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Beziehungen innerhalb der Exekutivstrukturen

Im Dokument Vorwärts in die Vergangenheit (Seite 193-200)

4. 1994 bis 1996: Bewährungsprobe des institutionellen Settings

4.2.1. Präsident und Regierung

4.2.1.2. Beziehungen innerhalb der Exekutivstrukturen

Aufgrund der Rekrutierung neuen Personals stießen nach den Präsidentschaftwahlen 1994 konservative, mit der sowjetischen Bürokratie vertraute professionelle Beamte (…inovniki), vom alten System geprägte, aber nun erfolgsabhängige politische Unternehmer und reform-orientierte, aber häufig unerfahrene neue Entscheidungsträger in Staatsapparat, Präsidialad-ministration und Regierung (der Oberste Sowjet bestätigte alle Personalvorschläge Lu-kaÓenkas) aufeinander, wobei es allen nicht selten an Professionalität und Problemlösungs-kompetenz mangelte. Eine klare politische Richtung ließ die Personalmischung schon deshalb nicht erkennen, weil der Präsident über keine eigene "Hausmacht" verfügte.83

Zur ersten Gruppe neuer Führungspersonen an der Spitze des Staates zählten die jüngeren Unterstützer LukaÓenkas während des Wahlkampfes, insbesondere Nicht-Linke. Vyktar Han…ar wurde Vize-Premier, Andrej Sannikaß stellvertretender Minister für Auswärtige An-gelegenheiten, Anatol' Majsenja Minister für Information, Aljaksandr Fjaduta Chef der

79 Sie leiteten in dieser Tradition nicht nur absolute Werte in Konsequenz aus einem bestimmten Zweck ab, der alle Erscheinungen zu einer Einheit verbinde, sondern nahmen weiterhin an, daß auch ganz konkrete Po-litik als zum Wohle der Allgemeinheit oder aber gegen sie charakterisiert werden kann. Vgl. u.a. Aileen Kelly, Zur Einführung, in: Berlin, Isaiah, Russische Denker, Frankfurt a.M. 1995, S. 11-25, hier S. 13.

80 Vgl. Markoff zu einer ähnlichen Wahrnehmung in Westeuropa und Nordamerika gegen Ende des 18.

Jahrhunderts. Markoff, Waves, S. 3.

81 Vgl. Krivickij/Nosov, Belorusskaja, S. 15.

82 Vgl. Simon, Gerhard, Perestroika - eine Zwischenbilanz, Köln 1989, S. 13.

waltung für gesellschaftlich-politische Information beim Präsidenten, Leanid Zaika Leiter des Institutes für strategische Untersuchungen beim Präsidenten, Dzmitri Bulachaß arbeitete im Präsidentenrat etc. Seinen einstigen Chef, den ehemaligen Ersten Sekretär des Mahileßer Be-zirksparteikomitees Vasil' Ljavonaß, ernannte LukaÓenka zum Landwirtschaftsminister. Er besaß in der Folgezeit weitreichenden politischen Einfluß und wurde von Exekutive und Op-position aufgrund seines für beide Seiten akzeptablen moderaten Reformwillens dauerhaft als Kandidat für den Posten des Premiers diskutiert. Der ehemalige Vizespeaker des Obersten Sowjets, Vasil' Òaladonaß, blieb weiterhin Generalstaatsanwalt.

