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Antisemitismus in der Neuen Rechten

Im Dokument Lagebild. Antisemitismus 2020/21 (Seite 35-38)

2. „DIE RECHTE“

IV. Antisemitismus in der Neuen Rechten

Bei der Neuen Rechten handelt es sich um ein äußerst heterogenes und vorwiegend infor-melles Netzwerk von Organisationen, Gruppierungen und unabhängigen Einzelpersonen. In dieser Gemengelage finden sich verschiedenste ideologische Ausprägungen, die von rechts-konservativen bis hin zu rechtsextremistischen Positionen variieren und teilweise antidemo-kratische Überzeugungen beinhalten. Habituell, ideologisch und strategisch lässt sich inso-fern nicht von einer einheitlichen Strömung sprechen. Grundsätzlich ist aber festzuhalten, dass ein offener Antisemitismus nicht zu den ideologischen Grundmerkmalen der Neuen Rechten zählt. Allerdings finden sich bei einzelnen Akteurinnen und Akteuren Anhaltspunk-te, die auf einen – vorwiegend durch Verschwörungstheorien begründeten – Antisemitismus hindeuten.

Derartige Hinweise lassen sich insbesondere in der von der „Identitären Bewegung Deutschland“ (IBD) propagierten Verschwörungstheorie des

„Great Reset“105 im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie finden.

Demnach sei die Pandemie von „den Eliten“ geplant und inszeniert wor-den, um eine globale Umstrukturierung unter Vernichtung nationaler

Völker und Regierungen umzusetzen, an deren Stelle ein totalitäres System in Form einer

„Neuen Weltordnung“ implementiert werden solle. Diese Argumentation ist zentrales Narra-tiv der IBD. Deren AkNarra-tivistinnen und AkNarra-tivisten traten wiederholt mit einem Banner mit der Aufschrift „GROSSER AUSTAUSCH, GREAT RESET – STOPPT DEN GLOBALISTENDRECK“

in Erscheinung.106

Der „Great Reset“ ist zudem fester Bestandteil der Berichterstattung des „COMPACT-Maga-zins“. Hier werden regelmäßig Begrifflichkeiten wie „globalistische, technokratische Elite“

103 Ebd. (25. Januar 2021).

104 Ebd.

105 Siehe hierzu Fußnote 88.

106 Telegram-Kanal „Identitäre Bewegung Deutschland“ (6. Februar 2021).

oder „Hochfinanz“ genutzt und Persönlichkeiten wie der Vorsitzende des Weltwirtschaftsfo-rums (WEF) Klaus Schwab oder der Milliardär Bill Gates als direkte Vertreter dieser Eliten zum Feindbild erklärt. Es werden zudem bewusst antisemitische Symboliken und Illustratio-nen, wie beispielsweise in dem Sonderheft „COMPACT Aktuell Nr. 4 – Corona Diktatur“, ver-wendet. So tritt auch hier die Krake als klassische kommunikative Chiffre für eine vermeint-lich „jüdische Weltverschwörung“ und als Metapher für eine „alles erdrückende Macht“ in Erscheinung.

Weitere antisemitische Positionen zeigen sich in der Agitation gegen den aus Ungarn stam-menden US-amerikanischen Unternehmer und Finanzinvestor George Soros: Dieser fördert mit hohem finanziellen Aufwand das Konzept einer „offenen“ Gesellschaft, wozu unter ande-rem der Abbau von Migrationshemmnissen zählt. Er fungiert deshalb beispielsweise im

„COMPACT-Magazin“ als Feindbild und personifiziertes Beispiel der „globalistischen Eliten“

sowie als Repräsentant des verhassten amerikanischen Finanzkapitalismus. Dass er einer jü-dischen Familie entstammt, wird zwar von „COMPACT“ nicht explizit hervorgehoben, aller-dings spricht das Magazin in erster Linie die „kundige“ Leserschaft an, die sich über diese Tatsache im Klaren sein dürfte. Übereinstimmend mit klassischen antisemitischen Topoi er-scheint Soros in diesen Darstellungen als Initiator der als gewaltsam dargestellten Black Lives Matter-Bewegung oder als vermeintlicher Hintermann, der etwa bei der Einwanderung nach Europa im Verborgenen die Fäden ziehen und als maßgebliche Führungsfigur den „Großen Austausch“ propagieren soll.

