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Berlin als Untersuchungsraum

Berlin eignet sich als Untersuchungsgegenstand für die in dieser Arbeit analysierten Aspekte in vielfältiger Weise. Zum einen haben öffentliche Wohnungsunternehmen sowie private Un-ternehmen im Vergleich zum nationalen Durchschnitt einen deutlich höheren Anteil am Woh-nungsmarkt (siehe Tab. 7).

Tab. 7: Anteile verschiedener Wohnungseigentümer am deutschen und Berliner Woh-nungsmarkt 2011 (in %)163

Eigentümer Deutschland Berlin

Selbstnutzer 43 15

Mietwohnungsmarkt 57 85

…davon Kleinanbieter 37 34

…davon professionelle Anbieter 20 51

…davon private Unternehmen 8 25

…davon öffentliche Wohnungsunternehmen 7 15

…davon Genossenschaften 5 10

…davon Sonstige (z. B. Kirchen) 1 1

Quelle: eigene Berechnungen nach GDW 2015 und AMT FÜR STATISTIK BERLIN-BRANDENBURG

2013.

163 Eine genauere Einteilung, zum Bespiel der privaten Unternehmen, ist aufgrund der Datenlage nicht möglich.

Da die im dritten Kapitel erläuterte Transformation der Anbieterlandschaft, welche in Berlin in besonders starkem Ausmaß stattfand, zu einem massenhaften Verkauf kommunaler Woh-nungsbestände an private Finanzinvestoren führte, befinden sich in Berlin genügend Bestände beider Eigentümertypen. Somit eignet sich die Stadt für eine vergleichende Studie dieser beiden Wohnungseigentümertypen.

Neben dieser eher wohnungsmarktlichen Relevanz besteht in Berlin zudem ein weiterer Vorteil hinsichtlich quartiersbezogener Forschung: so ist Berlin Kulisse der drei zuvor vorgestellten städtebaulichen Bund-Länder-Programme (Stadtumbau Ost, Stadtumbau West, Soziale Stadt/Quartiersmanagement164), welche in Berlin zur Ausweisung einer Vielzahl von formell beplanten sowie betreuten Quartieren führten. So waren zum Zeitpunkt der Erhebung 34165 Quartiere Bestandteil des Berliner Quartiersmanagementprogramms166, zwölf Quartiere im Stadtumbau Ost sowie sechs Gebiete im Stadtumbau West (vgl. SENSTADTWO 2016a;

SENSTADTWO 2016e)167. Die Verfügbarkeit von formell beplanten Quartieren stellt einen for-schungspraktischen Vorteil dar. So handelt es sich bei den Quartieren um administrativ abge-grenzte Raumeinheiten, was die Identifikation von relevanten Akteuren wesentlich erleichtert.

Darüber hinaus verfügen die Quartiere über Quartiersverantwortliche168, welche hauptberuf-lich in den Quartieren für die Koordination von Entwicklungsprozessen sowie für die Kom-munikation und Aktivierung verschiedenster Akteure verantwortlich sind. Somit gibt es in diesen Quartieren Personen, welche im Rahmen ihrer täglichen Arbeit über umfassende Erfahrungen im Umgang mit verschiedenen Akteuren (so zum Beispiel auch mit

164 Das Programm Soziale Stadt findet in Berlin unter dem Namen Quartiersmanagement Anwendung. Somit wird aufgrund einer sprachlichen Vereinfachung sowie einer sprachlichen Vielfalt, sobald ausschließlich vom Programm Soziale Stadt in Berlin die Rede ist, auch der Begriff Quartiersmanagement genutzt.

165 Dazu kommt ein Quartier (Waldsassener Straße), welches zwar auch über ein Quartiersmanagement verfügt, jedoch nicht im Rahmen des Bund-Länder-Programms Soziale Stadt, sondern vom Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg sowie der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt gefördert wird (vgl. AG SPAS

2015).Somit wurden insgesamt 35 Quartiere im Rahmen von Quartiersmanagement gefördert.