Eine zweite Gruppe neuer Personen im Staatsapparat und der Präsidialverwaltung bildeten zuvor niedriger positionierte und weniger gut ausgebildete, aber erfahrene und ebenfalls jün-gere Mitarbeiter der regionalen nomenklatura, insbesondere aus den Kreisexekutivkomitees, aber auch Führungspersonen aus dem Landwirtschaftsbereich und anderen Wirtschaftssekto-ren sowie Offiziere der mittleWirtschaftssekto-ren KommandostruktuWirtschaftssekto-ren, wie Viktar Òejman, ein Abgeordneter des 12. Obersten Sowjets, der als Staatssekretär Chef des Sicherheitsrates wurde. Mit diesen Personen, die als zweite Garde der Provinznomenklatura häufig einen vergleichbaren Kennt-nisstand und Erfahrungshintergrund besaßen wie LukaÓenka, ersetzte er nicht ohne einen ge-wissen Revanchismus etliche Positionen im ehemaligen Machtzirkel um seinen Kontrahenten Kebi…. Zusätzlich garantierte die baldige Einrichtung der "Präsidentenvertikale" eine bessere Kontrolle der regionalen Führungsgruppen, zu denen das Machtverhältnis aufgrund der Ver-fassungsdefizite weiterhin ungeklärt geblieben war.84 Diese neuen Akteure, denen plötzlich die Chance zum Überspringen einiger Stufen der Karriereleiter geboten worden war, zeigten sich weitaus pragmatischer als die häufig wertrational motivierten nicht-linken Oppositionel-len, denen der neue Präsident Posten zugewiesen hatte, und verhielten sich nach ihrem Auf-stieg in die staatlichen Führungsetagen zumeist loyal gegenüber LukaÓenka. Gleichzeitig ver-suchten sie jedoch häufig auch, weitreichende Reformen zu verhindern, um sich den dauerhaften Zugriff auf die administrativen Ressourcen zu sichern.85

Der Präsident vergab jedoch wichtige Ämter nicht nur an dieses neu rekrutierte Personal, darunter auch der politisch eher unerfahrene Michail „yhir'86, sondern auch an hochrangige

83 Vgl. Kotikov, ZaÓ…ita, S. 34; Markus, Ustina, Business as Usual With Lukashenka, in: Transition 1 (1995) 8, S. 57-61, v.a. S. 57 f.; Gazeta "Zavtra" o kadrovoj politike A. LukaÓenko, in: Belorussija, 29.3.-3.4.1999, S. 4.

84 Siehe Kap. 4.3.1.

85 Vgl. Karbalevi…, Valerij/Rovdo, Vladimir/„ernov, Viktor, Problemy formirovanija grañdanskogo obÓ…estva v Belarusi, Minsk 1996, S. 61; Kotikov, ZaÓ…ita, S. 37; Rovdo, Vladimir, Nacional'naja ideja kak for-ma artikuljacii grañdanskogo obÓ…estva Belarusi, in: NCSI/INI (Hrsg.), Demokrati…eskie processy v Belarusi, Minsk 1997, S. 39-47, hier S. 40.

86 Siehe Kap. 4.1.2.

nomenklatura-Vertreter, die zuvor Kebi… unterstützt hatten. Sjarhej Linh, seit 1991 Vorsitzen-der des Staatskomitees für Ökonomie und Planung, Wirtschaftsminister und stellvertretenVorsitzen-der Vorsitzender des Ministerrates, blieb auch in der am 22.7.1994 vom Parlament bestätigten neuen Regierung stellvertretender Premier. Michail Mjasnikovi…, 1991 bis 1993 Erster stell-vertretender Vorsitzender des Ministerrates, zuvor ein starker Gegner LukaÓenkas, behielt ebenfalls seinen Posten. Uladzimir Sjan'ka, neuer Außenminister, stieg wie einige seiner Kol-legen vom Stellvertreterposten an die Spitze des Ministeriums auf. Die alten Amtsinhaber setzte LukaÓenka häufig nicht einfach ab, sondern fand sie mit anderen Leitungsposten ab.87 Diese Einbindung der nomenklatura in Schlüsselpositionen ging über das gewöhnliche Maß hinaus, das damit zu erklären gewesen wäre, daß es an unbelasteten erfahrenem Führungsper-sonal und damit an Alternativen mangelte. Sie war vermutlich darauf zurückzuführen, daß LukaÓenka als newcomer ohne gewachsene Netzwerke auf dieser Machtebene eine Niederlage in der Auseinandersetzung mit den politischen und funktionalen Führungsgruppen befürchte-te. Seine Taktik bestand darin, einflußreiche hohe Funktionäre durch weitere Einbindung, a-ber auch durch politisch-institutionelle Verschiebungen besser zu kontrollieren, denn ein Großteil des Staatsapparates und der Abgeordneten akzeptierte ihn wegen seines Querein-stiegs und der Korruptionsbeschuldigungen zunächst nicht, was sein Unsicherheitspotential steigerte.88 Im Ergebnis vertrat die Exekutive v.a. die Interessen der Agrarlobby, der nicht nur Linh, sondern auch das Staatsoberhaupt selbst entstammte, sowie der neuen ökonomischen Führungsschicht (nomenklatura-Kapitalisten). Letztere bestand v.a. aus dem landwirtschaftli-chen Zweig („yhir', Òarecki) und der Baubranche (Prokapovi…), deren Vertreter besonders fi-nanzstark waren. Hingegen verloren die promyÓlenniki, die unter Kebi… stark gewesen waren, ihre Lobby in Exekutive und Staatsapparat. LukaÓenka bekämpfte sie nicht, konnte sie jedoch auch nicht fördern, da er sich im Wahlkampf gegen sie und Kebi… gewandt hatte. Wie in der Bevölkerung fand die Politik LukaÓenkas auch in den Führungsgruppen etwas mehr Resonanz im Osten (Vicebsk, Mahileß, Hrodna). Insgesamt war die Unterstützung in den Regionen je-doch etwa gleichmäßig stark.

