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Im zweiten Teil dieser Dissertation wurden mit Hilfe der Telemetrie stressbedingte Veränderungen physiologischer Parameter detektiert, analysiert und mit den Befunden aus den klinischen Untersuchungen verglichen. Die experimentelle Stressinduktion erfolgte mit Hilfe des sog. Restraint-Stress-Modells, bei dem die Mäuse an zehn aufeinanderfolgenden Tagen täglich eine Stunde in einer Zwangsröhre immobilisiert wurden. Die während der Versuchsphase erhobenen Daten der Stressgruppen wurden mit denen der entsprechenden Kontrollgruppen verglichen.

Da das Handling und die Erhebung des Körpergewichts im Rahmen der klinischen Untersuchung auch eine Stressbelastung für die Kontrolltiere darstellt, war es wichtig, alle Tiere vor Versuchsbeginn an die Hand des Experimentators und die Untersuchungen zu gewöhnen. Diese Maßnahmen reduzieren Angst und Stress und verringern so eine Beeinflussung der Messergebnisse (MOYAL 1999; DEACON 2006c). Deshalb wurden die Mäuse schon während der vierwöchigen Rekonvales-zenzzeit täglich gehandelt und gewogen. Dabei konnte eine schnelle Gewöhnung der Mäuse an die täglichen Routinemaßnahmen beobachtet werden. Sie zeigten schon nach wenigen Tagen keine Fluchtversuche mehr, ließen sich leicht greifen und aus dem Käfig nehmen.

Analyse der akuten Stressreaktion

Manipulationen an Mäusen, insbesondere in ihrer Inaktivitätsphase, führen zu charakteristischen Erregungsreaktionen, die durch eine Aktivierung der neuro-endokrinen Stressachsen gekennzeichnet sind (BALCOMBE et al. 2004; KRAMER et al. 2004). Frühere Studien haben gezeigt, dass die darauf folgenden Veränderungen der physiologischen Parameter Herzfrequenz, Temperatur und Aktivität etwa eine Stunde lang anhalten, bevor sie auf ihre Ausgangswerte zurückgehen (VAN BOGAERT et al. 2006; CINELLI et al. 2007). Für die Untersuchung stressbedingter Veränderungen der physiologischen Parameter während einer akuten Stressbelastung sowie der anschließenden Erholungsphase wurde daher ein Beobachtungszeitraum gewählt, der die Immobilisation in der Zwangsröhre und die darauffolgenden 60 Minuten umfasst.

Die Herzfrequenz der Kontrolltiere war zu Beginn des Beobachtungszeitraums leicht erhöht, sank dann aber schnell auf physiologische Werte. Dies lässt sich dadurch erklären, dass die Tiere nach der Untersuchung mit klinischen Scoring und Wiegeprozedur zunächst wach und aktiv waren. Der erneute Anstieg von Aktivität und Herzfrequenz bei den Kontrolltieren nach etwa 60 Minuten lässt sich dadurch erklären, dass das bloße Betreten des Raumes um die Tiere der Stressgruppe aus

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der Zwangsröhre zu befreien auch zu einer Reaktion bei den Mäusen der Kontrollgruppe führte. Im weiteren Verlauf zeigten die telemetrisch aufgezeichneten Parameter der Kontrolltiere keine Auffälligkeiten. Bei den Tieren der Stressgruppen konnten hingegen signifikante Veränderungen dieser Parameter festgestellt werden.

Auffällig war, dass vor allem die B6 Mäuse auf die erstmalige Stressexposition individuell sehr unterschiedlich reagierten. Während bei fünf Tieren der Stressgruppe die Herzfrequenz innerhalb von wenigen Minuten nach Verbringen in die Zwangsröhre auf Maximalwerte anstieg, zeigten drei Tiere der Gruppe in den ersten Minuten einen starken Abfall der Herzfrequenz. Auch die Körpertemperatur fiel bei diesen Tieren stark ab. Die Mäuse blieben außerdem völlig bewegungslos und starr in der Zwangsröhre. Nach wenigen Minuten ergab sich aber auch bei diesen drei Tieren ein deutlicher Anstieg von Herzfrequenz und Temperatur. Dieses Phänomen konnte in gleicher Häufigkeit auch bei den gestressten B6 Mäusen der vier Sham-Gruppen beobachtet werden. Eine Maus dieser Sham-Gruppen verstarb an Tag 1 nach fünf Minuten in der Zwangsröhre.

