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Aufbau dieser Arbeit

Ich stelle kurz den Gang der Untersuchung vor: In Kapitel 2 werde ich auf die Frage eingehen, was überhaupt unter Normativität zu verstehen ist. Dies ist notwendig, um Kontrolle über die Fragestellung zu erlangen: Ohne eine Präzisierung von „normativ“ ist schwer zu sehen, worum es in der Debatte um die Normativität sprachlicher Bedeutung überhaupt geht. In Kapitel 3 gehe ich auf das Korrektheitsargument für die Normati-vitätsthese ein und weise es, wie auch viele Deskriptivisten, zurück. In Kapitel 4gebe ich ein eigenes Argument für die Normativitätsthese, das auf konstitutive Regeln des Verstehens abhebt, die zugleich auch erklären sollen, warum der Sprechaktnormativismus zu kurz greift. Der Begriff der konstitutiven Regel führt zu Kapitel 5, in dem dieser Begriff erklärt wird. In Kapitel 6 schließe ich mein Argument für meine Fassung der Normativitätsthese ab, indem ich ein Argument gebe, warum Regeln der Bedeutung tatsächlich konstitutive Regeln sind. Die beiden letzten Kapitel –Kapitel 7und8– gehen auf zwei Probleme ein, zu denen meine Konzeption konstitutiver Regeln des Verstehens Stellung nehmen muss. Das ist zum einen das Thema Sprachwissen: Hier werde ich die These verteidigen, dass Sprachwissen eine Form propositionalen Wissens ist. Zum anderen gehe ich auf das Thema Referenz ein: Hier werde ich eine Antwort auf den Einwand geben, dass Regelkonzeptionen der Bedeutung das Phänomen Referenz nicht adäquat erklären können.

Um die Frage beantworten zu können, ob sprachliche Bedeutung normativ ist, bedarf es einer wichtigen Vorabklärung: Was soll es heißen, dass etwas – hier: sprachliche Bedeutung – normativ ist? Diese Frage ist freilich keine, die sich nur für die Normativitätsdebatte in der Sprachphilosophie stellt. Wenn über die Normativität der Logik, den Regelcharakter mathematischer Sätze, den Konventionalismus in der Metaphysik, Normativität in der Erkenntnistheorie diskutiert wird, stellt sich ebenfalls immer wieder die Frage, was mit dem Wörtchen „normativ“ überhaupt angesprochen werden soll. Ein Blick auf die Alltagssprache ist hier notorisch unzuverlässig. „Norm“ und „normativ“ sind keine Ausdrücke, die in der Alltagssprache wie selbstverständlich zu Hause wären; sie sind aus juristischen und philosophischen Kontexten importiert worden. Eben weil die Frage nach der Natur von Normativität eine ist, die sich in vielen philosophischen Problemkontexten stellt, wird meine Diskussion notwendig beschränkt bleiben. Ich werde nicht die Vielzahl von Konzeptionen und Ansätzen in der Normativitätstheorie referieren und vergleichen können. Es genügt mir, ein Verständnis zu explizieren, das es erlaubt, die Frage nach der Normativität von Bedeutung diskutieren zu können. In diesem Kapitel erhebe ich daher nicht den Anspruch, alle Thesen über Normativität, die ich vorstellen werde, abschließend zu begründen. Mein Ziel ist es, mein Verständnis von Normativität vorzustellen, damit deutlich wird, welche Normativitätsthese in den folgenden Kapiteln verteidigt wird und welche nicht.

Klärungsbedarf besteht in dieser Debatte in zweierlei Hinsicht: Erstens ist es klärungs-bedürftig, was unter Normativität zu verstehen ist. Es gibt zweifellos viele Vorschläge, die verschiedenen Aspekte moralischer Normativität abzugrenzen. Diese Vorschläge sind jedoch nur bedingt auf die sprachphilosophische Debatte zu übertragen. Zweitens ist es klärungsbedürftig, was es heißt, von sprachlicher Bedeutung zu sagen, sie sei normativ.

