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Von Andre Salathe, Staatsarchivar

Den Begriff der Gemeinde gibt es seit Jahrhunderten, weil es seit Jahrhunder­

ten Gemeinden gibt. Das Kompositum Bürgergemeinde dagegen ist ein Kind des i 9. Jahrhunderts; es kommt erst auf beziehungsweise kann erst aufkommen, als sich das revolutionäre Prinzip der Gleichheit auch auf kommunaler Ebene durchzusetzen beginnt: Jetzt werden die bisherigen Hintersassen, die Zugezoge­

nen, diejenigen, die hinten sitzen und

aus; wer etwas zu verlieren droht, vertei­

digt es gewöhnlich und kann etwas ret-:­

ten. ln diesem Fall heisst das: Die alten Dorfgemeinden, die eigentlich Dorfbür­

gergemeinden sind, werden nicht ein., fach durch Dorfeinwohnergemeinden abgelöst, sondern durch Ortseinwoh­

nergemeinden (später Ortsgemeindet'l genannt) und Ortsbürgergemeinden (später Bürgergemeinden genannt).

Der reichlich komplizierte Vorgang, der im Thurgau i 798 beginnt und i 87i abgeschlossen ist, ist unter dem Titel

Holzgant im Jahre 1940 in Mammern, aufgenommen von Hans Baumgartner

nichts zu sagen haben, denjenigen gleichgestellt, die immer schon hier wa­

ren, verbürgert sind, vorne sitzen, be­

stimmen. Und da passiert, was immer passiert, wenn ßolche, die bisher glei­

cher waren, nur noch so gleich sein sol­

len wie diejenigen, die vorher etwas weniger gleich waren: Sie setzen alles daran, wenigstens in einem Teilbereich doch auch weiterhin noch etwas gleicher zu bleiben. Einebnungsprozesse lösen nur zu oft neue Abschottungsprozesse

«Über den thurgauischen Gemeindewirr., warr» in Nummer 5 der Heimatkundli­

chen Publikationsreihe von Mammern bereits dargestellt worden und soll hier nicht wiederholt werden. Nur so viel:

i .869 bis i 87i gehen mit der Güteraus"' scheidung die politischen Aufgaben an die Ortsgemeinden über, während die Bürgergemeinden noch das verbleiben-:

de Bürgergut verwalten und - die politi­

sche Konzession - das Bürgerrecht ver­

geben. Mit dem Gemeindeorganisati-:

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onsgesetz von 1 944 nimmt man den Bürgergemeinden auch noch dieses Recht: Jetzt beginnen sie auszubluten, weil, wer von der Ortsgemeinde einge­

bürgert wird, nicht mehr automatisch Mitglied der Bürgergemeinde ist.

Neuer Status der Bürgergemeinden

Dass anlässlich der Vorberatung des Gesetzes über die Gemeinden vom 5. Mai 1 999 dann das Votum fällt: «Ich sehe nicht ein, dass die Bürgergemein­

den im neuen Gesetz weiterhin geregelt werden sollen, nur weil sie einen wohl­

tätigen Zweck verfolgen. Die Bürgerge­

meinden könnten zum Beispiel in einen privatrechtliehen Verein umgewandelt werden», kann vor diesem Hintergrund kaum überraschen. Doch folgen die vor­

beratende Kommission und der Grosse Rat dem Antrag der Regierung, die Bür­

gergemeinden im Gemeindegesetz als öffentlich-rechtliche Körperschaften zu verankern, während sie von der neuen

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'

.

Kantonsverfassung vom 1 6. März 1 987 mit dem Satz: «Die Bürgergemeinden verwalten das Bürgergut» doch eher nur beiläufig erwähnt worden sind (§ 57, Absatz 4).

Die Bürgergemeinden, argumentieren Regierung und Verband der Bürgerge­

meinden, besässen «aus einer histori­

schen Überlieferung» nicht selten be­

deutende Gebäude und/oder umfang­

reichen Landbesitz, vor allem Wald, und hätten «demnach in gewissem Sinn einer treuhänderischen Pflicht nachzukom­

men, die geregelt sein soll». Das über­

zeugt. Ganz ungeschoren kommen die Bürgergemeinden allerdings nicht da­

von, indem als Konsequenz der Aufhe­

bung des Gemeindedualismus bezie­

hungsweise der Bildung von neuen Poli­

tischen Gemeinden in § 4 7, Absatz 1 bestimmt wird: «ln jeder Politischen Ge­

meinde besteht höchstens eine Bürger­

gemeinde. Diese trägt den Namen der Politischen Gemeinde.»

