• Keine Ergebnisse gefunden

2. Nephrotoxizität

2.3. Arzneimittel

2.3.1. Antibiotika

Antibiotika werden eingesetzt zur Therapie bakterieller Infektionskrankheiten, indem sie die auslösenden Mikroorganismen schädigen oder abtöten. Wichtig ist dabei die selektive Toxizität für die Bakterien durch Angriff auf die ihnen eigenen Strukturen, die im Idealfall beim Menschen nicht oder in deutlich anderer Form zu finden sind (z.B. Zellwand).

Aminoglykoside

Aminoglykoside sind basische, stark polare Verbindungen. Zu ihnen gehören:

• Streptomycin

• Antibiotika der Neomycingruppe (Neomycin, Paromomycin)

• Antibiotika der Kanamycingruppe (Kanamycin, Amikacin, Tobramycin)

• Antibiotika der Gentamicingruppe (Gentamicin, Netilmicin)

Abb. 7 Gentamicin Injektionslösung

Wirkmechanismus:

Sie reichern sich in der Bakterienzelle an und binden dort irreversibel an die 30S-Untereinheit des Ribosoms. So kommt es zu Störungen bei der Proteinbiosynthese. Durch Ablesefehler werden falsche Enzyme und Strukturproteine erzeugt, die bei der Bakterienzelle irreversible Membranschäden auslösen.

Aminoglykoside wirken bakterizid und aufgrund ihrer starken Polarität nur extrazellulär, sie haben ein breites Wirkungsspektrum.

Indikation:

Das Streptomycin, das erste Aminoglykosid, gilt heute nur noch als Reserveantibiotikum bei einer multiresistenten Tuberkulose. Aminoglykoside werden heute aufgrund ihrer Nebenwirkungen nicht mehr in der Monotherapie eingesetzt. Verwendung finden sie noch in Kombination mit anderen Antibiotika zur Behandlung schwerer, lebensbedrohlicher Infektionen (Sepsis, Endokarditis) und bei Pseudomonasinfektionen.

Breite Verwendung findet Gentamicin als Augensalbe oder –tropfen zur Lokaltherapie.

Kinetik:

Aminoglykoside werden schnell nach intramuskulärer Gabe resorbiert, ihre Halbwertzeit beträgt ca. 2 Stunden. Die Ausscheidung erfolgt ohne Metabolisierung und überwiegend renal durch glomeruläre Filtration, was bei Niereninsuffizienz eine Dosisanpassung nach regelmäßiger Spiegelbestimmung notwendig macht. Epithelzellen des proximalen Tubulus binden. Durch Pinocytose gelangen sie ins Zellinnere und werden dort von den Lysosomen aufgenommen, wo sie akkumulieren. Es kommt zu einer Änderung der Aktivität lysosomaler Enzyme, sowie zur Hemmung des Abbaus von Phospholipiden und Proteinen. Das hat zur Folge, dass sich einerseits Phospholipide in den Lysosomen anreichern und dort zu Schädigungen führen, andererseits fehlen wichtige Substrate, die zum Zellmembranaufbau und zur Aufrechterhaltung verschiedener metabolischer Prozesse und Zellorganellenfunktion benötigt werden. Das führt schließlich zu Tubulusnekrosen, Verengung des Tubuluslumens und schließlich zur Nierenfunktionsstörungen. Da das Tubulusepithel regenerationsfähig ist, ist dieser Vorgang meist reversibel.

Die Nephrotoxizität ist von verschiedenen Faktoren abhängig:

• die Höhe der Einzeldosis,

• die Behandlungsdauer,

• die individuelle Empfindlichkeit,

• das Alter,

• Vor- und Begleiterkrankungen,

• der Hydierungszustand,

• vorausgegangene Therapie (mit Aminoglykosiden),

• Wahl des Aminoglykosids,

• Begleitmedikation.

Dabei spielen die ersten beiden Punkte eine entscheidende Rolle, da die Aufnahme in die proximalen Tubuli einer Sättigung unterliegt. Es hat sich gezeigt, dass bei einer hochdosierten Einmalgabe das nierentoxische Risiko deutlich erniedrigt ist bei gleichbleibender antibiotischer Wirkung. Da man einen langen post-antibiotischen Effekt nachweisen kann, das heißt, dass auch lange nach der Gabe eines Aminoglykosids das Keimwachstum gehemmt wird, ist eine häufigere Gabe auch nicht sinnvoll.

