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2 Grundlagen und Stand der Forschung

2.9 Arztpraxis-Informationssysteme

auch über den ursprünglichen Kontext hinaus. Es besteht also in der Regel die Absicht, Daten mit anderen Beständen zu verknüpfen oder Per sonen über einen längeren Zeitraum wieder-holt zu beobachten. Zudem zeichnen sich Pseudonyme häufig dadurch aus, dass eine Liste der Zuordnung von Pseudonymen zu natürlichen Personen existiert oder dass Teile des Pseudonyms bereits codierte Informationen darstellen, etwa die Krankenkassennummer oder das Bundesland.

In der Versorgungsforschung werden überwiegend pseudonymisierte Daten benötigt, da eine patientenzentrierte Betr achtung häufig im Fokus steht und die Daten aus unterschiedlichen Sektoren miteinander verknüpft werden sollen. So wird auch im SGB V §303c die Eindeutigkeit des Pseudonyms für die Möglichkeit zur bundesweiten Zuordnung von Leistungsdaten ge-fordert. Es handelt sich also um personenbezogene Daten im Sinne des BDSG. Die Grenzen zwischen Anonymisierung und Pseudonymisierung sind allerdings nicht ganz scharf, denn nicht zuletzt könnten einzelnen Personen über die medizinischen Inhalte, etwa selten Diagnosen, eher identifiziert werden, als über ein „sprechendes“ oder „codiertes“ Pseudonym.

In der Praxis finden sich zumeist ein- oder zweistufige Pseudonymisierungsverfahren, mit oder ohne Vertrauensstelle, welche die Pseudonyme vergibt und diese als Einzige wieder auf-lösen kann (76). Das in der vorliegenden Arbeit eingesetzte Verfahren wird in Abschnitt <3.5>

beschrieben.

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Hat sich im stationären Umfeld die Bezeichnung KIS für „Krankenhaus-Informationssystem“

[KIS] mittlerweile etabliert, war die Begrifflichkeit für die Software im ambulanten Umfeld der Hausärzte nicht immer einheitlich. In dieser Arbeit werden die von Arztpraxen eingesetzten IKT-Produkte durchgängig als Arztpraxisinformationssysteme [AIS] bezeichnet, was ihren Charakter am besten widerspiegelt.

Der Vollständigkeit halber sei kurz auf den Begriff KIS eingegangen. Laut Handbuch der Medizinischen Informatik (77) versteht man unter einem KIS das

„soziotechnische Teilsystem eines Krankenhauses, das alle inform ationsverarbeitenden- (und speichernden) Prozesse und die an ihnen beteiligten m enschlichen und m aschinellen Handlungsträger in ihrer inform ationsverarbeitenden Rolle um fasst“.

KIS bezeichnet daher in den seltensten Fällen das Softwareprodukt eines bestimmten An-bieters, sondern vielmehr die Summe aller IKT-Systeme und –Dienstleistungen eines Kranken-hauses.

Für die Abgrenzung der Begriffe ist es sinnvoll, einige Besonderheiten der einzelnen Sektoren gegenüberzustellen:

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Krankenhaus (KIS) Hausarztpraxis (AIS)

Typische Behandlungsform

stationär, Vollversorgung ambulant, beratend, zuweisend

Anzahl Benutzer Anzahl der IKT-Subsysteme

häufig viele

(MHH: ca. 200)

in der Regel keine

Anzahl der Patienten

viele

(MHH: ca. 52.000 stationär und 198.000 ambulant pro Jahr)

wenig

in der Regel ca. 1000-3000 / Jahr (1000 „Scheine“ pro Quartal)

Typische Schnittstellen

HL7, Kommunikationsserver xDT

Typische Abrechnungsarten

Kassen, privat KV, privat

Spezielle

Externe Vernetzung

noch selten

(Elektronische Befunde,

Tabelle 1 - Vergleich stationärer und ambulanter Eigenschaften (eigene Erfahrungswerte)

Die Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und stellt eine subjektive Auswahl dar.

Dennoch hilft die Auflistung, Anforderungen an ein AIS von den Anforderungen an ein KIS zu unterscheiden.

Als AIS wird in den meisten Fällen, im Gegensatz zum KIS, das Softwareprodukt eines einzel-nen Herstellers bezeichnet, der meistens auch die Hardwarebereitstellung regelt und vertrag-lichen Support anbietet. Die Systeme der Hausärzte dienen der Verarbeitung und Speicherung aller für den Praxisbetrieb notwendigen Daten. Dies beinhaltet üblicherweise:

• Stammdaten der Patienten (Versicherten),

• Stammdaten der Praxis,

• Administrative Daten (Terminverwaltung, Formulare etc.),

• Medizinische Dokumentation (Diagnosen, Befunde, Therapien, etc.),

• Klinische Parameter (Blutdruck, Laborwerte etc.),

• Verordnungsdaten,

• und Abrechnungsdaten.

