' Med. Zentrum für Hautkrankheiten der Universität Marburg und
^ Inst, für Psycholo
gie der Universität Göttingen
Einleitung
Neurodermitis (ND) ist eine chronisch-rezidi
vierende Hauterkrankung, die den Kranken wie auch den behandelnden Arzt vor große Anfor
derungen stellt. Neben einer differenzierten to
pischen Therapie sind ergänzende Maßnah
men zur Rezidivprophylaxe notwendig, die je
doch durch die Vielfalt und Komplexität der Einflußfaktoren (4) erschwert werden. Abbil
dung 1 verdeutlicht, wie unterschiedlich die zu berücksichtigenden Aspekte sind.
Die Bedeutung psychischer Faktoren in der Ätiopathogenese
Während die Hypothese einer spezifischen
»Neurodermitiker-Persönlichkeit« aufgegeben wurde, ist die pathogenetische Bedeutung psy
chologischer Faktoren unbestritten. Diese kön
nen auf individuell unterschiedliche Weise das Krankheitsgeschehen mitbeeinflussen. Zum ei
nen können psychische Belastungen für die Auslösung von Krankheitsschüben (mit-)ver- antwortlich sein. Die bei ND erhöhte psycho
physiologische Reaktivität der Haut auf Streß wird u. a. auf dispositionelle Faktoren und psy- choimmunologische Mechanismen zurückge
führt (8).
Zum anderen trägt der Circulus vitiosus von intensivem Juckreiz und Kratzen zu einer Chronifizierung der Hautsymptomatik wesent
lich bei. Ausgeweitet durch Konditionierungs
vorgänge (7) können diffuse Anspannung und Umweltreaktionen das Kratzen noch zusätzlich verstärken, so daß im Extremfall die dadurch verursachten Exkoriationen die primäre Sym
ptomatik überlagern (1).
Einen weiteren Aspekt stellt die Krankheits
verarbeitung und -bevvältigung dar. Eine in
adäquate emotionale Anpassung an die krank
heitsbedingten Probleme kann zu Gefühlen der Hilflosigkeit, sozialem Rückzug, ängstlichen und depressiven Symptomen führen (3, 9).
Psychologische Faktoren kön
nen das Krank
heitsgeschehen individuell un
terschiedlich beeinflussen Autogenes Training bei Neurodermitis
Zur Senkung des erhöhten psychophysiologi
schen Erregungsniveaus und zum Abbau von Juckreiz und Kratzimpuls stellen Entspan
nungsverfahren wie das autogene Training (AT) von J. H. Schultz und die progressive Mus
kelrelaxation von Jacobson wirkungsvolle Maß
nahmen dar (10).
So hebt Kämmerer (5) hervor, daß AT zu einem Abbau nicht wahrgenommener, juck- reizauslösender Affektspannung und zu einer verbesserten Körperwahrnehmung bei Neuro- dermitis-Kranken führt. Coles et. al. (2) inte
grierten Übungen des AT in ein verhaltensthe
rapeutisches Gruppenprogramm, das zusätz
lich Elemente einer systematischen Selbstbe
obachtung, Selbstkontrolle bei Kratzimpuls und die Veränderung streßauslösender Grundüber
zeugungen enthielt. Diese Maßnahmen führten zu einer signifikanten Verbesserung der Sym
ptomatik und einer Abnahme des Kortison- Verbrauchs. Bedauerlicherweise erstreckte sich der Katamnese-Zeitraum lediglich auf ei
nen Monat.
Interessanterweise geben bereits 1969 Luthe und Schultz (6) Anregungen zu einer gezielten
Im Rahmen einer Behandlungsstudie absolvier- Zum Inhalt ten 27 Neurodermitis-Patienten IZwöchige
Kurse in autogenem Training, die zusätzlich auf die spezifischen Probleme bei Neurodermi
tis abgestimmt waren. Nach Abschluß der Kurse konnten statistisch bedeutsame Verbes
serungen in der Symptomatik wie auch in der psychischen Krankheitsverarbeitung festge
stellt werden. Diese günstigen somatischen und subjektiven Veränderungen setzten sich zur Ein-Jahres-Katamnese noch weiter fort.
Die Ergebnisse belegen, daß autogenes Trai
ning langfristig zu einer deutlichen Verbesse
rung der Rückfallprophylaxe bei Neurodermi
tis beitragen kann.
Z. .'Ülg. Med. 1992; 68; 158-161. © Hippokrates Verlag GmbH, Stuttgart 1992
ZFA
' Fortbildung NeurodermitisHauttrockenheit
Infekte Schweiß
Allergie chemische
Irritationen atopische '
Disposition:
erhöhte Reaktions- bereitschaft der
V Haut / Ernährung/
Unverträgl.
