der Wahl [6, 55]. Dieser Trend lässt sich von der vorliegenden Untersuchung bestäti-gen. Im Jahr 2001 wurde in weniger als einem Drittel der Fälle bei einer bilateralen Struma die totale Thyreoidektomie gewählt. Bis ins Jahr 2010 hat sich diese Anzahl mehr als verdreifacht und so werden bereits nahezu 90% der bilateralen Strumen bei einer Operation mit einer totalen Thyreoidektomie therapiert. Die subtotale Thyreoidektomie ist bei der bilateralen Knotenstruma von 38% im Jahr 2001 auf 4,8% im Jahr 2010 gesunken, die fast-totale Thyreoidektomie von 32,7% auf 5,7%.

Ähnlich verhält es sich mit der unilateralen Struma, das heißt mit isolierten autono-men Adenoautono-men sowie benignen kalten Knoten. Die Berliner Untersuchung [9] fand 1999 bei 234 Patienten mit isolierten autonomen Adenomen eine Hemithyreoidektomie-Rate von 39,0%. In Trier wurden im Jahr 2001 bei unilateraler Knotenstruma noch zu 75% subtotale Thyreoidektomien und zu 10%

Hemithyreoidektomien durchgeführt. Innerhalb von 10 Jahren hat sich dieses Ver-hältnis komplett umgekehrt, 2010 waren es nur noch 9,8% subtotale und dafür 87,8%

Hemithyreoidektomien bei unilateraler Struma. In der Literatur gibt es keine spezifi-schen Angaben oder Untersuchungen mit der Empfehlung zum geeignetem Operati-onsverfahren bei unilateraler Knotenstruma. Die vorliegende Erhebung unterstreicht

5 Diskussion 49 jedoch die allgemeine Tendenz zu den radikaleren Verfahren in der Schilddrüsenchi-rurgie auch bei einseitiger Erkrankung.

Eindeutige Empfehlungen zur radikalen Operation finden sich in der Literatur für die Therapie des Morbus Basedow. Ein positiver Begleiteffekt einer derartig radikalen Operationstechnik ist, neben der raschen Stoffwechsel-Normalisierung, eine oft zu beobachtende rasche Rückläufigkeit der TSH-Rezeptor-Antikörper (TRAK) als gute Voraussetzung zu einer Besserung der gefürchteten endokrinen Orbitopathie. In einem Review über 932 Patienten mit totaler Thyreoidektomie aus dem Jahre 2009 wird die totale Thyreoidektomie als optimales Resektionsverfahren bei Morbus Base-dow beschrieben [56]. Die ältere Vergleichsuntersuchung aus Berlin [9] zeigte, dass 1999 bei 247 Patienten mit Basedow-Hyperthyreose in 32,0% der Fälle noch eine subtotale, in 55,9% eine fast-totale und nur bei 11,7% der Patienten eine totale Thyreoidektomie durchgeführt wurde. Im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen stieg der Anteil totaler Thyreoidektomien bei Morbus Basedow während der Beo-bachtungszeit von 2001 bis 2010 von 16,7% auf 90% an.

Dem mikroinvasiven Resektionsverfahren wird aufgrund der kleineren Narben ein kosmetisch besseres Ergebnis zugesprochen, was vor allem für weibliche Patienten eine wichtige Rolle spielt [42, 43]. Ein Review von 130 Patienten, die video-assistiert an Schilddrüse bzw. Nebenschilddrüsen operiert wurden, hat gezeigt, dass es sich zudem auch um ein sicheres Verfahren handelt [57]. Um die mikroinvasive Technik sicher einsetzen zu können, ist jedoch neben den speziellen Operationskenntnissen des behandelnden Arztes, eine präzise Auswahl der Patienten erforderlich, sodass diese Therapieoption bisher nur einem kleineren Anteil der Patienten zur Verfügung steht [42]. Seit 2005 wird das mikroinvasive Operationsverfahren auch im Mutterhaus der Borromäerinnen eingesetzt. Es findet sich ein jährlicher Anstieg der mikroinvasi-ven totalen Thyreoidektomien. Aufgrund der Ausschlusskriterien für diese Art der Operation wird die mikroinvasive Operationstechnik die konventionellen Formen der Schilddrüsenchirurgie jedoch nie gänzlich ersetzen können.