Ein ähnliches Bild von Soros wird auch durch das vom Verein „Ein Prozent“ (Verdachtsfall im BfV) offiziell ge-förderte und beworbene Computerspiel „Heimat Defen-der: Rebellion“107 gezeichnet. Dieses handelt von einer dystopischen Welt im Jahr 2084, in der das Finanz- und Technologiekapital, die sogenannte

107 Die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ; zu diesem Zeitpunkt noch Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien) hat am 7. Dezember 2020 entschieden, das Computerspiel „Heimat Defender: Rebellion“ in die Liste der jugendgefährden-den Medien einzutragen. Grund hierfür sei insbesondere eine verrohende Wirkung des Spiels, welche Menschen der „Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer, Intersex, Asexual, Polgamous/Polyamorous, Kink“ (LGBTQIAPK)-Community diskriminiert. In der Gesamtschau verstößt das Spiel laut BzKJ demnach gegen freiheitlich-demokratische Werte wie Toleranz, Achtung vor anderen Menschen, Antirassismus und Geschlechtergerechtigkeit.

Globohomo Corporation, die Welt beherrscht. Angeführt von einem „Commander Kurtz“, der äußerlich George Soros ähnlich sieht, werden die Einwohner Europas versklavt und als wil-lenlose „NPCs“108 gesteuert. Die Namensgebung „Commander Kurtz“ ist als Anspielung auf die Romanfigur des „Colonel Kurtz“ aus dem Roman Herz der Finsternis des Schriftstellers Joseph Conrad und damit im Weiteren auch auf die von Marlon Brando gespielte Figur in der Filmadaption Apocalypse Now! zu verstehen. Sowohl die Roman- als auch die Filmfigur porträtieren eine größenwahnsinnige Person, die ein totalitäres Regime errichtet hat und so-gar von genozidalen Gedanken besessen zu sein scheint. Die hiermit beförderten und negativ konnotierten Darstellungen können entsprechend eines sozialen und politischen Antisemi-tismus gewertet werden.

Darüber hinaus hat der Verein „Ein Prozent“ das Comicprojekt „Hydra Comics“ maßgeblich unterstützt. Darin werden unterschwellig antisemitische Narrative von Macht und politi-scher Einflussnahme bedient, auf die Person Soros’ wird ebenfalls Bezug genommen.109 Weiterhin können Publikationen in neurechten Zeitschriften mit Bezug zum Themenkom-plex der „Vergangenheitsbewältigung“ der Ideologieform des sekundären Antisemitismus zugeordnet werden. Exemplarisch ist in diesem Zusammenhang ein Beitrag von Martin Sellner, Führungsfigur der „Identitären Bewegung“ in Österreich und im deutschsprachigen Raum, zu nennen, der im Mai 2021 auf der Webseite der vom „Institut für Staatspolitik“ (IfS, Verdachtsfall im BfV) herausgegebenen Zeitschrift „Sezession“ veröffentlicht wurde. Sellner bedient in seinem Text wiederholt die innerhalb des neurechten Milieus weit verbreiteten Narrative eines „Schuldstolzes“, „Schuldkultes“ sowie einer „Metaphysik der Schuld“.110

