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3 Informationsgehalt latenter Steuern

3.3 Analytisches Modell zur Bewertungsrelevanz quasi-permanenter latenter Steuern Steuern

SANSING zeigt anband des im Folgenden beschriebenen Modells,406 dass eine latente Steuerverbindlichkeit auch dann eine ökonomische Belastung darstellt und den Wert eines Unternehmens mindert, wenn die latenten Steuern durch Differenzen bedingt sind, die sich erst in ferner Zukunft umkehren.

In dem Modell wird von konstanter Produktionstechnologie, konstanter Investitionspoli-tik, unveränderten steuerlichen Bedingungen und in jeder Periode identisch angewende-ten Rechnungslegungsmethoden ausgegangen. Weiterhin soll das Unternehmen nie liquidiert werden. Besonderheiten wie die Befristung der Nutzung von Verlustvorträgen, ausländische Steuern und die US-amerikanische Besonderheit der alternative minimum tax (AMT)407 werden nicht berücksichtigt.

Ein Unternehmen wird mit Ko Geldeinheiten Eigenkapital ausgestattet und investiert den gesamten Betrag in Anlagegegenstände, Umlaufvermögen, aber auch in Forschung und Entwicklung sowie Werbung. Die Veränderungen der Wiederbeschaffungskosten können als geometrische Brown'sche Bewegung408 dargestellt werden:

dK =

(a

-J.)Kdt+ O"Kdz (18)

Dabei ist a die Investitionsrate, J. ist die Rate, mit der das verwendete Kapital abnimmt (ökonomische Abschreibung), dt ist das Zeitinkrement, 0" ist die Standardabweichung und dz das Inkrement für den Wiener Prozess.409 Wenn g die Wachstumsrate des

Unter-404 HARRlslKEMSLEY (1997), S. 4. Vgl. auchHARRIs/KEMsLEY (1999), S. 276.

405 Siehe Übersicht in Anhang 2.

406 Vgl. SANSING(1998), S. 357-363.

407 V gl. KIESolWEYGANDTIW ARFIELD (200 I), S. 1084-1085.

408 Siehe zu den mathematischen Grundlagen BAXTERiRENNJE (1996), S. 44-57; DIXITIPINDYCK (1994), S. 59-82. Die geometrische Brown'sche Bewegung ist exponiert, damit die Nonnalverteilung nicht dazu fuhrt, dass die Funktionswerte negativ werden.

409 Die geometrische Brown'sche Bewegung wird auch Wiener Prozess genannt und ist ein

(eindimensi-88

nehmens ist, so gilt g == a -IL Dabei soll a;:: A. sein, so dass g ;:: 0 ist.

Die Wiederbeschaffungskosten des verwendeten Kapitals sind logarithmisch normalver-teilt. Der erwartete Wert von K zu einem zukünftigen Zeitpunkt t, bezeichnet mit

K,

ist

Koegt (siehe Beweis BI in Anhang 1).

Durch das verwendete Kapital wird ein cash flow vor Steuern von y Geldeinheiten pro Geldeinheit Kapital generiert. Der erwartete cash flow vor Steuern und nach Investiti-onsauszahlung zum Zeitpunkt t ist denmach (y-a)Koegt. Das Unternehmen zahlt Steuern der Rate 1"(0< 1"< 1) auf das zu versteuernde Einkommen, definiert als Brutto-cash flow yK(t) abzüglich der steuerlich anerkannten Abschreibung. Die steuerliche Abschreibung ist ein Anteil 0 des aktuellen steuerlichen Wertes der Vermögensgegens-tände V. Zum Zeitpunkt null gilt V=Ko. In den Folgeperioden verändert sich V folgen-dermaßen:

dV =aKdt-oVdt (19)

Die steuerlich anerkannte Abschreibung beträgt OV.

Angenommen, die handelsrechtliche Abschreibungsrate 1] bezogen auf die Buchwerte B von Vermögensgegenständen verändert die Buchwerte entsprechend, dann ist B = Ko zum Zeitpunkt null und verändert sich folgendermaßen:

dB = aK dt -1]Bdt (20)

Die Abschreibung zum Zeitpunkt t beträgt 1]B.

Aus dem Beweis B2 (siehe Anhang I) geht hervor, dass, wenn

K, V

und

B

den Wie-derbeschaffungskosten, dem steuerlichen Buchwert und dem handelsrechtlichen Buch-wert zum Zeitpunkt t entsprechen, folgende Zusammenhänge zwischen diesen Größen gelten:

onaler) Gauß'scher Prozess. VgI. BAXTERIRENNIE (1996), S.50; DrxrrlPINDYCK (1994), S. 63.

