• Keine Ergebnisse gefunden

3. Behandlung von riskantem, schädlichem und abhängigem Alkoholgebrauch

3.6 K OMORBIDE PSYCHISCHE S TÖRUNGEN

3.6.4 B IPOLARE S TÖRUNGEN

3.6.4.5.1 Auswirkung auf die jeweils andere Störung

Das gleichzeitige Bestehen von bipolaren affektiven Störungen (BAS) und AUD hat signifikante Konsequenzen für beide Erkrankungen. Zahlreiche Untersuchungen weisen darauf hin, dass eine komorbide AUD den klinischen Verlauf einer BAS ungünstig beeinflussen kann (Übersicht siehe Preuss, 2008; Sonne & Brady, 2002). So kommt es bei komorbiden Personen mit BAS und AUD zu einem früheren Beginn der BAS, häufiger zu Rehospitalisierungen wegen Rückfällen, zu einem häufigeren Auftreten von Rapid Cycling (mehr als vier affektive Episoden innerhalb eines Jahres) und gemischten Zuständen (depressive und manische Symptome zeitgleich), die beide als schwerer und schwieriger zu behandelnde Formen der BAS gelten. Außerdem waren die Betroffenen häufiger männlich, hatten noch zusätzliche psychische Störungen, wiesen eine geringere Compliance und – insbesondere bei Personen mit einer AUD – eine signifikant höhere Rate an suizidalem Verhalten auf.

Damit ist wie bei anderen komorbiden AUD und psychischen Erkrankungen eine ungünstigere Prognose und Krankheitsverlauf anzunehmen.

3.6.4.5.2 Psychotherapie

Eine randomisierte und kontrollierte Studie verglich eine Integrierte Gruppentherapie (IGT) mit Gruppendrogenberatung (Group Drug Counselling - GDC) über einen Zeitraum von 20 Monaten mit einer Nachbeobachtung nach drei Monaten (Weiss et al., 2007, LoE 2b). 62 komorbide PatientInnen (bipolare Störung und Alkoholabhängigkeit) wurden in die Studie eingeschlossen, von denen alle mehr als zwei Wochen stabil auf ein Phasenprophylaktikum eingestellt waren. Die PatientInnen wurden auf die Therapiegruppen randomisiert (jeweils n=31). Bei Personen mit einer

S3 LL Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen

Seite | 183 Alkoholkonsumstörung war die IGT hinsichtlich der Tage des Alkoholkonsums/Monat (4,4±7,2) besser als die Vergleichsgruppe (6,5±7,4), auch in der Nachbeobachtungszeit (4,5±7,2 vs. 7,8±9,3).

Ebenfalls wies die Untersuchungsgruppe weniger Tage der Intoxikation (z=-2,34; p<0,01) auf. Eine Besserung der affektiven Symptome (HAMD and Young-Mania-Rating Scale) konnte allerdings im Gruppenvergleich nicht beobachtet werden. Außerdem wurde in der Auswertung nicht zwischen komorbiden Personen mit einer Alkohol- oder anderen Substanzmittelkonsumstörungen unterschieden. Eine Kohortenstudie an 232 komorbiden PatientInnen (Alkoholkonsumstörung + Depression; n=130; bipolarer Störung n=102) wurden mit einem intensivem verhaltens-therapeutischen Programm vier Wochen stationär behandelt (Farren & McElroy, 2008, LoE 3). Die Ergebnisse nach 3 und 6 Monaten Nachbeobachtung ergaben eine signifikante Reduktion des Konsums von Alkohol in beiden Gruppen. Mehr als die Hälfte der depressiven und ¾ der bipolaren Studienteilnehmenden wurden mit Antidepressiva oder Phasenprophylaktika behandelt. Insgesamt konnte eine hohe Quote von rund 93% der PatientInnen prospektiv nachuntersucht werden.

Zusammenfassung: In Kombination mit Phasenprophylaktika kann eine kognitive Verhaltenstherapie sowohl zu Besserung der affektiven Symptome, als auch zur Compliance und Besserung des Trinkverhaltens beitragen (LoE 2b, Empfehlung 0). Spezifische Wirkungen auf Personen mit einer Alkoholabhängigkeit und einer gleichzeitig bestehenden, bipolaren Störung sind hingegen noch nicht ausreichend untersucht.