Die erst im August 2010 veröffentlichte, aktuell gültigen AWMF-Leitlinie „Operative Therapie benigner Schilddrüsenerkrankungen“ der Deutschen Gesellschaft für Al l-gemein- und Viszeralchirurgie - Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie [26] empfiehlt:

1. … bei einem Solitärknoten oder unifokaler Autonomie der Schilddrüse eine Knotenexzision, eine subtotale Lappenresektion oder Hemithyreoidektomie 2. … bei einer Knotenstruma und multifokalen Autonomie eine fast-totale

Thyreoidektomie mit einem Restgewebe von < 2 g oder totale Thyreoidektomie. Weniger invasive Operationsverfahren sollen bei dieser

5 Diskussion 50 Operationsindikation angesichts einer zu erwartenden Rezidivrate von bis zu 40% begründet werden.

3. … bei einer Hyperthyreose vom Basedow-Typ eine Thyreoidektomie.

4. … bei einer Rezidivstruma eine Operation möglichst nur der befunddominan-ten Seite und eine kontralaterale Resektion nur, wenn von einer Recurrensschonung der zunächst operierten Seite ausgegangen werden kann.

Die vorliegende Untersuchung der Jahre 2001 bis 2010 an fast 2000 operierten Pati-enten zeigt, dass diese Empfehlungen im Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen in den vergangenen Jahren bereits konsequent umgesetzt wurden. Die zunehmende Radikalität der Operationsverfahren führte nur vorübergehend zu einem tendenziell leichten Anstieg der Raten an Hypocalcämie und Recurrensparesen, die sich zuletzt aber wieder den Raten vor Änderung der Operationstechnik angeglichen haben.

Die in der vorliegenden Untersuchung beschriebene Entwicklung hat wohl aufgrund ähnlicher Erfahrung anderer Zentren bereits Eingang in die aktuell gültigen Operati-onsleitlinien gefunden.

5.3 Operateur

Das komplikationsarme Gelingen einer Operation erfordert vom Operateur, neben fachlichen Kenntnissen, auch Übung und Erfahrung, um Verletzungen an Gefäßen und Nerven zu vermeiden. Daraus ergab sich die in der Fachliteratur geäußerte Vermutung, dass der jeweilige Ausbildungsstand des Operateurs wesentlichen Ein-fluss auf die Komplikationsraten habe [58]. Genährt wurde diese Vermutung durch die Ergebnisse einer Qualitätssicherungsstudie, in der 5195 Patienten mit benigner Knotenstruma in Bezug auf das Resektionsausmaß und die postoperative Morbidität ausgewertet wurden. Diese Erhebung zeigte, dass mit zunehmender Erfahrung des Operateurs (>50 Eingriffe, RR 0,6) und entsprechender intraoperativer Technik das Risiko einer postoperativen permanenten Recurrensparese gesenkt werden konnte [54].

Eine prospektive Querschnittsstudie mit 3.574 Thyreoidektomien durch 28 Chirurgen an fünf französischen Referenzzentren zeigte als wichtigsten, signifikanten Faktor für die Komplikationsrate die Jahreszahl der Berufserfahrung des Chirurgen. Ein erhöh-tes Risiko zeigt sich bei Chirurgen mit weniger als fünf Jahren Berufserfahrung. Al-lerdings ist auch bei Chirurgen mit über 20-jähriger Berufserfahrung das Risiko für eine Recurrensparese dreifach und für einen Hypoparathyreoidismus 7,6-fach er-höht. Als Ursache wurde bei den jüngeren Chirurgen die geringere Praxiserfahrung, bei den älteren Operateuren schwierigere und komplexere Patienten sowie mit den

5 Diskussion 51 Operationen konkurrierende administrative Aufgaben vermutet. Die besten Resultate erzielten Chirurgen im mittleren Abschnitt ihrer Berufslaufbahn [59].

Eine andere retrospektive Analyse mit 332 Patienten ergab hingegen, dass die Wahl des Operateurs keine Auswirkungen auf einen postoperativen temporären oder per-manenten Hypoparathyreoidismus hatte [60]. Auch drei weitere retrospektive Unter-suchungen demonstrierten, dass der Ausbildungsstand des Operateurs keine Aus-wirkung auf die Komplikationsrate nach Schilddrüsenoperationen hatte [61, 62, 63]. Das Resultat der Erhebung am Klinikum Mutterhaus der Borromäerinnen stimmt mit diesen Erfahrungen gut überein.