Hierdurch werden kontinuierliche Wertänderungen berticksichtigt. t

V=(K_~}-Ol+aK

o .5+g .5+g (21)

wenn t~oo, - aK

V~--.5+g (22)

B

= ( Ko _ aKo

}-'1'

+ aK (23)

T]+g T]+g

- aK

(24) wenn t ~oo,

B~--T]+g

Dies impliziert, dass die ökonomische Abschreibungsrate Ä, von der steuerlichen Ab-schreibungsrate .5 abweichen muss, wenn ein Unterschied zwischen den erwarteten Wiederbeschaffungskosten und dem steuerlichen Buchwert existiert.

Bilanziert ein Unternehmen latente Steuern auf temporary differences, so besteht zum Zeitpunkt

t

eine aktive oder passive latente Steuer in Höhe von

-r[B(t)- V(t)].

Handelt es sich um eine passive latente Steuer, so entspricht diese der Steuerlast, die zu zahlen wäre, wenn alle Vermögensgegenstände und Schulden zum Buchwert verkauft werden.

Der Buchwert des Unternehmens entspricht unter Berücksichtigung latenter Steuern somit

B(t) - -r[B(t) - V(t)]

zum Zeitpunktt.

Der Marktwert des Unternehmens zum Zeitpunkt t entsprjcht dem Barwert der erwarte-ten zukünftigen Dividendenzahlungen, diskontiert mit den Kapitalkoserwarte-ten p. Dividenden zum Zeitpunkt t entsprechen dem cash jlow vor Steuern abzüglich dem Betrag, der reinvestiert wird und abzüglich der Steuern. Die erwartete Dividendenzahlung zum Zeitpunkt t beträgt somit

[y(

1 - -r) -a]K +

-rtfV .

,

.

90

Der Marktwert zum Zeitpunkt null beträgt Ko. Deshalb gilt:4JO

ro ro

Ko = fIY(I-1')-a]Ke-P'dt+

f

r8Ve-P'dt (25)

o 0

Unter Verwendung des Ergebnisses von Beweis BI (siehe Anhang 1) und (21) kann (25) vereinfacht werden zu

y(l-r)-a 8r{p+A.}

.:::...0..._"--'::"+ -I

p-g (p+8}(p-g)- (26)

Umgefonnt ergibt sich aus (26):

(27)

Gleichung (27) charakterisiert den cash jlow, der generiert werden muss, damit die Rendite den Kapitalkosten nach Steuern p entspricht. Es muss einerseits die ökonomi-sche Abschreibung A. generiert werden und andererseits die Bruttorendite (vor Steuern) in Höhe von - I p ,so dass die Anteilseigner nach Steuern die geforderte

Mindestrendi--1'

te p erhalten. Weiterhin reflektiert y die Differenz zwischen steuerlicher und ökonomi-scher Abschreibung, welches durch den dritten Tenn der rechten Seite von Gleichung (27) ausgedrückt wird. Je größer 8im Vergleich zu A. ist, desto höher wird der Wert des dritten Tenns und desto niedriger muss der zu generierende cashjlow y sein. In anderen Worten drückt Gleichung (27) aus, dass Vennögensgegenstände, die steuerlich bevor-zugt behandelt werden, im Vergleich zu anderen Vermögensgegenständen einen niedri-geren cash jlow generieren müssen, um die geforderte Rendite nach Steuern zu erzielen.

Die vorstehenden Zusammenhänge erlauben es, den erwarteten Marktwert zum Zeit-punkt t

(P)

anhand der erwarteten Wiederbeschaffungskosten und dem erwarteten steuerlichen Buchwert auszudrücken. Wenn K;:: V, sollte der erwartete Marktwert mindestens dem erwarteten Liquidationswert

I<. - r[I<. - V]

entsprechen und nicht höher

410 Für die Verwendung des Dividendendiskontierungsmodells ist als weitere Annahme erforderlich,

dass die erwarteten Dividendenzahlungen positiv sind, d.h. dass die Höhe von a begrenzt ist. t

sein als die erwarteten Wiederbeschaffungskosten K. Die Beziehung zwischen P, K und V wird durch Gleichung (28) ausgedrückt (siehe Beweis B3 in Anhang I):

__ &[K-V]

P = K -

--"---"-8+p (28)

Gleichung (28) zeigt das Ausmaß der Differenz zwischen Wiederbeschaffungskosten und erwartetem Marktpreis. Zum Zeitpunkt null besteht keine Differenz. Im Laufe der Zeit weichen jedoch

P

und

V

in Abhängigkeit von der Differenz zwischen ökonomi-scher und steuerlicher Abschreibung voneinander ab. Der Marktpreis reflektiert die Wiederbeschaffungskosten und den Barwert der erwarteten zukünftigen Steuerlast, welche durch die Differenz von steuerlichem Buchwert und Wiederbeschaffungskosten induziert wird. Der Diskontierungsfaktor der zukünftigen Steuerlast beträgt

-s;o--.

