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3 Beeinträchtigte Personen als potenzielle neue Zielgruppe der wissenschaftlichen Weiterbildung

Im Dokument Aufstieg durch Bildung? (Seite 65-70)

Die aktuelle Debatte über Inklusion hat den Bereich der wissenschaftlichen Weiter-bildung in Deutschland kaum erreicht (vgl. Lauber-Pohle 2015). Daher gibt es bisher keine belastbare Datengrundlage zu beeinträchtigten Studierenden in der wissen-schaftlichen Weiterbildung (vgl. Elsner & König 2019). Erste Erkenntnisse können je-doch aus den im Projekt EB erhobenen Daten gewonnen werden.

In einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung unter 521 Personen im Alter zwischen 17 und 64 Jahren in der erweiterten Westpfalz1 (für einen Überblick über das methodische Vorgehen und die allgemeinen Ergebnisse siehe Schwikal & Stein-müller, 2018) wurden u. a. Informationen über Bedarfe und Motive der Teilnahme an Weiterbildung – allgemein als auch bezogen auf die wissenschaftliche Weiterbil-dung – erhoben.

Von den 521 befragten Personen gaben 56 Personen an, dass sie eine Behinde-rung und/oder chronische Krankheit haben, die sie bei der Teilnahme an der Weiter-bildung vor besondere Anforderungen stellt.2 So stellt diese Gruppe mit 11 % einen nicht irrelevanten Anteil aller Befragten dar (Abb. 1).

1 Marks (2015) nimmt eine Eingrenzung des Untersuchungsgebiets anhand der Erreichbarkeit der Technischen Universi-tät Kaiserslautern innerhalb einer Stunde mit dem Pkw vor. Daher beinhaltet die untersuchte Region nicht nur die ad-ministrativen Grenzen der Westpfalz, sondern wurde nach Westen und Osten erweitert.

2 Diese 56 Personen unterteilen sich nochmals in zehn Personen mit einer Behinderung (1,9 %), 33 Personen mit chroni-scher Krankheit (6,3 %) und 13 Personen mit sowohl einer Behinderung als auch einer chronischen Krankheit (2,5 %).

Personen mit und ohne Beeinträchtigung in der regionalen Bevölkerungsbefragung (eigene Er-stellung)

Die Geschlechterverteilung unter den 56 Beeinträchtigten liegt bei 61 % Frauen zu 39 % Männern. Im Vergleich dazu liegt diese bei der Gruppe der Personen ohne Be-einträchtigung bei 53 % Frauen zu 47 % Männern. Beide Gruppen unterscheiden sich in Bezug auf das Durchschnittsalter: Dieses liegt bei den Befragten mit Beein-trächtigung um 5,5 Jahre höher (49,9 Jahre) als bei denjenigen ohne Beeinträchti-gung.

Das Interesse, innerhalb der nächsten fünf Jahre eine wissenschaftliche Weiter-bildung zu absolvieren, ist in beiden Gruppen zunächst unterschiedlich ausgeprägt.

Obwohl fast der gleiche Anteil von beeinträchtigten (59 %) und nicht beeinträchtig-ten (54 %) Personen ein solches Interesse verneinte, scheinen Personen mit Beein-trächtigung weniger eindeutig festgelegt zu sein: Nur 9 % von ihnen antworteten positiv im Vergleich zu 20 % bei den nicht Beeinträchtigten. Jedoch äußerten sich die beeinträchtigten Personen häufiger unentschlossen, sodass der Anteil jener Per-sonen, welche mit „Ja“ oder „Weiß ich noch nicht“ antworteten, letztendlich bei bei-den betrachteten Gruppen relativ ausgewogen ist, mit 41 % unter bei-den beeinträchtig-ten und 46 % unter den nicht beeinträchtigbeeinträchtig-ten Personen (Abb. 2). Die Überprüfung von Mittelwertunterschieden (t-Test für unverbundene Stichproben) zwischen bei-den Gruppen ergab jedoch keine statistisch signifikanten Unterschiede. Eine be-darfsorientierte Angebotsentwicklung könnte demnach die Attraktivität wissen-schaftlicher Weiterbildungsangebote insgesamt steigern und Unentschlossene zur Teilnahme bewegen. Dies könnte insbesondere auch neuen Zielgruppen, wie etwa beeinträchtigten Personen, zuträglich sein.

