• Keine Ergebnisse gefunden

Bedürfnisgerechte Unterstützungsangebote für Hinterbliebene und beruflich Involvierte etablieren und über

Ange-bote informieren

Ziel Hinterbliebenen und Berufsgruppen, die nach Suiziden stark involviert sind, stehen Unterstützungsangebote bei der Bewältigung zur Verfügung.

Massnahme Bedürfnisgerechte Unterstützungsangebote für Hinterbliebene und beruflich Invol-vierte etablieren und über Angebote informieren.

Fortschritt (2017-2021) Zielerreichungsgrad Massnahme (2021)

Zusammenfassung

Suizide führen bei Hinterbliebenen oder beruflich Involvierten, wie z.B. Mitarbeitenden von Rettungsor-ganisationen, Lokführer*innen, der Polizei oder Fachpersonen im Gesundheits- und Sozialwesen zu gros-sem Leid. Zudem sind Suizide im familiären Umfeld ein Risikofaktor für suizidale Handlungen. Im Rahmen von Massnahme VII.1 sollen professionelle Beratungs- und Behandlungsangebote oder bewährte Selbst-hilfegruppen für Hinterbliebene in der ganzen Schweiz etabliert werden. Hinterbliebene sollen systema-tisch über die verschiedenen Angebote informiert werden.

Bisher konnten in Bezug auf diese Massnahme im Bereich der Hinterbliebenen bei Suiziden im familiä-ren Umfeld nur wenige Fortschritte erzielt werden:

 Gemäss den verfügbaren Informationen existieren mehrere bewährte und spezialisierte Angebote für Hinterbliebene bei Suiziden im familiären Umfeld (z.B. spezielle Selbsthilfegruppen oder Beratungs-stellen). Insbesondere Selbsthilfegruppen sind noch wenig etabliert und daher nur sehr eingeschränkt lokal verfügbar.

 Bei professionellen psychotherapeutischen Angeboten, die über die Grundversorgung abgerechnet werden können, dürften sich die bereits seit 2016 bekannten Lücken (z.T. lange Wartezeiten) in der Zwischenzeit kaum geschlossen haben. Allerdings ist davon auszugehen, dass sich ab Sommer 2022 mit der vom Bundesrat verabschiedeten Verordnungsänderung zur Abgeltung von Th erapien der psy-chologischen Psychotherapeut*innen (Anordnungsmodell) diese Situation verbessern dürfte.

 Im Rahmen von Informations- und Sensibilisierungsaktivitäten (vgl. Massnahmen zu Ziel II) wird bisher wenig systematisch über Angebote für Hinterbliebene informiert. Neu (seit 2021) sind jedoch Infor-mationen für Hinterbliebene und Unterstützungsangebote auf der nationalen Webseite «reden -kann-retten.ch» aufgeschaltet.

 Es gibt einzelne gute Beispiele, wie nach einem Suizid der Übergang von der kurzfristigen Kriseninter-vention zu einer längerfristigen Unterstützung bei Bedarf sichergestellt wird. Bei der Vernetzung zwi-schen den verschiedenen Angeboten scheint jedoch noch Potenzial zu bestehen.

Inwieweit für Berufsgruppen, die ein erhöhtes Risiko für einen miterlebten Suizid haben, Unterstüt-zungsangebote existieren und Betroffene systematisch informiert werden, ist uns nicht abschliessend

bekannt. Die verfügbaren Informationen zeigen, dass bei einzelnen wichtigen Zielgruppen Angebote be-stehen:

 Die SBB verfügt über ein umfassendes Angebot, das stetig weiterentwickelt wird und eine grosse Zahl (potenziell) Betroffener erreicht. Nach einem Suizid gibt es für die betroffenen Lokführer spezifische Unterstützung.

 Gemäss Studien in der Romandie verfügen nur rund ein Drittel von Organisationen aus dem Gesund-heits- und Sozialwesen über Unterstützungsangebote für die angestellten Fachleute nach einem erleb-ten Suizid.