8 u+p Auch wenn die Wiederbeschaffungskosten der Vermögensgegenstände K betragen, würden sie nicht zu dem Preis verkauft werden, da der Unterschied zum steuerlichen Wert V Steuern auslösen würde.

Bleiben latente Steuern ewig bestehen und kehren sich nicht um, so verschwindet der Unterschied zwischen steuerlicher und ökonomischer Abschreibung, weil der steuerli-che Wert der Vermögensgegenstände dauerhaft von den Wiederbeschaffungskosten abweicht.4l1

Steuerlich bevorzugte Vermögensgegenstände, d.h. solche, bei denen 8 größer ist als A, enthalten implizite Steuern, auch wenn im Laufe der Zeit der steuerliche Vorteil ver-schwindet, da die steuerliche Abschreibung nicht mehr höher ist als die ökonomische.

Dies bewirkt den Unterschied zwischen den Wiederbeschaffungskosten und dem Marktwert. Der Marktwert lässt sich in diesem Modell nicht unter Vernachlässigung latenter Steuern darstellen.

411 Angenommen, die ökonomische Abschreibung entspricht der handelsrechtlichen und beträgt 20 %, die steuerliche Abschreibung beträgt hingegen 25 %. Wird nun genau so viel reinvestiert, dass B und K konstant bleiben (z.B. 100), dann konvergiert der steuerliche Wert gegen 80, so dass sich die steu-erliche der ökonomischen Abschreibung angleicht.

Der Unterschied zwischen erwartetem Marktwert und dem erwarteten handelsrechtli-chen Buchwert ist

{K' - B}[l-~]

+ rp{B - V} :12 Das erste Element

8+p 8+p

- -[ 8r]

{K - B} 1 - 8 + P zeigt, dass Marktwert und Buchwert in Abhängigkeit von der Diffe-renz zwischen

K

und

B

differieren, welche wiederum in Abhängigkeit von der Diffe-renz zwischen ökonomischer und handelsrechtlicher Abschreibung voneinander abwei-chen. Die zukünftigen Steuern auf den Unterschied zwischen Wiederbeschaffungskos-ten und BuchwerWiederbeschaffungskos-ten sind, wie in Gleichung (28), mit dem Faktor

-!--

diskontiert. Das

u+p

. rp{B-V}

zweite Element" existiert, weil die in der Bilanz angesetzten latenten Steuern u+p

nicht diskontiert sind. Der angemessene Diskontierungsfaktor ist ebenfalls -,,--, so 8 u+p dass die latenten Steuern mit dem Faktor "P überbewertet sind.

u+p

Damit wird gezeigt, dass eine latente Steuerverbindlichkeit eine reale ökonomische Belastung darstellt, auch, wenn diese latente Steuerverbindlichkeit unendlich wächst, weil sich die Differenzen zwischen steuerlichen und handelsrechtlichen Werten der Vermögensgegenstände niemals umkehren. Weiterhin wird gezeigt, dass der ökonomi-sche Wert der latenten Steuerverbindlichkeit geringer ist als der in der Bilanz ausgewie-sene Wert. Der angemesausgewie-sene Bewertungsfaktor bezüglich latenter Steuern auf unendlich währende Differenzen beträgt -",-. 8

u+p

GUENTHERISANSING erweitern dieses Modell, indem

a) eine Reinvestitionsrate kleiner als die ökonomische Abschreibung gewählt wird, so dass die Umkehrung der latenten Steuer sichergestellt wird, und

b) die Vermögensdifferenzen zwischen Steuer- und Handelsbilanz auf Basis

dis-412 Der Unterschied zwischen erwartetem Marktwert und erwartetem Buchwert ist

P - [B - r(B - V)]. Durch Substitution von P durch (28) und Umformung erhält man das Er-gebnis.

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kontierter cashflows ermittelt werden.413

Es kann gezeigt werden, dass die Reinvestitionsrate und somit die Umkehrung latenter Steuern ohne Einfluss auf den Unternehmenswert ist.414 Daraus folgt, dass der zeitliche Horizont der Umkehrung bedeutungslos ist. Dieses Ergebnis ist erklärbar durch die Annahme, dass neue Investitionen einen Kapitalwert von null haben. Um die Umkeh-rung latenter Steuern zu verzögern, wird mehr reinvestiert, allerdings ohne Einfluss auf den Unternehmenswert. Der steuerliche Einfluss der Abschreibungen ist bereits in dem Preis für die neuen Vermögensgegenstände berücksichtigt.