Abbildung 1:

Interesse an einer Weiterbildung an einer Hochschule in den kommenden fünf Jahren (eigene Erstellung)

Auf die Frage nach der Einstellung zu Weiterbildung im Allgemeinen bewerteten die Befragten unterschiedliche Aussagen auf einer sechsstufigen Likert-Skala von „ich stimme überhaupt nicht zu“ bis „ich stimme völlig zu“. Diese Antwortkategorien wurden für ausgewählte Aussagen in einem weiteren Schritt zur besseren Übersicht in drei Antwortkategorien (stimme nicht zu - weder noch – stimme zu) zusammen-gefasst (Abb. 3). Hier zeigen sich keine wesentlichen Unterschiede zwischen Perso-nen mit und ohne Beeinträchtigung hinsichtlich des Stellenwerts von Weiterbildung in der persönlichen und beruflichen Entwicklung sowie dem Wunsch nach einer besseren Passung von Weiterbildungsangeboten mit den alltäglichen Verpflichtun-gen und Aufgaben. Für die dritte Aussage, dass Weiterbildung an sich uninteressant sei und lediglich zur Umsetzung beruflicher Ambitionen genutzt würde, zeigten die beeinträchtigten Befragten eine höhere Zustimmungsrate als jene ohne Beeinträch-tigung. Der Unterschied ist statistisch signifikant bei einem annähernd moderaten Effekt3 und könnte auf eine leicht höhere extrinsische Motivation zur Teilnahme an Weiterbildung unter Personen mit Beeinträchtigung hinweisen.

Abbildung 2:

3 t-Test für den Mittelwertvergleich unverbundener Stichproben; Mittelwert Beeinträchtigte Personen = 2,75; Mittelwert Personen ohne Beeinträchtigung = 2,02; p<= 0,05; Cohen’s D = 0,47

Einstellung zu Weiterbildung (in Prozent, eigene Berechnung, eigene Erstellung)

Des Weiteren bewerteten die Befragten zwölf Kriterien der meso- und mikrodidak-tischen Gestaltung von Weiterbildung4 auf einer sechsstufigen Likert-Skala von 1 „überhaupt nicht wichtig“ bis 6 „sehr wichtig“. In einem zweiten Schritt wurden die Antworten zusätzlich in drei Kategorien eingeteilt (unwichtig – weder noch – sehr wichtig). Die betrachteten Kriterien beziehen sich nicht spezifisch auf die Hochschulweiterbildung, sondern auf Weiterbildung im Allgemeinen. Als Tendenz aufgefasst, können diese Ergebnisse auch für die Gestaltung wissenschaftlicher Wei-terbildungsangebote Aufschluss geben. Die Befragten mit Beeinträchtigung äußer-ten insbesondere Wünsche nach Weiterbildungsangeboäußer-ten, welche die Kommunika-tion zu anderen Teilnehmenden fördern (80,4 %), mit einem Zertifikat abschließen (80,4 %) und bei welchen die Teilnahme durch den Arbeitgeber finanziell (80,0 %) und zeitlich (81,5 %) unterstützt wird.5 Auch die Befragten ohne Beeinträchtigung maßen dem Erwerb eines Zertifikates (69,0 %) und der zeitlichen Unterstützung durch den Arbeitgeber (77,0 %) einen hohen Stellenwert bei, aber im Unterschied zur Vergleichsgruppe äußerten sie auch einen starken Wunsch nach berufsbeglei-tenden Weiterbildungsangeboten (70,7 %). Damit zeichnen sich in beiden Gruppen insgesamt ähnliche Wünsche ab, sodass zeitlich flexible Bildungsangebote, die zum Erwerb eines Zertifikats führen, den Bedarfen beider betrachteter Personengruppen entsprechen können. Für die beeinträchtigten Personen nimmt die Kommunikation mit anderen Teilnehmenden jedoch einen höheren Stellenwert ein (80,4 % im Ver-gleich zu 60,3 % unter den Personen ohne Beeinträchtigung).

Abbildung 3:

4 Die Ebenen der Makro-, Meso- und Mikrodidaktik sind genauer beschrieben in Neureuther, 2020, dieser Band.

5 In beiden Gruppen wurden die Kriterien mit den drei höchsten Anteilen in der Kategorie „sehr wichtig“ identifiziert.

Bei einer näheren Untersuchung der Bedarfe von Personen mit und ohne Be-einträchtigung zur formalen und didaktischen Gestaltung von Weiterbildung zeigten vier von zwölf Weiterbildungskriterien statistisch signifikante Unterschiede.6 Die Auswirkungen der Beeinträchtigung bzw. Nicht-Beeinträchtigung auf die Einschät-zungen der Befragten sind dabei als niedrig bis fast moderat einzustufen (Abb. 4).