Eine Abnahme von Herzfrequenz und Körpertemperatur bei Mäusen durch Restraint- Stress beschrieben auch Meijer et al. (2006) und Narciso et al. (2003). Die anfängliche Temperaturreduktion könnte durch die Bewegungseinschränkung in der Zwangsröhre, sowie durch eine verringerte Umgebungstemperatur im Vergleich zum geschützten Käfig mit Nistmaterial erklärt werden. In Verbindung mit der stark verringerten Herzfrequenz handelt es sich aber vermutlich um eine evolutionäre Anpassungsreaktion, die für das Tier vorteilhaft ist, wenn es mit einer ausweglosen Situation konfrontiert wird (MEIJER et al. 2006).

Die anderen B6 Mäuse und alle C3 Mäuse reagierten auf die Stressexposition unmittelbar mit einer Tachykardie. Die Körpertemperatur der gestressten Mäuse stieg nach einem anfangs geringen Abfall noch während der Zeit der Immobilisierung deutlich an und blieb auch im Anschluss an die Stressexposition im Vergleich zu den Kontrolltieren erhöht. Eine stressinduzierte Tachykardie und Hyperthermie wurde bereits in mehreren Studien gezeigt (VAN DER HEYDEN et al. 1997; VAN BOGAERT et al. 2006). Durch Stress kommt es zu einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems, was zu einer Ausschüttung von Katecholaminen führt. Die Katecholamine bewirken eine Erhöhung der Herzkontraktilität und einen Anstieg der Herzfrequenz bis hin zur Tachykardie. Meijer et al. (2006) konnten sogar beweisen, dass die Herzfrequenz bei Mäusen mit zunehmender Stressintensität weiter ansteigt und damit ein nützlicher Parameter zur Quantifizierung der Wirkung eines akuten Stressors ist.

Auch eine Hyperthermie wurde häufig als Folge von Stressbelastungen beobachtet.

So konnte beispielsweise ein Anstieg der Körpertemperatur um ein bis zwei Grad bei Mäusen schon nach milden Manipulationen wie z. B. Handling beobachtet werden

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(LIU et al. 2003). Dass die zugrundeliegenden Mechanismen der stressinduzierten Hyperthermie nicht auf eine erhöhte lokomotorische Aktivität während oder nach dem Stressgeschehen zurückzuführen sind, wurde von Oka et al. (2001) bestätigt. Sie werden zentral reguliert und sind unabhängig von der Umgebungstemperatur.

Auch Shibata et al. konnten bereits 1982 zeigen, dass die stressinduzierte Hyperthermie bei Ratten durch das sympathische Nervensystem vermittelt wird.

Durch den Einsatz von Restraint-Stress fanden sie heraus, dass Stress über sympathische Nervenfasern die Thermogenese im braunen Fettgewebe stimuliert.

Durch eine Sympathektomie, also eine Denervierung des braunen Fettgewebes, konnten sie die stressinduzierte Hyperthermie vollständig verhindern.

Stressbewältigungsstrategien

Die während der akuten Phase der Stressexposition beobachteten Befunde sprechen für unterschiedliche Stressbewältigungsstrategien (Coping-Strategien) der Tiere. Dass Individuen sehr unterschiedlich auf eine furcht- oder stressauslösende Situation reagieren, ist bereits aus diversen anderen Untersuchungen an Nagetieren bekannt. Dabei basiert die Anwendung einer individuellen Bewältigungsstrategie z. B. auf früheren Erfahrungen, genetischem Hintergrund, Alter oder physiologischem Status. In der Literatur werden zwei grundsätzlich unterschiedliche Bewältigungs-strategien beschrieben: aktives und passives Coping (WECHSLER 1995;

ANDOLINA et al. 2015). Bei Tieren, mit aktivem Bewältigungsstil, dominiert die Aktivierung des SAM. Diese Tiere reagieren in stressauslösenden Situationen mit Flucht oder Kampf (fight or flight). Tiere mit passivem Bewältigungsstil reagieren mit eingeschränkter Bewegung bis hin zum völligen Erstarren (freeze). Hier überwiegt die Aktivierung der HHN-Achse (WECHSLER 1995).