Weiterhin wird bewiesen, dass latente Steuern auf Vermögensdifferenzen, die auf Basis von diskontierten cash flows ermittelt werden, z.B. bei langfristigen Rückstellungen, genau mit dem bilanzierten Betrag der latenten Steuer zu bewerten sind.4IS Im Gegensatz hierzu ist beispielsweise der Wert einer aktiven latenten Steuer kleiner als der ausgewie-sene Betrag, wenn der damit verbundene Verbindlichkeitsbetrag größer ist als der auf Basis diskontierter cash flows ermittelte Wert. GUENTHERISANSING folgern: ,,Any dif-ference between the book and market value of the deferred tax asset simply reflects a

difference between the book and market value ofthe associated liability.""16

3.4 Zwischenergebnisse

Im Rahmen der Unternehmens analyse werden Jahresabschlussinformationen genutzt.

Dabei sind latente Steuern eine kritische Position, die schwer beurteilt werden kann. Der Saldo bilanzierter latenter Steuern kann als Vermögenswert oder Verpflichtung angese-hen werden. Dann wäre das ausgewiesene Eigenkapital auch für die Bildung von Kenn-zahlen heranzuziehen, die einer Beurteilung zugrunde liegen. Alternativ kann der Saldo latenter Steuern bereinigt werden, indem er mit dem Eigenkapital verrechnet wird. Diese Bereinigungsmaßnahme hat eine Bilanzverkürzung und bei einem aktiven (passiven) Saldo eine Verminderung (Erhöhung) des Eigenkapitals zur Folge. Von Analysten werden latente Steuern in der Regel bereinigt, wodurch auch die mit latenten Steuern verbundenen Informationen ignoriert werden. Da im Rahmen der

kapitalmarktorientier-413 Vgl. GUENTHERISANSING (2000), S. 1-12.

414 Vgl. GUENTHERISANSING (2000), S. 1l.

415 Vgl. GUENTHERISANSING (2000), S. 1l.

416 GUENTHERISANSING (2000), S. 11.

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ten Rechnungslegung entscheidungsrelevante Infonnationen vennittelt werden sollen, stellt sich die Frage, ob die sehr komplexen Rechnungslegungsregeln zu latenten Steu-ern vor diesem Hintergrund zu rechtfertigen sind.

Sofern latente Steuern Auswirkungen auf den Unternehmenswert haben, können Ana-lysten durch die Auswertung latenter Steuern profitieren, wenn die Infonnationsproduk-tion günstiger ist als der Vorteil, der durch die gegenüber anderen Kapitalmarktteilneh-mern zutreffendere Beurteilung erzielt werden kann. Zur Bewertungsrelevanz latenter Steuern wurden fünf Hypothesen vorgestellt. Der Bewertungseinfluss ist nach diesen Hypothesen teilweise konträr: so ist beispielsweise nach der Verbindlichkeitshypothese eine passive latente Steuer negativ mit dem Unternehmenswert korreliert, da diese einen zukünftigen Abfluss von Ressourcen repräsentiert, nach der Hypothese über die Qualität des Managements besteht hingegen ein positiver Zusammenhang, da es dem Manage-ment gelingt, Steuerzahlungen in die Zukunft zu verlagern.

Der Zusammenhang zwischen latenten Steuern und dem Unternehmenswert wurde von einigen Autoren empirisch untersucht. Die empirischen Untersuchungen wurden kurz dargestellt. Im Ergebnis kann in den meisten Untersuchungen die Bewertungsrelevanz nachgewiesen werden. Da die Richtung des Einflusses auf den Unternehmenswert von der zugrunde gelegten Hypothese abhängt, sind die Schlussfolgerungen widersprüchlich.

Des Weiteren wurde das Modell von SANSING vorgestellt, in dem theoretisch nachge-wiesen wird, dass auch quasi-pennanente latente Steuern bewertungsrelevant sind.

Aufgrund des Abzinsungsverbotes latenter Steuern sind sie in der Bilanz jedoch zu hoch bewertet. Basierend auf einer Modellerweiterung zeigen GUENTHERISANSING unter anderem, dass latente Steuern auf Vennögensdifferenzen von diskontierten cash flows, z.B. langfristige Rückstellungen, mit dem ausgewiesenen Betrag zu bewerten sind (und demnach nicht überbewertet sind).