Sie zeigen, dass die beeinträchtigten Personen einen größeren Wunsch nach berufs-integrierten Weiterbildungsangeboten, der Förderung von Kommunikation zwi-schen den Teilnehmenden, nach Studienangeboten mit Präsenzveranstaltungen und finanzieller Unterstützung durch den Arbeitgeber äußerten. Einschränkend muss darauf verwiesen werden, dass die Mittelwerte bezüglich dieser vier Kriterien zwi-schen beiden betrachteten Gruppen nicht weit auseinanderliegen, was darauf hin-deuten könnte, dass sich die Bedarfslagen bezüglich der Gestaltung von Weiterbil-dungsangeboten ähneln und auch die nicht beeinträchtigten Personen von einer solchen Angebotsausgestaltung profitieren könnten. Die Analyse der kategorisierten Befragtenangaben stützt diesen Eindruck, indem fast alle der erhobenen Weiterbil-dungskriterien in beiden untersuchten Personengruppen die höchsten Anteile in der Antwortkategorie „sehr wichtig“ verzeichnen.7

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass nur vier der zwölf untersuchten Krite-rien der meso- und mikrodidaktischen Gestaltung von Weiterbildung für beeinträch-tigte Personen (etwas) wichtiger sind als für Personen ohne Beeinträchtigung. Für beide untersuchten Personengruppen sind die meisten der betrachteten Weiterbil-dungskriterien vergleichbar wichtig. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass beide Personengruppen ähnliche Bedarfe in Bezug auf eine individualisierte und flexible Gestaltung von Weiterbildungsangeboten haben.

In einer thematischen Analyse von qualitativen semi-strukturierten Tiefeninter-views mit zehn beeinträchtigten Studierenden, die aus einer Online-Lehrveranstal-tung an einer britischen Universität akquiriert wurden, ermittelten Kotera, Cockerill, Green u. a. (2019), dass die Studierenden die Zugangsmöglichkeiten, die Flexibilität und selbstbestimmte Gestaltung des Lernens insbesondere mit Blick auf die Pas-sung des Studiums mit Beruf und Familienleben sehr schätzen. Die Studierenden erwähnten Schwierigkeiten bei der Interaktion mit Kommilitonen und Lehrenden bzw. Mitarbeitenden der Universität, was auf eine hohe Bedeutung des sozialen Ele-ments des Lernens und von Präsenzphasen hinweist. Diese Ergebnisse weisen, wenn auch nicht im Bereich der (deutschsprachigen) wissenschaftlichen Weiterbil-dung gewonnen, auf einen Bedarf von beeinträchtigten Studierenden nach indivi-duellen und flexiblen Studienangeboten hin und bieten damit auch für die

wissen-6 t-Tests für den Mittelwertvergleich unverbundener Stichproben; Keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen beiden Personengruppen zeigten sich in Bezug auf ihre Wünsche nach Weiterbildungsangeboten, die eine Kombination aus Präsenz- und Fernlernen beinhalten, über einen längeren Zeitraum in kleineren Teilen absolviert werden können, in Teilzeit mit flexiblen Einstiegsmöglichkeiten angeboten werden, Berufserfahrungen anrechnen, mit dem Erhalt eines Zertifikats abschließen, mit kurzen Anfahrtswegen verbunden sind und zeitliche Unterstützung durch den Arbeitgeber ermöglichen.

7 Lediglich die zwei Kriterien „Präsenz“ und „Kombination aus Präsenz- und Fernlernen“ wurden in der Gruppe der be-einträchtigten Personen mehrheitlich als „sehr wichtig“ bewertet, während sie innerhalb der Personen ohne Beeinträch-tigung gleichstarke oder höhere Anteilswerte in der Kategorie „weder noch“ erhielten.

schaftliche Weiterbildung wichtige Impulse zu Motivationen und möglichen Barrieren der Teilnahme an räumlich und zeitlich flexiblen Studienangeboten. Zum besseren Verständnis der in diesem Kapitel präsentierten empirischen Daten und der Hinweise aus der Literatur wird im Folgenden ein exemplarischer Einblick in ei-nige studienbezogene Schwierigkeiten von beeinträchtigten Fernstudierenden in der wissenschaftlichen Weiterbildung gegeben.

Mittelwertvergleich zu Kriterien der meso- und mikrodidaktischen Gestaltung von Weiterbil-dung zwischen beeinträchtigten Personen und Personen ohne Beeinträchtigung (eigene Berechnung, ei-gene Erstellung)

4 Studienbezogene Beeinträchtigungen

Im Dokument Aufstieg durch Bildung? (Seite 65-70)