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Aufbau des Theorieteils

In den bisherigen Erläuterungen wurde deutlich, dass sich das Interesse in der vor-liegenden Untersuchung auf spezifische verbale Praktiken der Eltern richtet, bei denen sie vor dem Hintergrund ihrer lern- und leistungsbezogenen Erwartungen, Werte, Aspirationen und Ziele, die Intention verfolgen, das Kind zu veränder-ten Sicht- und Handlungsweisen zu bewegen. Die empirische, primär quantitativ ausgerichtete Forschung zum elterlichen schulbezogenen Engagement (parental

10Aufgrund zu geringer Textstellenzahlen wurden in die fallspezifischen Analysen, die auf die Identifizierung von charakteristischenStilelementen des verbalen Motivierens während der Übertrittszeit ausgerichtet waren, nur 18 der 20 Elternteile einbezogen (vgl. Fußnote 7).

1.3 Aufbau des Theorieteils 21 involvement in schooling) hat in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Qualitäts-merkmalen elterlichen Handelns herausgearbeitet, die sich motivationssteigernd auf das Kind auswirken. Eine wachsende Zahl von Untersuchungen belegt, dass hierfür namentlich das Ausmaß an Autonomiegewährung, an adaptiver, gering-invasiver Strukturgebung sowie an Zuwendung von maßgeblicher Bedeutung ist (zsf. Pomerantz, Moorman & Litwack, 2007; Wild, E. & Lorenz, 2010). Es fehlen aber weitgehend Arbeiten, die beobachtungsnah und am konkreten Handeln ori-entiert untersuchen, wie die Eltern im Alltag vorgehen, wenn sie versuchen, die Motivation von Heranwachsenden im Kontext von Lern- und Leistungssituationen zu beeinflussen. Besonders fehlen solche Studien für den hier interessierenden Zeitabschnitt des Übertritts in die Sekundarstufe I, der von der Bildungsfor-schung als zentrale «Gelenkstelle von Bildungsverläufen» (Maaz et al., 2006, S. 300) erachtet wird. So beklagen beispielsweise Becker und Lauterbach (2016, S. 14), dass es weitestgehend unklar sei, «wie der Prozess der intergenerationalen Transmission von Bildungschancen über die Vermittlung von Kenntnissen, Fer-tigkeiten und Fähigkeiten, Orientierungen und Einstellungen der Eltern an ihre Kinder (etwa die Leistungsbereitschaft) vonstatten» gehe und sprechen in Anleh-nung an Müller (1975, S. 132) von einem «Familienresidualeffekt» und einer diesbezüglichen «Blackbox».

Während die oben bereits skizzierten Fragestellungen und angedeuteten Analy-severfahren für die Untersuchung des elterlichen Motivierungshandelns am Ende des theoretischen Teils (vgl. Abschnitt5.8) bzw. im Methodenteil nochmals detail-lierter erläutert werden, wird im Folgenden ein Überblick über den Aufbau des theoretischen Teils der Studie gegeben.

In Kapitel2wird der Versuch unternommen, elterliches schulbezogenes Han-deln zunächst unabhängig von der Übertrittsproblematik begrifflich fassbar zu machen. Das elterliche Handeln orientiert sich einerseits an den Charakteris-tika des Kindes, andererseits an den Vorgaben und Zielen der gesellschaftlichen Institution Schule und ihrer Akteure. Zum besseren Verständnis des «systemi-schen Beziehungsgeflechts» (Föllig-Albers & Heinzel, 2007, S. 307), in dem sich die Hauptakteure Eltern, Kind und Klassenlehrkraft befinden, wird zuerst die soziale und psychologische Aspekte des Handelns integrierende «Allge-meine Handlungstheorie» Hartmut Essers (1999a) erläutert und dann mit Blick auf Angebots-Nutzungsmodelle der Unterrichtsqualität der Begriff der elterli-chen schulbezogenen Unterstützung definiert. In einem nächsten Schritt wird die Befundlage zum Zusammenhang zwischen verschiedenen Formen elterlicher Unterstützung und der Lernleistung von Schülerinnen und Schülern dargestellt und erläutert, warum es wichtig ist, nebst Leistungsgrößen insbesondere auch

motivationale Orientierungen und das unterrichtsbezogene Engagement der Kin-der in den Blick zu nehmen, wenn es um die Beurteilung Kin-der Effektivität des elterlichen schulbezogenen Handelns geht. Abschließend wird in diesem Kontext die Bedeutung von verbal-appellativen Kontroll- und Wertregulatio-nen, der beiden in der vorliegenden Studie im Zentrum stehenden elterlichen Unterstützungsformen, herausgearbeitet.