Klima
Psychische Belastungen arme!
iKratzenl
.Abbildung 1: Vfultifaktorielles Krankheitsmodell der Neurodermitis
Beeinflussung bei juckenden, entzündlichen Dermatosen durch symptomspezifische For
meln. Auch in älteren Darstellungen zur An
wendung von Hypnose sowie, in neuerer Zeit, von Imaginationsverfahren finden sich Hin
weise auf die günstige Wirkung symptomspe
zifischer Suggestionen kinästhetischer und temperaturbezogener Vorstellungen bei ND
(10).
Eigene Untersuchungen zur Effektivität des AT bei Neurodermitis
Im folgenden werden vorläufige Ergebnisse aus einer umfangreichen Therapieevaluationsstu
die mit 118 Patienten vorgestellt. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Forschung und Technik geförderten Projektes zur »Therapie und Rückfallprophylaxe bei Endogenem Ek
zem« (Leiter: Prof Dr. Anke Ehlers; Priv.-Doz.
Dr. Uwe Gieler) wurde die Wirksamkeit
unter-Die individuelle Vorsatzbildung wurde auf die Kontrolle von Kratzen und eine Verände
rung der Juck
reiz-Wahrneh
mung ange
wendet
AT bei Neurodermitis: Übersicht des Kursablaufs 1. Einführung; Ruhetönung und Zurücknehmen 2. Schwere-Übung
3. Herz-Übung 4. Atem-Übung
5. Wiederholung: Besprechung von Problemen 6. Sonnengeflecht-Übung
7. Stirnkühle-Übung
8. Individuelle Vorsatzbildung (allgemein) 9. Vorsatzbildung bezüglich Kratzen 10. Haut-Übung (allgemein)
11. Vorsatzbildung bezüglich Juckreiz 12. Wiederholung; Abschlußdiskussion
schiedlicher Maßnahmen zur dermatologi
schen und psychologischen Rückfallprophylaxe überprüft. Die Teilnehmer wurden randomi- siert den Behandlungsmaßnahmen zugewie
sen, um eine repräsentative Stichprobe zu bil
den, die auch weniger motivierte Patienten ent
hält.
Teilnehmer
Von 34 Patienten beendeten 27 Teilnehmer, 19 Frauen und 8 Männer, die insgesamt fünf AT- Kurse, die jeweils zwölf wöchentliche Sitzun
gen umfaßten. Das Durchschnittsalter betrug 24,5 J., die durchschnittliche Krankheitsdauer 11,7 J. Vor Beginn des Gruppenprogramms wurden alle Teilnehmer in einem Vorgespräch über das Programm informiert. Besonderer Wert wurde auf die Vermittlung eines ange
messenen Krankheitsmodells (s. Abb. 1) und den Aufbau realistischer Erwartungen gelegt.
Schweregrad (0-100%)
Ul
N • 20 Teilnehmer
•Abbildung 2; (lesamtübersicbt über den kursablauf
Abbildung 3: Veränderungen des Gesamt-Index-Wertes zu Ausmaß und Schweregrad der Symptomatik nach Beurtei
lung durch einen unabhängigen Uermatoiogeii unter auto
genem Training
Zusätzlich wurden die Teilnehmer zu einer dif
ferenzierten Protokollierung von Juckreiz und Kratzen innerhalb von zwei Wochen vor Kurs
beginn angeleitet.
Durchführung
Eine Übersicht des Kursprogramms zeigt Ab
bildung 2. Es umfaßt die komplette Unterstufe des AT mit Ausnahme der Wärme-Übung, die aufgrund einer möglichen Auslösung von Juck
reiz ausgelassen wurde. Die individuelle Vor
satzbildung wurde zur Veränderung eigener Verhaltensweisen in Streßsituationen genutzt.
Eine erweiterte Anwendung der Vorsatzbil
dung bezog sich auf die Kontrolle von Kratzen.