Wir haben ein einigermaßen belastbares Vorverständnis, was es heißt, dass „Töten ist verboten“, „Du sollst nicht Töten“ oder „Es ist nicht gut zu töten“ normative Aussagen sind. Aber was soll es heißen, dass „‚Erpel‘ bedeutetmännliche Ente“ oder „Erpel sind männliche Enten“ normative Aussagen sind?

Diesen beiden Fragekomplexen werde ich in diesem Kapitel nachgehen. Bevor ich das tue, werde ich jedoch zunächst eine wichtige Qualifikation der These, Bedeutung sei normativ, einführen (2.1). Im zweiten Abschnitt werde ich die drei Hauptbereiche des Normativen – Sollen, Werte, Gründe – durchgehen, um zu bestimmen, zu welchem Bereich semantische Normativität am ehesten gehört (2.2). Im dritten Abschnitt werde

ich zwei Lesarten der These, Bedeutung sei normativ, unterscheiden und eine Konzeption normativer Arten vorstellen (2.3).

Bevor ich mit der Diskussion beginne, möchte ich noch einen wichtigen Punkt hervor-heben: Ziel dieses Kapitels ist es, zu erklären, was in der sprachphilosophischen Debatte unter „Normativität“ verstanden wird oder verstanden werden sollte und einige wich-tige begriffliche Unterscheidungen zu ziehen. Ziel ist nicht, allerlei metaphysische und epistemologische Probleme zu lösen. Ich werde mich weder zu metaphysischen Fragen wie der Frage, ob es objektive normative Tatsachen gibt, noch zu der epistemologischen Frage, wie man erkennt, was zu tun ist, äußern. Ziel dieses Kapitels ist ausschließlich, das Normative zu kartographieren, soweit dies für die Diskussion um Normativität in der Sprachphilosophie von Belang ist. Wenn ich zum Beispiel behaupte, Sollen, Werte und Gründe seien drei begrifflich zu unterscheidende normative Phänomene, dann möchte ich damit nicht ausschließen, dass eine Reduktion eines oder aller der Bereiche auf einen ein-zigen möglich ist. Das sind Anschlussfragen, die für den gegenwärtigen Debattenkontext nicht wichtig sind.

2.1 Die Normativitätsthese

Keine Klage ist in der Debatte um die Normativität der Bedeutung so prominent wie die Klage, dass schon am Titel, unter dem diese Debatte firmiert, etwas faul ist. Es sei schlechthin unklar, was überhaupt gemeint ist, wenn ausgerufen wird „Bedeutung ist normativ!“. Diese Klage finden wir zum Beispiel in den folgenden Zitaten von Gibbard, Gampel und Wikforss:

„Slogans like ‘meaning is normative’ have by now long been in the philosophical air, and we need to ask what such a slogan might be claiming.“ (Gibbard 1994: 95 f.)

„The reason is that proponents of the arguments say surprisingly little about the precise nature of the claims about normativity on which the arguments depend.“ (Gampel 1997: 221)

„It therefore is hardly surprising that Kripke’s thesis has received so much attention. Whatis surprising is that despite extensive discussions of the topic it remains obscure exactly what the normativity thesis amounts to and why it should be endorsed.“ (Wikforss 2001: 203)

Leider formulieren die genannten Autoren keine Fragen, so dass es – ironischerweise – zu einer Unklarheit zweiter Stufe kommt: Es bleibt oft genug unklar, worin die Unklar-heit bestehen soll. Jede philosophische Position stützt sich irgendwo auf nicht-definierte Grundbegriffe und als geteilt vorausgesetzte Grundannahmen. Es sollten, wie in der

Einleitung zu diesem Kapitel, schon genannt zwei grundlegende Unklarheiten ausein-ander gehalten werden. Erstens ist es schon nicht einfach zu sagen, was eine Aussage (Proposition, Tatsache, Sachverhalt, Urteil) normativ macht; erst recht ist es schwierig zu sagen, wann so etwas wie „die Bedeutung“ normativ ist. Was soll das bloß heißen?

