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4.2 P HYSIOLOGIE DER EINZELNEN V ERDAUUNGSABSCHNITTE

4.2.9 B LINDDÄRME

Schon TIEDEMANN und GMELIN 1827 schrieben den Blinddärmen der Hühner - zwar nur in unbestimmter Weise - den Beginn eines neuen Verdauungsstadiums zu.

MAUMUS 1902 berichtete, dass durch die unterschiedliche Anlage der Blinddärme (nicht vorhanden, rudimentär, nur einer und zwei) bei den verschiedenen Vogelarten, diese für das Überleben der Vögel nicht essentiell sind. Beim Huhn finden sich zwei sehr ausgeprägte Blinddärme, die zwar nicht lebensnotwendig, jedoch auch nicht funktionslos sind.

Die Vermutung, dass die Blinddärme des Huhns das Organ der Rohfaserverdauung sind, lag im Vergleich zu anderen schon besser erforschten Nutztierarten nahe.

VÖLTZ und YAKUWA 1909 erwähnten die Möglichkeit, dass in den Blinddärmen der Hühner eine beschränkte Zersetzung der Rohfaser erfolgen könnte. Sie beschrieben als Erste, dass das Huhn zwei unterschiedliche Kotarten absetzte, und zwar den normalen Kot und den Blinddarmkot, der in seiner Beschaffenheit dickbreiiger, homogener und dunkelbraun war.

Im tierphysiologischen Institut der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin unternahmen MEYER 1927, RADEFF 1928, HENNING 1929 und RÖSELER 1929 unter Anleitung von MANGOLD Versuche mit der Fragestellung, ob Rohfaser im Blinddarm verdaut wird.

MEYER 1927 verglich mit mikroskopischen Untersuchungen die Auflösungserscheinungen und die Ausverdauung der Kleberzellkomplexe im Blinddarmkot und im normalen Kot.

Tiefgreifende Veränderungen der Kleberzellkomplexe durch bakterielle Zersetzung fanden sich im normalen Kot der Hühner zwar gelegentlich auch, aber weit weniger, als im Blinddarmkot.

RADEFF 1928 verglich die Verdaulichkeit der Rohfaser verschiedener Körnerarten (Gerste, Weizen, Roggen und Mais) bei normalen Hühnern und einem weiteren Tier, dem operativ die Blinddärme entfernt wurden. Er konnte bei dem blinddarmlosen Huhn eine schlechtere Ausnutzung der Rohfaser feststellen. Einzige Ausnahme war der Abbau der Rohfaser der Gerste, der auch bei normalen Hühnern nicht erfolgte.

HENNING 1929 konnte die Versuche von RADEFF 1929 bei Fütterung von Mais und Hafer bestätigen.

RÖSELER 1929 versuchte die rohfaseraufschließende Funktion des Blinddarms durch vergleichende Analysen des Darm- und Blinddarmkotes seiner Versuchshühner zu beweisen.

Es zeigte sich, dass auf 10 normale Defäkationen eine Blinddarmentleerung kam.

Er fütterte die Tiere in verschiedenen Perioden allein mit Weizen oder Weizenschrot, Hafer, Gerste, Mais, Weißkohl, Spratts Crissel, Kartoffeln und Gras. Bei Fütterung mit Gerste, deren Rohfaser nach übereinstimmender Feststellung verschiedener Autoren (s. Kapitel 5) für das Haushuhn völlig unverdaulich ist, war der Prozentgehalt an Rohfaser im Blinddarmkot ebenso hoch wie im Darmkot, was u. a. bewies, dass Rohfaserteilchen unbehindert in die Blinddärme gelangen können, aber nicht abgebaut wurden. Bei den anderen Futtermitteln zeigte sich ein deutlich niedrigerer Gehalt an Rohfaser im Blinddarmkot, offenbar infolge bakteriellen Aufschlusses.

Zusammenfassend berichtete MANGOLD 1929 über die unter seiner Anleitung durchgeführten Versuche, dass für eine bakterielle Rohfaserzersetzung nicht nur die Zeit, sondern auch der Raum im Darmkanal von Bedeutung sind. Beides kann nur der Blinddarm bieten.