3.6.4.5.3 Pharmakotherapie

In einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurden 59 bipolare Personen mit einer komorbiden BAS und AUD über 24 Wochen untersucht (1b) (Salloum et al., 2005). Von den 59 Personen, die in die Studie eingeschlossen wurden, beendeten allerdings nur 20 die Studie (Haltequote 33,8%). Zusätzlich zu einer „Standardtherapie“ mit Lithium und wöchentlicher Beratung („Counseling“) wurden die Studienteilnehmenden auf eine Add-on Therapie mit Valproat vs. Placebo randomisiert. Während sich die Personen in der Valproatgruppe signifikant hinsichtlich der

„schweren Trinktage“ (44%) vs. Placebo (68%, ES: 0,46), der Anzahl der Getränke pro Trinktag (V:

5,6±8,9 vs. P: 10,2±10,8, ES: 0,64) und dem Zeitraum bis zum Rückfall zu schwerem Trinken (V: 93±74 Tage vs. 62±61 Tage ES: 0,45) unterschieden, konnte keine (zusätzliche) Wirkung auf affektive Symptome im Vergleich beider Gruppen gefunden werden (Manie ES: -0,04, Depression ES: 0,05).

Eine Pilotstudie zur Wirksamkeit von Topiramat bei komobiden bipolaren Störungen unternahmen Sylvia et al. (2016). Topiramate war in einer Reihe von vorangegangen Studien und Metaanalysen als wirksam bei Alkoholkonsumstörungen ohne signifikante psychische Komorbidität berichtet worden (Blodgett et al., 2014; Palpacuer et al., 2018). Zwölf PatientInnen wurden über 12 Wochen randomisiert mit Topiramat (titriert auf 150mg über 5 Wochen) vs. Placebo verglichen. Die Drop-out Rate war hoch, nur 2 der 5 Teilnehmenden in der Verum-Gruppe (insgesamt 7 von 12

S3 LL Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen

Seite | 184 Teilnehmenden) beendeten die Behandlung regulär. Keine Besserung der Konsummuster konnte gefunden werden.

Eine komorbide Kohorte, die vorwiegend Diagnosen von affektiven Störungen und Alkohol- sowie Substanzmittelkonsumstörungen aufwies, wurde über drei Monate mit „typischen“ und „atypischen“

Antipsychotika in einem naturalistischen Ansatz behandelt (Petrakis et al., 2006). Allerdings konnten keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der affektiven Symptome oder des Konsumverhaltens gefunden werden (LoE 3).

Quetiapin wurde in den folgenden Jahren in placebokontrollierten Designs geprüft. Sherwood Brown et al. (2008) setzten in einer randomisierten und kontrollierten Studie zusätzlich zu einer medikamentösen Basistherapie mit verschiedenen Phasenprophylaktika Quetiapin bis 600mg vs.

Placebo bei 102 bipolaren und alkoholkranken PatientInnen über 12 Wochen ein.

Signifikante Wirkung zeigte sich zwischen den Gruppen nur in der Besserung der depressiven Symptome (HAMD ES: 0,41), allerdings nicht hinsichtlich des Konsumverhaltens oder manischer Symptome. Eine Folgestudie (Stedman et al., 2010) konnte allerdings an einer größeren Zahl von PatientInnen (n=362, striktere Einschlusskriterien (Bipolar-I-PatientInnen) und Design (Basismedikation: Lithium oder Valproat) mit Quetiapin in flexibler Dosierung von 300 bis 800mg/d vs. Placebo weder eine Wirkung auf das Trinkverhalten noch die Affektivität (Manie oder Depression) nachweisen. Die Studiendauer betrug 12 Wochen. Eine aktuellere Studie von Sherwood Brown et al.

(2014) reiht sich ein in die negativen Ergebnisse zu Quetiapin bei komorbider bipolarer Störung. 90 ambulant behandelt Personen mit Bipolar-I- und -II-Störung, aktuell depressiv oder im Mischzustand sowie einer Alkoholabhängigkeit wurden auf eine Behandlungsgruppe mit Quetiapin XR bis 600mg/d vs. Placebo randomisiert. Die Baselinewerte und demographischen Eigenschaften beider Gruppen waren vergleichbar. Keine signifikanten Unterschiede konnten zwischen beiden Gruppen am Ende der Behandlung hinsichtlich der Anzahl der konsumierten Getränke pro Tag oder anderer alkoholbezogener Eigenschaften und der affektiven Symptome beobachtet werden. Das Profil der Nebenwirkungen (Gewichtszunahme, Glukose- oder Cholesterin-Spiegel) war bei beiden Gruppen vergleichbar. Die AutorInnen schließen, dass Quetiapin für die Reduktion des Konsumverhaltens bei komorbider bipolarer Erkrankung und Alkoholabhängigkeit nicht wirksam ist.

