• Keine Ergebnisse gefunden

Um den Terminus Technicus des interreligiösen Lernens sowie der interreli-giösen Bildung genau erschließen zu können, ist es sinnvoll, sich ihrer Bedeu-tung zunächst aus erziehungswissenschaftlicher Perspektive anzunähern. Als ursprüngliches Ziel eines Lernprozesses lässt sich die Aneignung von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten definieren (vgl. Leimgruber 2003: 159). Es geht folglich um Wissensexpansion oder eine Verbesserung des bereits Gelernten (vgl.

Ledl 2012: 301). In der aktuellen pädagogischen Diskussion zum Themenkom-plex des Lernens werden zunehmend die Bedeutung und die Gestaltungsmög-21 Vgl. weiterführend zum Verhältnis und Zusammenhang zwischen Kultur und

Religion bzw. interreligiösem und interkulturellem Lernen z. B.: Schambeck 2013:

26–31; Bernlochner 2013: 21–34.

22 Tautz erklärt: „Das Präfix inter betont Aspekte des Austauschs und der sozialen Verständigung zwischen Menschen“ (Tautz 2007: 36).

Verortung des interreligiösen Dialoges im religionspädagogischen Kontext 35 lichkeiten des menschlichen Lernens fokussiert. Diese Sichtweise ist gegenläufig zur materialistisch verkürzenden neurowissenschaftlichen Methode des Objek-tivierens von Lernprozessen ohne Reflexion des entsprechenden kulturellen Kontextes (vgl. ebd.). Aus heuristischer Perspektive kann das Lernen „als erfah-rungsbezogener, dialogischer, sinnvoller und ganzheitlicher Prozess, in dem sich die Aspekte des Wissen-Lernens, Können-Lernens, Leben-Lernens und Lernen-Lernens verbinden“ (ebd.), analysiert werden.

Projiziert man ein solches Verständnis vom Lernen in den interreligiösen Kontext, wird Folgendes erkenntlich: Auch im religionspädagogischen Diskurs ist eine vieldeutige und teils unscharfe Verwendung des Begriffes interreligiöses Lernen sowie eine häufige Gleichsetzung mit interreligiöser Bildung festzustellen (vgl. Sajak 2013: 12; Schambeck 2013: 52f.). Geprägt wird die Bedeutung des interreligiösen Lernens durch den zuvor bereits thematisierten Paradigmenwech-sel, im Zuge dessen neben einem religionskundlichen Wissenszuwachs über die Weltreligionen ebenfalls die „Beziehung zwischen eigener und fremder Religion, zwischen lernenden Subjekten und anderen Religionen“ (ebd. 16f.; vgl. auch Gärtner 2015b: 215) in den Fokus des somit interreligiösen Lernprozesses rückt.

Gewissermaßen kann gesagt werden, dass das Präfix ‚inter-‘ – analog zu der oben dargelegten Entwicklung des erziehungswissenschaftlichen Verständnisses des Lernens – darauf hindeutet, dass entsprechende Lernprozesse nicht lediglich auf einen objektiven Wissenserwerb im Sinne eines rein kognitiven Verstehens und Aneignens von Inhalten zielen, sondern vielmehr ein Eindringen der erworbenen Erkenntnisse in das Bewusstsein, welches das tägliche Leben prägt, anstreben (vgl. Sajak 2010: 80; Knauth 2009a: 319).

Hierbei ist zu beachten, dass das begegnungsorientierte, direkte Lernen das indirekte Lernen in keinem Fall überflüssig macht. Beide Formen des Lernens verschränken sich durch die religiös-plurale Gesellschaftssituation zunehmend miteinander und sollten entsprechend auch nicht unabhängig voneinander verstanden werden, sondern sich vielmehr gegenseitig ergänzen und fundieren (vgl. Schweitzer 2014a: 34). Durch eine Neuordnung der Begriffe versucht Leimgruber, die Formen des indirekten und direkten interreligiösen Lernens miteinander zu verbinden (vgl. Sajak 2013: 14). Er unterscheidet hierzu zwischen interreligiösem Lernen im weiteren und im engeren Sinne (vgl. Leimgruber 2012: 20f.) – eine Unterscheidung, die sich im religionspädagogischen Diskurs als sinnvoll erwiesen hat und entsprechend häufig in der Literatur vertreten ist (vgl. z. B. Schambeck 2013: 53; Schweitzer 2014a: 34):

• Bei einem interreligiösen Lernen im engeren Sinne handelt es sich um ein begegnungsorientiertes, direktes Lernen, was sich in der Konvivenz Ange-höriger verschiedener Religionen ereignet. Einen besonderen Stellenwert bezieht hierbei der interreligiöse Dialog, worauf im weiteren Verlauf noch genauer eingegangen werden soll (vgl. Leimgruber 2012: 21).

Teil I: Theoretische Erschließung des Themas 36

Ein allgemeines interreligiöses Lernen im weiteren Sinne betrifft alle direk-ten und indirekten Wahrnehmungen einer Religion und deren Mitglieder, welche vom lernenden Individuum verarbeitet werden und resultierend dessen Bewusstsein prägen. Im Fokus steht die indirekte und direkte Ver-mittlung religiöser Erfahrungen (vgl. ebd.: 20f.).23

Ergänzend zu den erfolgten Erklärungen möchte ich an dieser Stelle ebenfalls auf die im Diskurs häufig auftretende Bezeichnung einer Didaktik der (Welt-) Religionen aufmerksam machen (vgl. z. B. ebd.: 23f.; Meyer, Tautz 2015: 1;

Schambeck 2013: 53). Zwar handelte es sich bei dieser Bezeichnung einer Aus-einandersetzung mit den Weltreligionen im Vergleich zum Begriff des interre-ligiösen Lernens um den älteren (vgl. ebd.), dennoch ist eine häufig synonyme Verwendung beider Begrifflichkeiten festzustellen (vgl. Meyer, Tautz 2015: 1).

