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Mäuse werden vermehrt in komplexen tierexperimentellen Studien eingesetzt, die invasive chirurgische Eingriffe erfordern und mit postoperativen Schmerzen verbunden sind. Die häufigste Art dieser Eingriffe ist eine Laparotomie (RICHARDSON u. FLECKNELL 2005). So ist auch für die telemetrische Überwachung von Labormäusen zunächst eine chirurgische Implantation des Transmitters mit nachfolgender Erholungsphase notwendig.

Eine optimale peri- sowie postoperative Schmerzausschaltung bzw. -linderung ist dabei aus ethischen sowie medizinischen Gründen anzustreben (JIRKOF 2017;

KEUBLER et al. 2018) und außerdem gesetzlich vorgeschrieben (EU Richtlinie 2010/63, Artikel 14 Abs. 4). Um Schmerzen der Versuchstiere zu minimieren, müssen diese erkannt werden. Bei der Belastungsbeurteilung von Mäusen nach einem operativen Eingriff ist zu beachten, dass diese Tiere Schmerzzustände oft nicht oder nur sehr subtil zeigen. Daher können bei der klinischen Untersuchung nur erhebliche oder bereits länger andauernde Schmerzzustände identifiziert werden, wenn das Tier typische Symptome wie eine gekrümmte Haltung, eine verminderte Aktivität oder eine reduzierte Reaktion auf provoziertes Verhalten zeigt. Bei länger andauernden Schmerzen kann es zusätzlich zu erheblichem Gewichtsverlust und einem ungepflegten Erscheinungsbild mit verschmutztem Fell und verklebten Körper-öffnungen kommen (HAWKINS 2002; ARRAS et al. 2007).

Im Rahmen der vorliegenden Doktorarbeit wurde daher zunächst untersucht, ob mit Hilfe der Telemetrie auch gering- bis mittelgradige postoperative Schmerz- und Belastungszustände objektiv erfasst werden können und daher Vorteile gegenüber dem klinischen Scoring bestehen. Des Weiteren sollte bestimmt werden, wie viel Zeit die Tiere benötigen, um sich vollständig von dem operativen Eingriff zu erholen.

Klinische Untersuchung

Im Rahmen der klinischen Untersuchung konnten bei den C3 Mäusen im gesamten postoperativen Verlauf anhand des äußeren Erscheinungsbildes sowie des spontanen und provozierten Verhaltens keine Schmerzsymptome registriert werden.

Nur bei den B6 Mäusen fiel bei der postoperativen Beobachtung an Tag 0 eine leicht gebeugte Körperhaltung, eine niedrige Bewegungsaktivität und ein gesteigertes Putzverhalten besonders im Bereich der Operationswunde auf. Diese klinischen Zeichen und Verhaltensweisen deuten auf Schmerzen hin (LASA 1990; HAWKINS et al. 2011). An den weiteren Tagen waren jedoch auch bei den B6 Mäusen keine Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes zu erkennen. Im Vergleich zu den C3 Mäusen zeigten sie dennoch insgesamt eine verzögerte postoperative Erholung (vgl. Stammunterschiede in der postoperativen Erholung).

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Für die Erhöhung des klinischen Scores in den ersten postoperativen Tagen war allein der Körpergewichtsverlust der Tiere ausschlaggebend. Dabei waren die Gewichtsverluste bei den transmitterimplantierten Tieren beider Stämme ausgeprägter als bei den sham-operierten, was sich auch in einem signifikant erhöhten klinischen Score widerspiegelte. Ebenso benötigten die Mäuse nach der Transmitterimplantation deutlich länger, um wieder ihr präoperatives Gewicht zu erreichen. Gewichtsverluste nach Operationen können ein Indikator für Schmerzen sein, da Schmerzzustände zu einem Appetitmangel und somit zu einer verminderten Nahrungsaufnahme führen (JIRKOF 2017). Die signifikant höheren Gewichtsverluste bei den transmitterimplantierten Mäusen verdeutlichten außerdem, dass eine Transmitterimplantation ein schwerwiegenderer Eingriff ist als eine Sham-OP.

