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Beteiligung von Hortkindern an Entscheidungen und Mitgestaltung

Im Dokument OPUS 4 | Horte (Seite 32-35)

am Hortleben

Partizipation

Der Alltag im Hort ist geprägt durch vielfäl-tige Möglichkeiten der Kinder zur Mitbe-stimmung und Mitgestaltung. Durch For-men wie Kinderkonferenzen u.a. werden Kinder in die Alltagsgestaltung und die Ent-scheidung über besondere Aktivitäten ein-bezogen. Weitere Themen solcher Zusam-menkünfte sind die Regeln und Konfliktfäl-le des ZusammenKonfliktfäl-lebens, Raumgestaltung und -nutzung sowie die Mittelverwendung.

Die Mitarbeiter/innen des Horts entwickeln in Zusammenarbeit mit den Kindern die dafür geeigneten Besprechungsformen.

• Die Kinder haben das Recht, Gruppen-sprecher/innen zu wählen, die ihre Inter-essen gegenüber den Erwachsenen und anderen Kindergruppen in der Einrich-tung vertreten.

• Alle Kinder haben die Möglichkeit, sich an Alltagserledigungen (z.B. Einkauf, Zubereitung von Mahlzeiten, Telefon-dienst, Gartenarbeit) zu beteiligen und dabei eigene Vorstellungen und Kompe-tenzen einzubringen.

Förderung der Selbstverantwortung

• Bei Interessenskonflikten und Streitigkei-ten unter Kindern ermutigen und fördern die Mitarbeiter/innen des Horts die Kin-der, eigenständig Wege des Ausgleichs und der Einigung zu finden. Das Eintre-ten für gewaltfreie Lösungen darf nicht dazu führen, jeden Konfliktfall unter Kin-dern im Keim zu ersticken.

• Jedes Kind wird herausgefordert, die Ver-antwortung für seinen Schulerfolg selbst zu übernehmen. Es wird nicht gezwun-gen, seine Hausaufgaben richtig und vollständig zu erledigen. Ein Hortkind muss seine Hausaufgaben genauso ver-nachlässigen können wie ein Kind, dass

sich nachmittags allein zuhause oder mit anderen auf der Straße aufhält.

• Bei der Ausübung des Aufenthaltsbe-stimmungsrechts beachten und fördern die Mitarbeiter/innen des Horts die wachsende Selbständigkeit der Kinder.

Abhängig von den Umfeldbedingungen können die Kinder die selbständige Nut-zung der Spiel- und Aufenthaltsmöglich-keiten außerhalb der Einrichtung üben.

Verlässlichkeit und Orientierung

• Die Kinder haben ein Recht auf Verläss-lichkeit und Orientierung. Dazu zählt ein transparentes Regelwerk, über das von den Erwachsenen nicht willkürlich ver-fügt werden darf. Mitarbeiter/innen und Kinder entwickeln ein einrichtungsbezo-genes System von Symbolen und ande-ren Hinweisen, die Kinder weitestgehend unabhängig vom unmittelbaren Eingrei-fen Erwachsener machen.

Begründungen

Pädagogische Begründungen

Selbstständigkeit, Autonomie, Eigensinn (wie auch Gemeinschaftsfähigkeit) sind zen-trale Werte und damit Sozialisationsziele der demokratischen Gesellschaft. Deutschland hat sich dabei mit der Hypothek des Natio-nalsozialismus auseinanderzusetzen; diese Hypothek ist mit der Frage verbunden, wie Normalbürger zu vielfachen Mördern wer-den konnten. Theodor W. Adorno und sei-ne Mitarbeiter legten in ihren Studien Struk-turmerkmale eines „autoritären Charakters“

dar, der durch blinden Gehorsam und Unterwerfung der Schwachen und Ausge-grenzten gekennzeichnet ist. Demgegen-über hat demokratische Erziehung Wider-standskraft gegen jeden Mißbrauch von

Autorität zu vermitteln. Eine solche Wider-standskraft kann jedoch nicht durch Beleh-rungen vermittelt werden. Mitbestimmung muss unmittelbar erfahrbar sein.

