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Das akute Abdomen aus viszeralchirurgischer Sicht Stellenwert der diagnostischen Laparoskopie

Viszeralchirurgischer Nachtdienst um 03.14 Uhr. Der Sucher klingelt. Der Notfall berichtet über eine junge Patientin mit akutem Abdomen und partieller Kreis-laufdekompensation. Weitere Angaben fehlen. Wir machen uns sofort auf den Weg, denn eins ist klar:

Jetzt braucht es schnelle Diagnostik und nicht allein den Viszeralchirurgen.

Das „akute Abdomen“ beschreibt einen interdisziplinären Arbeitsbegriff, mit welchem der Kliniker einen unmittel-bar erforderlichen diagnostischen wie auch therapeuti-schen Handlungsbedarf zum Ausdruck bringt. Es kann somit nicht als eigene Krankheitsentität verstanden wer-den, sondern beschreibt vielmehr ein klinisches Zustands-bild mit Fragestellung.

Durch den speditiven Einsatz von Diagnostik, soll die Ätiologie der Beschwerden, welche sich meist in Form akut auftretender, heftiger Abdominalschmerzen mit Abwehrspannung präsentieren, abgeklärt werden.

An erster Stelle steht unverändert die anamnestische sowie klinische Einschätzung des Patienten. Die Evalua-tion des akuten Abdomens basiert auf einer detaillierten Beurteilung von Schmerzintensität, Schmerzcharakter, Schmerzlokalisation, wie auch der generellen Analyse des Allgemeinzustandes des Patienten mit besonderem Augenmerk auf die hämodynamische Situation und die Organfunktionen. Richtungsweisend kann hierbei die

Berücksichtigung des Alters der Patienten sein, da die Häufigkeiten der Erkrankungen eine unterschiedliche Ausprägung in den einzelnen Lebensdekaden aufzeigen.

Differentialdiagnostisch muss grundsätzlich zwischen ex-traabdominellen und inex-traabdominellen Ursachen unter-schieden werden. Tabelle 1 zeigt mögliche extraabdomi-nelle Erkrankungen, welche sich in Form eines akuten Abdomens manifestieren können und bei jeder Beurtei-lung der Patienten mitberücksichtigt werden sollten. Eine vereinfachte Auflistung möglicher Differentialdiagnosen in Abhängigkeit zur Abdominalregion, in welcher sich die Beschwerden präsentieren, wird durch Abbildung 1 illustriert.

Ergänzend kommen laborchemische Bestimmungen von Serumparametern wie auch eine orientierende Urinana-lyse routinemässig zum Einsatz. Die sonografische Beurteilung des Abdomens, welche als nicht invasiver Schritt schnell und kostengünstig zur Diagnosestellung beitragen kann, besitzt unumstritten einen hohen Stel-lenwert. Fachübergreifend erzielt sie insbesondere in der Hand des geübten Untersuchers eine hohe Sensitivität, kann bei meteoristischem Abdomen aber deutlich limi-tiert sein.

Da durch die flächendeckende Verfügbarkeit sowie technische Weiterentwicklung der Computertomografie wesentliche diagnostische Fortschritte erzielt werden konnten, wird die konventionelle Abdomenübersichts-aufnahme im Stehen oder in Linksseitenlage aufgrund ihrer geringen Sensitivität sowie Spezifität in der Not-falldiagnostik mit immer grösserer Zurückhaltung ein-gesetzt. Dank hoher Auflösungen konnte die Sensitivi-tät der Computertomographie auf über 95 % verbessert werden und kann in der Mehrzahl der Fälle ein detail-liert nachweisbares organisches Korrelat präsentieren.