In Kapitel 3 wird dem Umstand Aufmerksamkeit geschenkt, dass sich die vorliegende Studie mit Motivierungsversuchen spezifisch im Kontext eines unsi-cheren Übertrittsentscheids befasst. Biografische Übergänge, so fassen Kramer, Helsper, Thiersch und Ziems (2009, S. 23) die Situation zusammen, sind «Schnitt-stellen individueller biografischer Verläufe und sozialer Strukturen, markieren Brüche und sind ein Nadelöhr für gesellschaftlichen Erfolg oder Misserfolg».

In den eingangs erörterten Interviewausschnitten wurde bereits manifest, dass Eltern sich dessen bewusst sind und sich «findig, kreativ, reflektiert und überlegt»

(Esser, 1999a, S. 238) mit dem vom Bildungssystem erzwungenen Institutions-wechsel am Ende der 6. Klasse zu arrangieren suchen. Deutlich wurde in den Ausschnitten aber auch, dass die Eltern potentiell nachteilige Effekte des schu-lischen Selektionsverfahrens auf die Berufschancen und auf die kognitive und soziale Entwicklung für ihre Kinder befürchten. Angestoßen durch die Ergeb-nisse von PISA200011, die für die gegliederten, relativ früh selektionierenden in den deutschsprachigen Ländern eine nach wie vor enge Koppelung zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg offenlegten (OECD, 2001), hat hierzulande eine rege Forschungstätigkeit zur Ergründung der Ursachen eingesetzt. Dabei sind zwei hauptsächliche – mitunter verquickte Forschungslinien zu verzeich-nen (zsf. Kramer et al., 2009): Die eine sucht Erklärungen in institutionellen Zusammenhängen und untersucht, wie sich die Struktur und die Vorgaben des Bildungssystems auf das individuelle Nutzungsverhalten auswirkt, die zweite hebt auf das Entscheidungsverhalten der Individuen ab und fokussiert auf die rationa-len Kosten-Nutzen-Kalküle der Eltern, aber auch – und hier liegt der Schwerpunkt in diesem Kapitel – der schulischen Entscheidungsträger (Lehrkräfte, Schulleitun-gen, Schulbehörden). Dazu wird eingangs des Kapitels der theoretische Ansatz zur Entstehung von Bildungsentscheidungen von Raymond Boudon (1974, 1980) vorgestellt, bevor empirische Arbeiten und Befunde aus der soziologisch und pädagogisch-psychologisch ausgerichteten Forschung zu Effekten von Übertritts-verfahren auf die Bildungsbeteiligung und den Bildungserfolg erläutert werden.

Das Kapitel wird abgeschlossen mit einer Vorstellung des für die vorliegende Studie relevanten Übertrittsverfahrens der Volksschule des Kantons Zürich und

11PISA – Programme for International Student Assessment

1.3 Aufbau des Theorieteils 23 einer (datenbasierten) Einschätzung davon, inwiefern dieses Verfahren die 20 teilnehmenden Elternteile in ihrem Motivierungshandeln beeinflusst haben dürfte.

Das Kapitel4legt den Fokus auf die sozialstrukturellen Merkmale des Eltern-hauses sowie die psychologischen Ressourcen der Eltern und erörtert, inwiefern diese das Unterstützungshandeln sowie die Entwicklung fachlicher Kompetenzen und motivationaler Orientierungen beim Kind beeinflussen. Auf der Basis des kul-turtheoretischen Ansatzes von Pierre Bourdieu (1984, 1996a) wird die Bedeutung des kulturellen Kapitals und des Habitus für das schulische Lernen und Leis-ten des Kindes erläutert und dargelegt, warum es laut neuerer Forschung zentral ist, neben strukturellen Bedingungen des Elternhauses insbesondere prozessuale Merkmale zur Erklärung des Bildungserfolgs heranzuziehen. Auf der Grundlage des «Modells motivations- und leistungsbezogener Sozialisation im Elternhaus»