Andererseits kumuliert das Aminoglykosid in den Tubuluszellen, so dass eine erneute Therapie innerhalb der folgenden 6 Wochen das Risiko für eine Nierenschädigung wieder erhöht. Die Wirkung ist also unabhängig von der Nebenwirkung.

Für die Nephrotoxizität entscheidend ist die Konzentration in der Nierenrinde. Wird ein Wert von 200 µg/g Niere nicht überschritten, so sind langfristige nierentoxische Nebenwirkungen nicht zu erwarten (= Schwellenwert). Dieser Wert wird nach einer 4tägigen Gentamicin-Behandlung erreicht. Eine so genannte Plateaukonzentration von 400 µg/g Niere wird nach etwa 7 Tagen gefunden. Diese Konzentration bleibt bei der kontinuierlichen Behandlung von bis zu 4 Wochen bei Ratten relativ konstant. Bei einer Verteilung der Tagesdosis auf 3 Gaben werden diese Werte deutlich früher (schon nach 2 Tagen) erreicht. Auch ist die Anreicherung in der Niere bei einer täglichen Einmaldosierung mit hohem Spitzenspiegel deutlich niedriger als bei einer Dauerinfusion, bei der sich Spitzenspiegel und Talspiegel nur wenig unterscheiden.

Eine akute Behandlung mit Gentamicin führt zu hohen Serumkonzentrationen mit nephrotoxischen Nebenwirkungen. So lassen sich bei der Ratte nach einmaliger Gabe von Gentamicin (80 mg/kg KG) schon nach 80 Minuten Schädigungen im Bereich des proximalen Tubulus nachweisen. Dazu gehören unter anderem Verlust von Bürstensaum und Veränderung der Lysosomen (wie oben beschrieben). Diese Nebenwirkungen sind bei Einmalgabe meist völlig reversibel.

Nach 24stündiger Behandlungszeit kann ein beginnender Nierenschaden durch Ausscheidung von Phospholipiden und N-Acetyl-β-D-Glucosaminidase festgestellt werden, sowie von niedermolekularen Proteinen (β2-Mikroglobulin und Lysozym) nach 3-5 Tagen.

Nach 7 Tagen wird der Urin hypoosmolar, was auf eine Einschränkung der Konzentrierungsfähigkeit der Niere hindeutet. Weiterhin nehmen zu diesem Zeitpunkt Nekrosen der Tubuluszellen und weitere Veränderungen verschiedener Zellstrukturen der Niere, die zu Einschränkungen der glomerulären Filtrationsleistung führen, deutlich zu. Nach 10 Tagen steigt das Serumkreatinin. Dieses steigt auch bei fortgesetzter Therapie über 28

Tage weiter an, während in den proximalen Tubuluszellen die Nekrosen und die Gentamicinkonzentration wieder deutlich zurückgehen.

Als zweiten Mechanismus verursacht Gentamicin die Freisetzung von Eisen aus den Mitochondrien der Nierenrinde. Damit bildet sich ein Komplex aus Gentamicin und Eisen, der wiederum die Bildung von reaktiven Sauerstoffmetaboliten induzieren kann. Verursacht durch die Sauerstoffradikale peroxidieren die Zellmembranlipide, was als Beitrag zur Nephrotoxizität diskutiert wird. Zur Vermeidung dieses Effektes ist die gleichzeitige Gabe von Antioxidantien, Sauerstoffradikalfängern und Chelatbildnern indiziert. Außerdem kann nach klinischen Beobachtungen eine calciumreiche Diät nephroprotektiv wirken.

Merke:

Es werden zwei Mechanismen der Nephrotoxizität diskutiert:

1. akkumulieren die Aminoglykoside in den Lysosomen und hemmen dort die Abbauprozesse von Phospholipiden und Proteinen, die sich dann in den Lysosomen ansammeln und diese schädigen (Phospholipidose) und außerdem für weitere Aufbauprozesse der Zelle fehlen.

2. bildet Gentamicin mit Eisen Komplexe, die Sauerstoffradikale freisetzen, die wiederum die Zellmembran schädigen.

Insgesamt sind die Nekrose- und Regenerationsvorgänge von der Dosierung und Behandlungsdauer abhängig, was ein Monitoring des Serumspiegels und Einhaltung eines bestimmten Fensters während der Therapie empfehlenswert macht (die Schwellenkonzentration von 200µg/g Niere sollte nicht überschritten werden). Auch die 1x tägliche Gabe verringert die toxischen Eigenschaften bei gleich bleibendem antibiotischen Effekt.