166 Aktuell (Dezember 2016) befinden sich 37 Quartiere im Programm Soziale Stadt/Quartiersmanagement, da seit Ende der Erhebung im Rahmen dieser Arbeit ein Quartier aus dem Programm entlassen sowie vier neue aufgenommen wurden. Es sei darüber hinaus darauf hingewiesen, dass zum 31.12.2016 weitere drei Quartiere aus dem Programm entlassen werden sollen (vgl. SENSTADTWO 2016a).

167 Hierbei überschnitten sich die Kulissen zum Teil. So waren zwei Quartiere aus dem Quartiersmanagement gleichzeitig ein großes Stadtumbau West-Gebiet und drei weitere Quartiere lagen innerhalb eines großen Stadtumbau Ost-Gebietes.

168 So gibt es im Programm Quartiersmanagement je nach Quartier drei bis vier Quartiersmanager verschiedener, von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen beauftragter, professioneller Träger (vgl.

SENSTADTWO 2016c). Auch die Durchführung der Programme Stadtumbau Ost und West wird in den Quartieren von externen Planungsbüros begleitet (vgl. S.T.E.R.N.2009; SENSTADTWO 2016e). Somit stehen auch hier direkte Ansprechpartner zur Verfügung.

eigentümern) verfügen und an der Schnittstelle zwischen Quartiersentwicklung und Woh-nungswirtschaft aktiv sind.

Wie bereits angedeutet, sehen alle Programme die Wohnungswirtschaft als wichtigen Akteur.

So werden Wohnungsunternehmen beispielsweise im Rahmen des Quartiersmanagements als

„starke[...] Partner“ (SENSTADT 2010,S.7)gesehen.Hierbei wird explizit nicht nur die Verant-wortung der städtischen Wohnungsunternehmen, sondern auch privater Unternehmen als Ko-operationspartner betont (vgl. WOWEREIT & JUNGE-REYER 2007, S. 13). Neben diesen Stadt-entwicklungsprogrammen, welche auf eine Einbindung der Wohnungswirtschaft abzielen, verabschiedete das Land Berlin 2008 eine „Rahmenstrategie Soziale Stadtentwicklung“, in welcher eine „[a]ktivere Einbindung der Wohnungswirtschaft in die Entwicklungsprozesse von Stadtteilen“ (SENSTADT 2008,S.47)angestrebt wird.

Die drei erwähnten Programme und deren lokale Umsetzung in abgegrenzten Quartieren erweisen sich zwar generell als interessanter Untersuchungsgegenstand im Sinne einer resi-lienzorientierten Quartiersuntersuchung, da alle Quartiere über verschiedene Entwicklungs-probleme und -herausforderungen verfügen, jedoch sind bei näherer Betrachtung nicht alle drei Programme in gleichem Maße geeignet, um die in dieser Arbeit diskutierte Problemstel-lung zu bearbeiten.

So eignet sich beispielsweise das Programm Stadtumbau Ost weniger als Untersuchungsku-lisse. Aus der Fokussierung des Programms auf städtebauliche, insbesondere aber wohnungs-wirtschaftliche Handlungserfordernisse, hätten sich für diese Untersuchung zwei Einschrän-kungen ergeben: zum einen sind die Handlungsanforderungen an die Wohnungseigentümer im Rahmen des Programms beschränkt, da die Entwicklung des Wohnungsbestands im Vor-dergrund steht. Somit findet einer der zentralen Untersuchungsaspekte dieser Arbeit - das Engagement der Wohnungseigentümer über deren Bestand hinaus - kaum Berücksichtigung.

Zwar wurde im Verlaufe des Programms auch der Umgang mit den durch den Rückbau ent-standenen Freiflächen - dem Wohnumfeld - zunehmend relevanter, jedoch bleiben auch hier-bei Handlungsmöglichkeiten limitiert, sodass hier-beispielsweise soziales Engagement innerhalb der Quartiere kaum eine Rolle spielt. Die zweite Limitierung ergäbe sich aus der geringen Vielfalt sich beteiligender Wohnungseigentümer. So beteiligte sich beispielsweise in der Großwohnsiedlung Berlin-Marzahn lediglich das dortige städtische Wohnungsunternehmen an den Maßnahmen, denn „die Bereitschaft der Genossenschaften und privaten Eigentümer,

sich im Rahmen des Programms Stadtumbau Ost am Abriss von Wohnhäusern zu beteiligen, war, zurückhaltend formuliert, eher gering“ (BIELKA 2010, S. 16). Auch in vielen anderen Kommunen waren die „kommunalen Wohnungsunternehmen die ‚Zugpferde‘ des Stadtum-baus“ (HALLER 2016,S.98).Das geringe Engagement anderer Wohnungseigentümer galt auch für private Kleineigentümer in innerstädtischen Quartieren (vgl. LIEBMANN 2010, S. 41).