Gerade angesichts seiner Wahlslogans und -versprechen war auffallend, daß nach Lu-kaÓenkas Amtsantritt kaum jemand aus der politischen und funktionalen Führung tatsächlich wegen Korruption zur Verantwortung gezogen wurde.89 Im August 1994 schuf der Präsident

87 Vgl. Zaiko, Elite, S. 244 f.

88 Vgl. Stone, Pariah, S. 10; Interview mit Leanid Zaika (Sozialwissenschaftler), 25.11.1999, Minsk.

89 So hatte Mjasnikovi… unter Kebi… die staatlichen Betriebe verwaltet und war während der Liberalisie-rungsphase wie andere hohe Entscheidungsträger über Renteneinnahmen reich geworden. LukaÓenka hatte ihn in seinem Wahlkampf als "reichsten Mann in Belarus'" bezeichnet, ernannte ihn aber trotzdem zum Vize-Premier.

das ihm unterstellte Komitee für den Kampf gegen die Korruption in den staatlichen Macht- und Leitungsorganen, mit dessen Leitung er seinen Unterstützer Juryj Malumaß betraute. Das aus 13 Mitarbeitern des Innenministeriums und des KDB bestehende Organ spielte jedoch ebenso wie mehrere Antikorruptionsdekrete von 1995 eine untergeordnete Rolle, nicht zu-letzt, da die übernommenen Entscheidungsträger, auf deren Loyalität und Kompetenz Lu-kaÓenka nicht verzichten konnte, entsprechenden Druck ausübten.90 Die zuvor erhobenen Vorwürfe führten letztlich kaum zur strafrechtlichen Verfolgung, sondern lediglich zur perso-nellen Umbesetzung von Ämtern. Dies hatte wie die im Zuge der unter Kebi… begonnene Mi-litärreform den Nebeneffekt, daß insbesondere die Schlüsselpositionen der Sicherheitsbehör-den, wie Grenzschutz, KDB, Innenministerium, aber auch des Militärs mit neuen Personen besetzt wurden, die LukaÓenka loyal gegenüber standen. Obgleich diese Organe regelmäßig mit zwischenbehördlichen Intrigen befaßt war, besaß LukaÓenka mit der personellen Umbe-setzung strategisch wichtiger Posten eine gute Machtbasis.91

Die unterschiedlichen Interessen der widerstreitenden Akteursgruppen in der Exekutive, die LukaÓenka zu vereinen gesucht hatte, führten aber bereits wenige Monate nach der Neu-besetzung der Machtpositionen zu Auseinandersetzungen. Grund dafür waren nicht nur unter-schiedliche Interessen und Erfahrungshorizonte der Akteure, sondern v.a. der Streit um Macht und um Einfluß auf LukaÓenka.92 Er selbst distanzierte sich zunehmend von den Unterstützern seines Wahlkampfteams, da er ihre Konkurrenz befürchtete und den weiterhin starken Einfluß ihrer Gegenspieler in der Exekutive spürte. Sie erwiesen sich für ihn und seinen kurz- bis mit-telfristigen Machterhalt als bedeutender und verlangten im Gegenzug für ihre Loyalität die geringsten Abstriche von seinen politischen Zielen. Entscheidende rationale Kriterien bei der Wahl der Verbündeten waren demnach der Grad der Durchsetzung der eigenen Ziele (Positi-onserhalt, policies etc.) sowie der Erhöhung des eigenen politischen Kapitals (Ressourcen, wie Einfluß/Macht). Die Koalition mit dem nomenklatura-Establishment schuf für beide eine win-win-Situation. Aufgrund ihrer Unterzahl und der fehlenden informellen Netzwerke in den Machtstrukturen, aus denen sich strategische Nachteile ergaben, erlitten die nicht-linken Ma-chiavellisten und die Demokraten eine Niederlage und verließen den Machtzirkel teils aus