Ein direkter Einfluss auf den Rückgang von operativen Massnahmen zur Diagnosesicherung konnte in den letz-ten Jahren als Folge objektiviert werden. Auch wenn die Liste der Differentialdiagnosen lang ist, so lässt sich Tab. 1. Extraabdominelle Differentialdiagnosen des akuten

Abdomens

Lungenembolie

Myokardinfarkt / Perikarditis

Pneumothorax / Pleuritis /Pneumonie

Bandscheibenprolaps

Frakturen von Rippen, Wirbelkörper, Becken

Bauchwandhämatome

Abb. 1. Differentialdiagnosen in Abhängigkeit zur Abdominal-region

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Trotz der Weiterentwicklung aller zur Verfügung stehen-den nicht invasiven diagnostischen Mittel nimmt die La-paroskopie unverändert ihren festen Stellenwert im Ma-nagement des akuten Abdomens ein. Entsprechend unter-schiedlicher Literaturangaben wird ihre Sensitivität zur Sicherung der Diagnose mit über 90 % angegeben. Ein direkter Übergang in therapeutische Massnahmen kann in 75 % aller Fälle erzielt werden. Kann durch die voraus-gegangene klinische, laborchemische sowie bildgebende Diagnostik die Ätiologie des aktuellen Zustandsbildes nicht hinreichend genug geklärt werden, sollte die Indika-tion zur Laparoskopie zwingend diskutiert werden.

Abbildung 2 zeigt einen möglichen Algorithmus zur Ab-klärung und Therapie des akuten Abdomens wie er bei-spielsweise in der Universitätsklinik für Viszerale Chirur-gie und Medizin des Inselspitals etabliert ist und umge-setzt wird.

Die erste Laparoskopie wurde im Jahre 1909 durch G. Ott erfolgreich am Menschen durchgeführt und konnte im Verlauf kontinuierlich weiterentwickelt werden. Erst in den 1970iger Jahren wurde sie jedoch mehrheitlich als diagnostisches Mittel beschrieben und fortan eingesetzt.

Bei diagnostischer Unsicherheit hat sich ein primär umbi-likaler Zugang nach unseren Erfahrungen zum Erreichen die zugrundeliegende Ursache doch in über 90 % der

Fälle durch die in Tabelle 2 aufgeführten Diagnosen erklären.

Abb. 1. Differentialdiagnosen in Abhängigkeit zur Abdominal-region

Tab. 2. Häufigste Ursachen des akuten Abdomens

Akute Appendizitis

Akute Cholezystitis / Cholezyto-/Choledocholithiasis

Darmobstuktion (Ileus)

Perforiertes Magen-/Duodenalulcus

Inkarzeration

Akute Pankreatitis

Sigmadivertikulitis

Uretero-/Nephrolithiasis

Gastroenteritis, chronisch entzündliche Darmerkrankungen

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46 Abb. 2. Algorithmus zur

Abklä-rung und Therapie des akuten Abdomens der Universitätsklinik für Viszerale und Transplan-tationschirurgie, Inselspital Bern

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lagerung (French Position) des Patienten bewährt. Dies erleichtert auch die Durchführung rektaler Massnahmen, sofern sie im Zuge der Operation erforderlich werden.

Eine optimale Lagerung, unterstützt durch Schulter- und Seitenstützen, kann beispielsweise durch den Einsatz einer Vakuummatratze ergänzt werden, um eine sichere Inspektion aller vier Quadranten sowie des kleine Be-ckens zu gewährleisten.

Die akute Appendizitis, akute Cholezystitis, oder auch Perforationen am Sigma oder der Magenvorderwand las-sen sich sehr gut laparoskopisch versorgen. Abbildung 3 zeigt die laparoskopische Diagnosestellung sowie Thera-pie einer ventral gelegenen Magenperforation.