Somit könnte hier eine vergleichende Analyse des Engagements verschiedener Wohnungsei-gentümer nicht in einem sinnvollen Maße stattfinden, weshalb diese Programmquartiere keinen Eingang in die Untersuchung finden konnten.

Durch die historische Entwicklung Berlins ist die Stadt die einzige Kommune Deutschlands, welche neben dem Stadtumbau Ost auch Förderung durch das Programm Stadtumbau West erhält. Zwar ergeben sich hierbei durch die Anpassung des Wohnungsbestands sowie durch eine größere Betonung des öffentlichen Raumes für Wohnungseigentümer potentiell mehr Handlungsfelder als im Stadtumbau Ost, welche zum Teil auch über die Kernkompetenz eines Wohnungsunternehmens hinausgehen, jedoch sind auch hier Handlungserfordernisse größten Teils aus der physischen Umgestaltung der Quartiere abzuleiten. Auch hier ordnen sich soziale Aspekte der Quartiersentwicklung unter. Somit stellten Quartiere des Stadtumbaus West mögliche, wenn auch aufgrund der Programmatik nur ergänzende, Untersuchungsräume dar.

Im Programm Soziale Stadt/Quartiersmanagement ergeben sich durch die Betonung sozialer Entwicklungsbedarfe innerhalb der Quartiere konkrete Handlungserfordernisse seitens der lokalen Akteure, um den identifizierten Problemen aktiv entgegenzuwirken. Für die Woh-nungseigentümer ergeben sich Handlungsmöglichkeiten, welche über den eigenen Bestand und das Wohnumfeld hinausgehen und jenseits ihrer Kernkompetenz liegen. Gerade die Lösung der vielfältigen sozialen Problemlagen erfordert von den Wohnungseigentümern ein Engagement, welches sich neben physischen auch in größerem Maße an sozialen Gegebenhei-ten des Quartiers orientiert. Im Sinne einer resilienzorientierGegebenhei-ten Quartiersentwicklung befin-den sich jene Quartiere derzeit in der nach SCHNUR definierten Ω-Phase mit geringem struktu-rellen Potential, abnehmender Konnektivität sowie geringer, jedoch tendenziell leicht anstei-gender Resilienz (vgl. SCHNUR 2013,S.339,342). Somit ergeben sich enorme Handlungsnot-wendigkeiten der lokalen Akteure vor Ort, um jenseits von rein städtebaulichen Ansätzen aktiv in die Entwicklung der Quartiere einzugreifen und Entwicklungsdefizite abzubauen. Das zunehmende Engagement lokaler Akteure wird auch zukünftig deshalb relevant sein, da die

Fördersummen, welche der Bund für das Programm Soziale Stadt zur Verfügung stellt, zwischenzeitlich zurückgefahren wurden. Lag der Bundesanteil 2006 noch bei 110,4 Millio-nen Euro, waren es 2011 nur noch 28,5 - eine Kürzung um gut 74% (vgl. FRANKE 2011b,S.

16).Zwar wurde die Förderung bis 2016 wieder auf 124 Millionen Euro gesteigert (vgl. BMUB

2016d), jedoch zeigt sich die Schwankung der Fördersummen. Die Einbindung lokaler Akteu-re ist somit auch Akteu-relevant, um eine zukünftig stabile Entwicklung der QuartieAkteu-re unabhängig von öffentlicher Förderung zu sichern. Insgesamt stellt sich das Programm Quartiersmanage-ment als ideales Untersuchungssubjekt insbesondere für die Bearbeitung und Beantwortung der dritten Teilfrage dar, weswegen die Quartiere als zentrale Untersuchungsgebiete genutzt wurden.