Verteidigungsminister Pavel Kazloßski, Forstwirtschaftsminister Heorhi Novicki, Handelsminister Valjancyn Bajdak wurden zwar wegen Korruptionsvorwürfen 1995 ihrer Ämter entoben, doch zog dies keine weiteren Konsequenzen nach sich. Vgl. Markus, Business, S. 58.

90 Zu den Maßnahmen zählte die Offenlegung aller Einkommen der Mitarbeiter von Regierung und Präsi-dialadministration (inklusive er selbst), die Verpflichung von Banken und staatlichen Institutionen, dem KDB notwendige Materialien zur Aufklärung von Korruptionsfällen zur Verfügung zu stellen u.ä.

91 Vgl. Markus, Business, S. 58; Zaiko, Elite, S. 245; Feduta, Aleksandr, Zagovor protiv Prezidenta?, in:

Imja, 5.9.1996.

92 Vgl. Tribuna prezidenta Respubliki Belarus', in: Belarus Today 194/1994, S. 2.

Enttäuschung, teils unter Druck, teils aus der Einsicht, daß sich LukaÓenka mit Hilfe anderer Koalitionspartner entgegen ihren Erwartungen gegen sie durchsetzte. Vize-Premier Han…ar wurde wegen Meinungsverschiedenheiten im Herbst 1994 aus dieser Funktion entlassen und trat offiziell aus eigenem Wunsch zurück. 1995 verließen neben anderen Bulachaß und Fjadu-ta die Präsidialadministration. Etliche der "Abtrünnigen" wechselten in das Lager der Opposi-tion und wurden erbitterte Gegner des Präsidenten, so Han…ar, Ljabedz'ka und Fjaduta. Im Zuge der veränderten Akteurskonstellationen bereits wenige Monate nach den Präsident-schaftswahlen setzten sich in der Exekutive mit der obersten Schicht des Minsker Staatsappa-rates und der Gebiete sowie dem Direktorat der staatlichen Betriebe wie unter Kebi… ehemali-ge nomenklatura-Kader durch, die an weitreichenden Reformen nicht interessiert waren.93 Neu waren im wesentlichen die konkreten ökonomischen Interessen, die im Machtzentrum berücksichtigt wurden, sowie die Rückkehr auch ehemaliger kommunistischer Funktionäre in führende Positionen. So ernannte der Präsident Ivan Antanovi…, zwischenzeitlich KP-Sekretär in Rußland und zuvor Kebi…-Verbündeter, im Herbst 1995 zum Stellvertretenden Außenmini-ster.

Die Verschärfung der innenpolitischen Konflikte 1995, die auf allen Seiten zu einer Radi-kalisierung des Sprachgebrauches führte, bewirkte jedoch auch in der Exekutive ein stärkeres Unsicherheitsgefühl. Dies förderte die Herausbildung einer Gruppe von "Vertrauten" um Lu-kaÓenka. Insbesondere Òejman gelang es, zunehmend Einfluß in der Exekutive und auf den Präsidenten selbst zu nehmen. Nachdem ihn LukaÓenka am 23.1.1996 in den Rang eines Staatssekretärs und Präsidialassistenten befördert sowie dem von ihm geleiteten Sicherheitsrat auch das präsidiale Komitee für den Kampf mit der Korruption in den staatlichen Macht- und Leitungsorganen unterstellt hatte, beeinflußte Òejman noch stärker die personelle Zusammen-setzung der Machtstrukturen und damit auch das politische outcome. Charakteristisch – insbe-sondere auf dem Höhepunkt der innenpolitischen Krise 1996 - waren häufige Personalwechsel in verantwortlichen Posten sowie der umfassende Ausbau des Sicherheitsdienstes des Präsi-denten, dem auch der Schutz der Regierung unterstand.94 Während dieser Prozesse nahm die Bedeutung politischer Loyalität zu, wie sich am Schicksal von Valeryj Kez, Vasil' Òaladonaß

93 Vgl. „ernov, Priroda, S. 76; Karmanov, Juras', Ot LukaÓenko uchodjat samye blizkie, in: Nezavisimaja gazeta, 22.12.1994, S. 3.

