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III. Governance-Debatte und Neoinstitutionalismus: Alternative Erklärungsansätze?

1. Die governance-Diskussion 1 Allgemeine Definition

1.4 Bewertung des governance-Konzeptes der Weltbank

Die governance-Debatte hat sich so im Verlauf des letzten Jahrzehnts als sehr facettenreich und für viele akademische Bereiche fruchtbar erwiesen. Dennoch ergeben sich aus dem hier dargestellten governance-Konzept von Weltbank und DAC auch etliche Unschärfen, die seine Erklärungskraft einschränken. Hierbei lassen sich vor allem vier Punkte unterscheiden:

1. Eine schwach ausgeprägte Systematisierung,

2. unklare Zusammenhänge zwischen ‚good’ bzw. ‚bad’ governance und dem Verlauf der Wirtschaftsentwicklung,

3. teilweise widersprüchliche Befunde zu einzelnen governance-Aspekten und Wirt-schaftsentwicklung,

4. die aufgrund der unhinterfragten Vermischung subjektiver und objektiver Elemente problematische Datengrundlage.

399 The World Bank (Hrsg.): The East Asian Miracle. Economic Growth and Public Policy, a.a.O., S. 167 ff.

400 The World Bank (Hrsg.): Adjustment in Africa. Reforms, results, and the road ahead, Washington, D.C. 1994.

1.4.1 Systematisierung

Vor allem bei älteren Beiträgen zur governance-Debatte fällt ein umfangreicher Katalog von Merkmalen von ‚good’ governance bzw. von Forderungen und Empfehlungen zu ihrer Errei-chung auf. Administrative Kriterien stehen hier scheinbar gleichberechtigt neben dem Kriteri-um der Rechtssicherheit, der Achtung der Menschenrechte wird offenbar ebenso viel Bedeu-tung beigemessen wie moderaten RüsBedeu-tungsausgaben. Auch wenn zwischen all diesen Punkten Zusammenhänge bestehen - sie alle haben schließlich etwas mit den Handlungen des Staates zu tun -, so ist hier doch keine Priorisierung oder Rangfolge einzelner Punkte zu erkennen. So stellt Fuster bei seiner Aufarbeitung der governance-Debatte bis 1994 fest:

„Der Begriff ‚Governance’ wurde in der Weltbankstudie ‚From Crisis to Sustainable Growth’ mit anderen Worten durch einen äußerst umfassenden Katalog unterschied-lichster Elemente aufgefüllt: In unsystematischer Weise reihten sich Empfehlungen über die Ausgestaltung des Rechtswesens an Forderungen über transparente Regie-rungsprozesse (...).“401

Diese „unsystematische Aneinanderreihung“ mit einer kaum erkennbaren Schwerpunktset-zung und unklaren Ursache-Wirkung-Ketten ist auch in den bereits genannten Weltbank-Studien zu Afrika402 und Südostasien403 feststellbar. Insgesamt wird nicht klar benannt, ob und weshalb im Falle dieser Staaten von ‚good’ oder ‚bad’ governance gesprochen werden könne; vielmehr wird anhand verschiedenster Indizien eher implizit spürbar, dass Stärken o-der Mängel in o-der public governance vorliegen und auf irgend eine nicht näher spezifizierte Weise positiven bzw. negativen Einfluss auf Entwicklungsverläufe haben könnten. Erschei-nungsformen von ‚bad’ governance, so wird vielfach insinuiert, schlügen sich vor allem in Form von niedrigen, stagnierenden oder negativen BIP-Zuwachsraten nieder, während ‚good’

governance vor allem anhand einer wachsenden Wirtschaft erkennbar sei. Nach den fallwei-sen Zusammenhängen wird dabei nicht gefragt.