 Beim Polizei- und Rettungswesen scheinen niederschwellige und professionelle Angebote zu existie-ren, wobei dies kantonal geregelt und somit unterschiedlich sein dürfte.

Insgesamt lässt sich schliessen, dass – vor allem bei den familiär Hinterbliebenen – wenig Aktivitäten in diesem Bereich angestossen wurden und bei der Verbreitung von bewährten Angeboten sowie bei der Vernetzung und Information noch grosses Potenzial besteht.

Die Massnahme im Überblick gemäss Aktionsplan

Hinter-grund

 Suizide führen bei Hinterbliebenen oder beruflich Involvierten, wie z.B. Mitarbeitenden von Rettungsorganisationen, Lokführer*innen, der Polizei oder Fachleuten im Gesund-heits- und Sozialwesen zu grossem Leid. Zudem sind Suizide im familiären Umfeld ein Risi-kofaktor für suizidale Handlungen.

 Arbeitgeber*innen haben nicht nur die physische, sondern auch die psychische Gesund-heit ihrer Mitarbeitenden zu wahren und zu verbessern. Sie sind im Rahmen des Arbeits-gesetzes bzw. des Gesundheitsschutzes zu geeigneten Massnahmen verpflichtet, damit Angestellte, die in Suizide involviert sind, psychisch nicht darunter leiden.

 In der Schweiz spricht man von 5-10 Personen, die von einem Suizid betroffen sind. Die Unterorganisation der WHO «International Association for Suicide Prevention IASP» geht von insgesamt 135 Betroffenen pro Suizid aus, da sie nicht nur die Folgen für die engen Bezugspersonen, sondern auch weitere Kreise (Berufskolleg*innen, Kolleg*innen in pri-vatem Kontext) sowie die Berufsgruppen, die bei einem Suizid involviert sind, berücksich-tigt (Andriessen et al. 2017).

Kurzbe-schrieb

 Bewährte professionelle (z.B. psychotherapeutische) Angebote oder Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene sollen in der ganzen Schweiz etabliert und Hinterbliebene systema-tisch über die verschiedenen Angebote informiert werden. An die Bedürfnisse von be-troffenen Jugendlichen ist besonders zu denken.

 Die Bewältigung beginnt bereits beim Überbringen von Suizidnachrichten (Kriseninterven-tion). Die Hinterbliebenen sollten zeitnah und proaktiv mit notfallpsychologischer Unter-stützung informiert werden. Dies gilt auch für die Betreuung von Angehörigen, wenn psy-chisch kranke Personen vermisst werden. Sie sollten auch auf die Möglichkeit längerfristi-ger Unterstützungsangebote aufmerksam gemacht werden.

 Beruflich Involvierte sollten kurz- und langfristig ebenfalls Unterstützungsangebote ge-mäss ihren Bedürfnissen zur Verfügung stehen. Dies betrifft z. B. Personal von Blaulicht-organisationen, Eisenbahngesellschaften, Gesundheits- und Sozialwesen, Lehrberufen.

Akteure

 Für Hinterbliebene: Leistungserbringer in der Gesundheitsversorgung, Sozialwesen, NGO, Kirchen

 Für beruflich Involvierte: betroffene Firmen, betroffene Bundesstellen (SECO)

Stand der Umsetzung

Im Folgenden ist zuerst der Stand der Umsetzung zu Unterstützungsangeboten für familiär Hinterblie-bene und danach für beruflich Involvierte ausgeführt. Bei Unterstützungsangeboten für HinterblieHinterblie-bene nach einem Suizid ist generell zu unterscheiden zwischen der professionellen Begleitung nach einem Sui-zid (z.B. kurzfristige Krisenintervention, individuelle Unterstützung oder fachgeleitete Betreuung von Gruppen), Selbsthilfegruppen sowie der psychotherapeutischen/psychiatrischen Behandlung bei schwer-wiegenderen psychologischen Folgen. Die Begleitung von Hinterbliebenen nach einem Suizid erfordert spezifische Fachkompetenzen, da ein erlebter Suizid mit speziellen (psychischen) Folgen verbunden ist (u.a. Schuldgefühle, Stigmatisierung).

