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5.2 Auswahl der benutzten ethologischen und stressphysiologischen Methoden

Um Informationen über das Befinden von Tieren zu erlangen, ist es notwendig, neben der guten biologischen und tierärztlichen Kenntnis der jeweiligen Tierspezies, Indikatoren zu definieren, mit denen auf den Zustand der Tiere rückgeschlossen werden kann (KEELING, EVANS et al. 2013). Dies trifft in besonderer Weise auf Wildtiere zu, für die es solche Indikatorlisten wie für Nutztiere im Welfare Quality Programm nicht in dieser Form gibt. In der vorliegenden Arbeit wurden daher zur Gewinnung von Indikatoren zur Beurteilung des Befindens der Elefantenbullen in ihren Jungbullengruppen Verhaltensbeobachtungen und Cortisoluntersuchungen eingesetzt. Für die ethologischen Untersuchungen wurden die

Nearest-Neighbor-Analyse (KRULL 2000) und die Focus-Sampling-Methode (MARTIN und BATESON 2007) ausgewählt. Die Cortisolbestimmung erfolgte aus Blutserum und aus Speichel- und Kotproben, um die Befunde auf eine breitere Basis zu stellen.

Die Cortisolbestimmung aus Speichel und Kot wurde auch deshalb ausgewählt, da diese Methoden nicht-invasiv sind (GANSWINDT, PALME et al. 2003; VIMALRAJ und G. 2012) und in den normalen Tagesablauf der Zooelefanten gut integriert werden können.

Die Cortisolbestimmung bei Wildtieren ist jedoch nicht ohne Schwierigkeiten, da jeder Assay zur Cortisolwertbestimmung für jede Tierart neu validiert werden muss (HARPER und AUSTAD 2001; TOUMA und PALME 2005; WASSER, HUNT et al. 2000). Wasser et al.

(2000) haben in ihrer Studie vier Antikörper zur Erkennung von Cortisolmetaboliten im Kot verglichen. Der effektivste Antikörper (ICN corticosterone RIA) zeigt eine hohe Kreuzreaktivität gegenüber den Haupt-Cortisolmetaboliten und wurde auch für den Elefanten validiert (FOLEY, PAPAGEORGE et al. 2001; WASSER, HUNT et al. 2000). Laws et al.

(2007) validierten ein Enzym-Immuno-Assay für den Asiatischen Elefanten (LAWS, GANSWINDT et al. 2007) und bestimmten damit Glucocorticoid-Metaboliten im Kot. Dieser gruppen-spezifische Assay (3α, 11β-dihydroxy-CM) wurde auch zur Bestimmung der Cortisolwerte dieser Studie verwendet. Außerdem konnte für Elefanten eine signifikante Korrelation zwischen der Cortisolkonzentration in Blutplasma und im Speichel mit dieser Methode aufgezeigt werden, so dass der Assay für diese Tierart gut geeignet erscheint (KELLING 2008).

Bei der Bewertung der Befunde der Cortisolmessungen sind aber auch die Besonderheiten der Untersuchungsmaterialien zu beachten. So stellen Hormonkonzentrationen in Kot und Speichel stets eine Sammelprobe des im Blut zirkulierenden Hormonspiegels innerhalb eines bestimmten Zeitraumes dar. Dabei liefert die Speichelprobe noch sehr zeitnahe Daten über Veränderungen der Cortisolkonzentration im Blut. Dies erlaubt eine Echtzeit-Einschätzung des endokrinen Status (HEISTERMANN 2010). Bereits 20 – 30 Minuten nach Auftreten im Blut, ist Cortisol im Speichel messbar (HEISTERMANN 2010). Im Gegensatz dazu werden die Hormone mit dem Kot erst 24 bis 48 Stunden nach ihrem Auftreten im Blutkreislauf ausgeschieden (BAHR, PALME et al. 2000; HEISTERMANN, TARI et al. 1993). Die Probenahme ist durch Sammeln des Kotes einfach, muss aber durch gute Beobachtung des

Absetzzeitpunktes und der Identifikation des Ausscheiders ergänzt werden. Werden beide Untersuchungstechniken angewandt und in einem Diagramm vergleichend dargestellt, muss somit die Cortisolkonzentration im Speichel immer mit der 24 - 48 Stunden später gewonnenen Probe aus dem Kot verglichen werden.