Komplexere Perforationen an Duodenum oder Magenhin-terwand verlangen oft eine Hilfestellung durch Kollegen mit grosser Expertise in der Laparoskopie um eine Kon-einer guten Übersicht bewährt, kann aber im Einzelfall

auch durch einen anderweitige Platzierung abgelöst wer-den. Das Einbringen der weiteren Trokare hat anschlies-send unter laparoskopischer Sicht zu erfolgen. Das ge-wählte Zugangsverfahren wie auch die Platzierung der Trokare liegt in der Entscheidungsfindung des operieren-den Teams, welches sich an die jeweilige Situation flexi-bel anpasst. Die Inzidenz der postoperativen Trokarher-nien wird durch einen Faszienverschluss im Bereich von allen 10-mm-Trokaren minimiert. Hämodynamische In-stabilität (falls keine EUG vorliegt) wie auch der drin-gende Verdacht auf eine Zwerchfellverletzungen gelten als absolute Kontraindikation für ein laparoskopisches Vorgehen und zwingen zur Durchführung einer explorati-ven Laparotomie.

Um eine komplette Exploration der Abdominalhöhle zu ermöglichen, hat sich in unserer Klinik eine

Steinschnitt-Abb. 3. Laparoskopische Diagnosestellung und Versorgung einer ventral gelegenen Magenperforation

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Kriterien geprüft. Sofern keines der Kriterien erfüllt ist, wird konservativ weiterbetreut. Andernfalls ist die Indi-kation zur Laparotomie gegeben.

Fazit für die Praxis

Das akute Abdomen ist ein Arbeitsbegriff, welcher durch eine gezielte körperliche, laborchemische und apparative Diagnostik speditiv weiterführend abgeklärt werden muss. Die diagnostische Laparoskopie nimmt in diesem Zusammenhang beim nicht Trauma-assoziierten akuten version zur Laparotomie vermeiden zu können.

Unum-strittenes Ziel muss eine definitive Diagnosestellung bei jeder Laparoskopie sein. Zeigt sich eine fehlende Über-sicht, so ist die Konversion zugunsten eines offenen Ver-fahrens indiziert.

Eine bestehende Schwangerschaft wurde in den Vorjah-ren noch oftmals als Kontraindikation für die Laparosko-pie formuliert. Dies kann heutzutage jedoch als obsolet erachtet werden. Hier ermöglicht die Laparoskopie eben-falls hervorragende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten bei geringer Morbidität. Die akute Appen-dizitis zählt auch hier zur häufigsten Ätiologie des akuten Abdomens (Abb. 4). Eine durch die Uterusvergrösserung oftmals bedingte atypische Befunddemonstration sowie erschwerte klinische Untersuchung muss bei der Beurtei-lung der Patientinnen jedoch berücksichtigt werden.

Beim Trauma-assoziierten akuten Abdomen gibt es keine Indikation für die diagnostische Laparoskopie, da die Sensitivität für das Erkennen einer intraabdominalen Lä-sion zu gering ist. Patienten mit Trauma-bedingtem aku-ten Abdomen werden auf die in Tabelle 3 aufgeführaku-ten

Abb. 4. Bild einer akuten Appendizitis vor und nach erfolgter Stapler-Resektion

Tab. 3. Beurteilungskriterien beim Trauma assoziierten akuten Abdomen

Anamnese indikativ für intraabdominale Verletzung

Peritonitis in der klinischen Untersuchung

Schockindex >1

>3 Einstichstellen

Freie Flüssigkeit intraabdominal (nachgewiesen mittels Sonographie)

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Tab. 3. Beurteilungskriterien beim Trauma assoziierten akuten Abdomen

Anamnese indikativ für intraabdominale Verletzung

Peritonitis in der klinischen Untersuchung

Schockindex >1

>3 Einstichstellen

Freie Flüssigkeit intraabdominal (nachgewiesen mittels Sonographie)

Abdomen einen festen Bestanteil im Behandlungskonzept ein und ermöglicht neben einer schnellen und weiterfüh-renden Diagnostik auch gezielte Therapieoptionen. Bei diagnostischer und therapeutischer Unsicherheit ist die Indikationsstellung zur Laparoskopie stets zu erwägen, um die Häufigkeit unnötiger Laparotomien zu vermin-dern und das outcome der Patienten zu verbessern.

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