Während Schambeck in der Didaktik der Weltreligionen eher die informative Vermittlung von Wissen über Religion definiert (vgl. Schambeck 2013. 53), legt Leimgruber dar, dass diese „die Gesamtheit der einschlägigen interkulturellen und interreligiösen Bildungsvorgänge mit dem Fokus auf Schule, Religionsun-terricht und Erwachsenenbildung“ (Leimgruber 2012: 23) umfasst. Aus dieser weiterführenden Definition lässt sich schlussfolgern, dass in den Anfängen der Entwicklung einer Didaktik der Weltreligionen zwar noch kein Lernen zwischen den Religionen vorgesehen war, die dargelegte gesellschaftliche Ausgangssitua-tion (vgl. 0.1) die weitere Entwicklung jedoch dahingehend prägte, dass ein inter-religiöses Lernen als fester Bestandteil einer solchen Didaktik der Weltreligionen zu benennen ist:

In einer Zeit in der ‚Weltreligionen‘ noch ‚Fremdreligionen“ waren, stand die Infor-mation über Religionen im Vordergrund, zuerst aus der Perspektive des Überlege-nen, insofern das Christentum als einzig wahre, exklusive und allein selig machende Religion galt, später aus mehr religionswissenschaftlicher Sicht mit ‚objektivem‘

Tatsachenwissen. Heute wird dieses religionswissenschaftliche Grundwissen vorausgesetzt […], doch für das Gelingen interreligiöser Lernprozesse müssen die Anknüpfungspunkte bei den Lernenden eruiert werden. Die Zugangswege zur Erkundung der Religionen sind vorab zu klären. Außerdem favorisiert eine zeitnahe, adressatengerechte ‚Didaktik der Weltreligionen’ personales, direktes und dialogisches Begegnungslernen […] gegenüber dem lange Zeit monopolisierten instruktivistischen und vertexteten Lernen (ebd.: 23f.).

In welchem Verhältnis steht nun ein derartiges interreligiöses Lernen zu interre-ligiöser Bildung? Tatsächlich lässt sich interreligiöse Bildung nicht unabhängig 23 Diese Unterscheidung ist ursprünglich auf Ulrich Kropač zurückzuführen (vgl. dazu

Kropač 2006: 471–486).

Verortung des interreligiösen Dialoges im religionspädagogischen Kontext 37 von interreligiösem Lernen verstehen. So sollte ersichtlich geworden sein, dass interreligiöses Lernen in der Auseinandersetzung mit anderen Religionen einen Moment der Reflexion seitens des lernenden Subjekts voraussetzt. Nur wenn interreligiöses Lernen einen „reflexiven Prozess des Sichbildens“ (Dörpinghaus 2011: 154; Leimgruber 2003: 159) anstößt, kann als ein Ergebnis des Lernprozes-ses von interreligiöser Bildung gesprochen werden: Clauß P. Sajak erklärt dazu:

Wird nämlich religiöse Bildung als das Vermögen verstanden, das Ganze von Wirk-lichkeit in den Blick zu nehmen und sich dann zu diesem Ganzen in ein verantwor-tetes Verhältnis zu setzen [...], kann interreligiöses Lernen als eine durchgängige Dimension dieses Prozesses identifiziert werden (Sajak 2018: 28).

Folglich lässt sich interreligiöse Bildung als Ziel interreligiösen Lernens definie-ren, welches sich in die im Folgenden dargelegten Zieldimensionen ausdifferen-zieren lässt.

2.2 Zieldimensionen interreligiöser Bildungsprozesse

Im religionspädagogischen Diskurs zum Themenkomplex des interreligiösen Lernens zeichnen sich zum einen vielschichtige zentrale Aspekte als auch nicht weniger komplexe Zielsetzungen interreligiösen Lernens ab. So benennt bei-spielsweise Friedrich Schweitzer die Komponenten Wissen, Einstellungen und existenzielle Auseinandersetzung als Ziele interreligiösen Lernens (vgl. Schweit-zer 2014a: 60), macht aber zudem darauf aufmerksam, dass „interreligiöse Bil-dung der Entwicklung von Dialogfähigkeit“ (ebd.) diene, und sich zudem „meh-rere weitere Zielbestimmungen anbieten“ (ebd.). Zentrale Begriffe in diesem Zusammenhang sind etwa Perspektivenwechsel, Toleranz und religiöse Identität (vgl. z. B. Gärtner 2015b; Mendl 2018; Nipkow 2005; Schambeck 2013; Sajak 2018; Tautz 2007; Ziebertz, Leimgruber 2000; Lähnemann 2005a). Abhängig von den durch die verschiedenen Theolog/inn/en vertretenen Ansätze zum inter-religiösen Lernen sind dabei unterschiedliche Schwerpunkte zu erkennen, was das Lernziel derartiger Lernprozesse angeht (für einen Überblick vgl. Meyer, Tautz 2015: 2–5). Im Folgenden erfolgt der Versuch einer Systematisierung und Definition dieser Aspekte und Ziele interreligiösen Lernens als Zieldimensionen entlang der kognitiven, sozialen und persönlichen Dimension. Da die im folgen-den thematisierten Zieldimensionen im religionspädagogischen Diskurs zudem in interreligiösen Kompetenzen konkretisiert werden (vgl. Schweitzer 2014a:

60), werde ich im Anschluss beispielhaft auf das Modell interreligiöser Kompe-tenzen von Willems (2011) eingehen.