Die Cortisolbestimmung aus dem Blut erfordert den größten Aufwand und sorgfältige Vorbereitung. Sie ist auch anfällig für Störungen, die die Messergebnisse beeinflussen können. Daher wurde die Blutentnahme in dieser Studie für jedes Tier der Heidelberger Elefantengruppe nur drei Mal während des Probenzeitraumes durchgeführt. Die Messungen dienten der Einschätzung und Absicherung der mit den anderen Probenahmeverfahren erarbeiteten Befunde. Die Elefanten sind in der Blutentnahme trainiert, dennoch kann eine erhöhte Cortisolkonzentration aufgrund der Manipulation bei der Blutentnahme nicht ausgeschlossen werden. Dies zeigt sich auch beim Vergleich der Cortisolwerte aus den Blutproben mit den Speichelproben an. Bei den Probenentnahmen wurde den Elefanten zuerst Blut und dann Speichel entnommen. Teilweise sind die Werte zwar beinahe identisch, die meisten Cortisolwerte aus dem Blut sind jedoch höher als die Cortisolwerte aus dem Speichel, was sich auch mit Erfahrungen von Kelling (2008) deckt. Dies lässt sich jedoch nicht aussagekräftig vergleichen. Die höheren Werte im Blut lassen womöglich darauf schließen, dass die Durchführung der Blutentnahme für das Tier, wenn auch nur kurzfristig und bekannt, aufregend oder unangenehm ist. Die Proben wurden an den Entnahmetagen jeweils direkt hintereinander, d. h. im Abstand von etwa 2-3 Minuten genommen. Die Blutprobe repräsentiert den aktuellen Cortisolspiegel im Blut direkt nach der Manipulation durch die Probenahme. Der Cortisolspiegel im Speichel reflektiert eher die Konzentration vor der Manipulation, obwohl auch die Speichelentnahme ein Training des Tieres voraussetzt.

Insgesamt zeigt ein Vergleich der Befunde, dass alle drei eingesetzten Methoden der Cortisolmessung geeignet sind, Unterschiede zwischen den Tieren in ihrer Reaktionslage zu erkennen. Eine Einschätzung oder Bewertung des emotionalen Zustandes der Tiere kann aber nur zusammen mit den ethologischen Befunden erfolgen.

Zur Einschätzung des Verhaltens der Tiere wurden die Nearest-Neighbor-Analyse und die Focus-Sampling-Methode benutzt. Beide Verfahren liefern in den Untersuchungen dieser Studie verlässliche Ergebnisse und Einblicke in das Beziehungsgefüge innerhalb der

Elefantengruppe. Die Nearest-Neighbor-Analyse zeigt sehr schön die Präferenzen der Tiere zu und untereinander und gibt Auskunft über die „social attraction“ eines Tieres innerhalb einer sozialen Gruppe (JAYANTHA, DAYAWANSA et al. 2009; O'CONNELL-RODWELL 2010).

In der Heidelberger Gruppe verbringen beispielsweise die Elefanten Voi Nam, Thai und Tarak mehr Zeit in Gegenwart anderer Elefanten als alleine. Der Elefant Gandhi hingegen verbringt mehr Zeit alleine als in Gegenwart der anderen Elefanten. In der Zeit jedoch, die Gandhi mit den anderen Elefanten verbringt, zeigt er sehr viel Spielverhalten. Dieses richtet sich verstärkt auf den ein Jahr älteren Tarak, wie es auch das Pfeildiagramm veranschaulicht.

Tarak verbringt ebenfalls viel Zeit beim Spielen mit Gandhi, aber auch in Gegenwart Voi Nams. Offenbar sieht Tarak den ältesten Voi Nam als Leitfigur und Beschützer an. Er folgt ihm nach und lernt von ihm. Dieses Verhalten wird auch bei Beobachtungen in der Wildbahn beschrieben (EVANS und HARRIS 2008; O'CONNELL-RODWELL 2010; SLOTOW, VAN DYK et al. 2000). Dies zeigt, dass auch Tiere, die in menschlicher Obhut leben, natürliche Verhaltensweisen zeigen können und in diesem Fall bullentypische Verhaltensweisen ausleben können.

Interessant ist auch zu beobachten, dass Tarak, der eine enge Beziehung zu Voi Nam hat, durch dessen physische und psychische Veränderungen zu Beginn der Musth verunsichert wird. Dies drückt sich sogar in einem Peak in Taraks Kot-Speichel-Diagramm aus. Es fällt zeitlich gesehen zusammen auf den Beginn der Musth von Voi Nam. Kurze Zeit später befinden sich Taraks Werte wieder im Normalbereich. In der Literatur wurde bereits beschrieben, dass es zwischen männlichen Elefantenbullen zu einer besonders innigen Beziehung kommen kann (MCKAY 1973), jedoch konnte noch kein Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Cortisolkonzentration und dem sich in Musth befindenden Freund hergestellt werden.

Die beiden Elefantenbullen Voi Nam und Thai suchen weiter die gegenseitige Nähe und tragen auch spielerische Kämpfe aus, die aber durchaus in richtige Rangordnungskämpfe übergehen können. In derartigen Situationen zeigt Voi Nam, dass er der dominante Bulle der Elefantengruppe ist, weshalb er auch die überwiegende Mehrheit der Interaktionen zwischen ihm und Thai initiiert. Thai zeigt bis zum jetzigen Zeitpunkt eher defensives Verhalten. In

Konfliktsituationen läuft er rückwärts, zeigt Ohrenklappen, senkt den Kopf und nimmt seine Rüsselspitze in den Mund oder greift damit an den Ohrrand. Dies sind Zeichen der Beschwichtigung und Unterlegenheit (O'CONNELL-RODWELL 2010; SCHMID 2006;

VIDYA und SUKUMAR 2005).