So werden im Falle Afrikas den Staaten zwar vielfach Reformerfolge attestiert. Diese haben jedoch in ihrer großen Mehrzahl weniger mit grundlegenden politischen und wirtschaftlichen Neuordnungen zu tun, sondern erschöpfen sich weitgehend im Bereich eher kurzfristiger wirt-schaftspolitischer Maßnahmen. Die Bank hebt so die Reduzierung von Haushaltsdefiziten, die Öffnung von Märkten oder die Privatisierung staatlicher Unternehmen als Reformerfolge her-vor, auf deren Grundlage sie dem Kontinent eine insgesamt positive Entwicklungstendenz vorhersagt. Sie geht hingegen nicht auf Fragen nach der Dauerhaftigkeit dieser Schritte ein,

401 Thomas Fuster: Die „Good Governance“ Diskussion der Jahre 1989 bis 1994, a.a.O., S. 9.

402 The World Bank (Hrsg.): Adjustment in Africa. Reforms, results, and the road ahead, a.a.O.

403 The World Bank (Hrsg.): The East Asian Miracle. Economic Growth and Public Policy, a.a.O.

was einer fundierteren Auseinandersetzung mit den politischen Systemen dieser Länder, vor allem aber auch mit ihrer historischen Entwicklung und den sich aus dieser jeweils ergeben-den besonderen Problemstellungen bedurft hätte. Die Frage, wie und auf welchen historischen Grundlagen diese Reformen in den einzelnen Fällen geplant, formuliert und schließlich umge-setzt wurden, wird nicht behandelt.

Auch für die „Tigerstaaten“ Ost- und Südostasiens finden sich kaum Unterscheidungen zwi-schen wirtschaftspolitizwi-schen Maßnahmen einerseits und ihren rechtlichen, politizwi-schen und historischen Grundlagen andrerseits.404 Das Nebeneinander aus „enhancement“-Maßnahmen wie Verbesserung der Ausbildung ihrer Bevölkerungen, eher tagespolitischen Entscheidungen wie die Einrichtung von Gremien zur Agilisierung des Informationsflusses zwischen Staats-verwaltung und Wirtschaft und sehr langfristigen Erscheinungen wie makroökonomischer und –politischer Stabilität beinhaltet weder eine klare Entscheidung darüber, welcher der an-einandergereihten Punkte von größerer Bedeutung sein könnte als andere, noch, welche tiefer liegenden Verbindungen zwischen diesen sehr verschiedenartigen Aspekten einerseits und der positiven Wirtschaftsentwicklung andrerseits bestehen könnten.

In beiden Fällen leisten die Untersuchungen also in erster Linie eine Zusammenstellung wirt-schaftspolitischer Maßnahmen, von deren makroökonomischen Nutzen die Autoren ausgehen und die sie daher als empfehlens- und nachahmenswert empfinden. Aufgrund der weitgehen-den Abwesenheit einer Gewichtung und theoretischen Einordnung dürfte sich - entgegen der Zielrichtung der Bank - die Übertragbarkeit dieser Maßnahmen auf andere Länder jedoch bes-tenfalls als sehr eingeschränkt erweisen. Schwerer noch als diese begrenzte Übertragbarkeit wiegt dabei noch, dass die Vorhersagequalitäten der Bank, denen im Rahmen etwa der Ver-gabe von Krediten, aber auch als Richtschnur für Investitionsentscheidungen privater Anleger eine außerordentliche Bedeutung zukommt, unter diesem rein wirtschaftspolitischen Blick-winkel leiden. Dadurch, dass kaum nach dem Zustandekommen, der historischen Einordnung und damit der Konsistenz der jeweiligen Maßnahmen gefragt wird, bilden diese Studien vor allem die Gegenwart ab; auf ihrer Grundlage werden die Mittel vergeben. Obschon die Bank selber auf die Bedeutung einer stabilen Rechtsordnung hinweist und feststellt, dass sowohl in-stabile als auch unklare Rechtsrahmen Investitionen erschwerten,405 wird ausgerechnet im Zu-sammenhang mit der Durchführung wirtschaftlicher Reformen auf diese wichtige Frage kaum eingegangen.