Antizionistischer Antisemitismus kann ferner bei Diskussionen von Personen aus der Neuen Rechten zur Politik des Staates Israel diagnostiziert werden. Neben einer neutralen Positio-nierung lassen sich zu diesem Thema grundsätzlich zwei Lager im neurechten Spektrum un-terscheiden: Ein Lager verteidigt das Existenzrecht Israels, die israelische Außen- und Sicher-heitspolitik und sieht sich zudem in einer christlich-jüdischen Tradition stehend, die es etwa gegen den (politischen) Islam zu verteidigen gelte.111 Das andere Lager hingegen geriert sich dezidiert israelkritisch, steht eher in einer antiimperialistischen – und damit beispielsweise propalästinensischen – Denktradition und sieht den ideologischen Hauptfeind viel mehr im Liberalismus als im Islamismus.112

Im Frühsommer 2021 widmete sich eine Folge des vom IfS verantworteten Podcasts „Am Rande der Gesellschaft“ der Frage nach dem Recht Israels zur Selbstverteidigung gegen

ter-108 „Nicht-Spieler-Charaktere“ beziehungsweise „non-player-characters“ bezeichnen Figuren in einem Videospiel, die nicht durch die Spielerin bzw. den Spieler selbst gesteuert werden.

109 „Hydra Comics #1 – Politisch unkorrekte Bildgeschichten“, Dresden 2020.

110 Vgl. ebd.

111 Diese Position vertreten etwa das Portal „Politically Incorrect“ sowie Teile der PEGIDA-Bewegung.

112 Zur zweiten Position können einzelne Akteurinnen und Akteure aus dem Umfeld der Zeitschrift „Sezession“ sowie die bereits an-geführte „COMPACT-Magazin GmbH“ gerechnet werden.

roristische Angriffe sowie den damit einhergehenden und mitunter antisemitisch geprägten Demonstrationen gegen die israelische Politik in Deutschland.113 Darin behaupteten die Bei-tragenden die Existenz „israelischer Lobbygruppen“ und warfen die Frage auf, warum diese stets gegen eine politische Rechte agierten, die sich um eine Begrenzung von Masseneinwan-derung bemühe:

„Ich finde es schon interessant, die Fragestellung: Wer vertritt jetzt welche Interes-sen? Also Götz hat jetzt das Beispiel der Juden angebracht, die hier ja Lobbyarbeit betreiben und die auf einmal mit dem Problem konfrontiert werden offene Gesell-schaft – oho – auf einmal sind ganz viele von denen da, die uns nicht mögen. So.

Da kann man sagen okay, die haben die falsche Güterabwägung vorgenommen, haben gesagt okay, die Gesellschaft kriegen wir jetzt hier irgendwie klein und holen uns die Leute rein und haben gar nicht bedacht, dass die eben anders sind. Oder wir dachten vielleicht, der Wohlstand macht die sofort kirre und vergessen das alles.

Oder ist es vielleicht so etwas wie das destruktive Moment, was man ja schon auch in alten Essays findet, über den jüdischen Selbsthass, der eben auf diese Art und Weise, keine Ahnung, ein neue Herausforderung braucht, weiß ich nicht.“ 114

In der Gesamtschau des Beitrags wird das Bild einer einflussreichen jüdischen Minderheit gezeichnet, die aus politischem Kalkül heraus zu agieren scheint. Hierin werden pauschalisie-rende Erklärungsmuster und Stereotype deutlich.

Antisemitismus tritt demnach in der Neuen Rechten in Gestalt des politischen Antisemitis-mus beziehungsweise des AntizionisAntisemitis-mus auf. Dass er nicht durchweg innerhalb der Neuen Rechten zu verzeichnen ist, dürfte auch darin seinen Grund haben, dass Antisemitismus in diesem Spektrum oftmals durch Islam- und Muslimfeindlichkeit verdrängt und überlagert wird. Überdies ist in diesem Bereich eine hohe Dynamik zu verzeichnen. Dies betrifft sowohl das Aufkommen von neuen Akteurinnen und Akteuren als auch eine sich möglicherweise ändernde Akzentuierung einzelner Ideologiemerkmale.

Im Dokument Lagebild. Antisemitismus 2020/21 (Seite 35-38)