Zweitens muss geklärt, was unter „normativ“ überhaupt zu verstehen ist.

Eine ganz andere Unklarheit entsteht dadurch, dass die These, Bedeutung sei normativ, nicht die These ist, dass man (manchmal) Wörter so-und-so verwenden soll. Das wäre eine These, der wohl jeder – mit Ausnahme des Skeptikers bezüglich Normativität im Allgemeinen – zustimmen kann. Die Normativitätsthese ist in zweierlei Hinsicht stärker.

Erstens wird behauptet, dass Bedeutungnotwendigerweise normativ ist. Das heißt, dass, wann immer man einen sprachlichen Ausdruck verwendet, man einer sprachlichen Norm unterliegt. Es gibt nicht nur manchmal sprachliche Normen, sondern jede Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks unterliegt einer Norm. Auch diese These ist aber noch nicht stark genug. Es könnte zum Beispiel sein, dass – aus welchen Gründen auch immer – jede Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks mit einer bestimmten Art von Wunsch einhergeht und es zur Erfüllung dieses Wunsches notwendig ist, etwas Bestimmtes zu tun. Wenn dies so wäre, müsste man in der Tat beijeder Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks etwas Bestimmtes tun. Aber der Grund, warum man dies tun soll, wäre nicht die Bedeutung der verwendeten Wörter, sondern eben jener notwendig vorliegende Wunsch. Daher giltzweitens: Die Normativitätsthese behauptet, dass die Bedeutung eines Ausdrucks die Quelle von sprachlicher Normativität ist. Diese Rede von der Bedeutung als einer Quelle der Normativität ist freilich eine metaphorische, die nach einem präzisen Sinn verlangt. Grob gesagt, ist die Frage nach der Quelle einer Norm eine explanatorische Frage: Warum gilt die Norm? Was erklärt, dass sie bindend ist? Wenn Bedeutung normativ ist, muss die Antwort auf die Frage, warum man so-und-so zu sprechen hat, lauten, dass der fragliche Ausdruck diese-und-jene Bedeutung hat. Dann und nur dann ist die Bedeutung die Quelle der Norm. Kurz und knapp, es geht nicht darum,dass man Wörter so-und-so verwenden soll, sondern darum, warum man sie so-und-so verwenden soll. Wir können daher als vorläufiges Verständnis der Normativitätsthese festhalten:

Gemäß der Normativitätsthese unterliegt die Verwendung eines sprachlichen Ausdrucks

notwendigerweise einer Norm und die Bedeutung des verwendeten sprachlichen Ausdrucks ist die Quelle dieser Norm.1

Noch ein terminologischer Hinweis: Ich spreche in diesem Abschnitt durchgehend von „semantischen Normen“. „Norm“ wird oft so verstanden, dass Werteaussagen keine Normen sind. Ich will „Norm“ nicht so eingeschränkt verstehen. „Norm“ wird auch oft so verstanden, dass Normen nicht wahr sein können, sondern nur bestehen können, akzeptiert werden können, befolgt werden können und dergleichen mehr. So wie Konventionen nicht wahr/falsch sein können, sondern nur bestehen können, könnten auch Normen nicht wahr/falsch sein, sondern nur gelten. Ich will diese Einschränkung nicht von vorneherein voraussetzen. Angenommen, es ist eine Norm, „Erpel“ nur auf männliche Enten anzuwenden. Dann ist es geboten/richtig/wertvoll oder dergleichen, „Erpel“ nur auf männliche Enten anzuwenden – und das kann – prima facie! – wahr/falsch sein.

Zumindest will ich mit der Wahl der Terminologie nicht von vorne herein ausschließen, dass „Es ist geboten, ‚Erpel‘ auf männliche Enten anzuwenden“ wahr/falsch sein kann.