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B., Josephine, 19 Jahre, aus Rosheim

Im Dokument in Verbindung mit deutschen Klinikern (Seite 126-133)

Die Mutter erzählt uns, dass sie von ihrem Manne angesteckt worden ist. Später wurde sie schwanger, Hess sich im Spital aufnehmen, wo sie behandelt und entbunden wurde. Das Kind soll, als es zur Welt kam, schon eine eingesunkene Nase gehabt haben. Vor 4 Jahren wurde sie von Rachengeschwüren befallen, welche nur mit beträchtlichen Narben heilten und einen gewaltigen Defect des weichen Gaumens zurückliessen.

Im Laufe des vorigen Jahres hat sie an Osteitis der 1. Tibia gelitten.

Es wurde damals Jodkai. verabreicht während 1 4 Tagen und der P.

genas. Sie hat oft nächtliche Gliederschmerzen gehabt, welche sehr heftig waren und öfters zurückkamen. Ueberhaupt hat sie seit der Kindheit immer gekränkelt.

St, pr. P. von gering entwickeltem Körperbau, schlechtem Fettpolster, schwacher Muskulatur, gracilem Knochengerüst. Vomer und Nasen­

scheidewand zerstört. Grosser Defect des Velums. Periostitis der linken Clavicula. Erweichte Gummigeschwulst der Stirne, rechts. Erschwertes pfeifendes Athmen (Cornage) — Sattelnase.

' Die laryngoskopische Untersuchung ergiebt eine beträchtliche Infil­

tration der Epiglottis, welche an ihrem Rande ulcerirt ist und mit dem Larynx auf beiden Seiten verwachsen, so dass man die Stimmbänder auch

2518 D r . A. Wulff. [ 1 2

bei g e w a l t i g e m Zurückziehen des K e h l k o p f d e c k e l s nicht sehen kann.

Inunctionskur von 2 4 Einreibungen, 3 g pro die. Später Jodkalium. Nach B e e n d i g u n g der H g . - K u r waren schon alle S y m p t o m e bis auf die zurück­

gebliebenen Entstellungen g e s c h w u n d e n .

Aus den eben citirten Krankengeschichten k ö n n e n Sie die V e r s c h i e d e n ­ heit der Lokalisation der S. h. t. entnehmen. Sämtliche Organe und Systeme k ö n n e n unter ihrem Einfluss erkranken, doch hat sie auch s o l c h e , die sie mit V o r l i e b e ergreift. Dieses m ö g e vor allem für das K n o c h e n s y s t e m giltig sein, in w e l c h e m sie mit der S. acquisita vollständig identische Erscheinungen zu stände bringt. A u c h gewisse R e g i o n e n werden eher w i e andere ergriffen, den ersten R a n g nehmen die Nasen-rachenhöhle, und der w e i c h e und harte G a u m e n ein. Andere Organe werden seltener erkrankt gefunden, so z. B. die Haut. Man findet wohl hier und da tuberculo-ulceröse Erscheinungen, aber ausgedehnte und zu gleicher Zeit zahlreiche H a u t s y m p t o m e gehören zu den Seltenheiten (Fall V ) .

D i e Prognose der S. h. t. quoad vitam, der S. acquisita g e g e n ü b e r ­ gestellt, ist eine weit schlimmere.

D i e Zusammenstellung von A u g a g n e u r giebt uns 1 3 , 5 0 % lethale Fälle. W i r wissen, dass die Prognose der hered. S. überhaupt eine sehr schlechte ist. G e h e n wir aber die Fälle durch, die zum T o d e geführt haben, b e m e r k e n wir, dass es meistens solche sind, in w e l c h e n das Uebel l a n g e Z e i t v e r k a n n t w a r und die Pat. erst bei sehr h e r u n t e r g e k o m m e ­ nem Zustande zur richtigen Behandlung gelangten.