Mitbestimmung ist nicht nur ein Recht, sie hat auch Kompetenzen des Kindes zur Grundlage. Die Kindheitsforschung hat beeindruckende Hinweise geliefert, dass Kinder tatsächlich in der Lage sind, ihre Interessen auszudrücken und zu verfolgen -und das schon im Säuglingsalter. Die Wei-terentwicklung dieser Kompetenz schreitet im Wechselspiel durch Selbsttätigkeit und deren angemessene Herausforderung durch Erwachsene voran (vgl. Baustein „Der Über-gang von der Kindertagesstätte in die Grundschule“). Das Konzept der wechsel-seitigen Anerkennung (vgl. Leu 1999;

Leu/Dörfler 1998; Peukert 1997) kann dabei einen theoretischen Rahmen formu-lieren, der einsichtig macht, wie sich auf der Grundlage von Gegenseitigkeit Rechtsbe-wusstsein und Persönlichkeit entwickeln:

Kinder benötigen die Anerkennung Erwach-sener, dass sie sich in Alltagsfragen kompe-tent entscheiden können; auch und gerade dann, wenn sich die Erwachsenen in der konkreten Situation anders entschieden hät-ten. Diese Anerkennung fördert die Ent-wicklung des Selbstverständnisses als hand-lungsmächtiges Individuum. In Befragun-gen von Hortkindern zeigt sich demge-genüber häufig, dass Erwachsene sich zu früh und – aus der Sicht der jeweiligen Kin-der – einseitig regulierend in Streitigkeiten einmischen. Kinder behaupten in solchen Situationen demgegenüber ihr Recht, eigenständig Konflikte auszutragen (vgl.

Pesch 2000).

Das Thema der Partizipation von Kindern hat heute auch deshalb eine besondere Bedeutung, weil moderne Kindheit nicht wie früher Straßenkindheit, sondern

Institu-tionenkindheit ist. Institutionen für Kinder stehen in einer ambivalenten Situation: Sie betreuen und schützen, aber sind immer zugleich versucht, zu domestizieren. Den Reichtum, die Intensität und die Freiheit, die ein ungeregelter Raum wie die „Straße“

bietet, können sozial und räumlich begrenz-te Einrichtungen kaum biebegrenz-ten. Sie gerabegrenz-ten in die Gefahr, durch spezifische Formen der Übel-Versorgung Kindern notwendige Er-fahrungen zu versagen, die für das Erlernen der Fähigkeit zur individuellen Lebens-führung notwendig sind. Helga Zeiher spricht von einer „Einmischung“ der Er-wachsenen in die Freizeit der Kinder. (Zeiher 1997, S. 99). Es ist die öffentliche Variante der „Verhäuslichung“, womit Jürgen Zinnecker die Lenkung des Kinderlebens in umbaute und umzäunte Räume meint. Die Gefahr besteht zum einen darin, daß die Welt außerhalb der Einrichtungen den Kin-der fremd bleibt.

Zum anderen bedeutet ein zu durchgestal-tetes Leben die Gefahr, dass Kinder nicht mehr lernen, ihre Zeit selbständig zu planen, das heißt sinnvoll damit umzugehen. Im Hort, wenn er ein zu enges zeitliches Korsett bietet, bestehen stets genügend Verlockun-gen zum Tun. Das ändert sich aber abrupt mit dem Ende des Hortbesuchs. Insofern beruht die Forderung nach Partizipation immer auch auf einer institutionenkritischen Sicht (vgl. Colberg-Schrader 1999).

Ein weiteres Problem besteht darin, dass Hortkinder aus den „Verabredungsnetz-werken“ (Helga Zeiher) der anderen Kinder herausfallen können. Damit ergibt sich ebenfalls ein großes Problem, spätestens dann, wenn der Hortbesuch einmal endet.

Kinder brauchen deshalb die Möglichkeit, Institutionengrenzen zu überschreiten, um für sich ein einheitliches und zukunftsfähi-ges Handlungsfeld zu zukunftsfähi-gestalten. Auch älte-re Kinder suchen noch Orte, an denen sie sich mit Gleichaltrigen treffen können.

Bedingung ist jedoch für sie, dass dies nicht ein Raum ist, der von Erwachsenen bereits durchstrukturiert ist (vgl. Hössl u.a., S. 53f.).

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