94 Zur Zeit des Amtsantritts des Präsidenten bestand der Sicherheitsdienst aus 40, im Juni 1996 bereits aus 250 sehr gut bezahlten Mitarbeitern. LukaÓenka umgab eine zunehmende Anzahl von Personenschützern mit mi-litärischer Spitzenausbildung ("Alpha"). Der in eine Regelungsgrauzone fallende Dienst folgte keinen speziellen juristischen Bestimmungen, besaß keine Geschäftsordnung, wurde intern aus dem speziellen Präsidialfonds fi-nanziert und entzog sich damit der gesellschaftlichen bzw. parlamentarischen Kontrolle. Vgl. Silovye struktury.

Viktor Òejman iÓ…et kandidatov v zamestiteli, in: BDG, 5.6.1996; Anis'ko, Sergej, Silovye struktury. Novye

ka-und Juryj Zacharenka zeigte.95 Maßnahmen gegen konkurrierende Einflußgruppen in den Machtorganen und staatlichen Strukturen wurden jedoch keinesfalls immer und häufig nicht direkt vom Präsidenten selbst unternommen. Vielmehr war auch LukaÓenka selbst Instrument organisierter Interessen, unter denen sich jene nomenklatura-Gruppen und ökonomischen Ak-teure durchsetzten, die von einer geringen Liberalisierung und der Nähe zu Rußland direkt oder indirekt profitierten und die ihr politisches Kapital nicht abzugeben bereit waren.96 Daß dem Präsidenten die nötige Fachkompetenz, Erfahrung, Zeit, der Überblick u.ä. fehlte, um seine umfangreichen Kompetenzen auszufüllen, erleichterte diesen Spielern die Durchsetzung ihrer Ziele.

Die erfolgreichsten Interessenagenten strebten aufgrund der 1994 festgeschriebenen Kom-petenzverteilung nach strategischen Positionen nicht in der Regierung, sondern in der Präsidi-aladministration mit dem Präsidialrat und den Assistenten des Staatsoberhauptes, dem Sicher-heitsrat, verschiedenen Komitees und Abteilungen, darunter die ehemalige Versorgungsver-waltung des Ministerrates. Der große personelle und positionale Umfang der Administration war insbesondere deshalb bedeutsam, weil LukaÓenka im Sinne seines im Wahlkampf ange-kündigten Sparkurses gleichzeitig die Anzahl der Ministerien und das Personal auf zentraler und regionaler Ebene radikal kürzte sowie alle Staatkomitees und Verwaltungen beim Mini-sterrat schloß.97 Die Präsidialadministration verdiente mit und sicherte damit für den

dry reÓajut vse, in: BDG, 19.8.1996; Michal'…ik, Evgenij, Pograni…niki: za gran'ju vozmoñnogo, in: BDG, 25.8.1997; Zagorskij, Jan, Vertikal'nye i ministry budut pod kolpakom u Òejmana, in: BDG, 1.7.1996.

95 Der LukaÓenka-kritische Generalstaatsanwalt Òaladonoß wurde 1995 nach Ermittlungen der präsidialen Kontrollorgane im Zusammenhang mit seiner Wohnungsprivatisierung entlassen und durch den politisch loyalen Vasil' Kapitan ersetzt. General Kez, zuvor KDB-Mitarbeiter, wurde unter Òejman Erster Stellvertreter des Staats-sekretärs des Sicherheitsrates und ließ diesem kompromittierendes Material über zwei hohe belarussische Ent-scheidungsträger zukommen. Um in der innenpolitisch aufgeheizten Atmosphäre die Angelegenheit zu vertu-schen, sorgte Òejman 1996 dafür, daß Kez zunächst vom Präsident per Ukas dem KDB-Vorsitzenden zugeteilt und in einem zweiten Schritt in die Reserve versetzt wurde. Gegen Innenminister Zacharenka erhob das präsidia-le Komitee für den Kampf mit der Korruption in den staatlichen Macht- und Leitungsorganen 1996 Korruptions-vorwürfe, zu einem Zeitpunkt, als seine Differenzen mit dem Präsidenten besonders stark wurden. Er wurde dar-aufhin vom Präsidenten entlassen.