Lithium und Divalproex vs. Lithium und Placebo wurden bei komorbiden Personen mit Bipolar I/II, Alkoholabhängigkeit und „rapid cycling“ verglichen (Kemp et al., 2009). Das Design sah eine 14-tägige Stabilisierungsphase (n=149) und eine anschließende zufällige Zuteilung vor. Nur 31 Personen konnten nach der Stabilisierung in die beiden Gruppen randomisiert werden (21%), von denen nur 3/16 in der Lithiumgruppe (19%) und 5/15 in der Kombinationsgruppe die Studie beendeten (33%).

Ähnlich ernüchternd sind auch die Ergebnisse, die keine zusätzliche Wirkung der Kombination auf die

S3 LL Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen

Seite | 185 affektiven Symptome bei dieser speziellen Stichprobe (erfasst mit HAMD und YMRS) feststellen konnte. Von den 19 Personen, die zu Studienbeginn eine Abhängigkeit aufwiesen, erfüllten n=11 die Kriterien nach der Stabilisierungsphase nicht mehr oder erlangten eine frühe Remission der Abhängigkeit nach sechs Monaten Behandlung mit einem der Phasenprophylaktika. Über alle Substanzkonsumstörungen hinweg ergaben sich für die Gruppe mit Lithium und Valproat signifikante Besserungen im Addiction Severity Index (p=0,005) und der Tage des Alkoholkonsums während der Stabilisierungsphase (p=0,001) (LoE 2b, Empfehlungsstärke O).

Die insgesamt wenig optimistischen Ergebnisse von Studien zur pharmakologischen Behandlung von komobiden bipolaren Störungen wurden in der Übersicht von Naglich et al. (2017) zusammengefasst.

Diese Übersicht erwähnt, dass Lithium bei der Behandlung von Adoleszenten mit komorbider bipolarer und Alkoholkonsumstörung das Medikament der ersten Wahl sei (Geller et al., 1998).

Valproat (Divalproex) als Add-on (zu einem Rückfallprophylaktikum, in der relevanten Studie von Salloum et al. (2005) war das Lithium) gilt demnach als First-Line Behandlung für diese Komorbidität (Salloum et al., 2005; Brady et al., 2002). Nur diese beiden Pharmaka sind durch randomisierte kontrollierte Studien in dieser Stichprobe nachgewiesen. Für den Einsatz von Rückfallprophylaktika wie Naltrexon und Acamprosat fehlen aus bisherigen (wenigen) Studien empirische Hinweise (Sherwood Brown et al., 2006; Tollivier et al., 2012). Disulfiram wird nach den AutorInnen in Leitlinien der World Federation of Societies of Biological Psychiatry dann empfohlen, wenn andere Rückfallprophylaktika nicht wirksam sind. Für Disulfiram fehlen für diese Komorbidität allerdings auch positive Studien (z.B. Petrakis et al., 2005). Eine randomisierte kontrollierte Studie untersuchte die Wirkung von Lithium bei komorbiden adoleszenten Personen mit “primärer bipolarer Störung”

(Affektive Störung vor dem Beginn der Substanzmittelkonsumstörung, Geller et al., 1998).

PatientInnen unter Lithium wiesen eine geringere Rate substanzpositive Urinproben (ES: 0,57) und eine verbesserte globale psychosoziale Funktionsfähigkeit auf (Children’s Global Assessment Scale, ES: 0,86).

Zusammenfassung: Valproat wurde in einer randomisierten, kontrollierten Studie als Add-on Medikation bei komorbiden PatientInnen geprüft und zeigte eine signifikante Verbesserung des Trinkverhaltens, aber keine Wirkung auf die Affektivität (Salloum et al., 2005, LoE 2b, Empfehlungsgrad B). Zwei randomisierte kontrollierte Studien prüften Quetiapine als Add-on Medikation zu einem Phasenprophylaktikum vs. Placebo. Während die erste Studie noch signifikante Wirkungen auf die Affektivität (Depression) (Sherwood Brown et al., 2008), aber nicht das Trinkverhalten zeigte, waren diese Wirkungen auf Affektivität oder Trinkverhalten in folgenden Studien (Stedman et al., 2010; Sherwood Brown et al., 2014) nicht nachweisbar. Ebenfalls zeigte ein Vergleich von Lithium + Valproat (Divalproex) vs. Lithium + Placebo keinen Vorteil für die Kombination für die affektiven Symptome. In dieser Studie mit niedriger Haltequote liegt für den Zeitraum nach

S3 LL Screening, Diagnose und Behandlung alkoholbezogener Störungen

Seite | 186 der Randomisierung zudem kein Vergleich hinsichtlich der Änderung des Konsumverhaltens vor (n=3 vs. n=5, LoE 2b, Empfehlungsstärke O).

Outline

ÄHNLICHE DOKUMENTE