Unterstützungsangebote für familiär Hinterbliebene

Soll-Zustand

Professionelle Unterstützungsangebote («Counseling»), spezialisierte Selbsthilfegruppen und der Zugang zu professionellen psychotherapeutischen Behandlungsangeboten für familiär Hinterbliebene sollten flä-chendeckend vorhanden sein. Über die Angebote sollten im Rahmen der Information und Sensibilisie-rung (vgl. Massnahmen II.1 und II.2) informiert werden. Kurz- und langfristig angelegte Unterstützungs-angebote sollten ineinandergreifen, so dass bei Bedarf eine langfristige (professionelle) Begleitung ge-währleistet ist.

Ist-Situation

Aus den verfügbaren Informationen geht hervor, dass einzelne Beispiele für spezialisierte und qualitativ gute Unterstützungsangebote in mehreren Kantonen/Städten existieren. Diese sind jedoch sehr punktu-ell sowie schwach institutionpunktu-ell verankert und wenig miteinander vernetzt. Nicht alle Betroffenen dürf-ten über vorhandene Angebote informiert sein und Zugang haben. Entwickeln Hinterbliebene schwer-wiegendere psychologische Folgen und benötigen eine professionelle psychotherapeutische Behandlung, ist es in gewissen Regionen schwierig einen Therapieplatz für zu erhalten (vgl. Massnahme V.1).

Kantonales Engagement allgemein: In der für die Ist-Analyse durchgeführten Kantonsbefragung ge-ben 15 von 22 Kantonen an, dass sie sich im Bereich der Unterstützung von Hinterbliege-benen und be-ruflich Involvierten nach Suizid engagieren (3 nein, 4 weiss nicht).80

Krisenintervention: Psychologische Nothilfe und Kriseninterventionen gehören in der Schweiz zum Bevölkerungsschutz. Die Umsetzung und Organisation obliegen den Kantonen, die die Gemeinden ein-beziehen können. Gemäss der Kantonsbefragung verfügen 10 Kantone über Kriseninterventionsstruk-turen, davon 9 über Care-Teams, welche nach einem Suizid aufgeboten werden (können) und 3 über Kriseninterventionsstellen in verschiedenen Settings, z.B. Volksschulen oder Pflegeeinrichtungen.

Spezifische längerfristige professionelle Unterstützungsangebote für Hinterbliebene: Es existieren mehrere Vereine, die ein spezialisiertes, zum Teil auch überregionales Angebot für die längerfristige

80 Die Frage lautete: «In welchen Bereichen der Suizidprävention hat sich die kantonale Verwaltung im Zeitraum ab 2017 konk-ret engagiert? Aktivitäten zur Unterstützung von Hinterbliebenen und beruflich Involvierten nach Suizid z.B. Care-Teams, Selbst-hilfegruppen, Informationen für Angehörige, Fachpersonen der Gesundheitsversorgung, der Blaulichtorganisationen oder der Verkehrsdienste.