404 Joachim Ahrens: Governance and Economic Development. A Comparative Institutional Approach, a.a.O., S. 11.

405 World Bank: Sub-Saharan Africa. From Crisis to Sustainable Growth, a.a.O., S. 15.

Ob so Einsparungserfolge in Afrika etwa durch ein Präsidialdekret nach einem Staatsstreich oder dem schwankenden Kompromiss zur Beendigung einer weiteren Bürgerkriegsetappe auf den Weg gebracht wurden, wie es vielleicht schon mehrfach zuvor der Fall war, und wie oft das in Reformen gesetzte Vertrauen zuvor bereits enttäuscht wurde: wie dauerhaft sie also in Vergangenheit waren und wie zuversichtlich vor diesem Hintergrund die in ihre Zukunft ge-setzten Erwartungen sein können, ist für die Weltbank im Rahmen wenigstens dieser beiden exemplarischen Studien kaum von Interesse. ‚Good’ governance wird hier zu einem punktuel-len Ereignis mit offenbar nur geringen Verbindungen zur Vergangenheit; und Reformen so zu einem immer neuen „faites vos jeux“ in einem immer neuen Roulettespiel, dessen Teilneh-mer, so könnte man meinen, sich nicht mehr an den Verlauf des vorhergehenden Durchgangs erinnerten. Wieso nun an der Oberfläche zunächst relativ ähnlich gelagerte Maßnahmen in einzelnen Ländern zu Erfolgen führen und in anderen nicht, bleibt jedoch unklar.

1.4.2 Zusammenhänge zwischen governance und Wirtschaftsentwicklung

Dieser Punkt steht in engem Zusammenhang mit dem vorgenannten einer teilweise nicht er-kennbaren Systematik des governance-Konzepts der Weltbank. Zwar wird in ihren Beiträgen zur governance-Debatte immer wieder auf die Art der Zusammenhänge insbesondere zwi-schen ‚bad’ governance und unbefriedigender Wirtschaftsentwicklung hingewiesen; so dar-auf, dass rechtliche Instabilität Investitionen hemme, oder eine unzureichende Kontrolle staat-licher Ausgaben Korruption begünstige.406 Ein übergeordneter theoretischer Rahmen, der einerseits eine Einordnung dieser an sich zutreffenden Beobachtungen ermöglichte, sowie andrerseits die in mehreren Fällen zu beobachtenden Abweichungen von dieser Regel407 er-klären könnte, und in diesem Sinne eine fallweise Gewichtung und Einordnung einzelner Ein-flüsse erlaubte, wird jedoch nicht angeboten. Die Bank führt in ihren Beiträgen immer wieder interessante Fallbeispiele positiver wie negativer Erfahrungen mit einzelnen governance-Aspekten an, die einen Eindruck von den möglichen Auswirkungen von ‚bad’ governance vermitteln; eine fundierende Theorie aber bietet sie nicht. So vermitteln die Ausführungen zuweilen einen nachgerade intuitiven Charakter.

Dies hat zur Folge, dass sich aus dem governance-Konzept der Weltbank - wie bereits in Fol-ge der unter Punkt 1.4.1 anFol-gestellten BeobachtunFol-gen - eine fast unüberschaubare Fülle von teilweise höchst unterschiedlichen Ansatzpunkten für eine Verbesserung der

406 The World Bank: Governance and Development, a.a.O., S. 4.

407 Siehe Punkt 1.4.3 in diesem Teil.

Fähigkeiten eines Staates ergeben. Da man jedoch schwerlich bei allen gleichzeitig mit Ver-änderungen beginnen kann, stellt sich die Frage, an welchen der zahlreichen so eröffneten Ar-beitsfelder am ehesten der Spaten anzusetzen wäre; dies vor allem auch vor dem Hintergrund, dass sich dabei je nach Landesfällen auch beträchtliche Unterschiede ergeben können.