In der vorliegenden Studie konnte eine passive Stressbewältigung nur bei den B6 Mäusen beobachtet werden. Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie von Andolina et al. (2015), die ebenfalls Unterschiede im Stressbewältigungsverhalten verschiedener Inzuchtstämme belegte. In ihren Untersuchungen zeigten die B6 Mäuse eine erhöhte Immobilität im Forced Swimming Test. Dieses Verhalten zeigt ein passives Coping an und wird oft als depressionsähnliches Verhalten interpretiert.

Analyse der Stressbelastung im Versuchsverlauf

Um die Belastung der Mäuse durch die 10-tägige Stressexposition im Versuchs-verlauf zu beurteilen, wurden die Tiere täglich klinisch untersucht und gewogen.

Telemetrische Messungen über 20 Stunden wurden an den Tagen 1, 3, 7, 10 und 14 erhoben und mit den Werten der basalen Messungen verglichen. Im Rahmen der klinischen Untersuchung konnten bei keinem der Tiere Stresssymptome über die Bewertung des äußeren Erscheinungsbildes oder über ihr spontanes oder

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provoziertes Verhalten registriert werden. Allerdings verloren die gestressten Tiere beider Inzuchtstämme im Vergleich zu den Kontrollgruppen signifikant an Gewicht.

Dabei lag der durchschnittliche maximale Gewichtsverlust unter Stress bei den WT-Mäusen bei 3 (C3) bis 5 % (B6) sowie bei 2 (C3) bis 6 % (B6) für die KO Mäuse und ist als eher gering anzusehen. Nach Beendigung der Stressexposition konnte in beiden Stämmen eine kontinuierliche Zunahme des Gewichts beobachtet werden.

Wie für die postoperative Phase beschrieben, war auch bei den Stressversuchen der Gewichtsverlust bei den C3 Mäusen schwächer ausgeprägt als bei den B6 Mäusen.

Außerdem erreichten die C3 Mäuse ihr Ausgangsgewicht deutlich früher.

Akuter Stress führt zu Veränderungen der Nahrungsaufnahme sowie zu einer reduzierten Verdauungsleistung. Stresshormone wie der CRF binden im Gastrointestinaltrakt an spezifische CRF-Rezeptoren. Im Kolon kommt es dadurch zu einer Steigerung der Darmmotilität und einer damit einhergehenden Verkürzung der Passagezeit des Darminhaltes. Im Magen führt die Aktivierung der CRF-Rezeptoren zu einer Herabsetzung der Kontraktilität und einer Hemmung der Magenentleerung.

Dadurch kommt es zur Inhibition der Nahrungsaufnahme (SEKINO et al. 2004).

Weiterhin führt die übermäßige Aktivierung des sympathischen Nervensystems zu einer gleichzeitigen Hemmung des Parasympathikus und einer damit einhergehenden verringerten Durchblutung der Verdauungsorgane. Sowohl die Hemmung der Nahrungsaufnahme als auch die reduzierte Verdauungsleistung führen zu einem Körpergewichtsverlust (GOLDSTEIN 1987).

Im Verlauf der zehntägigen Versuchsphase konnten bei den Mäusen auch bezüglich des Ausmaßes der Stressreaktion über die Tage hinweg Veränderungen beobachtet werden. Die stärkste Reaktion auf die Stressexposition wurde bei den B6 WT Mäusen an Tag 1 in der akuten Phase gemessen. Auch der Gewichtsverlust zeigte den größten Einbruch von Tag 1 auf Tag 2. Ebenso war ein deutlicher Einbruch der Aktivität in der ersten Nacht zu beobachten. Im weiteren Versuchsverlauf nahm die Aktivität in der Dunkelphase trotz täglicher Stressbelastung kontinuierlich zu. Vier Tage nach der letzten Stressexposition war die Gesamtaktivität wieder auf dem Niveau der basalen Werte.