Unterstützung etabliert haben. Zielgruppen sind Personen, die jemanden durch Suizid (oder auf an-dere traumatische Weise) verloren haben.81 Zu nennen sind u.a. die Vereine trauenernetz.ch und Re-fugium in der Deutschschweiz oder As’trame, Vivre son deuil und Arc-en-Ciel in der französischspra-chigen Schweiz. Vereinzelt bestehen spezialisierte Angebote für Kinder, die einen Elternteil, für junge Menschen, die ein Geschwister oder für Eltern, die ein Kind durch Suizid verloren haben. Gemäss der Kantonsbefragung für die vorliegende Ist-Analyse verfügen 10 Kantone über Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene nach einem Suizid und einzelne unterstützen diese finanziell. Die Stiftung Selbsthilfe Schweiz führt diverse Selbsthilfegruppen auf ihrer Webseite zum Stichwort Suizid auf, die sich primär an Hinterbliebene richten. Inwieweit diese fachgeleitet sind, wurde nicht erhoben. Gemäss befragten Expert*innen sind spezifische professionelle Unterstützungsangebote gegenüber anderen Ländern wie die USA oder Australien schwach ausgebaut. Ein generelles Hindernis für die Verbreitung stellt – wie auch für andere Angebote der Selbstmanagement-Förderung – die Finanzierung dar. Im Rahmen der Plattform «Selbstmanagement-Förderung bei nichtübertragbaren Krankheiten, Sucht und psychi-schen Erkrankungen (SELF)» strebt das BAG an, die Rahmenbedingungen für solche Angebote zu ver-bessern und die Vernetzung zu fördern. Unter anderem hat das BAG Leitfäden zur Finanzierung und zur Qualität von Angeboten der Selbstmanagement-Förderung erarbeiten lassen.

Psychotherapeutisches Angebot: Bei der allgemeinen therapeutischen Versorgung bestehen gemäss Studien (z.B. BASS 2016) Lücken bzw. längere Wartelisten für einen Therapieplatz. Teilweise – bei psy-chologischen Psychotherapeut*innen, die selbständig aber nicht delegiert in einer Arztpraxis tätig sind – bestehen finanzielle Hürden, da die Leistungen nicht über die Grundversicherung (OKP) abrechenbar sind. Diese Situation dürfte sich mit Inkrafttreten des sogenannten Anordnungsmodells ab dem 1. Juli 2022 entschärfen. Mit diesem Modell dürfen neu psychologische Psychotherapeut*innen ihre Leistun-gen auf Anordnung einer Ärztin oder eines Arztes selbständig im Rahmen der OKP erbrinLeistun-gen.82 Inwie-fern spezifische Fachkompetenzen für die Begleitung nach einem erlebten Suizid unter den Thera-peut*innen verbreitet sind und erworben werden können, wurde im Rahmen der Ist-Analyse nicht er-hoben.

Informationen über Angebote: Von Seiten BAG sind neu (seit Ende April 2021) auf der

Kampagnenwebseite «Reden-kann-Retten» Informationen für Hinterbliebene nach einem Suizid integriert. In der Kantonsbefragung geben 3 Kantone an, über Informationsmaterial (Flyer, Webseite) für Hinterbliebene nach einem Suizid zu verfügen, die z.B. von der Polizei oder Care-Teams nach einem Suizid verteilt werden. Insgesamt wird jedoch aus Sicht von Befragten bisher zu wenig über bestehende Angebote informiert. Grundsätzlich zeigten Erfahrungen (einzelne Beiträge in den Medien, Bekanntmachung der Angebote über die Polizei und Kriseninterventionen) dass die Bekanntmachung eine Nachfrage auslösen kann.

Vernetzung zwischen kurz- und langfristigen Angeboten: Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass innerhalb von Kantonen/Regionen die kurzfristige Krisenintervention und die langfristigen Angebote für Hinterbliebene zum Teil noch wenig untereinander vernetzt sind.

Weitere Informationen

Spezifische professionelle Unterstützungsangebote/fachgeleitete Selbsthilfegruppen für Hinterblie-bene: Gemäss befragten Akteuren ist das bestehende spezifische Unterstützungsangebot für Hinter-bliebene insgesamt eher grobmaschig. In den letzten Jahren haben sich die Angebote auch kaum

81 Es existieren dabei spezielle Gruppen für Kinder, die einen Elternteil, junge Menschen, die ein Geschwister oder Eltern, die ein Kind durch Suizid verloren haben.