Hierbei wurden in Gruppendiskussionen indi
viduelle, spezifische Formeln entwickelt (Bei
spiel einer Teilnehmerin: »Die Haut bleibt
Neurodermitis Fortbildung^
Zlf^
heile«). Zur Beeinflussung des Hautzustandes wurde die Formel »Haut ganz ruhig und ange
nehm kühl« eingeübt und dazu angeregt, sich auch andere, angenehme Empfindungen an der Haut vorzustellen. Abschließend wurden auch individuelle Formeln erarbeitet, die auf eine veränderte Bewertung oder Wahrnehmung der Juckreiz-Empfindung abzielen (z.B.: »Der nächsten Juckreizattacke begegne ich gelas
sen«). Zur Vermeidung einer ideosensorischen Auslösung von Juckreiz wurde die Formel nur für den Bedarfsfall empfohlen. Alle Teilnehmer füllten über den Kurszeitraum zusätzliche Pro
tokolle zur täglichen Übungspraxis aus. In der
matologischer Hinsicht wurde die Routine-Be
handlung der Patienten wie vor Beginn des Kurses fortgesetzt. Die Kurse begannen im Ja
nuar, im April und im Oktober. Während der Klimaeffekt den kurzzeitigen Behandlungsef
fekt überlagert, ermöglicht die Wahl eines ein
jährigen Katamnese-Zeitraums (mit vergleich
baren klimatischen Bedingungen) zumindest langfristig eine weitgehende Kontrolle dieser Störvariable.
Exkoriationen (0-3)
T--- T“'" '
0,5 ^
ll
N • 20 Teilnehmer
.Abbildung 4: Veränderungen der Hxkoriationen nach Beur
teilung durch einen unabhängigen Dermatologen unter Au
togenem Training
Ergebnisse
Da die Auswertung des Katamnese-Zeitraumes noch nicht abgeschlossen ist, werden im fol
genden die Ergebnisse von 20 der 27 Teilneh
mer dargestellt. Die Veränderung der Hautsym
ptomatik wurde durch einen Gesamt-Index nach Einschätzung eines unabhängigen Der
matologen erfaßt {Ahb. 3). Ein Gesamt-Index- Wert von 100% bedeutet einen Befall des ge
samten Körpers mit maximaler Ausprägung des Schweregrades der Effioreszenzenü
Nach Kursabschluß konnte eine signifikante Verringerung des Gesamt-Index-Wert beob
achtet werden, die sich im
Katamnese-Zeit-Skala Krankheitsgefühl
lü
N • 20 Teilnehmer
Abbildung 5: Veränderungen der Skala »Krankheitsgefühl«
aus dem Marburger Fragebogen zur Krankheitsverarbei
tung bei Neurodermitis (MNF) unter Autogenem Training
raum noch weiter fortsetzte (F = 4.18, p = .02).
Besonders deutlich waren die Verbesserungen hinsichtlich der kratzbedingten Exkoriationen {Abb. 4); die über Behandlungs- und Katam- nese-Phase Veränderungen waren statistisch hochsignifikant (F = 7.9, p = .002).
Die subjektiven Veränderungen wurden durch den Marburger Fragebogen zur Krank
heitsverarbeitung bei Neurodermitis (9) erfaßt.
Die signifikante Verringerung (F = 5.5, p = .01) in der Skala »Krankheitsgefühl« deutet an, daß auch die Beeinträchtigung des Selbstbildes und der Lebenszufriedenheit durch die ND deutlich abgebaut werden konnte (s. Abb. 5).
Fazit
Insgesamt zeigen unsere Ergebnisse, daß sich günstige Kurz- und Langzeit-EfTekte von auto
genem Training auf Symptomatik und subjek
tive Krankheitsbewältigung nachweisen lassen.
Diese positive Einschätzung wird gestützt durch die Tatsache, daß durch die Fortsetzung der dermatologischen Routine-Behandlung und durch vergleichbare klimatische Bedingungen zur Ein-Jahres-Katamnese der Einfluß wichti
ger Einflußfaktoren weitgehend kontrolliert und systematische Effekte bei der Selektion der Neu- rodermitis-Patienten vermieden wurden. Eine umfassendere Betrachtung wird nach Abschluß der Katamnesen vorgenommen werden. Den
noch läßt sich bereits aus den vorliegenden Er
gebnissen ableiten, daß autogenes Training eine wirkungsvolle Maßnahme zur Rückfallpro
phylaxe bei Neurodermitis darstellt.
^ In den Index gingen mit gleichem Gewicht das Aus
maß des Befalls (in Prozent) und der Schweregrad der Effloreszenzen ein. Der Schweregrad bezog sich auf die .Ausprägung von Erythem, Lichenifikation, Pusteln, Ex
koriationen und Trockenheit, jeweils eingeschätzt von 0
= keine bis 3 = starke Ausprägung (die Summe wurde umgerechnet in Prozent).
Individuelle Formeln zur veränderten Wahrnehmung des Juckreizes wurden erar
beitet
Zu den subjek
tiven Verände
rungen gehörte ein verringer
tes Krankheits
gefühl
Fortbildung Neurodermitis
Literatur
1. Bosse, K., und Hünecke, P.; Der Juckreiz des endo
genen Ekzematikers. MMW 1981; 123: 1013-1016.
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3. Gieler, U., Ehlers, A., Hohler, T., und Burkhard, G.:
Die psychosoziale Situation der Patienten mit endoge
nem Ekzem. Hautarzt 1990; 41: 416-423.