von Eccles und Kolleg*innen (Jacobs & Eccles, 2000, S. 416; Simpkins et al., 2015a, S. 617) wird sodann die Befundlage zu den Zusammenhängen zwi-schen generellen bildungsbezogenen Überzeugungen von Eltern, demografizwi-schen Merkmalen der Familie und dem elterlichen schulbezogenen Handeln darge-stellt. Das Kapitel schließt mit einer Übersicht über demografische Merkmale der 20 teilnehmenden Familien sowie über ausgewählte generelle bildungsbezogene Überzeugungen der Elternteile, die dem Modell von Eccles zufolge einen Einfluss auf deren Motivierungshandeln ausgeübt haben dürften.

Kapitel5nimmt zuerst die Schülerinnen und Schüler in den Blick und fokus-siert die innerpsychischen, namentlich motivational-affektiven Prozesse, die in Lern- und Leistungssituationen zum Tragen kommen. Im Zentrum der ersten Abschnitte steht die Darstellung der erwartungs-werttheoretischen Konzeption des Zusammenspiels von Persönlichkeitsmerkmalen, Überzeugungen sowie der Wahrnehmung von Merkmalen des Lehr-Lern-Kontextes und dessen Auswirkun-gen auf das Lern- und Leistungshandeln, wie er von Eccles und Kolleg*innen postuliert wird (zusf. Wigfield et al., 2006). Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Bedeutung von Kontroll- und Wertüberzeugungen geschenkt. Daran anschließend richtet sich der Blick schließlich auf das elterliche verbale Moti-vationshandeln. Detailliert wird auf die oben im Abschnitt 1.2 kurz skizzierten Konstrukte der elterlichen Kontroll- und Wertregulation eingegangen. Im Hin-blick auf die Analyse und Interpretation elterlicher evaluativer Feedbacks gilt ein besonderes Augenmerk Bernard Weiners (1985, 2012) Konzeption der Attribution von Lern- und Leistungsergebnissen, den Auswirkungen bestimmter Attributions-muster auf kognitive und motivational-affektive Prozesse sowie Befunden zur Fremdregulation entsprechender Ursachenzuschreibungen. Im Hinblick auf die Analyse der elterlichen Bedeutsamkeitszuschreibungen wird sodann Jacquelynne S. Eccles’ Konzept des Subjective Task Value (vgl. Eccles, 2005; Wigfield &

Eccles, 1992) eingehend erläutert. Besondere Beachtung erfahren dabei auch hier die postulierten Möglichkeiten und Befunde zur verbalen Fremdbeeinflussung der entsprechenden kognitiven Prozesse im Kontext von Lern- und Leistungssitua-tionen. Wie unter 1.2.2 bereits angedeutet, erscheint es zur Einschätzung der Wirkung verbaler Kontroll- und Wertregulationen auf Heranwachsende unum-gänglich, nicht nur die elterlichen Botschaften, sondern auch die kommunikative Qualität, mit der die Eltern ihre Appelle («Merk dir das und handle entspre-chend!») anbringen, in die Analyse einzubeziehen. In dieser Hinsicht widmet sich der letzte Abschnitt des Kapitels der Frage, unter welchen Bedingungen sich Kinder im Übergang zum Jugendalter mit erhöhter Wahrscheinlichkeit von den elterlichen Kontroll- und Wertbotschaften überzeugen lassen dürften. Für eine nachhaltige Internalisation, so wird mit Blick auf die Befundlage argumentiert, sollten die Eltern auf eine Weise mit ihren Kindern kommunizieren, die deren Bedürfnissen nach Selbstbestimmung, Kontrolle und sozialer Eingebundenheit entgegenkommt (vgl. Connell & Wellborn, 1991; Jacobs & Eccles, 2000; Pome-rantz & Grolnick, 2017; Ryan & Deci, 2016; Skinner, E. A. et al., 2009). Der Theorieteil wird mit einer Darstellung der Forschungsfragen abgeschlossen.

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Elterliches schulbezogenes