82 Informationen zum Anordnungsmodell: Der Bundesrat verbessert den Zugang zur Psychotherapie (admin.ch)

terverbreitet. Gründe hierfür sind erstens mangelnde finanzielle Unterstützungen. Nur einzelne Kan-tone unterstützen längerfristige Unterstützungsangebote finanziell. Ansonsten tragen sich die Ange-bote nur durch freiwilliges Engagement von Fachpersonen oder von Betroffenen (Peers), welche Selbsthilfegruppen leiten. Zweitens kann das Engagement in diesem Bereich insbesondere für Be-troffene (Peers) belastend sein. Aus diesem Grund mussten in der Vergangenheit einzelne Angebote eingestellt werden. Weiter besteht das Angebot aus einem Nebeneinander von mehreren kleineren und wenig finanzstarken Vereinen, was u.a. die Akquisition von finanziellen Mitteln erschwert.

Vernetzung verschiedenen Angebotsformen und Information über Angebote: Ein Good-Practice Beispiel für Vernetzung und Information ist der Kanton Zürich. Dieser hat ein Projekt mit der Kantonspolizei aufgegleist, bei dem rund zwei Wochen nach einem Suizid die Kantonspolizei aktiv telefonisch Kontakt aufnimmt und auf Unterstützungsangebote hinweist. Zudem unterstützt der Kanton den Verein Trauernetz, der sich stark in der Vernetzung engagiert und fachgeleitete

Selbsthilfegruppen anbietet. Weiter hat der Kanton Zürich auf seiner Homepage zur Suizidprävention eine Informationsrubrik für Hinterbliebene, in der auch auf Angebote aufmerksam gemacht wird.

Unterstützungsangebote für beruflich Involvierte

Soll-Zustand

Arbeitgeber*innen der wichtigsten Berufsgruppen sollten über ein Unterstützungsangebot nach miter-lebtem Suizid verfügen oder über andere Unterstützungsangebote informieren. Zu den Berufsgruppen, die ein hohes Risiko haben, in ihrer beruflichen Karriere einen Suizid mitzuerleben, gehören Lokfüh-rer*innen und anderes Personal des öffentlichen Schienenverkehrs (u.a. Reinigungspersonal), Personal von Blaulichtorganisationen (Rettungswesen, Polizei) und Personal im Gesundheits- und Sozialwesen.

Ist-Situation

Die SBB verfügt über ein umfassendes Angebot und auch im Polizei- und Rettungswesen scheinen nieder-schwellige und professionelle Angebote zu existieren. Im Rahmen der Ist-Analyse konnte jedoch keine abschliessende Bestandsaufnahme bei allen relevanten Berufsgruppen durchgeführt werden.

SBB: Die SBB als wichtige grosse Arbeitgeberin in diesem Bereich verfügt über ein umfassendes Ange-bot für Mitarbeitende, die einen Suizid(versuch) miterlebt haben. Vorgesetzte werden speziell für die Notfallbetreuung geschult und stellen einen 24-h-Pikettdienst. Bei einem Schienensuizid wird der zu-ständige Pikett automatisch alarmiert, welcher unverzüglich an der Unfallstelle Erstbetreuung für die betroffenen Mitarbeitenden leistet. Der Pikett kann bei Bedarf Unterstützung durch SBB Care anfor-dern. Bei SBB Care stehen Notfallpsycholog*innen zur Verfügung. SBB Care ist für die Nachbetreuung zuständig. Am Folgetag eines Suizids kontaktiert ein geschulter Peer den/die Mitarbeitende/n und leistet «Kollegenhilfe» und Begleitung bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsalltag. Bei Bedarf kann der Peer die Notfallpsycholog*innen von SBB Care einbeziehen und es können geeignete Thera-pieangebote in die Wege geleitet werden. Bei länger anhaltenden Bewältigungsschwierigkeiten ist zu-dem die Sozialberatung der SBB eingebunden. Es hat sich gezeigt hat, dass ein Wissen darüber mit welchen physischen und psychischen Reaktionen nach einem Schienensuizid gerechnet werden muss, sich positiv auf die Verarbeitung eines miterlebten Suizids auswirkt. Daher ist dies auch Teil von Schu-lungen von Mitarbeitenden zur Suizidprävention (vgl. Massnahme IV.1). Diese SchuSchu-lungen und Auffri-schungen sind für Mitarbeitende im Gleisbereich der SBB (Lokführer*innen, Kundenbegleiter*innen, Reinigung und Unterhalt) obligatorisch.