Die klinischen Untersuchungen ab Tag 1 post-op zeigten, dass es nicht möglich war, allein über die Beurteilung des äußeren Erscheinungsbildes der Mäuse ein beeinträchtigtes Wohlbefinden und postoperative Schmerzen zu identifizieren. Die Tatsache, dass klinische Parameter, wie beispielsweise die Körperhaltung oder die Beurteilung der äußeren Erscheinung, nicht bzw. nur bedingt geeignet waren, gering- bis mittelgradige postoperative Schmerzen der Mäuse zu erkennen, konnte bereits in anderen Studien gezeigt werden. So ließen sich bei Mäusen nach einer Vasektomie mit oder ohne Schmerzmittel zwar keine Unterschiede im Erscheinungsbild und Verhalten erkennen; das Nestbauverhalten der Tiere ohne Schmerzmittelbehandlung war hingegen deutlich eingeschränkt (ARRAS et al. 2007).

Insgesamt zeigten die Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass der hier verwendete klinische Score nur bedingt geeignet war, ein beeinträchtigtes Wohlbefinden und postoperative Schmerzen der Mäuse zu identifizieren. Lediglich die im klinischen Scoring enthaltene Körpergewichtsbestimmung erwies sich als hilfreich bei der Belastungsbeurteilung und konnte sogar Unterschiede zwischen den verschiedenen Operationsverfahren aufzeigen. Neben den Gewichtsabnahmen zeigten auch die telemetrisch erhobenen Parameter Veränderungen, die auf eine postoperative Belastung der Mäuse hindeuteten.

Telemetrische Messungen

Die telemetrischen Aufzeichnungen dieser Studie zeigten in den ersten Stunden nach der Operation eine deutliche Verringerung der Körperkerntemperatur bei beiden Mausstämmen. Die Temperatur kann bei der Maus aufgrund des ungünstigen Verhältnisses von großer Körperoberfläche zu geringem Gewicht vor allem im Rahmen einer Operation sehr schnell stark abfallen und zu einer erhöhten Mortalität führen (CESAROVIC et al. 2011). Neben anderen begünstigenden Einflussfaktoren, wie dem Rasieren und Desinfizieren der Haut und der Eröffnung der Bauchhöhle, ist die Narkose selbst entscheidend für die Hypothermie verantwortlich. Es kommt zu

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einer anästhetika-induzierten Inhibition des Sympathikotonus mit der Folge einer peripheren Vasodilatation und nachfolgendem Temperaturabfall (SESSLER 2016).

So konnten beispielsweise Taylor et al. (2007) zeigen, dass die Rektaltemperatur bei Mäusen während einer 60-minütigen Isoflurannarkose trotz aktiver Wärmezufuhr um ca. 0,5 °C und ohne jegliches Wärmen sogar um bis zu 10 °C abfiel.

Trotz gleicher intraoperativer Bedingungen und ähnlicher perioperativ gemessener Rektaltemperatur, war die postoperative Hypothermie bei den B6 Mäusen im Vergleich zu den C3 Mäusen signifikant stärker und länger anhaltend. Eine peri- und postoperative Hypothermie wirkt sich negativ auf die Rekonvaleszenz aus (SESSLER 2016) und könnte zu einer Verzögerung der postoperativen Erholung bei den B6 Mäusen beigetragen haben. Während der weiteren postoperativen Überwachung stieg die Temperatur bei beiden Stämmen innerhalb von zehn Stunden nach der Transmitterimplantation wieder auf physiologische Werte an und blieb an den weiteren Tagen nach der Operation nahezu unverändert. Die weitere Analyse der Temperatur im postoperativen Langzeitverlauf zeigte keine Auffälligkeiten. Da sich aber anhand der Messungen postoperative Wundinfektionen einhergehend mit Fieber ausschließen ließen, war sie dennoch hilfreich.