Diese Ergebnisse lassen darauf schließen, dass die Mäuse sich an die wiederholte Immobilisationsbelastung gewöhnten. Eine solche Anpassung ist besonders im psychologischen Restraint-Stress-Modell beschrieben. Bei wiederholter Anwendung oder langer Exposition von milden Stressoren zeigten die Tiere eine schnelle Adaptation an die stressvolle Situation. In diesem Fall spricht man von einer Desensibilisierung (GADEK-MICHALSKA u. BUGAJSKI 2003; JAGGI et al. 2011).

Reber et al. (2006) konnten zeigen, dass es bei einer lang anhaltenden Stressbelastung auch zu einer Adaptation der HHN-Achse kommt. Nach 19-tägiger Stressexposition zeigten die Mäuse trotz erhöhtem Nebennierengewichts keine Unterschiede der Corticosteronkonzentration im Plasma zu den ungestressten

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Kontrolltieren. Die Desensibilisierung der HHN-Achse bei chronischem Stress dient vermutlich dem Schutz des Körpers vor einer Immunsuppression durch dauerhaft erhöhte Glucocorticoidkonzentrationen (REBER et al. 2006; SILVERMAN u.

STERNBERG 2012).

Bei der Bewertung der Belastung der Versuchstiere muss allerdings beachtet werden, dass eine reduzierte Verhaltensreaktion auf wiederholte Stressbelastungen entweder eine Desensibilisierung oder eine erlernte Hilflosigkeit anzeigen kann. Die Konsequenzen für die Interpretation des Wohlbefindens wären dabei entgegen-gesetzt (DESCOVICH et al. 2017). Eine erlernte Hilflosigkeit tritt ein, wenn es dem Tier nicht gelingt, eine stressauslösende Situation durch Anpassungsversuche zu kontrollieren oder zu beenden. Es verhält sich passiv und tritt eine Rückzugsstrategie an, indem es sich dieser Lage fügt und alle Initiative unterdrückt, bis sich die Situation bessert (VAN HOOFF et al. 1993).

Neben einer Desensibilisierung als Reaktion auf wiederholte Stressbelastungen kann es auch zu einer sog. Sensibilisierung kommen. Dabei nimmt die Intensität der Stressreaktion der Tiere zu und es findet keine Anpassungsreaktion statt. Eine Sensibilisierung tritt meist bei hochgradig intensiven Stressoren in Verbindung mit wenigen Wiederholungen oder einer kurzen Stressdauer auf (JAGGI et al. 2011). Die verringerte Aktivität sowie die Abnahme der HRV bei den C3 WT Mäusen zum Ende der zehntägigen Stressphase könnte auf eine Sensibilisierung der Tiere hindeuten.

Die Ergebnisse der Belastungsbeurteilung im experimentellen Restraint-Stress-Modell konnten bestätigen, dass der verwendete klinische Score nicht geeignet war, Stresssymptome bei den Tieren zu registrieren. Auch der Gewichtsverlust unter Stress war nur gering ausgeprägt. Allerdings zeigten die telemetrischen Aufzeichnungen der Mäuse aus den Stressgruppen signifikante Veränderungen in allen physiologischen Parametern. Insbesondere die Herzfrequenz stellte sich als geeignet zur Messung der akuten Stressbelastung dar. Die schnelle Regulierung durch das vegetative Nervensystem führte zu einer unmittelbaren Reaktion auf die Stressbelastung und ermöglichte eine präzise Einschätzung der Belastungsdauer.

Die Analyse der lokomotorischen Aktivität in der Dunkelphase erlaubte eine Einschätzung der Belastung, welche über die akute Phase hinausgeht.

Insgesamt waren die Auswirkungen der Stressexposition auf die Mäuse gering. Die schnelle Anpassungsfähigkeit der Tiere an die experimentelle Stressinduktion lässt in Zusammenhang mit den anderen Befunden den Schluss zu, dass das in der vorliegenden Arbeit angewendete Stressprotokoll zu keinen langfristigen stress-bedingten Veränderungen führte.

Auch bei den Stressversuchen konnten erhebliche stammspezifische Unterschiede detektiert werden. Die vorliegenden Ergebnisse lassen vermuten, dass die B6 Mäuse stressempfindlicher sind als die C3 Mäuse. Sie reagieren sensibler und ausgeprägter auf die akute Stressexposition und brauchen deutlich länger um sich zu erholen.

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