Polizei und Rettungsorganisationen: Gemäss Auskünften von nationalen Verbänden (Interverband für das Rettungswesen IVR und Verband Schweizerischer Polizei-Beamter VSPB) ist das Unterstützungsan-gebot für Polizeibeamt*innen und Mitarbeitende im Rettungswesen kantonal unterschiedlich. Aus Ge-sprächen mit im Bereich der Unterstützung von Hinterbliebenen engagierten Akteuren geht hervor, dass bei beiden Berufsgruppen zum Teil niederschwellige Peer-Betreuungsangebote vorhanden sind.

Bei der Polizei unterstützen zum Teil angestellte Polizeipsycholog*innen Polizeibeamt*innen bei der Bewältigung von Ereignissen. In einzelnen Kantonen (z.B. ZH und LU) existiert ein spezielles Not-fallseelsorgeangebot für Angestellte der Polizei und Rettungskräfte.

In der Kantons- und NGO-Befragung im Rahmen dieser Ist-Analyse wurden nur wenige Angaben zu Angeboten für beruflich Involvierte gemacht.83

 Mit der Idee, dass die Angebote bei Bedarf bekannt sind und um eine frühe Auseinandersetzung mit dem Risiko anzustossen, wird das Thema Nachsorge zum Teil in Schulungen zur Suizidprävention bei diversen Multiplikatoren integriert. Hier besteht aus Sicht von Expert*innen noch viel Potenzial, dies systematischer umzusetzen.

83 Ein Kanton gibt an, eine Selbsthilfegruppe für Lokführer*innen zu unterstützen und ein anderer Kanton erwähnt eine Kriseninterventionsstelle bei der Feuerwehr.

Gesamtbeurteilung und Ausblick

Die Gesamtbeurteilung zum Stand der Umsetzung dieser Massnahme basiert auf Recherchen, Literatur- und Dokumentenanalysen, Befragungen sowie Expert*innen-Gesprächen zu den ausgewählten Schwer-punkten und Untersuchungsgegenständen (Stand: Juli 2021).

Stärken und Fort-schritte seit 2017

 Es bestehen bewährte spezialisierte Angebote für Hinterbliebene, die für eine Verbreitung geeignet wären.

 Auf der nationalen Webseite «Reden kann Retten» wird seit April 2021 über Angebote für Hinterbliebene informiert.

 Grosse Arbeitgeber*innen mit einer hohen Reichweite verfügen über Angebote (SBB:

rund 10'000 Personen).

Herausfor-derungen und Lü-cken

 Familiär Hinterbliebene: Insgesamt ist das Angebot noch eher lückenhaft und wenig vernetzt, auch zwischen den kurzfristigen Kriseninterventionen und der längerfristigen professionellen Unterstützung (z.B. Trauerbegleitung in Form von fachgeleiteten Selbsthil-fegruppen). Die Nachhaltigkeit dieser spezifischen Angebote der Trauerbegleitung ist gering, da mehrere kleine und wenig finanzkräftige Vereine in diesem Bereich tätig sind und die Angebote massgeblich vom freiwilligen Engagement einzelner Personen abhängig sind.

 Beruflich involvierte Personen: Es gibt auch hier Hinweise darauf, dass beispielsweise im Gesundheits- und Sozialwesen nur eine Minderheit der Institutionen über Konzepte und Angebote der Postvention verfügen.

 Professionelles Psychotherapieangebot in der Grundversorgung: Der Zugang zu diesen Angeboten ist derzeit eingeschränkt (allgemein in ländlichen Regionen, in Ballungszentren lange Wartefristen). Er dürfte sich jedoch mit dem vom Bundesrat verabschiedeten Anordnungsmodell verbessern.

 Eine generelle Herausforderung ist gemäss Stakeholdern die Tabuisierung des Themas, was eine Hürde für Hinterbliebene und beruflich Involvierte darstellen kann, sich Hilfe zu suchen.