Weiterhin wurde in den ersten 24 Stunden nach der Transmitterimplantation bei den Mäusen eine signifikant erhöhte Herzfrequenz in Kombination mit einer erniedrigten Aktivität gemessen. Auffallend war, dass die Herzfrequenz nach der Operation bei beiden Stämmen am Tag höher war als in der Nacht. An allen weiteren Tagen war die mittlere Herzfrequenz in der Hellphase, also der natürlichen Ruhephase der Mäuse, erwartungsgemäß signifikant niedriger als in der Dunkelphase. Ebenso war die HRV in beiden Stämmen nach der Transmitterimplantation deutlich erniedrigt.

Auch in der oben erwähnten Studie von Arras et al. (2007) zeigten die Mäuse erhöhte Herzfrequenzen sowie erniedrigte HRV-Werte. Diese normalisierten sich nach Schmerzmittelgabe innerhalb eines Tages, blieben in der Gruppe ohne Schmerztherapie jedoch über drei Tage verändert. Aufgrund dieser Ergebnisse definierten die Autoren den Herzschlag als ein mit dem Schmerz in Verbindung stehendes Symptom bei Mäusen, der es ermöglicht, gering bis mittelgradige postoperative Schmerzen zu detektieren und somit die Effektivität der analgetischen Therapie zu bestimmen .

Eine erhöhte Herzfrequenz sowie eine verringerte HRV deuten auf eine sympathische Aktivierung durch andauernde Schmerzen hin (ARRAS et al. 2007;

JIRKOF 2017). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen daher darauf schließen, dass die Mäuse am Tag der Transmitterimplantation die stärksten Schmerzen hatten. Während die Herzfrequenz bereits an Tag 3 post operationem keine signifikanten Veränderungen mehr zeigte, konnte eine im Vergleich zu den Werten an Tag 28 verminderte HRV, sogar bis zum 7. bzw. 14. Tag gemessen werden. Die HRV scheint somit ein sensiblerer Parameter als die Herzfrequenz zu

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sein und könnte einen Hinweis auf eine noch unvollständige Erholung von der Operation darstellen.

Die länger andauernden Abweichungen der kardiologischen Parameter in der vorliegenden Studie im Vergleich zu den Untersuchungen von Arras et al. könnten darin begründet sein, dass die Transmitterimplantation einen schwerwiegenderen Eingriff darstellt, als die bei Arras et al. durchgeführte Vasektomie. Sie könnten aber auch auf eine unzureichende Wirksamkeit der eingesetzten Schmerztherapie hindeuten.

Als Analgetikum wurde in der vorliegenden Studie Metamizol in einer Dosierung von 200 mg/kg Köpergewicht verwendet. Die Schmerzbehandlung erfolgte präoperativ durch eine subkutane Injektion, sowie drei Tage post operationem über das Trinkwasser. Diese Verabreichungsform von Schmerzmitteln nach operativen Eingriffen ist bei Nagetieren gängige Praxis, obwohl der Erfolg dieser Methode von der freiwilligen Aufnahme des Medikaments abhängt (FLECKNELL 1984). Zudem zeigen Mäuse, vor allem innerhalb der ersten zwei bis drei Tage nach einer Transmitterimplantation, eine deutlich reduzierte Wasseraufnahme (HAYES et al.

2000; LEON et al. 2004; HELWIG et al. 2012; EVANGELISTA-VAZ et al. 2018). In der vorliegenden Studie wurde den Tieren mit schmerzmittelhaltigem Wasser eingeweichtes Futter auf dem Käfigboden angeboten. Diese Maßnahme sollte die Futter- und Wasseraufnahme erleichtern und die Wahrscheinlichkeit der Schmerzmittelaufnahme erhöhen. Eine genaue Bestimmung der Wasseraufnahme war dadurch allerdings nicht möglich. Daher bleibt unklar, ob alle Mäuse genug Schmerzmittel zu sich nahmen, um eine ausreichende und dauerhafte Schmerz-linderung zu gewährleisten.

