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BESCHÄFTIGUNG, WACHSTUM UND PLANUNG

Die Mehrzahl der westlichen Industrieländer erlebt seit dem 2. Weltkrieg eine bis dahin unbekannte, allgemeine und andauernde Wohlstandsvermehrung, die engstens mit dem wachsenden Einfluß des Staates auf die freie Wirtschaftsentwicklung ver-bunden ist. Offenbar hat sich die liberale Marktwirtschaft allein als unfähig erwie-sen, Vollbeschäftigung und stetig wachsende Prosperität kontinuierlich zu sichern.

I. VOLLBESCHÄFTIGUNG, GELDWERTSTABILITÄT UND P L A N U N G Tatsächlich glaubte man in früheren Zeiten, auch wenn sich die Bevölkerung wohl nie damit abzufinden bereit war, daß sich eine marktmäßige Wirtschaftsent-wicklung nur unter ständigen, tiefgreifenden Beschäftigungs- und Einkommens-schwankungen vollziehen lasse.

1. Marktfreiheit und Beschäftigungszyklen

Schon die Analysen von Malthus, Sismondi und Owen machten deutlich, daß eine Wirtschaft, die dem Selbstreinigungsprozeß der Leistungsauslese folgt, notwen-digerweise dem Auf und Ab der gesamtwirtschaftlichen Aktivität mit alternierender Prosperität und Depression unterworfen ist. Auch nach Marx führt der Kapitalismus notwendigerweise in die Krise und selbst Schumpeter's Theorie des 'Pionierunter-nehmers' endet im Konjunkturzyklus1. Zwar ist die Gefahr in der heutigen "Kon-sumgesellschaft" keineswegs gebannt,2 doch hat sich die Situation in entscheiden-den Punkten gewandelt. Denn die Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise mit ihrer sozial unerträglichen Arbeitslosigkeit haben die Krise im System vollends zur "Krise des Systems" 3 umschlagen lassen und das Vertrauen der Allgemeinheit in den

libe-1) J. A. Schumpeter: Die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung.

2) H.-D. Ortlieb: Unsere Konsumgesellschaft, 232.

3) Predöhl, A.: Das Ende der Weltwirtschaftskrise, 9.

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ralen Kapitalismus von Grund auf erschüttert. Seither ist man allgemein davon überzeugt, daß die Wirtschaft der ordnenden Hand bedarf, wenn sie ihrem Versor-gungsauftrag genügen will. Und zwar soll der Staat nicht erst das "Schrillen der Feuerglocke"4 abwarten, sondern - wie Keynes es forderte - die "geistige Füh-rung" der Gesamtwirtschaft übernehmen.5 Heute mehr denn je erscheint es als eine der Hauptaufgaben des Staates, den "gewalttätigen Wettbewerb"6 mit seiner asozia-len Krisenautomatik durch eine "Staatskonjunktur"7 zu zähmen. Seiner langfristi-gen Vorausschau und Entwicklungsplanung ist es zuzuschreiben, daß die Wirt-schaftskrisen der Vergangenheit angehören8. Für diese Leistungen ist der heutige Mensch bereit, den wachsenden Staatseinfluß zu akzeptieren.

2. Geldwertstabilität

1st allerdings die Vollbeschäftigung einmal annähernd garantiert, dann wird die Gesellschaft mit den Problemen der offenen oder verdeckten Geldentwertung kon-frontiert. Abgesehen davon, ob deren Ursachen vorwiegend im beständigen Über-konsum der Verbraucher, in der Machtpolitik der Verbände oder im wachsenden Druck der Staatsaufgaben auf den Geldumlauf zu suchen sind, in keinem Fall wird dabei dem Ordnungsfaktor der Freiheit ein gutes Zeugnis ausgestellt. Die Aushöh-lung des Geldwerts, insbesondere zu Lasten der ohnehin wirtschaftlich Schwächeren (schlecht organisierte Arbeitnehmer, Pensionäre, Sparer, Gläubiger), erweist den Markt offenbar als ungeeignet, einer Grundverpflichtung der Gerechtigkeit nachzu-kommen. 9 Da eine gesteuerte Arbeitslosigkeit als Heilmittel nicht in Betracht kom-men kann, die freiwillige Verantwortung der Machtgruppen für die Preisentwicklung aber anscheinend überfordert ist, liegt der Versuch nahe, die Geldwertentwicklung durch einen Wirtschaftsplan zu stabilisieren, wie es etwa Hollands Planifikateure beabsichtigen.

4) Kieps, K.: Langfristige Wirtschaftspolitik in Westeuropa, 32.

5) Keynes, J. M.: Das Ende des Laissez-faire, 36.

6) Vgl. dazu P. Masse: Introduction; sowie Shonfield: op. cit., 448 bzw. 61.