 Hinterbliebene reagieren und verarbeiten gemäss Expert*innen einen Suizid sehr unterschiedlich. Hilfsangebote müssen daher flexibel ausgerichtet sein.

Potenziale und mögli-che Stoss-richtungen

 Vernetzung unter den Angeboten für Hinterbliebene stärken, Organisation stärken und Finanzierungen erschliessen.

 Schulungsangebote für Behandelnde und Betreuende von Hinterbliebenen zu den spezifi-schen psychispezifi-schen Folgen bereitstellen.

 Über Betreuungsangebote für Hinterbliebene im Rahmen von Schulungen für Multiplika-toren (vgl. MN II.2 und IV.1) systematischer informieren.

 Hinterbliebene als vulnerable Zielgruppe bei den KAP und der Projektförderung aufneh-men.

 Nachsorge von Hinterbliebenen nach Suizid in die Sensibilisierung/Schulung zur Suizidprä-vention bei Fachpersonen und Multiplikatoren einbeziehen.

 Advocacy für Hinterbliebene nach Suizid, damit sie als vulnerable Gruppe im Bereich psy-chische Gesundheit vermehrt thematisiert werden.

Informationsgrundlagen und -quellen

Grundla-gen

Literatur und Dokumente

 SBB 2018: Schienensuizide auf dem Netz der SBB. Dossier zu Präventionsmassnahmen, Handlungsbedarf und Empfehlungen. Schlussbericht im Auftrag des Bundesamts für Ge-sundheit, 15. August 2018

 Andriessen et al. 2017: Prevalence of exposure to suicide: A meta-analysis of population-based studies. J Psychiatr Res., 88:114-120

 BASS 2016: Versorgungssituation psychisch erkrankter Personen in der Schweiz. Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit

Befragungen, Interviews und Inputs mit/von Expert*innen und Stakeholdern

 Interview mit Jörg Weisshaupt, Verein Trauernetz, Vorstand Ipsilon

 Interview mit Martina Blaser, Schwerpunktprogramm Suizidprävention Kanton Zürich

 Interview mit Karin Hostettler, SBB

 Befragung von Kantonen, spezialisierten NGOs sowie ausgewählten Organisationen aus den Bereichen Gesundheit, Bildung und Soziales im Auftrag des BAG für die vorliegende Ist-Analyse (Ende 2020, für Details zur Befragung siehe Anhang)

 Stakeholder-Anlass zum Nationalen Aktionsplan Suizidprävention am 15. Juni 2021: u.a.

Inputs aus Workshops mit Stakeholdern

 Zusätzliche Kontextinformationen: Dolores Angela Castelli Dransart, HES-SO Fribourg; Est-her Walter, BAG

Praxisbeispiele

Praxis- beispiele

 Das Bundesamt für Gesundheit zählt in seiner Rubrik «Praxisbeispiele der Suizidpräven-tion» zum Ziel «Hinterbliebene und beruflich Involvierte unterstützen» über 30 Praxisbei-spiele. Die auf der BAG-Webseite aufgeführten Beispiele sind nicht abschliessend, son-dern exemplarisch. Im Folgenden werden einige Beispiele aufgeführt, die teilweise auf der BAG-Webseite genauer beschrieben werden, teilweise dort aber auch (noch) nicht sicht-bar gemacht werden:

 Angebote/Selbsthilfegruppen der Vereine trauenernetz.ch, Refugium, Regenbogen, Ne-belmeer, Lifewith in der Deutschschweiz oder Arc en ciel, As’trame, Vivre son deuil, Parspas, Resiliam in der Westschweiz

 Netzwerk Angehörigenarbeit Psychiatrie (NAP)

 Informationen für Hinterbliebene auf der Webseite «Reden kann Retten» oder der Web-seite des Kantons Zürich.

 Schulungsangebot der SBB

Massnahme VIII.1: Journalistinnen und Journalisten sowie

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE