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1. Einleitung !

1.4. Soziale Auswirkungen der Schizophrenie

1.4.2. Beziehung zur Kognition

Die auf den folgenden Seiten abgedruckte Tabelle 3 enthält die Kernaussagen einiger Un-tersuchungen zum Zusammenhang von Kognition und sozialem Funktionsniveau. Die meisten Studien finden einen positiven korrelativen Zusammenhang von kognitiver Leis-tung und sozialem Funktionsniveau. Soziales oder funktionales Outcome ist dabei nicht immer mit soziodemographischen Daten wie Arbeitstätigkeit oder Wohnsituation gleichzu-setzen, sondern umfasst auch Dinge wie Lebensqualität, Verrichtung von Alltagstätigkeiten (Haushalt, Einkauf etc.) oder den Erfolg in Trainingsprogrammen für soziale Kompeten-zen.

Hinweise für einen ursächlichen Zusammenhang bieten Längsschnittstudien (Kurtz et al.

2005; Milev et al. 2005), die den negativen Effekt kognitiver Defizite auf sozialen Out-come noch Jahre nach deren Erfassung zeigen. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass Änderungen der Kognition sich nur langsam in Änderungen soziodemographischer Fakto-ren niederschlagen (Green et al. 2004). Als stärker und kurzfristiger mit Kognition ver-bundene Maße gelten: Funktionelle Kapazität, die sich mit Rollenspielen und

standardi-sierten Tests erfassen lässt, und Erfolg in Rehabilitationsprogrammen (Green et al. 2004).

Aufgrund der Bedeutung kognitiver Leistung für sozialen Outcome stellte die MATRICS-Initiative (Measurement and Treatment Research to Improve Cognition in Schizophrenia) eine standardisierte neuropsychologische Testbatterie (Nuechterlein et al. 2008) sowie Ma-ße für funktionelle Kapazität (Green et al. 2008) zusammen. Dies ermöglicht standardi-sierte Studienprotokolle für die Erprobung und Zulassung neuer Medikamente zur Verbes-serung der kognitiven Leistung und damit - so die Hoffnung - des sozialen Outcome.

Einzelnen neuropsychologischen Tests Konstrukte der kognitiven Neurowissenschaften und zugrunde liegenden neuronalen Prozessen zuzuordnen, ist mit den momentan verwendeten Tests nur eingeschränkt möglich, da diese mehr als eine kognitive Fähigkeit für ihre Be-arbeitung benötigen (Lezak 2004). Diese Probleme wendet die CNTRICS-Initiative (Cog-nitive Neuroscience Treatment Research to Improve Cognition in Schizophrenia) auf die Erforschung von Therapiezielen für Kognitions-verbessernde Therapeutika an (Carter und Barch 2007).

Weniger Daten existieren zum Einfluss eines Verlusts kognitiver Leistung auf soziales Funktionsniveau. Friedman et al. (2002) untersuchten 124 chronisch kranke Patienten (Al-ter > 65 Jahre) mit Nachuntersuchung nach 1,2 und nach 4 Jahren. Kognitiver Abbau ging mit Verlust von Fähigkeiten des täglichen Lebens einher. Dabei konnte bereits ein Kognitiver Abfall von erster zu zweiter Testung sowie die Leistung bei erster Testung einen Verlust von alltäglichen Fähigkeiten der letzten Nachuntersuchung vorhersagen.

Indirekte Hinweise für die Bedeutung des kognitiven Abbaus für sozialen Outcome liefert eine Studie von Stirling et al. (2003). Während Kognition bei erster Untersuchung keine Beziehung zu sozialem Outcome zeigt, ist gute Kognition nach 10 Jahren mit gutem so-zialen Outcome verbunden. Bei 24 von insgesamt 49 untersuchten Patienten wurde so-wohl bei Erst- als auch Nachuntersuchung eine neuropsychologische Testung durchgeführt.

Drei von neun Tests zeigten bei der zweiten Untersuchung nach zehn Jahren einen Ab-fall der Leistung, während in zwei Tests Leistungszuwächse zu sehen waren. Die Autoren der Studie vermuten, dass Abfall der Leistung in einigen Tests mit schlechtem sozialem Outcome verbunden sein könnte, führten entsprechende Analysen jedoch nicht durch.

Bei sogenannten Ultra-High-Risk-Patienten - sie erfüllen nicht die diagnostischen Kriterien der Schizophrenie, zeigen jedoch typische Vorpostensymptome - ist eine Verbesserung von Verarbeitungsgeschwindigkeit und visuellem Gedächtnis mit Besserung in sozialem Funkti-onsniveau verbunden (Niendam et al. 2007).

Tabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem FunktionsniveauTabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem FunktionsniveauTabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem FunktionsniveauTabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem Funktionsniveau StudieBeschreibung der Stich- probeErgebnisseKommentar Addington und Addington 1999Nur Scz, ambulante Patien- ten, keine Drogennutzer; N=80, Alters-ø=36,0 Jahre Direkte Maße für sozialen Outcome waren nicht mit Kognition korre- liert. Untersuchte kognitive Domänen: verbale Fähigkeiten, verbales Gedächtnis, visuelles Gedächtnis, räumliches Vorstellungsvermögen, Wortflüssigkeit, kognitive Flexibilität, Vigilanz, Informationsverarbei- tung.

Stichprobe ist relativ klein, homo- gen und kognitiv relativ leistungs- fähig. Hier zeigt sich kein Zusam- menhang von sozialem Funktions- niveau und Kognition. Bellack et al. 1999Nur Scz, ambulante Patien- ten, keine Drogennutzer, Aufteilung in Patienten mit gutem (N=22) Arbeitsout- come (lange Episoden mit Vollzeitbeschäftigung) und solche mit schlechtem Ar- beitsoutcome (N=84); Al- ters-ø=36,0 Jahre

Patienten mit gutem Arbeitsoutcome schnitten bei fast allen neuropsy- chologischen Tests besser ab (ausgenommen zwei Aufmerksam- keitstests). Hohe Leistung in Tests für Verarbeitungsgeschwindigkeit charakterisiert Patienten mit gutem Outcome am besten. Schlechte Leistung in Tests für verbale Flüssigkeit, Vokabular und soziales Prob- lemlösen charakterisiert am besten Patienten mit schlechtem Outco- me. Prämorbide Kompetenzunterschiede konnten die zwei Gruppen nicht hinreichend erklären.

Methodisch gut gemachte Studie. HebtBedeutungvonVerarbei- tungsgeschwindigkeit hervor. Hin- gewiesenwird aufdieTatsache, dassAufmerksamkeitsfunktionen, dieeinRisikomarkerfürSchizo- phrenie sein könnten, hier keinen Einfluss hatten. Dickerson et al. 1996Scz und ScA, keine Dro- gennutzer, nur ambulant behandelte Patienten; N=88, Alters-ø=39,4 Jahre

Tests für Verarbeitungsgeschwindigkeit, räumliches Vorstellungsver- mögen und ein Aphasietest korrelierten mit Subskalen für Tätigkeiten des täglichen Lebens und soziale Aktivitäten sowie mit der Gesamt- skala für soziales Funktionsniveau. Die Subskala für Funktionieren im Bereich Arbeit/Beschäftigung korrelierte nicht mit Kognition.

Lediglich Teilbereichesozialen Outcome stehen in dieser Studie in ZusammenhangmitKognition. Ursachen könntendiekleine Stichprobeunddieverwendeten Maße für Outcome sein. Hofer et al. 2005Nur Scz, keine Drogennut- zer, keine Heimpatienten; N=60, Alters-ø=39,8

Kanonische Korrelation aller neuropsychologischer Tests mit soziode- mographischen Daten (Berufstätigkeita, Wohnunga, Partnerschafta) ergaben einen Korrelationskoeffizienten von r=0,66. Berufstätigkeit korrelierte einzeln mit verbalem Lernen, Exekutivfunktionen, Alertness, optischer Vigilanz, Arbeitsgedächtnis und visuellem Gedächtnis; Wohnsituation mit optischer Vigilanz; Partnerschaft mit keinem der Tests. In Regressionsmodellen waren Visuelles Lernen und Arbeitsge- dächtnis positive Prädiktoren für Berufstätigkeit; Optische Vigilanz für selbstständiges Wohnen.

Kleine, nicht repräsentative Stich- probe, Beziehung zwischen Kogni- tion undsoziodemographischen Daten am deutlichsten für Berufs- tigkeit. KeineKorrelation zu Partnerschaft. Tab. 3. Legende und Fortsetzung auf der nächsten Seite

Tabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem FunktionsniveauTabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem FunktionsniveauTabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem FunktionsniveauTabelle 3. Beziehung von Kognition und sozialem Funktionsniveau Kurtz et al. 2005

Längsschnittstudie mit Follow-up nach einem/vier Jahren. Neuropsychologische Testung erfolgte zu Beginn, sozialer Out- come wurde beim Follow-up erhoben. Scz und schizophreniforme Störung, kei- ne Komorbiditäten; N=60/23b, Alters- ø=28,0/29,8c Jahre Optische Vigilanz und Exekutivfunktionen bei erster Testung kor- relieren positiv mit psychosozialem Funktionsniveau (gemessen mit Quality of Life Scale (Heinrichs et al. 1984) nach einjährigem Follow-up; nach 4 Jahren korrelierte auch verbales Lernen. In Regressionsrechnungen sagte eine gute Leistung in visueller Vigilanz einen höheren Wert auf der Quality of Life Scale vorher.