Doch nicht nur Bund-Länder-Programme werden in Berlin umgesetzt, sondern auch auf Bezirksebene fördern Programme die Quartiersentwicklung. So hat beispielsweise der Bezirk Lichtenberg in seinen 13 Stadtteilen seit 2005 ein eigenes Gemeinwesenkonzept (vgl. BA LICHTENBERG 2005), bei dem es unter anderem Ziel ist, „den sozialen Zusammenhalt in den Stadtteilen herzustellen und zu sichern“ (ebd., S. 7). Dazu wurden eigens Stadtteilmanage-ments eingerichtet, welche als Mittler zu lokalen Akteuren agieren sollen (vgl. ebd., S. 14).

Somit eignen sich auch die Stadtteile in Lichtenberg als Untersuchungsgegenstand, da im Vergleich zu den drei Bund-Länder-Programmen explizit die Förderung des Gemeinwesens und somit „die Gesamtheit aller sozialen und kulturellen Angebote und Aktivitäten“ (ebd., S.

6) betont wird. Somit wird hier explizit das Engagement der Wohnungseigentümer außerhalb des eigenen Bestands gefordert. Die Stadtteile Lichtenbergs stellen zudem eine wertvolle Ergänzung der Untersuchung in Hinblick auf eine räumliche Diversifizierung sowie einer größeren Eigentümervielfalt dar: zum einen lagen zum Zeitpunkt der Untersuchung lediglich drei von 34 Quartieren des Programms Soziale Stadt/Quartiersmanagement in den Ostberliner Bezirken169, zum anderen besitzt das mit Bezug auf seinen Wohnungsbestand derzeit dritt-größte kommunale Wohnungsunternehmen Berlins (HOWOGE) aufgrund seiner geschicht-lichen Entwicklung170 fast ausschließlich Bestände in Lichtenberg. Durch die Integration der

169 Der Bezirk Lichtenberg liegt im Ostteil der Stadt. Somit kann die Integration der Lichtenberger Stadtteile zu einer räumlichen Diversifizierung der Untersuchung beitragen.

170 Die HOWOGE Wohnungsbaugesellschaft Hohenschönhausen mbH wurde 1990 aufgrund der Bestimmungen des Einigungsvertrages gegründet (vgl. HOWOGE 2011,S.10) und übernahm 1997 im Rahmen eines In-Sich-Geschäfts die ebenfalls erst 1990 gegründete Wohnungsbaugesellschaft Lichtenberg mbH (vgl. HOLM 2005a,S.

7). Durch die Berliner Bezirksfusion 2001 (vgl. SENATSKANZLEI BERLIN 2016) wurden die Bezirke Lichtenberg und Hohenschönhausen zum neuen Bezirk Lichtenberg. 2011 lagen lediglich 6% des Wohnungsbestands der HOWOGE außerhalb von Lichtenberg (eigene Berechnungen nach HOWOGE 2012,S.35).

Lichtenberger Stadtteile in die Untersuchung kann dessen Handeln im Quartier auch erfasst werden.

Insgesamt zeigt sich, dass in Berlin von hoheitlicher Seite171 eine Reihe von Ansätzen beste-hen, die Wohnungswirtschaft aktiv in die Gestaltung und Begleitung von Quartiersentwick-lungsprozessen einzubinden. Somit wurden hier Strukturen geschaffen, um Entwicklungspo-tentiale in den Quartieren zu identifizieren und den einzelnen Akteuren Möglichkeiten aufzu-zeigen, sich in den Quartieren zu engagieren.

Ein weiterer Aspekt, warum sich Berlin insgesamt für eine Untersuchung zum Thema Quar-tiersengagement von Wohnungseigentümern eignet, ergibt sich aus der diversen Stadtstruktur:

da Berlin, wie bereits dargelegt wurde, aufgrund seiner vielfältigen Geschichte hinsichtlich Wohnungspolitik, Stadtentwicklung sowie der Realisierung unterschiedlicher städtebaulicher Leitbilder über eine Vielfalt von Quartieren verschiedenster Wohnungseigentümerstrukturen sowie physischer Gebäudestruktur verfügt, können verschiedene Quartierstypen in die Unter-suchung Eingang finden, um somit die analytische Diversität der UnterUnter-suchung zu erhöhen.