Stammunterschiede in der postoperativen Erholung

In der postoperativen Erholungsphase konnten signifikante Unterschiede zwischen den beiden Inzuchtstämmen beobachtet werden. Die B6 Mäuse zeigten trotz präoperativer Schmerzmittelinjektion im Rahmen der postoperativen Beobachtung deutliche Anzeichen für Schmerzen. Weiterhin zeigten die B6 Mäuse signifikant höhere Gewichtsverluste und damit auch signifikant höhere Score-Werte als die C3 Mäuse. Sowohl bei den transmitter- als auch den sham-operierten Mäusen war der mittlere maximale Gewichtsverlust der B6 Mäuse etwa doppelt so hoch wie bei den C3 Mäusen (6 % vs. 3 % Sham; 14,9 % vs. 7,7 % Transmitter). Ähnliche Ergebnisse erhielten auch Roughan et al. (2009). In ihrer Studie verloren die B6 Mäuse nach einer Vasektomie mit 8,1 % etwa doppelt so viel Gewicht wie die C3 Mäuse mit 3,9 %. Es konnte weiterhin gezeigt werden, dass die C3 Mäuse nach der Transmitterimplantation innerhalb von neun Tagen wieder ihr präoperatives

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Körpergewicht erreichten. Die B6 Mäuse hingegen benötigten drei Tage länger und somit zwölf Tage, bis sich das Körpergewicht wieder auf das Ausgangsgewicht normalisiert hatte. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie von Helwig et. al (2012), in der die Mäuse nach intraperitonealer Transmitterimplantation etwa neun bis elf Tage benötigten, um ihr Ausgangsgewicht wieder zu erreichen.

Auch die telemetrisch erhobenen Parameter und der signifikant stärkere Gewichts-verlust bei den B6 Mäusen weisen auf eine erhöhte Schmerzempfindung im Vergleich zu den C3 Mäusen hin. Die C3 Mäuse erschienen also weniger schmerz-empfindlich und erholten sich deutlich schneller nach der Transmitterimplantation.

Diese Befunde decken sich mit einer Studie von Mogil et al. (1999). Sie kamen zu dem Schluss, dass der genetische Hintergrund die Schmerzempfindlichkeit bestimmt und dass B6 Mäuse im Vergleich zu den anderen elf untersuchten Inzuchtstämmen in Bezug auf die Schmerzempfindlichkeit nicht repräsentativ sind. Eine weitere Studie von Moloney et al (2015), in der Unterschiede der viszeralen Nozizeption von Mausinzuchtstämmen untersucht wurden, bekräftigt diese These. Sie fanden signifikante Unterschiede in der viszeralen Sensitivität und konnten beweisen, dass die Reaktionen auf Schmerzreize zwischen den unterschiedlichen Stämmen und auch zwischen einzelnen Individuen stark variieren.

Eine weitere Ursache der erhöhten Schmerzempfindung bei den B6 Mäusen könnte eine zu geringe Dosierung der Analgesie sein. Da außerdem die Wirksamkeit von Schmerzmitteln in unterschiedlichen Inzuchtstämmen stark zu variieren scheint, könnte die erhöhte Schmerzempfindlichkeit auch in einer unzureichenden Wirksamkeit des angewendeten Medikamentes begründet sein. So konnten beispielsweise Wright-Williams et al. (2013) eine unterschiedliche Wirksamkeit eines Analgetikums aus der Gruppe der Opioide (Buphrenorphin) nach Vasektomie bei B6 und C3 Mäusen nachweisen.