Glykopeptide

Zu den Glykopeptid-Antibiotika gehören Vancomycin, ein komplexes tricyclisches Molekül, das aus einer Streptomyces-Art isoliert wird, und Teicoplanin, welches aus einer Actinomyces-Art gewonnen wird und ebenfalls sehr komplex ist.

Abb. 8 Vancomycin Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung

Wirkmechanismus:

Glykopeptide hemmen die Zellwandsynthese der Bakterien, indem sie die Quervernetzung der für die Mureinsynthese notwendigen Bausteine durch Komplexbildung verhindern. Die Wirkung ist daher bakterizid gegen aerobe und anaerobe grampositive Keime.

Indikation:

Glykopeptide gelten aufgrund ihrer ungünstigen Nebenwirkungen als Reserveantibiotika, die besondere Bedeutung besitzen bei schweren Infektionen mit multiresistenten Keimen, wie Oxacillin- und Cephalosporin-resistente Staphylokokkus aureus, Ampicillin-resistente Enterokokken und Clostridium difficile (Stichwort: pseudomembranöse Enterocolitis), oder bei Patienten mit „Penicillinallergie“.

Kinetik:

Da sie schlecht resorbiert werden, ist die orale Gabe nur zur lokalen Therapie im Magen-Darm-Trakt geeignet. Für eine Wirkung außerhalb dieses Bereiches müssen Glykopeptide parenteral gegeben werden.

Die Elimination erfolgt überwiegend renal und ohne vorherige Metabolisierung. Die Halbwertzeit von Vancomycin beträgt 4-6 Stunden, die von Teicoplanin aufgrund der höheren Proteinbindung (90% zu 10-50%) 30-45 Stunden. Da bei Niereninsuffizienz die Elimination verlangsamt abläuft, ist in diesem Fall eine Dosisreduktion vorzunehmen.

Nebenwirkung Nephrotoxizität:

In der Monotherapie werden mit Vancomycin nephrotoxische Nebenwirkungen bei weniger als 11% der behandelten Patienten festgestellt, bei Teicoplanin sogar nur bei weniger als 5%. Nierenversagen wurde nur bei Verabreichung hoher Dosen festgestellt, die Nierenschäden sind meist reversibel.

Bei Kombination mit Aminoglykosiden ist diese Nebenwirkung jedoch in etwa 35% der Fälle festzustellen. Dabei erhöht Vancomycin die Anzahl negativ geladener Bindungsstellen an der Oberfläche der Zellmembran der Nierentubuli, was zur Folge hat, dass Aminoglykoside vermehrt an der Bürstensaummembran binden. Wie im vorigen Abschnitt beschrieben, ist dies die Voraussetzung für die Nephrotoxizität der Aminoglykoside. Die Entstehung eines Nierenschadens wird dabei durch verschiedene Risikofaktoren (Alter, männliches Geschlecht, Leberkrankheiten, Begleitmedikation, Vorerkrankungen) beeinflusst. Die Schädigungen reichen von akuter interstitieller Nephritis und Hypersensitivitäts-Vaskulutis bis zur akuten Tubulusnekrose. Da sich auch eine lange Therapiedauer, sowie hohe Blutspiegel negativ auswirken, ist bei Risikopatienten während einer Behandlung mit

Vancomycin eine Messung der Talspiegel, Dosisanpassung sowie ausreichende Hydrierung empfohlen.

Insgesamt ist die Nephrotoxizität bei Teicoplanin deulich niedriger, ist aber auch deutlich teurer.

Merke:

Bei den Glykopeptiden ist das nephrotoxische Potential vorhanden, aber nicht ausgeprägt. Doch ist besonders das Vancomycin bei gleichzeitiger Therapie mit anderen nierentoxischen Arzneimitteln häufiger Auslöser für die Entstehung einer Nephritis, da es zum Beispiel die Aufnahme von Aminoglykosiden in die Zellen des proximalen Tubulus unterstützt.

Cephalosporine

Die Cephalosporine gehören wie Penicillin zu den β-Lactamantibiotika.

Es sind halbsynthetische Derivate, deren Ausgangsprodukte von Pilzen produziert werden.

Abb. 9 Cephazolin Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung

Wirkmechanismus:

Wie die Glykopeptide hemmen die Cephalosporine die Zellwandbiosynthese, in diesem Fall wird allerdings das quervernetzende Enzym (D-Alanin-Transpeptidase) blockiert und nicht die Bausteine für die Quervernetzung. Auch sie wirken bakterizid.

Indikation:

Die Cephalosporine wirken sowohl gegen grampositive als auch gegen gramnegative Keime.