Die Rohfaser ist ein kompliziert zusammengesetzter Futterstoff aus Rohprotein, Lignin, Pentosanen, Zellulose und anderen Bestandteilen. Aus diesem Grund untersuchte TSCHERNIAK 1936 die Zusammensetzung und die Verdaulichkeit verschiedener Anteile der Rohfaser aus mehreren Futtermitteln. Die Zellulose, eine der Hauptbestandteile der Zellwand, wird vom Haushuhn auffallend gering verdaut.

Die Verdaulichkeit des Lignins (aus Luzernemehl) war ebenfalls sehr gering. Das Lignin erscheint auch bei Körnern und Sojabohnenschrot nicht hoch verdaulich. Der Anteil an Lignin in diesen Futtermitteln ist nicht sehr hoch.

Die Pentosane aus Luzerne waren unverdaulich. In den Körnerfuttern und in den Sojabohnen waren sie dagegen in einigen Fällen besser, in anderen schlechter verdaulich als Lignin.

BROWNE 1922 stellte sich die Frage, ob der Blinddarm auch als Resorptionsorgan dient. Er vermutete eine Flüssigkeitsabsorption aufgrund der durch viele Falten vergrößerten Blinddarmschleimhaut. RADEFF 1928 fiel auf, dass ein blinddarmloses Huhn meist einen feuchteren Kot absetzt, als normale Hühner. Deshalb entfernte RÖSELER 1929 bei zwei Hühnern den Blinddarm operativ und untersuchte den Trockensubstanzgehalt der Exkremente bei Weizenfütterung vor und nach der Operation. Die Beobachtung von RADEFF 1928 konnte er nun durch genaue Zahlen belegen. Die Exkremente vor der Operation zeigten bei den Hühnern einen Trockensubstanzgehalt von 19-28%, nach der Operation bei dem einen Huhn 7,2-15,5%, bei dem anderen 13-17%. Diese Versuchergebnisse sprechen zugunsten der Vermutung, dass der Blinddarm Wasser resorbiert, ebenso die Beobachtung, dass der Blinddarmkot einen höheren Trockensubstanzgehalt als der Blinddarminhalt aufwies.

Um die Frage zu beantworten, ob der Blinddarm außer Wasser auch andere Nährstoffe absorbieren kann, untersuchte RÖSELER 1929 auch den Gehalt des Blinddarm- und Darmkotes an Roh- und Reinprotein bzw. an Amiden. Er fand bei seinen Versuchshühnern stets im Darmkot mehr Rohprotein als im Blinddarmkot. Andererseits erwies sich der Reinproteinanteil höher im Blinddarmkot. Beide Befunde sprachen für ein Verschwinden N-haltiger Substanzen, von Amiden, im Blinddarm, das durch Resorption dieser Stoffe über die Blinddarmschleimhaut erklärt werden könnte. Zur Kontrolle wiederholte er die Untersuchungen mit Exkrementen, von denen er den Harnbelag mechanisch entfernte. Hier zeigte sich zwar, dass der Blinddarmkot absolut mehr Reinprotein enthielt (aus bakterieller Synthese) als der Darmkot, aber weniger Amide.

4.2.9.2 Füllung und Entleerung der Blinddärme

Die Füllung und Entleerung der Blinddärme basierte Ende des 20. Jhs. laut MEHNER 1983 immer noch auf Vermutungen.