Obwohl gegenwärtig zahlreiche Analgetika für die Veterinärmedizin zur Verfügung stehen, bestehen nach wie vor Unsicherheiten über ihre Wirksamkeit und insbesondere über ihre Wirkungsdauer (PETERSON et al. 2017). Weiterhin befürchten viele Experimentatoren eine Beeinflussung der Versuchsergebnisse durch die Schmerzmittel (FLECKNELL 2018). Dabei sollte bedacht werden, dass Schmerzen pathophysiologische Auswirkungen haben und die Forschungs-ergebnisse dadurch stärker beeinflussen können, als dies durch die Gabe von Schmerzmitteln der Fall wäre (GV-SOLAS 2010). Weitere intensive Forschung auf diesem Gebiet ist nötig, um bessere Schmerzmitteltherapiekonzepte zu entwickeln.

Auch die Ergebnisse dieser Studie weisen darauf hin, dass die Schmerztherapie nach Transmitterimplantation bei den B6 Mäusen unzureichend war und in vergleichbaren Studien künftig verbessert werden muss.

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Einfluss des Transmitters in der Peritonealhöhle

Das in der vorliegenden Arbeit verwendete Transmittermodell wiegt 1,6 g und entspricht damit 8 % des Körpergewichts einer 20 g schweren Maus. Der Transmitter nimmt mit einem Volumen von 1,1 cm3 außerdem einen bedeutenden Platz in der Bauchhöhle ein. Die deutlich stärkeren Körpergewichtsverluste nach den Transmitterimplantationen sowie die längere Zeitspanne bis zum Erreichen des Ausgangsgewichts deuten im Vergleich zu den Befunden nach Sham-OP sowohl auf eine höhere Belastung durch die Transmitterimplantation selbst als auch auf einen Einfluss des Implantats in der Bauchhöhle in den ersten Tagen nach der Operation hin. Das Implantieren eines im Verhältnis zur Körperhöhle großen Transmitters kann zu Organkompressionen führen (LEON et al. 2004). Daher könnte eine Kompression des Magens ebenfalls eine Erklärung für eine möglicherweise verminderte Futteraufnahme und den im Vergleich zu den sham-operierten Tieren stärkeren Gewichtsverlust sein. Auch die Ergebnisse von Helwig et al. (2012) belegen einen Einfluss des implantierten Telemetriesenders auf die postoperative Genesung der Tiere. Sie konnten außerdem zeigen, dass die Laufradaktivität nach einer intraperitonealen Transmitterimplantation in Abhängigkeit von der Größe des Telemetriesenders verringert ist.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie lassen darauf schließen, dass sich die Tiere innerhalb von 7 bis 14 Tagen nach der Operation weitestgehend an den in der Bauchhöhle liegenden Transmitter gewöhnt haben. Auch andere Studien konnten eine Erholung von der Implantation innerhalb kurzer Zeit belegen, wobei teilweise sogar größere Transmitter benutzt wurden (BAUMANS et al. 2001; LEON et al.

2004).

Zusammenfassend kann daher geschlussfolgert werden, dass das Wohlbefinden der Tiere nach der Transmitterimplantation zunächst beeinträchtigt war. Mit Hilfe der Telemetrie konnten statistisch signifikante Veränderungen der Herzfrequenz, der HRV, der Körperkerntemperatur und der Aktivität gemessen werden, ohne die Mäuse durch Anwesenheit eines Experimentators zu stören. Dabei erwiesen sich insbesondere die Aktivität und die HRV als sensitive Parameter zur Beurteilung der Belastung von Labormäusen. Anhand der Analyse dieser telemetrisch erhobenen Parameter bestand die Möglichkeit, selbst gering- bis mittelgradige Schmerz- und Belastungszustände über mehrere Tage zu erkennen. Die postoperativen Untersuchungen deuten dabei auf eine mittelgradige Belastung in den ersten 24 Stunden sowie eine geringgradige für die folgenden Tage hin. Weiterhin wurde deutlich, dass das Tragen des Transmitters in der Bauchhöhle zunächst Einfluss auf das Wohlbefinden der Tiere und damit auf die telemetrisch erhobenen Daten nimmt.

Daher ist eine postoperative Erholungszeit von mindestens 14 Tagen erforderlich, um Auswirkungen auf die Messungen in nachfolgenden Experimenten auszuschließen bzw. zu minimieren.

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5.3 Phänotypisierung der Mäuse vor Versuchsbeginn

Am Ende der postoperativen Rekonvaleszenzphase erfolgte zunächst eine Phänotypisierung der 13 Wochen alten Tiere, bei der die basalen Werte der telemetrisch gemessenen Parameter an drei aufeinanderfolgenden Tagen bestimmt wurden. In diesem Zusammenhang erfolgte auch ein Vergleich der IL-10 defizienten Mäuse mit den entsprechenden WT Mäusen, um zu beurteilen, ob eine Belastung bei diesen Tieren allein aufgrund der genetischen Veränderung vorlag. Schon zu diesem Zeitpunkt fielen im Rahmen der klinischen Untersuchung einzelne KO Mäuse beider Inzuchtstämme durch Gewichtsabnahmen und Durchfall auf. Die Auswertung der telemetrischen Messungen dieser Mäuse erfolgte daher getrennt von den klinisch unauffälligen KO Mäusen. Dabei konnten statistisch signifikante Veränderungen aller telemetrisch erhobenen Parameter der klinisch auffälligen Mäuse im Vergleich zu den unauffälligen Tieren gemessen werden. Diese äußerten sich in einer deutlich reduzierten Gesamtaktivität, einer tendenziell höheren Temperatur, einer erhöhten Herzfrequenz und einer stark verringerten HRV. Das Auftreten von Durchfall in Zusammenhang mit den Gewichtsabnahmen und den Ergebnissen der telemetrischen Messungen lassen vermuten, dass diese Tiere bereits an einer Kolitis erkrankt waren und unter den damit einhergehenden Schmerzen litten. Die anderen KO Mäuse schienen zu diesem Zeitpunkt noch keine entzündlichen Darm-veränderungen entwickelt zu haben. Diese Vermutung wurde sowohl durch die histologische Auswertung von Därmen 13 Wochen alter KO Mäuse nach Sham-OP sowie durch die abschließende histologische Untersuchung der Därme der transmitterimplantierten Mäuse bestätigt. Die bereits vor Versuchsbeginn als krank identifizierten Mäuse wiesen auch am Versuchsende hochgradige pathologische Veränderungen der Darmschleimhaut auf. Dagegen zeigten die anfangs als gesund identifizierten Mäuse auch an Tag 35 keine oder nur geringgradige entzündliche Veränderungen.

Auch aus diversen anderen Studien ist bekannt, dass sich die Entwicklung und der Schweregrad der Darmentzündung in IL-10 defizienten Mäusen sehr unterschiedlich darstellt (KÜHN et al. 1993; MADSEN et al. 1999; NAGY et al. 2016). So zeigten beispielsweise einige der in der Studie von Madson et al. untersuchten IL-10 defizienten Mäuse bereits mit vier Wochen eine milde Kolitis, welche im Alter von acht Wochen ein Plateau mit maximaler Ausprägung erreichte. Andere Mäuse dieser Studie wiesen über die gesamte Versuchsdauer und damit bis zu einem Alter von 16 Wochen keine Anzeichen einer Darmentzündung auf.

Die Entwicklung und Ausprägung der Kolitis im IL-10 defizienten Mausmodell wird sowohl durch den genetischen Hintergrund als auch durch Umweltfaktoren, insbesondere die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobiota, beeinflusst (KÜHN

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et al. 1993; SELLON et al. 1998; BRISTOL et al. 2000; MÄHLER et al. 2002;

KEUBLER et al. 2015).

Der Vergleich zwischen den klinisch unauffälligen KO Mäusen und den entsprechenden WT Mäusen zeigte in der vorliegenden Studie keine Unterschiede.