1.4.3 Widersprüchliche empirische Befunde

Da die Zusammenhänge zwischen governance und unbefriedigender Wirtschaftsentwicklung im Konzept der Weltbank theoretisch nicht klar herausgearbeitet sind, ergeben sich hieraus auch widersprüchliche empirische Befunde. Wie dargestellt, erfährt der Aspekt der Korrupti-on in der governance-bezogenen Forschung besKorrupti-ondere Beachtung; zahlreiche Arbeiten befas-sen sich mit ihm und dem damit zusammenhängenden Bereich der wirtschaftlichen Informali-tät, ihren Ursachen und ihren Auswirkungen.

Auch wenn etwa in der diesbezüglichen Studie Mauros in vielen Fällen Korrelationen zwi-schen langfristig hohen Korruptionsgraden und unbefriedigender Wirtschaftsentwicklung nachgewiesen werden können, so ergeben sich doch auch zahlreiche - gewichtige - Ausnah-men. So weisen auch Länder mit hohen bis sehr hohen Korruptionsgraden ein nachhaltig ho-hes Wirtschaftswachstum auf, während weniger korrupte Fälle trotzdem eine vergleichsweise geringe wirtschaftliche Dynamik entfalten.

Zur ersten Fallgruppe gehören beispielsweise China, aber auch andere Staaten des ost- und südostasiatischen Wirtschaftsraumes, in denen hohe Korruptionswerte vielfach ein dauerhaf-tes Phänomen sind. Von 145 Plätzen des von Transparency International veröffentlichten

„Corruption Perception Index 2004“ belegt China Platz 68; Thailand steht mit Platz 66 nur wenig besser da, und auch Südkorea erringt mit dem 47. Platz einen allenfalls mittleren Rang, ganz in der Nähe von Taiwan, das auf Platz 35 steht; Indonesien gar ist weit abgeschlagen auf Platz 133. Freilich auch erklärbar durch eine Reihe weiterer entwicklungsrelevanter Faktoren, weisen all diese Staaten jedoch trotz der grassierenden Korruption, die im Falle Chinas und Thailands sogar nachgerade berüchtigt ist, durchweg hohe Wachstumswerte auf. Dies gilt im europäischen Vergleich auch für Polen und die Tschechische Republik, die auf Platz 67 bzw.

51 und damit ebenfalls im schlechten Mittelfeld der Studie stehen. Das einen vergleichsweise guten 28. Platz einnehmende Uruguay ist hingegen, wie auch Schweden (Platz 6) oder die

Schweiz (Platz 7) hinsichtlich der Wachstumsdynamik deutlich schwächer positioniert als die vorgenannten Länder.408

Ähnliche Beobachtungen lassen sich auch für andere governance-Aspekte anstellen. So bele-gen etliche kräftig wachsende Länder beim „Growth Competitivness Index“ von 2004, der sich u.a. auch aus Indikatoren zur administrativen Qualität in den untersuchten Ländern zu-sammensetzt,409 teilweise Positionen im schlechten Mittelfeld, während andere, weniger wachstumsstarke, vordere Plätze belegen. Auch hier kann wieder auf das kräftig wachsende China hingewiesen werden, das hier auf Platz 46 von insgesamt 104 liegt, oder auf das eben-falls stark expandierende Südkorea, das Platz 29 einnimmt. Japan, das seit Jahren von einer Wachstumsschwäche gekennzeichnet ist, wird hingegen auf Platz neun gesehen, und auch Deutschland, notorisches Wachstumsschlusslicht der Europäischen Union, wird mit Platz 13 noch vor vielen europäischen Ländern angesiedelt, die ein deutlich stärkeres Wachstum auf-weisen.410

Dies gilt auch für den Aspekt der Achtung der Menschenrechte oder die Wahrung demokrati-scher Partizipationsrechte, wo in machen Fällen wirtschaftlicher Erfolg und gutes Abschnei-den bei diesen Kriterien weit auseinander klaffen. Aymo, Brunett und Weder stellen in einer Untersuchung fest, dass sich Zusammenhänge zwischen demokratischen Regimes und guter wirtschaftlicher Entwicklung empirisch nicht nachweisen lassen.411

Vor diesem Hintergrund sei auf die Binsenweisheit hingewiesen, dass ein so komplexer Vor-gang wie die wirtschaftliche und soziale Entwicklung eines Landes von einer Fülle unter-schiedlicher, vielfach auch noch miteinander im Wechselspiel stehender Faktoren beeinflusst wird. Ihre Messung und Abbildung kann daher von einem einzelnen Indikator - selbst wenn dieser sich aus mehreren anderen zusammensetzen mag - kaum erschöpfend geleistet werden.