Längsschnittuntersuchung macht Zusammenhang von initialer Kogni- tion und späterem psychosozialem Funktionsniveau deutlich. Einige Korrelationen erreichen auf- grund kleiner Stichprobe keine sta- tistische Signifikanz. Leung et al. 2008

ScZ und ScA, keine Drogennutzer, nur ambulante Patienten; N=238, Alters- ø=56,2 Jahre Gruppenvergleich von kognitiv eingeschränkten (N=119) und kognitiv normalen (N=111) Patienten ergab signifikante Unter- schiede lediglich bei der Wohnsituation, wobei die kognitiv nor- malen Patienten eher selbstständig wohnen. Berufstätigkeit und Familienstand zeigten keine Gruppenunterschiede.

Grobe Einteilung kognitiver Leistung in zwei Gruppen und hohes Durch- schnittsalter könnten Ursachen für fehlende Unterschiede in Familien- stand und Berufstätigkeit sein. Milev et al. 2005

Längsschnittstudie mit Follow-up nach durchschnittlich 7 Jahren. Neuropsycho- logische Testung erfolgte zu Beginn, so- zialer Outcome wurde beim Follow-up erhoben. Ersterkrankte mit Scz, ScA und schizo- phreniformer Störung; N=99, Alters- ø=24,0 Jahre Globales psychosoziales Funktionsniveau und Freizeitaktivitäten wurden durch verbales Gedächtnis, Verarbeitungsgeschwindig- keit und Aufmerksamkeit vorhergesagt (R2=0,11 bis 0,15). Verar- beitungsgeschwindigkeit und Aufmerksamkeit sagten berufli- ches Funktionieren voraus(R2=0,099). Verbales Gedächtnis sagte Partnerschaftsstatus voraus(R2=0,083).

Methodische solide Untersuchung, die Relevanz spezifischer kognitiver Domänen für spezifische Bereiche des Outcome zeigt. Anteil an nicht erklärter Varianz ist bemerkenswert. Nuech- terlein et al. 2008

ScZ und ScA, überwiegend ambulante Patienten, 5 verschiedene Zentren liefer- ten Daten; N=176, Alters-ø=44,0 Jahre Höchste Korrelation verschiedener kognitiver Domänen und Ein- zeltests: Berufstätigkeit - Verarbeitungsgeschwindigkeit (TMT A, ZST): r=0,30; soziales Funktionsniveau - Logisches Denken und Problemlösen: r=0,12; Unabhängiges Leben - Aufmerksamkeit/Vigilanz: r=0,21)

Ergebnisse dienten der Auswahl von Tests für die MATRICS (siehe Haupt- text dieses Kapitels) Testbatterie. Keine repräsentative Stichprobe. Palmer et al. 2002

Nur Scz, ambulante Patienten, keine Dro- gennutzer; N=83, Alters-ø=59,3 JahreGlobale kognitive Leistung korreliert mit unabhängigem Wohnen und Fahrerlaubnis. Lernleistung, verzögerte Abrufleistung und motorische Fähigkeiten korrelieren mit unabhängigem Wohnen. Nur Aufmerksamkeit korreliert mit dem Anteil an Lebenszeit, der in Berufstätigkeit verbracht wurde.

Untersucht nur ältere Patienten. Multiple Vergleiche ohne Anpassung des Signifikanzniveaus. Tab. 3. Beziehung von Kognition und sozialem Funktionsniveau. a Variablen jeweils binär, wobei der höhere Wert besseren Status darstellt; b Stichprobengröße für Studie mit einjährigem/vierjähigem Follow-up-Intervall; c Alter bei erster Testung für Studie mit einjährigem/vierjährigem Follow-up-Intervall. N - Größe der Stichprobe, PANSS - Positive and Negative Syndrome Scale, Scz - Schizophrenie, ScA - Schizoaffektive Störung, UAW - Unerwünschte Arzneimittelwirkung.