Allerdings konnten, wie schon in der postoperativen Phase, auch unter basalen Bedingungen signifikante Unterschiede zwischen den beiden Inzuchtstämmen detektiert werden. Die Stammunterschiede waren sowohl in den WT als auch in den gesunden KO Mäusen zu beobachten, weshalb im folgenden Abschnitt nur die Abkürzungen B6 und C3 für den jeweiligen Mausstamm verwendet werden.

Stammunterschiede

Die Ergebnisse der telemetrischen Messungen zur Ermittlung der basalen Werte belegen, dass die circadiane Regulation von Herzfrequenz, Temperatur und Aktivität zwischen den beiden Inzuchtstämmen signifikant unterschiedlich waren. Innerhalb eines Stamms war dagegen nur eine geringe Variabilität der telemetrisch gemessenen Parameter zu beobachten.

Die B6 Mäuse zeigten in der Dunkelphase ein biphasisches Aktivitätsmuster mit Maximalwerten während der frühen Dunkelphase. Dies steht im Einklang mit früheren Berichten, in denen circadiane Muster in verschiedenen Mausstämmen untersucht wurden (LI et al. 1999; TANKERSLEY et al. 2002; BAINS et al. 2016).

Das biphasische Aktivitätsmuster weist auf einen sekundären Erregungs-mechanismus hin, welcher bei den C3 Mäusen nicht vorhanden ist. Obwohl die Ergebnisse der aktuellen und vieler vorangegangener Studien zeigen, dass diese sekundäre Erregung ein robuster phänotypischer Unterschied zwischen C3 und B6 Mäusen ist, ist die zugrunde liegende spezifische genetische Determinante noch weitgehend unbekannt (TANKERSLEY et al. 2002). Eine Studie von Li et al. (2000) zeigte, dass eine Spitze der Melatoninsekretion aus der Zirbeldrüse in der späten Dunkelphase eine Rolle beim sekundären Erregungsmechanismus der B6 Mäuse spielen könnte. Sie konnten zeigen, dass der Melatonin-Plasmaspiegel in B6 Mäusen während der gesamten Hellphase stetig anstieg und etwa eine Stunde vor dem Dunkelwerden ein zirkadianes Maximum erreichte. Nach Einsetzen der Dunkelheit fiel er innerhalb von drei Stunden abrupt wieder ab. Ein zweiter starker Peak des Melatonin-Plasmaspiegels konnte etwa zwei Stunden vor dem Ende der Dunkelphase gemessen werden. Die stammspezifischen Unterschiede im Aktivitätsmuster könnten also in einer unterschiedlichen circadianen Sekretion von Melatonin begründet sein.

Neben dem Melatonin spielt beim Nagetier auch das in der Nebennierenrinde gebildete Steroidhormon Corticosteron (CORT) eine entscheidende Rolle im

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circadianen Rhythmus. Die Ausschüttung dieses Hormons führt zu einer Stoffwechselaktivierung und damit zu einer Mobilisierung von Energiereserven. Der Organismus wird wach und aufmerksam. Da Bewegungsaktivität bei Säugetieren die CORT-Sekretion erhöht, sind die höchsten Werte bei Mäusen in ihrer nächtlichen Aktivitätsphase zu messen (MORMEDE et al. 2007). Zusätzlich variiert die circadiane Rhythmik der CORT-Sekretion in verschiedenen Inzuchtstämmen (MALISCH et al.

circadianen Rhythmus. Die Ausschüttung dieses Hormons führt zu einer Stoffwechselaktivierung und damit zu einer Mobilisierung von Energiereserven. Der Organismus wird wach und aufmerksam. Da Bewegungsaktivität bei Säugetieren die CORT-Sekretion erhöht, sind die höchsten Werte bei Mäusen in ihrer nächtlichen Aktivitätsphase zu messen (MORMEDE et al. 2007). Zusätzlich variiert die circadiane Rhythmik der CORT-Sekretion in verschiedenen Inzuchtstämmen (MALISCH et al.