Die renovierte Ruine Neuburg mit Steckborn im Hintergrund, aufgenommen im Frühjahr 2003

Da es mehr Bürgergemeinden gibt als Politische Gemeinden (ohne dass es in jeder Politischen Gemeinde eine Bürger­

gemeinde gibt), sind Zusammenschlüs­

se unumgänglich; bis 201 1 haben die fraglichen Bürgergemeinden Zeit dazu.

Umgekehrt gibt es Bürgergemeinden, die jetzt per Gesetz plötzlich ein wesent­

lich grösseres Territorium beschlagen als sie es vorher getan haben. Denn, sagt § 47, Absatz 2 : «Der Bürgerge­

meinde gehören die in der Politischen Gemeinde wohnhaften Gemeindebürger und Gemeindebürgerinnen an, die das Anteilsrecht am Bürgergut besitzen.»

Wer dieses Anteilsrecht nicht schon hat, kann es für höchstens 1 000 Franken er­

werben- (§ 51 , Absatz 2). Die Einkaufsta­

xe ist vergleichsweise niedrig angesetzt, weil viele Bürgergemeinden rückläufige Mitgliederbestände aufweisen und Zu­

wachs dringend nötig haben.

1 998, als das Gesetz vorberaten wird, gibt es noch 97 Bürgergemeinden. 35 Bürgergemeinden haben 8 bis 50 Mit­

glieder, 35 Bürgergemeinden 50 bis 1 00, 1 5 Bürgergemeinden 1 00 bis 200,

etwas weniger weisen mehr als 200 Mit­

glieder auf. Besonders rosig wird die Zu­

kunft vieler Bürgergemeinden also auch nach der Flurbereinigung, an deren Ende es voraussichtlich deren 60 geben wird, nicht aussehen.

Die Mobilität der Bevölkerung nimmt nach wie vor zu, und nur wenige Bürger wohnen noch an ihrem Bürgerort -zunehmend vor allem diejenigen, die sich, nicht weil sie Bürger genau dieser Gemeinde, sondern weil sie Schweizer oder Schweizerin werden wollten, eben von der Politischen Gemeinde haben einbürgern lassen. Nur ein Bruchteil von ihnen tritt hernach auch der Bürgerge­

meinde bei.

Umgekehrt hätten lange im Ort wohn:­

hafte Schweizerinnen und Schweizer, die aber anderswo verbürgert sind, mit­

unter Interesse an einem Mittun. Da und dort fördern daher die Politischen Ge­

meinden die Einbürgerung·von Schwei­

zerinnen und Schweizern; in einem zwei­

ten Schritt profitieren dann auch die ent­

sprechenden Bürgergemeinden davon (Uesslingen 1 991 ) .

Ohne Zweifel misst skh die Attraktivität einer Mitgliedschaft bis zu einem weitge­

henden Grad an der öffentlichen Rolle, die eine Bürgergemeinde am Ort spielt, an der Ausstrahlung, die ihre Veranstal­

tungen auf die Gemeinde und über die Gemeinde hinaus haben. Wo die Bür­

gergemeinde ein Schattendasein fristet, dürfte sie vom Aussterben bedroht sein, . wo sie sich für die Gemeinde engagiert, dagegen weiterhin attraktiv bleiben. Im­

mer noch gibt es auch im Thurgau ein­

zelne Bürgergemeinden, die es durch jährlich wiederkehrende Veranstaltungen, wenn man so will «Events», verstehen, ihre Leute bei der Stange zu behalten.

Besonders bekannt sind der . Märstetter Hilariustag am 1 3. Januar oder der Frau­

enfelder Bechtelistag der Konstablerge­

sellschaft am dritten Montag im Januar;

beliebt auch der Weinfelder Bürgertrunk.