Eine enge Beziehung zwischen einem älteren Bullen und einem oder mehreren Jungbullen bietet für beide Seiten soziale Vorteile: Kurt (2001) berichtet, dass ältere Bullen durch juvenile Bullen leichter Zugang zu Familiengruppen finden. Jungbullen hingegen werden im Gefolge eines adulten Bullen von paarungsbereiten Kühen geduldet und erlernen so das Paarungsverhalten (GARAÏ und KURT 2006; KURT 2001; KURT und GARAÏ 2006). Evan und Harris beobachteten in der Wildbahn oft, dass die älteren Elefantenbullen diejenigen sind, die die Gesellschaft jüngerer Bullen suchen, um vorrangig deren Musth zu unterdrücken und den Paarungswettkampf zu verhindern (EVANS und HARRIS 2008). Da die Elefantenbullen dieser Studie alle in einem ähnlichen Alter sind, konnte dieses Vorgehen nicht bestätigt werden. Außer Voi Nam, dem ältesten Elefant der Heidelberger Jungbullengruppe, zeigte bisher keiner der anderen Elefanten Anzeichen der Musth.

Es ist bekannt, dass junge Elefantenbullen sich in der Wildbahn nach dem Verlassen des Herdenverbandes mit anderen Jungbullen zusammen schließen, mit denen sie spielerische Kämpfe austragen und sich auf ihr weiteres Leben vorbereiten (KURT 2001; MCKAY 1973;

SUKUMAR 1994). Held und Spinka sehen im Spielverhalten einen wichtigen Indikator, um das Wohlbefindens eines Tieres zu evaluieren, denn das Wohlbefinden eines Tieres wird verbessert, wenn positive Emotionen und ein gesunder, biologischer Zustand überwiegen oder sich im Gegenzug negative Emotionen, Gesundheitsprobleme und andere biologische Schäden minimieren (HELD und SPINKA 2011). Zusätzlich erhöht das Spiel physische und emotionale Fähigkeiten, die in vielen nachfolgenden Situationen genutzt werden können (HELD und SPINKA 2011). Diese Bemerkungen lassen sich in vollem Umfang auf die beobachtete Gruppe übertragen und dauten damit an, dass die Bildung der Jungbullengruppen in der Form, wie in den untersuchten Zoos vorgefunden, den natürlichen Bedingungen recht nahe kommt. Zumindest waren Anzeichen von übermäßiger Stressbelastung nicht erkennbar.

Auch die Focus-Animal-Sampling Methode ergibt wertvolle Ergebnisse. Der Charakter der Tiere kann damit sehr überzeugend beschrieben werden. Diese Erkenntnis ist auch im

Hinblick auf eine Neuzusammensetzung der Gruppen von erheblicher Bedeutung. Auch wenn es darum geht, welcher der Elefantenbullen als erster Bulle die Gruppe verlassen sollte und als Zuchtbulle eingesetzt wird, sind die Ergebnisse dieser Methode sehr hilfreich. Im Rahmen des Focus-Animal-Samplings wurden alle gezeigten sozialen Verhaltensweisen der Heidelberger Elefantenbullen aufgezeichnet. Die Kreisdiagramme in Abbildung 20 bis 23 veranschaulichen sehr schön die Präferenz von Rüsselspitzenkontakten untereinander. Vidya und Sukumar (2005) sehen in den Rüsselspitzenkontakten eine Verhaltensweise zur Festigung des Zusammenhalts innerhalb einer Elefantenherde. Es werden bevorzugt die Anogenitalregion und das Maul berührt (VIDYA und SUKUMAR 2005). Das Einführen der Rüsselspitze in den Mundwinkel eines anderen Elefanten dient als beruhigende Geste und wird überwiegend von ranghöheren Tieren ausgeführt (O'CONNELL-RODWELL 2010).

Zusätzlich zeigten die Elefantenbullen sehr viele Verhaltensweisen des bullentypischen Spiels wie Schieben, Stoßen und Rüsselumwinden, was auch bei wildlebenden Elefanten beschrieben wurde (MCKAY 1973; SCHMID 2006; VIDYA und SUKUMAR 2005). Dem ranghöchsten Tier, Voi Nam, traten die anderen Elefanten mit Respekt gegenüber. Sie machten ihm Platz und zeigten in direkter Konfrontation Demutsgesten, indem sie ihre Rüsselspitze ins Maul nahmen und rückwärts liefen. Dieses Verhalten wurde auch in früheren Studien beschrieben (O'CONNELL-RODWELL 2010) und zeigt, dass die Rangordnung in der Heidelberger Elefantenbullengruppe fest geregelt ist. Eine vollständige numerische Auflistung der gezeigten sozialen Verhaltensweisen ist in Tabelle 4 im Anhang dargestellt (9.2).