Über die in der Praxis tatsächlich vorkommenden Inhalte in derartigen Systemen sollen die Ergebnisse dieser Arbeit in Kapitel <5.2> weiteren Aufschluss geben <Z1>.

Ein Blick auf den Markt der AIS offenbart eine Vielfalt von ca. 200 in Deutschland eingesetzten Systemen (78). Die folgende Tabelle zeigt die Top 20 der installier ten Praxissysteme von 2005 im Vergleich zu 2008:

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Tabelle 2 – TOP 20 der inst allierten Arztpraxisinformationssysteme. Vergleich der Ranglisten von 2005 und 2009 der KBV (78)

Die Darstellung lässt er kennen, dass der Markt zwar sehr untergliedert ist, zumindest aber gemessen an der Anzahl der Installationen, die Systeme ab Rang 20 keine große Verbreitung haben. Da in den Statistiken der KBV sämtliche Installationen gelistet sind, die im ent-sprechenden Jahr Abrechnungsdaten generiert haben, sind hier ebenfalls die „großen“ KIS, beispielsweise Soarian von Siemens (79) oder Or bis von AGFA (80) enthalten. Deren Anteile an der Installationsstatistik sind aufgrund einer überschaubaren Anzahl deutscher Großkliniken erwartungsgemäß gering. Tatsächliche Marktanteile und Wirtschaftsverhältnisse spiegeln die Zahlen damit nicht zwangsläufig wider.

Anhand von Bildschirmansichten aus den drei von Allgemeinmedizinern am häufigsten ver-wendeten Systemen (TurboMed, MEDISTAR, DOCcom fort) soll im Folgenden ein kurzer Eindruck von den Möglichkeiten moderner AIS vermittelt werden. Diese Produkte objektiv und um-fassend zu beschreiben, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, insbesondere soll an dieser Stelle keine Bewertung der Systeme stattfinden.

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Abbildung 6 - Übersicht zu den medizinischen Daten eines Patienten.

Bildschirmkopie aus der MEDISTAR Demo-Version 4.0 (72)

Die Abbildung zeigt die Patientenakte des Patienten in einer Art Epikrise, angereichert um Leistungsdaten wie abgerechnete Gebührenziffern. Eine solche Patientenakte ist, wie die meisten dargestellten Menüpunkte, in einer ähnlichen Weise in anderen Systemen zu finden.

Wie sich in den später dargestellten Umfragen zeigt, setzen viele Praxen das AIS primär, ein nicht unwesentlicher Teil sogar ausschließlich zur Abrechnung von erbrachten Leistungen, ein. Elektronische Abrechnung bedeutet in meisten Fällen das Erstellen eines Datenträgers mit ADT-Daten aus dem AIS für die Übergabe an die KV oder Kasse. Eine Online-Übertragung der Daten ist zwar möglich, derzeit aber noch die Ausnahme.

Neben der Abrechnung stellt die Führung einer elektronischen Patientenakte [EPA] (siehe Kapitel <2.11>) eine Hauptanwendung der AIS dar. Gemeint sind Funktionen für die Ver-waltung und Darstellung aller medizinisch relevanten Daten zu einem Patienten, wie z. B. Be-funde, Diagnosen, Sozialanamnese oder Verordnungen. Ist die Klassifizierung nach ICD von Diagnosen für die Abrechnung noch durch das SGB V vorgegeben, existieren für Inhalt und Struktur der EPA jedoch keine rechtlich verbindlichen Vorgaben. Dementsprechend vielfältig ist die Umsetzung in den einzelnen AIS.

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Das nachstehende Bild zeigt ein Werkzeug aus TurboMed zur grafisch unterstützten Befundung.

Abbildung 7 - Grafische Befundung in Turbomed. Bildschirmkopie aus der Demo-Version 7.1 (81)

Der Arzt kann hier auf ein hierarchisches Stichwortverzeichnis zurückgreifen, aus dem er einen Freitext per Mausklick zusammenstellt. Ähnliche Verfahren, mit oder ohne grafische Unterstützung finden sich in vielen AIS. Auffallend ist, dass Befunde, Symptome, Anamnesen, Therapien und weitere zur EPA gehörenden Informationen in den meisten Fällen als Freitext gespeichert werden, wenngleich eine Unterstützung durch kontrollier te Vokabularien zu-nimmt.

Ein weiterer Bereich, den die meisten AIS abdecken, sind Labordaten. Das nachstehende Bild zeigt die Darstellung solcher Daten in DOCcom fort. Die Labortests werden in der Regel von ex-ternen Laboren, im Auftrag des Allgemeinmediziners durchgeführt. Die Ergebnisse elektronisch über die Labordatenschnittstelle [LDT] in das AIS importiert.