Vielerorts geht es etwas bescheidener her und zu,' versammeln sich die Bürger­

gemeinden an bestimmten Daten, etwa am Nachmittag des 2. Januar (Amlikon) oder am Nachmittag des Fastnacht­

dienstags (Mammern), um nur zwei Bei­

spiele zu nennen, wobei hier wie dort (und andernorts) die obligate Salzisse und ein bestimmtes Quantum an Wein nicht fehlen dürfen. Wenn die Mammer­

ner Schüler und Schülerinnen am Nach­

mittag immer noch frei bekommen, obgleich die Bürgergemeinde unterdes­

sen gar nicht mehr im Schulzimmer tagt, und verkleidet und singend durchs Dorf ziehen, so dürfte damit mehr für ein dörf­

liches Gemeinschaftsgefühl über die Generationen hinweg geleistet sein als durch manche aufwendige Aktion unter

diesem Titel. '

Mit der. Bürgerversammlung verbunden ist meist auch die Ausschüttung des- oft nur noch symbolischen - Bürgernut­

zens, der hier ein Ster Holz, dort ein paar Fränkli betragen mag. ln Bischofszell dürfen die Bürgerinnen und Bürger am

Silvesternachmittag im Rathaus ein Mass Wein oder Traubensaft, die offen abgegeben werden, ein Paar Bürger­

wü�ste und ein Pfund Weissbrot in Emp­

fang nehmen. Nicht selten leisten die Bürgergemeinden bedeutende Beiträge zu einem intakten Landschafts- und Ortsbild: Sie bewirtschaften und pflegen grosse Waldflächen, restaurieren und unterhalten bedeutende Baudenkmäler, erstellen und erneuern Dorfbrunnen und Ruhebänke und Grillplätze und was der Dinge mehr sind.

Im Grenzbereich von Sozialem und Erziehung ist das Anerkennungsstipen­

dium angesiedelt, das die Bürgerge­

meinde Arbon seinen in Ausbildung ste­

henden Mitgliedern p.usrichtet. Wer ein entsprechendes Gesuch samt Beleg einreicht, hat, solange er in Ausbildung ist, Anspruch auf jährlich 1 000 Franken.

Manche Bürgergemeinden initiieren und unterstützen auch · Publikationen über die Ortsgeschichte; Beispiele aus der jüngeren Zeit sind Thundorf (1 982), Weintelden (l983), Aadorf (1 987), Bürg­

len (1 996), EHenhausen (1 999) und Tägerwilen (1 999).

So mag man denn zusammenfassend sagen, dass den Thurgauer Bürgerge­

meinden, welche seit dem 3. November 1 994 in einem Verband zusammenge­

schlossen sind, kaum eine grosse Zu­

kunft bevorsteht; aber wenn sie sich den verschiedenen Herausforderungen von Gegenwart und Zukunft mit einer Vor­

wärtsstrategie stellen, dürften sie in den Dörfern auch weiterhin wichtige Funktio­

nen ausfüllen und damit wohl auch ein nächstes Gemeindegesetz überstehen, ohne zu privatrechtliehen Vereinen her­

abgestuft zu werden.

Der Autor dankt Regierungsrat Dr. Clau­

dius Graf-Schelling, Arbon, Bürgerpräsi­

dent Walter Keller, Weinte/den, und Su­

sanne Tob/er, Amlikon, für wichtige Hin­

weise und kritische Durchsicht.

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f!er Tourismus spielt für fv!.ammern wie für alle anderen Seegemeinden eine sehr wichtige Rolle. Entsprechend kri­

tisch werden gesetzliche Anderungen aufgenommen, die bisherige Rechte einschränken oder ausser Kraft setzen.

Früher erschienene Publikationen

Nr. 1 : Mammern und sein Verkehrsverein Nr. 2: Mammern und die

Klinik Schloss Mammern Nr. 3: Mammern und seine

Solange vorrätig, sind diese Nummern so­

wie die aktuelle N ummer 1 7 bei der Post oder im Gemeindebüro zu beziehen.

Geplante Publikationen

Nr. 1 8 Mammern und seine Vereine und Organisationen (2004)

Nr. 1 9 Mammern und seine Schule (2005)

Vorstand des Verkehrsvereins Mam­

mern im Vereinsjahr 2003/04 Präsident: Alfred N utz

Aktuar: Marcel Gassmann Kassier: Jürg Weber Revisorinnen: Brigitte Beerli

Flandrina C. von Salis Wanderwege : Stefan Weber

I nfo-Stellen : Walter Siegwart (Post) Carina Meile (Gemeinde)

Impressum

Auflage: 2000 Stück

Herausgeber: Verkehrsverein Mammern und Politische Gemeinde Mammern

Redaktion: Marianne und Markus

Layout und