Betrachten wir dagegen die Fälle, w e l c h e mit G e n e s u n g endeten, so finden wir, dass es diejenigen sind, bei w e l c h e n die specifische T h e ­ rapie g l e i c h eingeschlagen wurde. In dieser R i c h t u n g hin hönnen wir die Prognose weit günstiger stellen, w i e wir sie aus den casuistischen Mittheilungen schliessen k ö n n e n .

Anders verhält es sich mit der Prognose der einzelnen befallenen Organe, die mit Perforationen, Knoehenzerstörungen etc. einhergehen;

diese hinterlassen alle oder meistens functionelle Störungen oder Ent­

stellungen, w i e wir sie auch bei der acquirirten Lues beobachten. Dass aber die Prognose w o h l eine absolut günstige sein kann, beweist uns der Fall V., M., in w e l c h e m eine Reinfection stattgefunden hat.

D i e Reinfection ist nämlich das sichere Kriterium für uns, dass in einigen Ausnahmen die Syphilis vollständig heilbar ist. Dass sich die S. h. gleich der S. acquisita. verhalten kann, ist uns durch diesen Fall bewiesen.

D o c h auf Ausnahmen k ö n n e n wir uns nicht stützen und ist die Prognose immer eine ernstere. Sie ist es besonders auch dadurch, dass innere Organe oft lädirt werden k ö n n e n , und w e n n uns keine c o n c o m i t -tirende S y m p t o m e auf die Aetiologie der Affection leiten, der Pat. dem

j3] Ueber Syphilis hereditaria tarda. 2519

Uebel schliesslich zum Opfer fällt, weil die antisyphilitische Behandlung nicht vorgenommen wird.

Der Verlauf der Syphilis hereditaria überhaupt kann, dem der S.

acquisita gegenübergestellt, als vollständig identisch betrachtet werden.

Nur müssen wir betonen, dass, was bei der einen Form als die Regel gilt, bei der anderen als die Ausnahme betrachtet werden muss. In dieser Richtung hin können wir sagen, dass S. hereditaria im allgemeinen unter der Form verläuft, welche M a u r i a c »Syphilis maligne precoce« genannt hat, während heutzutage die acquirirte Form seltener eine solche schon frühzeitig schlimme ist. Bei der acquirirten Syphilis beobachten wir, dass frühzeitige Symptome (sogenannte secundäre) 2 0 bis 1 0 0 Tage nach dem l. lokalen Ausbruch der Krankheit sich zeigen, dann 1 0 , 2 0 , 3 0 Jahre später die Formen (sogenannte tertiäre), die wir bei der S. h. tarda an­

treffen. Hier können wir nur einen absolut gleichen Verlauf der beiden genannten Syphilisansteckungsweisen constatiren.

Es fällt dadurch das am häufigsten angewandte Argument derjenigen Autoren, welche die S. h. t. in Abrede stellen, aus.

Diese wollen eine so verzögerte Latenzperiode nicht annehmen, und doch verläuft die acquirirte Syphilis am öftersten auf diese Weise.

Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, diese Stunde durch therapeutische Rathschläge zu schliessen.

Welche Behandlung sollen wir in solchen Fällen wählen?

Ks ist bewiesen, dass die gegen Lues in Anwendung gebrachten Specifica: Quecksilber und Jodkalium eine sehr ungünstige Wirkung auf scrofulöse und tuberculöse Patienten ausüben. Sind wir im Zweifel über die Natur der Erkrankung, müssen wir uns erinnern, dass den Pat. durch allgemeine Behandlung mit diesen Präparaten Schaden zugebracht wer­

den kann.

Es darf daher nur mit Vorsicht zu diesen gegriffen werden. Ist aber die Diagnose durch den Ihnen beschriebenen S y m p t o m e n k o m p l e x und durch das Misslingen vielleicht von früheren antiscrofulösen Kuren festgestellt, so soll die antisyphilitische Behandlung sogleich energisch vorgenommen werden.