Freilich stellt sich dabei auch immer die Frage nach der Art der Zusammenhänge:

„Correlations between sets of events are not necessarily indicators of cause and effect.

Correlation is not causation. (...) [I]t has been widely accepted (...) that causal relations cannot be discerned in the data themselves. (...) Empirical data cannot on their own provide causal explanations.“412

408 Zahlen aus: Transparency International: Corruption Perception Index 2004, im Internet unter:

http://www.transparency.org/cpi/2004/cpi2004.en.html#cpi2004.

409 Vgl. zur Zusammensetzung dieses Index’ World Economic Forum: Appendix A: Composition of the Growth Competitiv-ness Index, im Internet unter: http://www.weforum.org/pdf/Gcr/Composition_of_Growth_CompetitiveCompetitiv-ness_Index.

410 World Economic Forum: Growth Competitivness Index 2004, im Internet unter:

http://www.weforum.org/pdf/Gcr/Growth_Competitiveness_Index_2003_Comparisons.

411 Silvio Borner, Aymo Brunetti, Beatrice Weder: Political Credibility and Economic Development, a.a.O., S. 39, 42.

412 Geoffrey Hodgson: How Economics Forgot History: The Problem of Historical Specifity in Social Science, a.a.O., S. 9.

Gerade bei einem so weiten Fokus, wie ihn solche nach internationalen Vergleichen streben-den Untersuchungen anwenstreben-den, müssen statistische Indikatoren nachgerade zwangsläufig an Schärfe und Aussagekraft verlieren. Diese Problematik zeigt sich u.a. auch anhand der aktuel-len Entwicklung Argentiniens: Denn obschon die Wettbewerbsfähigkeit des Landes nach den statistischen Auswertungen des Cato-Instituts abgenommen hat, erlebt seine Wirtschaft der-zeit eine Expansionsphase, die sehr viel stärker ist als in der Zeit vor der Verschlechterung dieses Indikators.413

1.4.4 Datengrundlagen

Auch hinsichtlich der Datengrundlagen und ihrer Behandlung lassen sich einige Aspekte fest-stellen, die den Erklärungsgehalt des governance-Konzepts der Weltbank einschränken. Hier-bei sind insbesondere zwei Punkte zu unterscheiden.

Erstens könnte es sich als Problem darstellen, dass viele der Daten, die im Rahmen des go-vernance-Konzeptes der Weltbank eine besondere Rolle spielen, auf subjektiven Einschät-zungen beruhen. Erhebungen kommen mangels anderer Möglichkeiten in aller Regel durch Befragungen von Unternehmern oder aufgrund der Einschätzungen von Landeskorresponden-ten zu Stande. Hierbei besteht das Problem, dass

„these subjective measures may be influenced by outcomes - when economic perfor-mance is good, the evaluators may be subtly induced to report that the governance is also good.“414

Besonders problematisch ist dabei, dass diese Indikatoren auf diese Weise vor allem eine än-derungsanfällige Gegenwart abbilden. Dies gilt u.a. auch für die Korruption. Absolute Zahlen könnten hier allenfalls die Menge der zu diesem Thema erscheinenden Medienberichte, der Gerichtsverfahren oder der parlamentarischen Untersuchungsprozesse zu Korruptionsvorwür-fen liefern; doch hängen diese wiederum stark von den Formen des politischen Regimes, dem Grad an Medienfreiheit oder der Effektivität des Gerichtswesens ab, so dass auch hohe oder niedrige Werte bei diesen absoluten Werten aufgrund eines fehlenden Vergleichsmaßstabs wenig Aussagekraft entfalten könnten. Zwar bemüht sich etwa Transparency International, durch die Verwendung einer möglichst großen Anzahl unterschiedlicher Einschätzungen zur

413 La Nación vom 16.7.2004: „Brusca caída en el país de la libertad económica“. Bezug genommen wird in diesem Artikel auf den jährlich erscheinenden Bericht des Cato-Instituts: El reporte anual de la libertad económica 2004.