7) In seinem Buch "Von der Weltwirtschaftskrise zur Staatskonjunktur" versucht G. Kroll nachzuweisen, daß wirtschaftliche und politische Stabilität in engstem Zusammenhang ste-hen und von dieser Sicht her die "Staatskonjunktur" schon geboten ist. Dieses staatliche

"starre System" ist nach Sombart typisch für die kapitalistische Spätphase. W. Sombart: Die Zukunft des Kapitalismus, 10 f.

8) Dies ist die Hauptthese der ausgezeichneten Untersuchung Shonfield's über die Wirtschafts-planung der westlichen Industriestaaten, op. cit., 72. Ebenso H. Giersch/K. Borchardt (Hrsg.): Diagnose und Prognose als wirtschaftswissenschaftliche Methodenprobleme, 467 ff.

9) Näheres zum vorrangigen wirtschaftsethischen Stellenwert der Geldwertstabilität siehe in der ausgezeichneten Untersuchung von W. Weber: Stabiler Geldwert in geordneter Wirtschaft, 3. Kap.

II. WACHSTUMSSTEIGERUNG UND WACHSTUMSPLANUNG

Neben Vollbeschäftigung und Geldwertstabilität ist auch die allgemeine Forde-rung nach stetigem Wachstum als Grundlage einer immer reicheren Deckung des Lebens- und Kulturbedarfs in einen sittlichen Zusammenhang eingebettet. Um die-sem Postulat gerecht zu werden, muß wiederum der planende Staat zu Hilfe gerufen werden.

1. Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt und Unternehmensplanung

Hauptmotor des Wachstums in einer Marktwirtschaft ist bei gegebenem Arbeits-kräftepotential die Anwendung technischer Verbesserungen auf den Produktions-prozeß. Nur mit höchsten Innovationsanstrengungen kann die marxistische Pro-gnose sinkender Profitraten der Kapitalakkumulation vermieden werden 1 0 und nur eine Verschmelzung von Investition, technischem Fortschritt und qualifizierter Ar-beitskraft kann höheres Wachstum als das früherer Jahrhunderte garantieren.1 1 Dieser technische Fortschritt hat die Arbeitsweise der Unternehmen völlig verän-dert, da sie sich nicht mehr an den augenblicklichen Marktkonstellationen allein ausrichten dürfen, sondern durch die technologisch bedingte Verlängerung, Verteue-rung und Inflexibilität der Produktion1 2 zu immer langfristigerer Planung gezwun-gen werden. Um den gesamtwirtschaftlichen Wachstumsforderungezwun-gen aber zu ent-sprechen, reicht selbst diese Umstellung der Arbeitsweise nicht aus.

2. Privatinitiative und Staatsplanung

a) Die staatliche Forschungsplanung

In der heutigen Planungsdiskussion wird kaum noch bestritten, daß technischer Fortschritt angesichts des "Wettbewerbs der Laboratorien"1 3, seiner Finanzlast

10) P. Masse: L'expansion, chance de notre temps, 96 ff.

12) W. A. Lewis: The Theory of Economic Growth, 164. Er spricht von einer Verbindung von Kapitalakkumulation, Wissensakkumulation und Anstrengung.

12) K. Galbraith: Die moderne Industriegesellschaft, 29 ff. und 87.

13) W. Pohle: Industrielle Konzentration ?us Wettbewerbsgründen. In: Bayern-Kurier, 27. 5. 1967.

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und seines Zwangs zur beständigen Produktgestaltung nur noch von einer gewissen Kapazitätsgrenze an wirtschaftlich sinnvoll gefördert werden kann. Da der For-schungsaufwand die Mittel der herkömmlichen Unternehmen meist übersteigt, machte insbesondere Berle verschiedentlich auf den unaufhaltsamen Weg der Markt-wirtschaft zur oligopolistischen, aus wenigen großen Machtkomplexen bestehenden Wirtschaft aufmerksam.1 4 Je geringer aber die Zahl der Anbieter wird, desto mehi schwächt sich auch der marktmäßige Sanktionsmechanismus ab und desto wichtiger wird die staatliche Kontrolle der Industriegiganten.15

Zugleich hat sich gezeigt, daß der "Marktmechanismus der Forschungsneigun-gen" nur ungenügend auf wichtige soziale Bedürfnisse antwortet und auch von da her eine Planung b e n ö t i g t .1 6 Schließlich ist heute unverkennbar, daß beständiger technischer Fortschritt einer systematischen Grundlagenforschung bedarf, die die unternehmerische Leistungsfähigkeit, zum Teil selbst von Großbetrieben, übersteigt.