Im ersten Fall würde ich Ihnen rathen, zuerst mit einer lokalen merkuriellen Behandlung, insofern sie möglich ist, zu beginnen.

Bei ulcerösen, zugänglichen Formen, z. B. Behandlung der Wunden mit Empl. hydrarg., Calomel, Sublimatlösungen. Es wird wohl auch immer Quecksilber auf diese Weise absorbirt, aber nicht in grösseren Quantitäten. Zeigt sich Besserung, so schreiten wir, durch die Erfolge aufgemuntert, zur allgemeinen Behandlung.

Im zweiten Fall verlieren wir keine Zeit, und unterwerfen unsere Pat. sofort dieser Behandlungsmethode.

Obgleich Jodkalium als ein Specificum für Spätformen gilt, so sind

2520 D r . A . Wolff. [ 1 4

seine Wirkungen, denjenigen des Quecksilbers gegenübergestellt, als weit unwirksamer zu bezeichnen.

Die methodischen Einreibungen mit Hg.-Salbe, sowie die Einspritzungs­

kuren, liefern uns immer noch die überraschendsten Resultate.

Aus Erfahrung kann ich nicht umhin, Ihnen diese als die besten Mittel anzuempfehlen. Nur in Fällen, wo drohende Gefahr eine rapidere Absorption des Fleilmittels dringend macht, muss diese durch combinirte Schmier- und subcutane Einspritzungskur ersetzt werden. Beide Be­

handlungsmethoden können zu gleicher Zeit eingeleitet werden, wie wir dies bei der Pat. H . gemacht haben, bis, die Gefahr beseitigt, die eine allein fortgesetzt werden kann.

Was die Verabreichung des Jodkalium anbelangt, ist zu bemerken, d a s s wir v o n d i e s e m M i t t e l n u r d a n n g ü n s t i g e R e s u l t a t e e r ­ w a r t e n k ö n n e n , w e n n es in g e n ü g e n d e r D o s i s g e g e b e n wird.

1 — 3 g Jodkai. tägl. lassen oft die Erscheinungen der Krankheit ohne Modifikation. Grössere Quantitäten werden oft bei heruntergekommenen P. nicht vertragen. Es ist daher zu diesem Mittel nur zu greifen, wenn wir es mit noch gut genährten, relativ kräftigen Individuen zu thun haben, bei welchen die Digestionsorgane in gutem Zustande sich befinden. Bei solchen fängt man die Behandlung gleich mit 3 g pro die an, überwacht natürlich den Digestionstractus, regelt die Diät, und steigt bis zu Ii, ja 8 Gramm.

Dass der menschliche Organismus solche und noch höhere Dosen vertragen kann, ohne dass Vergiftungserscheinungen hervortreten, beweisen uns Fälle, wie der von dem Psoriasiskranken Aubry, welchen Sie neulich auf der Klinik beobachtet haben und die gleichen Fälle von Haslund und Greve, wo bis 3 2 g Jodkali pro die verabreicht wurden, ohne dass Jodismus sich einstellte.

Zum Schluss, m. H . , nur noch einige allgemeine Bemerkungen:

Welche Fälle sollen wir unter der Rubrik Lues hereditaria tarda re-gistriren? In welchem Lebensalter der Patienten und unter welchen Bedingungen können wir von Syphilis tarda sprechen?

Sollten wir nur solche Kranke als hereditär tardive betrachten, welche von der Geburt an nie syphilitische Symptome gezeigt haben, bis zur Pubertätszeit z. B., so würde man kaum reine Fälle finden, welche diese Bedingungen erfüllen, da das häufigst vorkommende Symptom, die Kera­

titis z. B., schon weit früher auftritt.

Andrerseits ist oft ganz unmöglich festzustellen, ob nicht die Patien­

ten in den ersten Lebensmonaten papulöse oder andere secundäre Formen

15] Ueber Syphilis hereditaria tarda. 2521 gehabt haben, sogar wenn wir die Angaben der Eltern verwenden können.