In der vorliegenden Untersuchung wurden Assistenzärzte, Fachärzte ohne Leitungs-funktion, Oberärzte und Chefärzte hinsichtlich der Komplikationsraten bei Schilddrü-senoperationen verglichen. Hierbei konnten keine signifikanten Unterschiede zwi-schen den vier Gruppen gefunden werden. Lediglich die Nachblutungsrate der Pati-enten von Fachärzten ohne Leitungsfunktion war bei insgesamt sehr niedriger Präva-lenz dieser Komplikation statistisch signifikant höher als bei den Operationen durch die Gruppe der Chefärzte. Eine mögliche Ursache könnte darin liegen, dass junge Fachärzte bei der Operation nun auf sich alleine gestellt sind, wohingegen Assis-tenzärzte grundsätzlich einen erfahrenen Oberarzt oder Chefarzt bei der Operation als Assistenz an der Seite hatten. Es sei jedoch auch darauf hingewiesen, dass die Blutungsrate aller Patienten mit 1,65% insgesamt gering ist und bezüglich des Auf-tretens der häufigeren Komplikationen einer Hypocalcämie sowie einer Recurrensparese keinerlei statistisch signifikante Unterschiede zwischen den vier Gruppen der Operateure festgestellt wurden. Die erfreulich niedrige Komplikationsra-te der AssisKomplikationsra-tenzärzKomplikationsra-te zeigt, dass im Rahmen der chirurgischen und HNO-ärztlichen Ausbildung eine geringere Operationserfahrung durch standardisierte Abläufe und eine konsequente oberärztliche und chefärztliche Assistenz und Supervision ausge-glichen werden kann. Ein Patient, der unter diesen Bedingungen von einem Assis-tenzarzt operiert wird, hat somit kein erhöhtes Komplikationsrisiko.

Von 2001 bis 2010 wurden 72% der Patienten entweder von einem Chefarzt oder von einem Oberarzt operiert. Da die vorliegende Dokumentation aufzeigt, dass kein erhöhtes Risiko für die Komplikationen Blutung, Hypocalcämie und Recurrensparese nach einer Schilddrüsenoperation durch einen Assistenzarzt besteht, könnte zwecks Ausbildung eine bessere Verteilung der Operationen zugunsten der Assistenzärzte ohne erhöhtes Risiko für den Patienten erwogen werden.

Vergleicht man nun die Komplikationsrate nicht nach dem Ausbildungsstand, son-dern nach der Anzahl der während des Beobachtungszeitraumes durchgeführten Zahl von Operationen, ergeben sich, im Unterschied zu den von Thomusch [54] vor 10 Jahren publizierten Resultaten, ebenfalls keine statistisch signifikanten

Unter-5 Diskussion 52 schiede zwischen den einzelnen Komplikationsraten. Das Ergebnis kann durch einen hohen Grad der Standardisierung der Operationsabläufe oder durch einen hohen Ausbildungsstand auch bei den Ärzten, die seltener Schilddrüsenerkrankungen ope-rieren, interpretiert werden.

Zusammenfassend kann man also feststellen, dass sich der Ausbildungsstand des Operateurs nicht auf die perioperativen Komplikationen Hypocalcämie und Recurrensparese bei Schilddrüsenoperationen benigner Schilddrüsenerkrankungen auswirkt. Dieses Ergebnis spiegelt die mehrheitliche Meinung der in der Literatur gefundenen Studien wieder.

5.4 Postoperative Komplikationen

Die Komplikationsraten verschiedener Schilddrüsenoperationen wurden bei mehr als zwei Dutzend klinischen Untersuchungen mit Patientenzahlen zwischen 47 und 4895 verglichen, von welchen nur zwei Untersuchungen prospektiv sind [64, 65]. Im Fol-genden werden die wichtigsten Ergebnisse hinsichtlich perioperativer Komplikationen der vorliegenden Studie mit Ergebnissen der Literatur verglichen. Tabelle 18 gibt einen Überblick über die Komplikationsraten nach subtotaler, fast-totaler und totaler Thyreoidektomie verschiedener Studien der letzten Jahre.

Tabelle 18: Literaturvergleich zu den Komplikationsraten (%) nach subtotaler (ST), fast-totaler (NT) und totaler Thyreoidektomie (TT)

Autor Jahr (PubliKation)

Patienten Passagere

Recurrensparese (%)

Permanente Recurrensparese (%)

Passagere Hypocalcämie

(%)

Permanente Hypocalcämie

(%)

ST NT TT ST NT TT ST NT TT ST NT TT ST NT TT

Retrospektiv

66 1993 430 178 3,0 4,0

67 1995 122 79 0,0 0,0 0,0 0,0 9,7 13,9 7,0 5,7

68 1998 108 451 0,9 0,6 25,0 29,0

9 1999 316 800 136 5,3 5,5 13,2 0,9 0,8 1,5 25,0 23,1 33,0 1,3 1,0 2,9

69 2000 71 39 61 2,2 15,4 37,7

33 2001 4571 324 -- 8,6 0,7 0,9 -- 28,4 0,7 0,9

70 2003 71 58 0,0 1,7 0,0 0,0 19,7 24,1 0,0 0,0

54 2003 4580 88 1,7 4,5 0,8 2,3 6,3 21,6 0,9 10,5

31 2004 95 105 6,3 9,5 0,0 1,0 9,5 11,4 0,0 1,0

71 2004 109 109 0,9 0,9 0,0 0,0 0,9 1,8 0,0 0,0

72 2005 170 320 260 2,4 0,6 1,9 0,6 0,0 0,0 8,2 12,2 30,0 0,0 0,0 0,4

32 2005 35 48 17 2,8 4,2 5,9 0,0 2,1 0,0 14,3 15,6 35,3 0,0 2,1 5,8

73 2009 147 74 25 3,4 1,4 12,0 <0,1 1,4 0,0 19,7 28,4 32,0 2,7 1,4 8,0

pros- pektiv 64 1998 72 69 3,0 3,0 1,0 0,0 18,0 35,0 1,0 3,0

65 2006 112 104 0,9 0,9 0,0 0,0 9,8 26,0 0,0 0,0

5 Diskussion 54

5.4.1 Nachblutung

Zur perioperativen Nachblutung bei benignen Schilddrüsenoperationen sind in der Literatur nur wenige Aussagen zu finden. Ein Review mit 526 thyreoidektomierten Patienten zeigt in 1,5% der Fälle postoperative Nachblutungen. Hier wird die totale Thyreoidektomie erneut als sichere Methode der Wahl beschrieben [74]. In einer anderen Studie konnten nach subtotaler Thyreoidektomie höhere Nachblutungsraten als nach totaler Thyreoidektomie festgestellt werden [75].

In der vorliegenden Untersuchung kam es insgesamt bei 1,65% der Patienten zu einer perioperativen Nachblutung. Es konnte jedoch weder ein Zusammenhang der Blutungsrate mit der zugrunde liegenden Erkrankung noch mit der Wahl des Operati-onsverfahrens gefunden werden. Die postoperative Nachblutungsrate hängt im un-tersuchten Patientenkollektiv weder vom Operationsverfahren noch von der Grund-erkrankung ab.

Auffallend ist, dass mit zunehmendem Alter auch die Rate an postoperativen Blutun-gen anstieg. Der Grund hierfür lässt sich aus den vorhandenen Daten nicht eruieren.

Möglich wäre der Einfluss einer allgemeinen Arteriosklerose, einer Hypertonie oder einer, präoperativ natürlich pausierten, Antikoagulationstherapie im höheren Alter auf das perioperative Blutungsrisiko. Diese Parameter wurden jedoch im Rahmen der vorliegenden Erhebung nicht erfasst.

5.4.2 Hypocalcämie

Die postoperativen Hypocalcämieraten zeigen sich in der Literatur sehr variabel. So trat eine passagere oder transiente postoperative Hypocalcämie in 25 Untersuchun-gen bei 1,8% [71] bis 42% [76] der Patienten auf. Sechs ErhebunUntersuchun-gen untersuchen Patientengruppen von mehr als 1000 Personen [9, 77, 78, 79, 80, 81] und sind somit mit der vorliegenden Arbeit bzgl. des Umfangs der Erhebung vergleichbar.

Andererseits sind all diese Untersuchungen nur schwierig vergleichbar, da eine

„Hypocalcämie“ jeweils sehr unterschiedlich definiert ist. In einigen Untersuchungen wird eine Hypocalcämie nur als Komplikation gewertet, wenn diese auch mit Symp-tomen einhergeht, andere Untersucher zählen alle Patienten mit einem Calcium-Wert

„Hypocalcämie“ jeweils sehr unterschiedlich definiert ist. In einigen Untersuchungen wird eine Hypocalcämie nur als Komplikation gewertet, wenn diese auch mit Symp-tomen einhergeht, andere Untersucher zählen alle Patienten mit einem Calcium-Wert