96 So plante 1996 der Sicherheitsrat den Rücktritt des stellvertretenden Premiers Linh als "Verantwortli-chem" für die innere Krise, der nur durch ein Rücktrittsgesuch seines Stellvertreters Leanid Sinicyn abgewendet wurde. Gegen Sinicyn hatte intern wiederum Präsidialamtschef Cicjankoß gearbeitet. Auch daß der Präsident die ihm nahestehende "Belarusbank"-Chefin Tamara Vinnikava noch während einer großangelegten Untersuchung gegen sie und ihre Firma im Sommer 1996 (wegen besonders schwerer Unterschlagung) als mögliches neues Kabinettsmitglied protegierte, indizierte diese Konstellation. Mehrere Personen, die 1996 aus hohen Entschei-dungspositionen ausschieden (Sinicyn, „yhir', Pastuchoß u.a.), entsprachen nicht dem Profil der persönlichen und politischen Kontrahenten LukaÓenkas und waren also eher Opfer der Machtabsicherung bestimmter Interes-sengruppen in der Exekutive oder persönlicher Intrigen. Vgl. Feduta, Aleksandr, DejstvujuÓ…ie chamy i ispolnite-li, URL: http://www.bdg.minsk.by/whoiswho/93.htm, 27.7.1999; eigene Interviews.

97 1995 gehörten der Präsidialadministration etwa 180 Personen an. Ihre innere Struktur war gesetzlich nicht festgeschrieben, unterstand allein dem Staatsoberhaupt und konnte daher faktisch unkontrolliert ausgebaut werden. Zugute kam dem Präsidenten dabei, daß er Personen oder Ämtern Regierungsstatus verleihen konnte.

Die Verwendung der finanziellen Mittel aus dem Präsidentenfond, die durch Verkauf und Verpachtung von staatlichen Immobilien erhöht wurden, entzog sich der parlamentarischen Kontrolle. Durch die Erteilung von

dentenfond Finanzen außerhalb des Staatsbudgets und damit außerhalb der parlamentarischen Kontrolle.

Dieser kompetenzgemäße Vorgang stärkte die faktische Machtposition der Administration.

Neben Òejman avancierten Uladzimir Zamjatalin und Ivan Cicjankoß zu den wichtigsten Per-sonen hinter dem Staatsoberhaupt. Erstere hatten bereits zuvor die Nähe zum Machtzentrum gesucht und Kebi… im Wahlkampf äußerst aktiv unterstützt. Der erfahrene slawophile Agitator Zamjatalin hatte als Führungskraft im Verteidigungsministerium und als Pressesekretär von Premier Kebi… gearbeitet. Er wurde 1995 zunächst Abteilungsleiter für Information in der Präsidialadministration, doch LukaÓenka übergab ihm bereits am 15.7.1995 die Führung der Hauptverwaltung für gesellschaftlich-politische Information und den stellvertretenden Vorsitz der Präsidialadministration. Zamjatalin kontrollierte seither faktisch die staatlichen Medien und nahm auch Einfluß auf deren Inhalt.98 Cicjankoß, wie LukaÓenka aus dem Bezirk Mahileß und einer seiner Unterstützer im Wahlkampf, organisierte als "Verwalter der Angelegenheiten des Präsidenten" den Haushalt der Präsidialadministration und leitete deren sukzessive Über-nahme und Bewirtschaftung von Besitztümern des Staates und der anderen politischen Orga-ne, wodurch sie ihr Budget und ihren Einfluß noch stärker erweiterte.99 Über diese drei Lu-kaÓenka-Vertrauten hinaus spielte auch Vizepremier Mjasnikovi…, zuständig für Handel, Transport und Kommunikation, eine wichtige politische Rolle. 1995 wurde er Leiter der Prä-sidialadministration.