414 Christopher Clague, Philip Keefer, Stephen Knack, Mancur Olson: Contract-Intensive Money: Contract Enforcement, Property Rights, and Economic Performance, in: Stephen Knack (Hrsg.): Democracy, Governance and Growth, Maryland 2003, S. 91.

Korruptionssituation eines jeden untersuchten Landes die subjektiven Komponenten zu kom-pensieren. Gerade aber die in vielen Fällen stark voneinander abweichenden Mengen einge-setzter Quellen verzerrt dabei aber das Bild zusätzlich, indem einige Angaben so reliabler sind als andere. Denn wenn im Falle Singapurs beispielsweise zwölf unterschiedliche Datensätze verwendet werden, in vielen anderen Fällen aber nur zwischen drei und fünf, so mag das Er-gebnis für Singapur tatsächlich besonders belastbar sein. Die Vergleichbarkeit zwischen gut abgestützten Fällen und weniger reichhaltig untermauerten wird jedoch zusätzlich verzerrt.

Diese Unschärfe zeigt sich auch darin, dass die von TI für Argentinien verwendeten elf Quel-len um bis zu zwölf Prozent vom Mittelwert abweichen können; beim erstplatzierten Finnland beträgt diese Abweichung weniger als zwei Prozent. Im Falle von noch weiter unten auf der Rangfolge der korruptesten Staaten stehenden Länder kann diese Abweichung mehr als 50%

erreichen; doch auch bei Japan, auf Platz 24, liegt die Abweichung bei über acht Prozent.415 Die Relevanz dieser Problematik lässt sich anhand zweier in kurzem Abstand in der argentini-schen Tageszeitung „La Nación“ erschienener Artikel veranschaulichen. Berichtete diese re-nommierte Publikation noch am 20. Oktober 2004, dass nach einer Studie der Unternehmens-beratungsgesellschaft KPMG die Korruption in Argentinien innerhalb eines Jahres um gut 40% und damit sehr deutlich zurück gegangen sei,416 hieß es am 22. Oktober 2004 in einem Leitartikel bereits wieder, die Korruption sei „un mal que perdura“.417 KPMG hatte Unter-nehmer nach ihren persönlichen Erfahrungen mit Korruption gefragt und so festgestellt, dass der Anteil zu Bestechung aufgeforderter Firmen von 55% 2002 auf 33% 2003 gesunken sei, während Transparency International, Quelle des zitierten Leitartikels, in ihren letzten drei Jah-resberichten eine kontinuierliche starke Verschlechterung feststellte. Konstatierte KPMG, dass immerhin 67% der in Argentinien tätigen Unternehmen sich nicht mit Korruption kon-frontiert gesehen hätten, siedelt TI das Land mittlerweile auf Platz 108 von 143 an und sieht es damit noch unter Uganda, Sambia oder selbst das für seine Korruptionskultur berüchtigte Russland. Díaz bemerkt zum Problem der Korruption in Argentinien:

„Aunque la información fáctica disponible confirma la existencia de actos de corrup-ción política en la Argentina, no lo es en el grado tal que autorice considerar a la cor-rupción como una ‚segunda naturaleza’ del Estado argentino. Los dos informes discu-tidos más arriba son el resultado de catidades masivas de documentación directa e indirecta, producidas por fuentes muy diversas, amplias y sin restricciones de ningún tipo.“418

415 Transparency International: Corruption Perception Index 2004, im Internet unter:

http://www.transparency.org/cpi/2004/cpi2004.en.html#cpi2004.