Die Wirksamkeiten der einzelnen Cephalosporine sind allerdings sehr unterschiedlich.

Besondere Anwendung finden sie bei bakteriellen Infektionen der Atemwege (einschließlich Mandel- und Mittelohrentzündung), der Harnwege, sowie bei Haut- und Weichteilinfektionen.

Kinetik:

Bis auf wenige Ausnahmen werden die Cephalosporine oral schlecht resorbiert, weshalb sie meistens intravenös oder intramuskulär verabreicht werden. Sie werden teilweise

metabolisiert, teilweise unverändert renal eliminiert. Dies geschieht sowohl durch tubuläre Sekretion als auch durch glomeruläre Filtration. Die Halbwertzeit liegt bei den meisten Verbindungen zwischen 0,5 und 2,5 Stunden.

Hier einige Beispiele (modifiziert nach [5]):

- für parenteral verabreichte Cephalosporine

Die Nephrotoxizität war noch eine häufige Nebenwirkung des Cephaloridins, welches deswegen aber heute nicht mehr eingesetzt wird.

Cephaloridin verursacht durch eine tubuläre Nekrose eine akute oligurische Niereninsuffizienz mit Zylindurie und Proteinurie. Die Ausprägung der Nekrose ist abhängig von der Konzentration des Cephalosporins in den Tubuluszellen. Diese wird bestimmt durch die chemische Struktur, den pharmakokinetischen und metabolischen Eigenschaften, der Dosis und Applikationsdauer, sowie durch das Geschlecht des Patienten.

Weitere Risikofaktoren zur Ausbildung einer β-Lactam-assoziierten Nephrotoxizität sind eine eingeschränkte Nierenfunktion und die gleichzeitige Gabe von Aminoglykosiden.

Es werden zwei Mechanismen diskutiert:

Erstens entsteht ein irreversibler Schaden durch Inaktivierung des Anionentransporters der Mitochondrienmembran. Allerdings stimmen das Potential der einzelnen Cephalosporine dazu in vitro nicht mit dem Auftreten von Nierenschäden überein.

Der zweite Mechanismus geht davon aus, dass Cephaloridin selbst reduziert wird und dabei ein Elektron auf Sauerstoff überträgt. Dieser reaktive Sauerstoff kann unter anderem Membranlipide peroxidieren. Dabei sind sämtliche biologische Membranen und subzelluläre Organellen (wie Lysosomen, Mitochondrien oder das endoplasmatische Retikulum) betroffen. In den Nierenzellen kommt es dadurch zu einer Verringerung der Aufnahme von organischen Anionen und Kationen durch die Membran hindurch, zu einem Verlust von Cytochrom P450, einer Abnahme von reduziertem Glutathion (GSH) bzw. einer Zunahme des oxidierten (GSSG), welche klinisch messbar sind.

Es konnte festgestellt werden, dass auch die Strukturformel des Cephalosporins, konkret die Anwesenheit eines Pyridinium-Ringes, das nephrotoxische Potential deutlich erhöht.

Sämtliche biologische Membranen sind gegenüber einer Lipidperoxidation empfindlich, Radikalfänger und Antioxidantien wie Vitamin E oder bestimmte Flavonoide können schützend wirken.

Weiterhin kann bei β-Lactamen eine Antibiotika-assoziierte Nephritis (diese tritt etwa 15 Tage nach Antibiotikagabe auf) festgestellt werden.

Bei den neueren Präparaten ist die Nephrotoxizität deutlich seltener, trotzdem ist bei Patienten mit Niereninsuffizienz oder bei Therapie mit hohen Dosierungen eine Kontrolle der Nierenfunktion empfehlenswert.

Merke:

Wie ausgeprägt die Nephrotoxizität eines Cephalosporins ist, hängt im Wesentlichen von seiner Anreicherung in den Tubuluszellen, und damit von seiner Struktur ab. Das Cephaloridin wirkt stark toxisch und fungiert daher als Prototyp vieler Studien, auch wenn es sich nicht mehr im Handel ist.

Es werden zwei Mechanismen für die Nephrotoxizität diskutiert:

1. an der Mitochondrienmembran werden die Anionentransporter durch Acylierung gehemmt (konnte aber in vivo noch nicht belegt werden).

2. bilden betreffende Cephalosporine Sauerstoffradikale, die durch Lipidperoxidation die Tubuluszellen an den Membranen schädigen und die Funktion der Zellorganellen einschränken.

Auch eine Antibiotika-assoziierte Nephritis trägt zu einer Nierenschädigung durch β-Lactame bei.