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1.2 Begriffsbestimmungen

1.2.1 Begriffe in der Biomedizin

Obwohl der Ausdruck „Biomedizin" in verschiedenen Bereichen der Lebenswissenschaften zunehmend verwendet wird, ist er bis heute nicht klar definiert. Wikipedia definierte noch 2007 die Biomedizin intensional als „Teildisziplin der Humanbiologie im Grenzbereich von Medizin und Biologie. Sie ist ein interdisziplinäres Fachgebiet, das Inhalte und

Fragestellun-gen der experimentellen Medizin mit den Methoden der Molekularbiologie und der Zellbiolo-gie verbindet. (...) Ziel der Biomedizin ist wissenschaftliche Erforschung der Ursachen von Krankheiten, um Krankheiten kausal (ursächlich) behandeln bzw. ihnen effektiv vorbeugen zu können.“ Heute (2009) wird der Begriff extensional durch Aufzählung von Anwendungs-gebieten beschrieben15.

Der Arbeitskreis Biomedizin im Verband Biologie, Biowissenschaften & Biomedizin in Deutschland (VBIO) sieht in seinem Selbstverständnis die Ausrichtung der Biomedizin „als breit angelegte Symbiose zwischen Fachbereichen der Biologie und der Medizin, die sich in vielfältiger fachübergreifender Wissenschaft und Ausbildung manifestieren soll“16 In der vor-liegenden Arbeit wird der Begriff zur Beschreibung von Forschung und Anwendung an der Schnittstelle von Humanmedizin und Biologie verwendet.

Translationale Forschung

Translationale Forschung bezeichnet Forschung, die auf die klinische Anwendung von Wis-sen aus der biomedizinischen Forschung abzielt. Um den direkten klinischen Bezug zu ver-deutlichen wird im Englischen in diesem Zusammenhang häufig von „from the bench to the bedside“ gesprochen, also „vom Labortisch zum Krankenbett“. Das National Institute on Deafness and Other Communication Disorders (NIDCD), eine Einrichtung des NIH beschreibt Translationale Forschung als „the application of discoveries from basic biomedical and behavioral research toward the diagnosis, treatment or prevention of human disease, with the ultimate goal of improving public health”17.

Molekulare Medizin

Der Begriff Molekulare Medizin formte sich in den 80er Jahren, als immer mehr molekularbio-logische Methoden auf klinische Fragestellungen angewendet wurden. Ausgangspunkt war vor allem die DNA-Analyse. Der Begriff Molekulare Medizin zählt damit zu den ältesten Beg-riffen, die im Zusammenhang mit der Nutzung genetischer Informationen in der Medizin ver-wendet werden (Abbildung 2). Die zunehmende Adressierung des Themas „Molekulare Medizin“ in der wissenschaftlichen Literatur lässt sich anhand einiger Meilensteine in der Entwicklung der Molekularbiologie zurückverfolgen. Der Durchbruch der Biotechnologie in der Medizin gelang 1980 mit der Herstellung von humanem Interferon in E. coli18. Mitte der 80er Jahre startete das Human Genome Project, in dem internationale Forschergruppen gemeinsam an der Entschlüsselung des menschlichen Genoms arbeiteten. Die automatische DNA-Sequenzierung beschleunigte das Humane Genomprojekt erheblich, und die Aussicht auf klinische Anwendung der daraus entstehenden Erkenntnisse rückte in greifbare Nähe19. Zum Ende des Jahrzehnts führten schließlich amerikanische Mediziner die erste genthera-peutische Behandlung am Menschen durch20. Damit hatte sich der Begriff Molekulare Medi-zin endgültig etabliert. Inzwischen hat sich das Forschungs- und Anwendungsgebiet

erweitert. Die Molekulare Medizin verbindet die Inhalte und Fragestellungen der Experimen-tellen Medizin mit den Methoden der Molekular- und Zellbiologie sowie der Genomik. Zur Molekularen Medizin zählen auch biotechnologische Methoden wie die Herstellung von Arz-neistoffen durch Eingriffe in das Erbgut von Organismen sowie die Gentherapie, bei der mit Vektoren Gene in das Erbgut eingeschleust werden, um einen Gendefekt auszugleichen.

Genomische Medizin

Gleichzeitig kamen neue Begriffe auf, die das weit gefasste Gebiet der Molekularen Medizin stärker auf die Anwendung der neuen gendiagnostischen Laborverfahren eingrenzten: Mitte der 90er kam der Begriff Genomische Medizin auf, der nach dem ersten Meilenstein zur Ent-schlüsselung des menschlichen Genoms 20011, 2 an Bedeutung gewann: Die weiteren For-schungen konzentrierten sich darauf, auf Basis der genetischen Eigenschaften das individuelle Erkrankungsrisiko oder auch die Reaktion auf Arzneimittel vorauszusagen sowie anschließend neue Arzneistoffe zu entwickeln, die gezielt in Stoffwechselwege eingreifen6. Die Pharmakogenetik untersucht die Beziehung zwischen interindividuellen Variationen in der DNA-Sequenz und der Medikamentenwirkung, während sich die Pharmakogenomik auf die Anwendung genomischer Forschungsansätze in der Arzneimittel-Entwicklung bezieht21. RODEN UND GEORGE definieren Pharmakogenomik deshalb als „the concept of using whole-genome information to predict drug reaction”22 Seit 2005 nahm damit der Terminus „Genomi-sche Medizin“ zugunsten „Personalisierte Medizin“ ab.