4. Illing, S., und Groneuer, K. J.: Neurodermitis - Atopische Dermatitis: Grundlagen, Ernährung, Thera
pie. Hippokrates Verlag, Stuttgart 1991.
5. Kämmerer, W.: Die psychosomatische Ergän
zungstherapie der Neurodermitis atopica - Autogenes Training und weitere Maßnahmen. Allergologie 1987;
10: 536-541.
6. Luthe, W., and Schultz, J. H.: Autogenic therapy (Vol. 11) Medical applications. Grüne and Stratton, New York 1969.
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modifikation und Verhaltensmedizin, 1988; 9.-169-193.
8. Schubert, H. B., Bahmer, F., Laux, J., und Zaum. H.:
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9. Stangier, U., Gieler, U., und Ehlers, A.: Der Marbur- ger Neurodermitis-Fragebogen - Entwicklung eines Fragebogens zur Krankheitsbewältigung bei Neuroder
mitis. ln: Gieler, U., Stangier, U., undBrähler, E. (Hrsg.):
Psychodermatologie. Jahrbuch der medizinischen Psy
chologie (Bd. 10). Springer Verlag, Berlin (im Druck).
10. Stangier, U.: Verhaltenstherapeutische .Aspekte der Behandlung von Hautkrankheiten, ln: Zielke, M., und Mark, N. (Hrsg.): Verhaltenstherapie in der Klinik.
Springer Verlag, Berlin (im Druck).
Dr. Ulrich Stangier Priv.-Doz. Dr. Uwe Gieler
.Medizinisches Zentrum für Hautkrankheiten der Philipps Universität Marburg
Deutschhausstr. 9 3550 Marburg Prof. Dr. .Anke Ehlers Inst, für Psychologie der Universität Göttingen Goßlerstraße 14 3400 Göttingen
Buchbesprechung
Neal S. Penneys
Hautveränderungen bei HlV-lnfektion und AIDS
Deutsche Übersetzung von Dirk Stallmann Deutscher Ärzteverlag 1991
220 Seiten, 154 Farbabbil- dungen in 267 Teilabbildun
gen, 19 X 24 cm, gebunden.
148,- DM.
Inhalt
• AIDS-das Virus, seine Ver
teilung und seine Epidemio
logie
• Frühe Zeichen und Sym
ptome der HlV-lnfektion an der Haut
• Infektionen, Geschlechts
krankheiten, kutane virale Erkrankungen, maligne Er
krankungen und Schleim
hautveränderungen bei AIDS
• AIDS bei Kindern
• Papulöse und follikuläre Veränderungen mit Juck
reiz, verschiedene Dermato
sen
• Medikamentenreaktionen
Kommentar
Das Buch »Hautveränderun
gen bei HlV-lnfektion und AIDS« des amerikanischen Dermatologen Neil S. Penneys liegt nun in deutscher Über
setzung von Dirk Stallmann vor. Auf 154 größtenteils aus
gezeichneten Farbabbildun- gen werden die wichtigsten kutanen Markererkrankungen der HlV-lnfektion in den ver
schiedenen Spielformen dar
gestellt. Auch extrem seltene und zumindest für den deut
schen Leser exotische Hautin
fektionen sind vertreten.
Viele Abbildungen von Farbi
gen und Amerikanern karibi
scher Herkunft sind vielleicht für den Leser hierzulande nicht so relevant, aufgrund der Herkunft des Autors aus Flo
rida aber unvermeidbar. Die zugehörigen histologischen Schnitte machen das Buch auch für den Fachdermatolo
gen interessant. Leider ist der
deutsche Text des Buches nicht so gut gelungen. Sollte es eine weitere Auflage geben, so wäre der Verlag gut beraten, die vielen Ungenauigkeiten, schiefen Anglizismen und sprachlichen Unebenheiten des Übersetzers auszumerzen.
Wer sagt im Deutschen schon
»Phlebotomie« und wer kann sich unter einem »Überland
hospital« etwas vorstellen.Für ein 1991 erschienenes Buch über das Thema HlV-lnfektion sollten auch die Literaturhin
weise nicht im Jahr 1988 ste
henbleiben. Hier hätte man über die schlichte und nicht einmal gute Übersetzung hin
aus etwas für die Aktualität tun können. Von den Bildern her lohnt sich Anschaffung für All
gemeinärzte, Internisten, In- fektiologen und Dermatologen durchaus und ist auch der Preis gerechtfertigt. Zum Le
sen gibt es bessere Bücher über die HlV-lnfektion.
(H. S. Füeßl)
Das Merckle Rheumedigramm