416 La Nación vom 20.10.2004: „Según una encuesta, bajó la corrupción“.

417 La Nación vom 22.10.2004: „La Corrupción, un mal que perdura“.

418 Rodolfo Díaz: Prosperidad o ilusión? Las reformas de los 90 en la Argentina, a.a.O., S. 312.

Aufgrund dieser subjektiv gefärbten Bewertungsgrundlagen, die jedoch den Anspruch auf Objektivität und vor allem Allgemeingültigkeit erheben, ergeben sich jedoch nicht nur für in-dividuelle Landesfälle Unschärfen.

Da zwangsläufig ein internationaler Vergleichsmaßstab fehlt - wenn alle Einschätzungen sub-jektiv sind, orientieren sich diese vornehmlich an nationalen Einstellungen und Erfahrungen -, sind der weltweiten Vergleichbarkeit der Länder Grenzen gesetzt. Was in einem modernen Industrieland wie Deutschland bereits als ausgewachsener Korruptionsskandal gilt und stark negative Bewertungen nach sich zieht, wäre im Tschad vielleicht kaum einer Erwähnung wert. Aufgrund der Verwendung der Indizes auch weltweit tätiger Organisationen und der Be-rücksichtigung meist einer Vielzahl von Quellen bei der Erstellung der TI-Rangfolge419 wird dieser Effekt zwar wenigstens sowohl in den besten als auch den schlechtesten Spitzenfeldern teilweise kompensiert, zumal die Punktunterschiede untereinander dort auch nur sehr gering sind und der Gegensatz etwa zwischen Finnland auf der einen und Haiti auf der anderen Seite der Skala scharf genug ausfällt. Anders ist dies im breiten Mittelfeld, wo eine Einordnung weniger klar vorzunehmen ist. Auf Grundlage dieser Daten daher mit Sicherheit feststellen zu können, das Land x sei deutlich korrupter als das Land y, erscheint daher als recht gewagt.

Für Argentinien stellt Díaz daher auch fest:

(...) La percepción de corrupción es muy alta, pero las mediciones se encuentran lejos de extremos. (...) La percepción de la corrupción no depende de determinantes fácticas sino de la construcción social.“420

Diese Einschränkungen hinsichtlich der Zuverlässigkeit, vor allem aber der angestrebten Ob-jektivität der so zustande gekommenen Angaben zur Korruptionssituation gelten auch für an-dere auf diese Weise erhobene Daten, wenngleich hier meist auch bessere Möglichkeiten zum Erhalt absoluter Zahlen bestehen. Hinsichtlich der administrativen Qualität beispielsweise werden u.a. auch subjektive Erlebensangaben von Unternehmern eingeholt, doch können hier auch objektivere Quellen konsultiert werden.421 Generell erschwert die subjektive Komponen-te der DaKomponen-ten die Identifizierung von generalisierbaren AnsatzpunkKomponen-ten für StraKomponen-tegien zur

419 Zur Erstellung des TI-Index’: Transparency International: Verwendete Untersuchungen - Quellen des CPI 2004, im Inter-net unter: http://www.transparency.de/Verwendete_Untersuchungen_-_Qu.543.0.html.

420 Rodolfo Díaz: Prosperidad o ilusión? Las reformas de los 90 en la Argentina, a.a.O., S. 312.

421 Als Maßstab bietet sich hier, wie es etwa in einer Studie der Weltbank gemacht wird, die Anzahl der zur Eröffnung eines Unternehmens erforderlichen Verwaltungsakte und, hierauf aufbauend, die Anzahl der Tage bis zur Niederlassung. Bundes-verband Deutscher Banken: Bürokratie hemmt Wachstum, im Internet unter:

http://www.bdb.de/finanzmaerkte/index.asp?channel=121210&art=1057&ttyp=1&tid=1323. Doch selbst hier ist die Verall-gemeinerungsfähigkeit der so gewonnenen Daten eingeschränkt, da für Unternehmen unterschiedlicher Branchen auch unter-schiedliche Formalitäten gelten.