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Anzahl der Publikationen in PubMed

Molecular Medicine Genomic Medicine Personalized Medicine Individualized Medicine

Abbildung 2: Anzahl der in PubMed gelisteten Publikationen, die die Termini molecular medicine, genomic medi-cine, personalized medicine oder individualized medicine im jeweiligen Veröffentlichungsjahr im Titel nennen.

Personalisierte Medizin

Da die pharmakogenomische Forschung auf die Entwicklung und Vergabe von Arzneimitteln unter Berücksichtigung individueller genetische Merkmale abzielt, wird sie neben der Geno-mischen Medizin häufig im Zusammenhang mit der Personalisierten Medizin genannt. Den-noch beschränkt sich die Bedeutung des Begriffes nicht auf eine „personalisierte Arzneimitteltherapie“, sondern schließt alle Diagnosen und Therapien sowie Maßnahmen zur Verhinderung oder Verzögerung von Krankheiten mit ein, die die genomischen Eigenschaf-ten des PatienEigenschaf-ten einbeziehen: „Personalized medicine is defined by the use of genomic signatures of patients in a target population for assignment of more effective therapies as well as better diagnosis and earlier interventions that might prevent or delay disease”23. Auch wenn in der Personalisierten Medizin verschiedene individuelle Informationen berück-sichtigt werden, liegt der Bedeutung des Begriffes im Kontext seiner Verwendung eine rein naturwissenschaftliche Dimension zugrunde. Eine ähnliche Entwicklung bestimmte die Medi-zin Anfang des 20. Jahrhunderts: philosophische und gesellschaftliche Strömungen sowie die aufblühende Entwicklungs- und Vererbungstheorie führten zu einer starken Betonung der wissenschaftlichen Bezüge in der Medizin24. Ludolf Krehl war einer der ersten Ärzte, die dies erkannten und kritisierten. Er setzte sich dafür ein, die Person als solche wieder stärker in den Mittelpunkt zu stellen: „Zur Krankheit gehört auch das, was mein Wesen dazu gibt, was Gott, Leben und ich selbst aus mir machten. So erst bestimmt die Persönlichkeit die Krank-heitsform“25. Er prägte damit den Begriff der „personalistischen Medizin“.

Die vorliegende Arbeit verwendet den Terminus Personalisierte Medizin, da er von allen im Kontext einer individuumszentrierten Gesundheitsversorgung verwendeten Begriffen am stärksten mit den vielfältigen Methoden der Bioinformatik auf verschiedenen molekularen Ebenen verknüpft wird, deren Einfluss auf die klinischen IT-Infrastrukturen sowie deren Ma-nagement untersucht werden soll. Ihr liegt die folgende Arbeitsdefinition zugrunde: „Persona-lisierte Medizin beschreibt die Einbeziehung individueller genetischer Merkmale in Diagnose und Therapie mit dem Ziel, die Krankheitsentstehung zu verhindern oder zu verzögern sowie Krankheiten früh zu erkennen und gezielter behandeln zu können“. Es wird damit jedoch keine Bewertung verbunden, weder der Nutzung des Terminus an sich noch des dahinterlie-genden Konzeptes.

Individualisierte Medizin

Einige Autoren bevorzugen den Begriff „Individualisierte Medizin“. Möglicherweise liegt dies auch an der starken naturwissenschaftlichen Betonung der Definitionen der Personalisierten Medizin. Von „Individualisierter Medizin“ ist sowohl im Kontext von Pharmakogenetik und -genomik als auch von zelltherapeutischer und immunologischer Forschung die Rede26, 27.

Er beschränkt sich jedoch nicht auf die molekulare Diagnostik und Therapie, sondern um-fasst eine im weiteren Sinne individuumzentrierte Gesundheitsforschung und -versorgung.

Mit „Individualisierter Therapie“ („individualized therapy“) wird die gezielt auf Patientenmerk-male abgestimmte Therapie verstanden. Der Begriff wird zum Beispiel auch im Zusammen-hang mit immunomodulatorischen Therapien28, Verhaltenstherapien29 oder Monitoring30 gebraucht. Auch im Kontext einer individualisierten Versorgung („individualized care“) stehen eine persönliche und zielgerichtete Versorgung im Vordergrund, wie zum Beispiel in der ne-onatologischen Versorgung31-33, bei präventiven therapeutischen Maßnahmen von Herzer-krankungen34, in Bezug auf medizinische Pflegestrukturen35-37 oder in der onkologischen Betreuung38.

Präventive und Prädiktive Medizin

Die Präventive Medizin („preventive medicine“) umfasst alle medizinischen Maßnahmen, die den Ausbruch einer Krankheit verhindern oder verzögern39. Die Prädiktive („predictive medi-cine“) Medizin bezeichnet statistische Verfahren oder Biomarker, nach denen Wahrschein-lichkeitsaussagen über Krankheitsverläufe getroffen werden können40-42. Manche sehen sie jedoch in engem Zusammenhang mit der Vorhersage von Arzneimittelwirkungen - sei es anhand von bestimmten Biomarkern oder durch Biosimulation39, 43 44.

Mit beiden Gebieten sind im Hinblick auf die Personalisierte Medizin große Hoffnungen ver-bunden. Sie bieten Schnittmengen mit den Zielen der Personalisierten Medizin und werden deshalb oft im Zusammenhang damit genannt.