Getrieben vom Wachstums- und Rüstungswettlauf, hat sich der westliche Staat daher maßgeblich in die Forschung eingeschaltet, wodurch er entscheidend für die

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"zweite industrielle Revolution" verantwortlich wurde. Der Staat ist heute nicht

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mehr nur Kulturstaat, sondern auch technischer und wirtschaftlicher Staat.

b) Die staatliche Marktanalyse

Wie sehr das Wachstum der Staatsplanung bedarf, zeigt sich auch an den Infra-strukturinvestitionen, deren lange Ausreifungszeiten, Größe und Unteilbarkeit nicht ohne Gefahr für die Sicherheit ganzer Bevölkerungsteile dem marktwirtschaftlichen

"Prozeß des Probierens" überantwortet werden k ö n n e n .2 0 Daher werden sie heute meist vom Staatshaushalt finanziert und somit den Marktkräften entzogen.2 1

14) A. A. Berle: Macht ohne Eigentum, sowie: The Twentieth Century Capitalist Revolution.

Ebenso / . Strachey: Contemporary Capitalism, 263, und / . K. Galbraith: Die moderne Industriegesellschaft, 22 f. Als "Modernes Industriesystem" bezeichnet er die 500 beherr-schenden Großunternehmen der USA. - Auch H. v. Beckerath glaubt, eine forschungsintensive Produktion lasse sich fortan nur noch mono- oder oligopolistisch orga-nisieren: Wirtschaftspolitik, Machtpolitik und der Kampf um die Weltordnung, 35.

15) M. Lohmann: Betriebswirtschaftliche Aspekte der Planung, 336.

16) C. Koch: Staatliche Forschung und Planung, 385.

17) A. Lauterbach: Kapitalismus und Sozialismus in neuer Sicht, 128.

18) Nähere Angaben bei F. Sternberg: Neue Aufgabenkreise des Staates in der westlichen Welt und in den Entwicklungsländern. Die Verquickung von Wachstum und Rüstung wird in den USA als "industrial-müitary-complex" bezeichnet. Vgl. J. K. Galbraith: How to control the müitary? ,15.

19) W. Cartellieri: Büdungs- und Forschungspolitik für 1980, 392.

20) G. Bombach beruft sich dabei auf Walras1 Bezeichnung des Marktes als Prozeß "par tä-tonnement". In: A. Plitzko (Hrsg.): Planung ohne Planwirtschaft, 187 f.

21) Auch teilweise erwerbswirtschaftlich gelenkte Infrastrukturbereiche scheinen künftig ihr AUokationsproblem ohne staatliche Planung nicht mehr bewältigen zu können. Aufschluß-reich sind hierfür die Aufsätze von J. Stohler: Verkehrspolitik - Verkehrsplanung, und H. St. Seiden fits: Planung in der Energiewirtschaft.

Da aber auch die übrige Wirtschaft zunehmend längerfristig planen muß, büßt der Preismechanismus dort ebenso seine Lenkungsfähigkeit ein, weil er "keineswegs die für diese Investitionsentscheidungen wichtigen künftigen Knappheitsverhältnis-se" widerspiegeln k a n n .2 2 Grobe Fehleinschätzungen von Investitionsmöglichkeiten

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und Krisen lassen sich folglich nur umgehen, wenn der Staat durch seine Voraus-schau auf die künftige Marktentwicklung den Unternehmern Informationen bereit-stellt, also einen "anti-hasard" erzeugt.2 4 Offenbar kann der Markt nur noch über-leben, wenn er "prinzipiell ein Gegenstand staatlicher Intervention geworden ist"7 * Mag dies auch vornehmlich für die "ausgereiften" Großbetriebe gelten, bei denen sich die Grenze zwischen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Organi-sation verwischt,2 6 genau gesehen ist damit aber die Gesamtwirtschaft gemeint.

22) K. Albrecht: Planifikateure beim Werk, 17; sowie P.Masse: Pratique et philosophic de Tinvestissement, 642.

23) Ein typisches Beispiel dafür ist die italienische Südfrage, wie der Parlamentsbericht von La Malfa beweist: Problemi e prospettivi dello sviluppo economico italiano, 46.

24) P. Masse: Introduction, 10. Die Staatsplanung ist offensichtlich als Hilfe des Marktes gedacht. Masse geht keineswegs soweit wie O. Sik, der den Markt wegen seiner inhärenten Fehlinvestitionen völlig ablehnt. Vgl. Plan und Markt im Sozialismus, 97 ff.

25) H. St. Seidenfus: Spätkapitalismus, 163.

26) Dieser Auffassung sind u.a. E. S. Mason: The Corporation in Modern Society, 17;

F. Perroux: Le IVe Plan francos, 24; F. Bloch-Laine: Pour une reforme de Tentreprise, 34 ff; / . K. Galbraith: Die moderne Industriegesellschaft, 354; A. Shonfield: op. cit., 448.

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Zweites Kapitel