W i e kann von Laien, oder von Hebammen, die am allerhäufigsten zu­

gezogen werden, wenn das Kind irgend einen Ausschlag trägt, eine Diffe­

rentialdiagnose gestellt werden zwischen Condylomen und papillomatöser Intertrigo, Plaques und Aphten etc., und manchen anderen ähnlichen Haut- und Schleimhautsymptomon, die der Lues angehören können oder . nicht und unter Einfluss der Reinlichkeit und des Kräftezustandes allein verschwinden können, wenn sie auch luetischer Natur sind?

Ich gehe weiter, m. H . , ich behaupte, dass es in dieser Richtung hin keine Syphilis hereditaria tarda giebt und dass alle unsere Patienten wahrscheinlich im ersten Lebensjahr u n b e m e r k t e oder unerkannte sy­

philitische Erscheinungen getragen haben. Abgesehen von den visceralen Läsionen, deren frühere Existenz wir absolut nicht feststellen können.

W i e oft kommt es vor, dass ein Kind meningitische Erscheinungen zeigt, bei welchen vom Arzte sogar nicht im geringsten an Lues gedacht wird. Das Kind erhält eine Mischung von Jod und Bromkalium, oder Calomel, es heilt, und nur weil ihm spezifische Mittel dargereicht worden sind, die auf einen einfachen entzündlichen Process vielleicht keine W i r ­ kung ausgeübt hätten, kommt es wieder zur Genesung. Und im intra­

uterinen Leben kann ja ausserdem manche syphilitische Production vor­

kommen, die wieder abheilt, und bei der Geburt nicht mehr vorhanden ist. Freilich sind das Ausnahmsfälle, die aber nur die Regel befestigen.

Wir nennen daher S y p h i l i s h e r e d i t a r i a t a r d a die Fälle, in welchen tertiäre Symptome während oder nach der Pubertätszeit auftraten und von denen nachgewiesen werden kann, dass sie auf Heredität und nicht auf Ansteckung zurückzuführen sind. Hier liegt noch eine kleine diagnostische Differenzirungsschwierigkeit vor. Wenn anamnestische A n ­ gaben über die Eltern und Geschwister nicht vorliegen, können wir nur auf Rückstände von früher durchgemachten besprochenen Symptomen die Diagnose auf Syphilis hereditaria stellen, da die Späterscheinungen der in der zarten Kindheit acquirirten Lues sich direkt nicht von den ver­

erbten unterscheiden lassen.

Ich komme daher auf das früher besprochene zurück. Die Spät­

symptome eineT in der Kindheit acquirirten Lues lassen sich n i c h t von den Spätsymptomen der hereditären unterscheiden; nur der besprochene Symptomencomplex kann uns Aufklärung über die Entstehung des Lei­

dens verschaffen; und wenn uns die Angaben über die Angehörigen fehlen, müssen wir uns auf früher durchgemachte Erscheinungen stützen, die bei der acquirirten Lues nicht vorkommen, bei der vererbten

vorhan-2 5 vorhan-2 vorhan-2 Dr. A . Wölfl. Ueber Syphilis hereditaria tarda. [ 1 6 den sind und uns den Beweis liefern, dass als tardiv hereditär syphi­

litische nicht nur solche Patienten zählen die, nie anderweitige Er­

scheinungen gezeigt haben, denn sonst könnte man immer diese Patienten für frühzeitig angesteckte betrachten.

Im grossen und ganzen bleibt für mich das früher ausgesprochene (S. 13) das wesentliche.

Die Syphilis verhält sich bei den acquirirten Spätformen absolut wie bei den hereditären. Nur kommen seltener die hereditär tardiven For­

men zur Beobachtung, weil die meisten Patienten im Kindesalter (resp.

F'oetalleben) absterben.

Vorlag von Breitkopf k Härtel in Leipzig.

Im Dokument in Verbindung mit deutschen Klinikern (Seite 126-133)