MANGOLD 1929 beschrieb:

„Die Schwierigkeit für das Verständnis sich erstens daraus ergibt, dass die beiden Blinddärme in der zum Magen aufsteigenden Richtung am Dünndarm anliegen und durch eine besonders kurzes Gekröse an diesem befestigt sind. Ferner daraus, dass ihre Mündungen in den Darm analwärts [...] gerichtet und von Schleimhautfalten überlagert sind. [...] Alles was vom Darm aus durch die Blinddarmmündung hindurchpassiert, muss dies vielmehr in retrograder, antiperistaltischer Richtung tun. Ganz allgemein entgeht jedenfalls ein sehr großer Teil des Darminhaltes überhaupt der Passage durch den einen oder anderen

Blinddarm. Die Inhaltsmassen der Blinddärme unterscheiden sich stark von denen des übrigen Darms. Diese Ungleichheit zeigt zugleich, dass es normalerweise auch wohl keine antiperistaltische Aufwärtsbewegung von Dickdarminhalt sein kann, die hiervon einen Teil durch die Blinddarmmündung durchpresst, wie es seinerzeit von VÖLTZ und YAKUWA 1909 in Betracht gezogen wurde.“ (S. 84)

BROWNE 1922 konnte einen solchen Vorgang an einem frisch getöteten Huhn jedoch künstlich durch direkte Reizung des Dickdarms hervorrufen. Durch weitere Reizversuche kam er zu der Ansicht, dass die Blinddärme durch eigene Bewegungen, wie durch eine hierdurch erzeugte Pumpwirkung selbsttätig einen kleinen Teil vom Darminhalt anzusaugen vermögen. Dann kann das weitere Vorrücken des Blinddarminhaltes nach seiner Spitze hin natürlich durch dessen eigene Peristaltik erfolgen, wie es auch von KAUPP 1924 und MEYER 1927 angenommen wurde. BROWNE 1922 beobachtete auch, dass in die Kloake injizierte gefärbte Flüssigkeit von den Blinddärmen aufgenommen wurde. Zudem stellte er fest, je flüssiger der normale Darminhalt war, desto mehr gelangte in die Blinddärme und desto ähnlicher wurden die Darm- und Blinddarminhalte. Umgekehrt verhielt es sich bei festerem Darminhalt. Da er keinen Sand oder Steinchen im Blinddarminhalt fand, hielt er einen Sortiermechanismus bei der Füllung für sehr wahrscheinlich.

Nach BROWNE 1922 und MEYER 1927 geht der Mechanismus der Entleerung der Blinddärme so vor sich, dass der Inhalt, nachdem er längere Zeit im Blinddarm verblieben und hier gewisse weitere Veränderungen erfahren hat, durch seinen Füllungsdruck und die dadurch erzeugte Wandspannung einen mechanischen Reiz auf das Nerven- und Muskelsystem des Blinddarms ausübt, die reflektorisch zur entleerenden peristaltischen Kontraktionswelle führt. Solche peristaltischen Kontraktionswellen beobachtete BROWNE 1922 beim frisch getöteten Huhn und konnte diese durch Reizung der Blinddarmwand noch verstärken. Er sah dabei erst eine leichte Welle von der Seite zum Blinddarmende hin und dann eine stärkere Welle in die entgegengesetzte Richtung.

Eine weitere Untersuchung zur Motorik der Blinddärme machte WENDORFF 1944 an der tierärztlichen Hochschule Hannover mit Hilfe von zahlreichen Röntgenaufnahmen und Bariumsulfat als Kontrastmittel. Er beobachtete eine gleichmäßige Füllung der beiden Blinddärme nach jeder Mahlzeit. Die Bewegungen der Blinddarmwände begannen ca. 1 Stunde nach Anfüllen der Blinddärme. Auffallend dabei war, dass nur ein Blinddarm Motorik zeigte, während der andere völlig ruhig blieb. Abschließend berichtete er:

„Im Anfangsteil tritt nur die Peristaltik als Transportbewegung auf. Im Mittel- und Endabschnitt sieht man die beschriebenen Mischbewegungen und die starke Peristaltik mit der schwachen Antiperistaltik. Die Mischbewegungen halten in einem Blinddarm zwei bis drei Stunden an und treten so lange auf, wie der Darm noch eine mittelgradige Füllung aufweist. Die Transportbewegung dauert von ihrem Beginn bis zum Übertritt der Ingesta ins Kolon ungefähr 45 Minuten. 12-16 Stunden nach Anfüllung der Zäka geben sie keine Schatten mehr und sind frei von Kontrastbrei.“ (S.25)