Die Strategie der einflußreichen Interessenagenten hinter LukaÓenka bestand darin, sich selbst weitgehend im Hintergrund zu halten und den charismatischen, populären Präsidenten als wichtigsten Entscheidungsträger aufzubauen, zu stärken und zu inszenieren, was wieder-um dessen Interesse entsprach. Diese symbiotische Beziehung war jedoch strukturell asym-metrisch: LukaÓenka blieb stets bestrebt, seine eigenen Zielsetzungen (politische Macht, Re-putation etc.) maximal zu erfüllen und das agenda-setting zu kontrollieren, was er durch häu-fig überraschende Maßnahmen (Kompetenz- und Personalverschiebungen, policies)

Steuernachlässen für bestimmte Unternehmen, wie "Torgekspo", verdiente die Administration an Zoll-Arbitrage-Geschäften beim Verkauf von Produkten nach Rußland mit. Vgl. u.a. Wostok 2 (1994) 4, S. 10-14; Lindner, Sy-stemwechsel, S. 22.

98 Vgl. Feduta, Aleksandr, Za vse, v …em byl i ne byl vinovat, in: BDG, 27.1.1997.

99 Die Präsidialadministration übernahm nicht nur das Zentrale Druckhaus, die Fahrbereitschaft des Ober-sten Sowjets u.ä. 1996 verfügte sie auch über eine Reihe von Kolchosen, das Landschaftsschutzgebiet "Belo-veñskaja puÓ…a", eine Kunstgewerbefabrik, zahlreiche administrative Einrichtungen, Hotels, Sanatorien u.a. Vgl.

KaÓkan, Ivan, Podrobnosti. Meñvedomstvennaja kommissija zastrjala v chozjajstve Ivana Titenkova, in: BDG, 5.2.1996; Ivan Titenkov podvodit itogi raboty za god upravlenija delamii Prezidenta Belarusi, in: BDG, 31.7.1995; Interv'ju Interfaksu upravljajuÓ…ego delami Prezidenta Ivana Titenkova, URL:

http://www.bdg.minsk.by/whoiswho/261.htm, 1.8.1999; Machovskij, Andrej, Vedomstvom Ivana Titenkova zajmetsja Kontrol'naja palata, in: BDG, 3.11.1995; Zimovskij, Ales', Vlast'. Prezident zaÓ…iÓ…aet Ivana Titenkova ot neob'ektivnoj proverki, in: BDG, 3.7.1996.

ßig zu unterstreichen suchte. Gleichzeitig konnte er jedoch seinen Machterhalt nicht dauerhaft unabhängig von jenen interessengeleiteten Akteuren in der Exekutive und der Wirtschaft ab-sichern. Sein Entscheidungsspielraum war durch dieses Wechselverhältnis limitiert. Daß diese Koalition mit ihren informellen Spielregeln funktionierte, zeigte sich nicht zuletzt daran, daß auch oppositionelle und ausländische Analytiker die tiefer liegenden Interessenkonvergenzen in der belarussischen Innenpolitik mit dem einseitigen Verweis auf die formalen (und wach-senden) Zuständigkeiten des Präsidenten selbst häufig ignorierten bzw. aufgrund eigener poli-tischer Ziele als Motor der politischen Prozesse einseitig LukaÓenka darstellten.

Für die wichtigsten Akteure in der Exekutive stellten die volle Ausschöpfung der gegebe-nen Kompetenzen und die Reetablierung bestimmter politisch-institutioneller Elemente der BSSR (auch in Form informeller funktionaler Äquivalente) sowie die nur graduelle Verände-rung der Wirtschaftsstrukturen teils direkte politische Ziele, teils Mittel zum Zweck des eige-nen Machterhalts dar. Der Absicherung der eigeeige-nen Legitimation dienten etwa der Schutz der

Für die wichtigsten Akteure in der Exekutive stellten die volle Ausschöpfung der gegebe-nen Kompetenzen und die Reetablierung bestimmter politisch-institutioneller Elemente der BSSR (auch in Form informeller funktionaler Äquivalente) sowie die nur graduelle Verände-rung der Wirtschaftsstrukturen teils direkte politische Ziele, teils Mittel zum Zweck des eige-nen Machterhalts dar. Der Absicherung der eigeeige-nen Legitimation dienten etwa der Schutz der

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