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Aktuelle Lösungsstrategien

4. Aktuelle Lösungsstrategien und Blick in die Zukunft

4.1. Aktuelle Lösungsstrategien

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Das vierte Modell, das Galtung nennt, ist die Zwei-Staaten-Lösung, die auch heute International zur Lösung des Konflikts befürwortet wird und als Bilateraler Kompromiss bezeichnet wird.434 Für Galtung ist die Zwei-Staaten-Lösung nur unter der Bedingung von

„Symmetrie, Reziprozität“435 möglich. Damit meint er, dass, sollten die Israelis einen eigenen Staat mit der Hauptstadt Jerusalem und dem Recht auf Rückkehr wollen, sie dies auch den Palästinensern gewähren müssen. Bis heute wurde versucht, die Lösung antisymmetrisch zu erreichen, da die Israelis den Palästinensern zwar einen eigenen Staat gestatten, jedoch ohne ihnen Ostjerusalem als Hauptstadt zu übergeben und ohne ein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge zu gestatten. Für Galtung gilt, dass man nur Frieden erreichen kann, wenn man bereit ist, den anderen das zu geben, was man selber begehrt.436 Einen Frieden, bei dem Israel die Grenzen von 1967 und die Resolutionen 194, 242 und 338 anerkennen würde, wäre jedoch noch immer antisymmetrisch, denn es gilt:

„Diese Symmetrie heißt nicht militärisches Gleichgewicht, sondern kulturelles, ökonomisches und politisches Gleichgewicht. Frieden hat einen Namen und der Name für Frieden ist Egalität, Gleichheit, Symmetrie, Reziprozität, Ausgleich, gleiche Würde, gleiche Menschenrechte usw. Man kann es ohne diese Parameter versuchen, aber man wird keinen Erfolg haben.“437

Somit müsste bei der Zwei-Staaten-Lösung „Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Gerechtigkeit, Umkehrbarkeit, Symmetrie“438 für Palästinenser und Israelis gelten.

Viele israelische Politiker sehen in der Zwei-Staaten-Lösung die einzige realistische Option für einen dauerhaften Frieden. Auch der aktuelle Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spricht sich immer wieder für eine Zwei-Staaten-Lösung aus, jedoch fördert er im gleichen Moment den Siedlungsbau, der eine Zwei-Staaten-Lösung verhindert. Auch die PLO spricht sich für eine Zwei-Staaten-Lösung aus, da ein gemeinsamer Staat, in dem alle Bürger die gleichen Rechte haben, für sie nicht realistisch ist. Auch der ehemalige Anführer der Hamas Khalid Meschal spricht sich für eine Zwei-Staaten-Lösung aus, wenn unter anderem die Grenzen von 1967 für den Staat Palästina anerkannt werden.439

Im Jahr 1988 war man einer Zwei-Staaten-Lösung näher denn je, als der Palästinensische Nationalrat für diese Möglichkeit stimmte und mit den Oslo-Verträgen hätte dieses Ergebnis auch eintreffen können, jedoch wurden zum Oslo-Prozess nur die Spitzen der PLO und der

434 Vgl. Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 144.

435 Galtung, Johan: Transformation des Israel/Palästina-Konflikts. S. 185. In: Meggle, Georg (Hrsg.):

Deutschland, Israel, Palästina. Streitschriften. Hamburg 2007, S. 181–193. Im Folgenden zitiert als: Galtung:

Transformation des Israel/Palästina-Konflikts, 2007.

436 Vgl. Galtung: Transformation des Israel/Palästina-Konflikts, 2007, S. 185.

437 Ebda. S. 186.

438 Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 145.

439 Vgl. Pabst: Der Nahostkonflikt, 2018, S. 209.

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israelischen Arbeitspartei eingeladen, die dann ihre Unterschrift setzten. Extremisten der Hamas und der Likud-Partei wurden ausgeschlossen. Diese hatten ihre eigenen Friedenskonzepte und wegen ihres Ausschlusses suchten sie auf eine andere Art nach Gehör und Aufmerksamkeit – und zwar mit Gewalt. In gemäßigteren Ländern hätte dies wohl kaum Auswirkungen gehabt, in einem Land, in dem sich damit mehr als 50% ausgeschlossen fühlten, hatte dies verheerende Folgen. Aber nicht nur die Extremisten wurden ausgeschlossen, auch Friedensakteure und -bewegungen durften nicht an dem Prozess teilnehmen.440

Die Vereinbarungen fanden zwischen einem Staat und einer Autonomie statt, wodurch keine Symmetrie gegeben war. Auch die militärischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den beiden Parteien wurden nicht klar definiert. Der Einfluss der Religionen, die bei diesem Konflikt das Verhalten der Beteiligten steuern, aber auch die große religiöse Bedeutung gewisser Orte in dem Gebiet wurde unterschätzt. Der fehlerhafte Oslo-Prozess zeigt, so Galtung, was man unter schlechte Konfliktarbeit verstehen kann.441

Auch dem Diplomaten und ehemaligen österreichischen Politiker Willibald Pahr zufolge wäre eine Zwei-Staaten-Lösung vor dreißig Jahren noch möglich gewesen. Für ihn sind der völkerrechtswidrige Siedlungsbau in den besetzten Gebieten und der Mauerbau Gründe, durch die realistische Möglichkeiten, einen eigenen palästinensischen Staat zu errichten, zunichte gemacht wurden. Denn eine Räumung der Siedlungen, in denen nun mehrere Generationen an Israelis leben, scheint unmöglich.442

Die fünfte und letzte Lösungsmethode nach Galtung ist die Positive Transzendenz, die auch als Ein-Staaten-Lösung bekannt ist. Dabei würden die zwei Nationen symmetrisch einen Staat443 Israel-Palästina, Palästina-Israel oder nur Palästina bilden, in dem alle drei abrahamitischen Religionen zusammenleben können.444 Dabei müssten alle Bürger, also sowohl Israelis als auch Palästinenser, die gleichen Rechte bekommen. Pahr steht dieser Lösung skeptisch gegenüber, da durch die hohe Geburtenrate der Palästinenser dieser gemeinsame Staat seinen jüdischen Charakter verlieren würde.445 Auch für Galtung liegt diese Lösung in weiter Ferne.446 Dennoch gibt es sowohl auf palästinensischer Seite, zum Beispiel

440 Vgl. Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 144.

441 Vgl. Ebda. S. 144.

442 Vgl. Kleinert, Detlef: Willibald Pahr. Außenminister unter Kreisky. Analysen zum Zeitgeschehen. Wien 2010, S. 166. Im Folgenden zitiert als: Kleinert: Willibald Pahr, 2010.

443 Vgl. Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 144.

444 Vgl. Galtung: Transformation des Israel/Palästina-Konflikts, 2007, S. 184.

445 Vgl. Kleinert: Willibald Pahr, 2010, S. 166–167.

446 Vgl. Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 144.

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die Intellektuelle Sari Nusseibeh, als auch auf israelischer Seite, unter anderem der Historiker Ilan Pappé, Befürworter der Ein-Staaten-Lösung.447

Eine andere Möglichkeit, die Positive Transzendenz zu erreichen, wäre eine multilaterale Lösung. Bei dieser müsste eine Nahost-Gemeinschaft gegründet werden, die Galtung A Middle East Community nennt. Diese Lösung soll sich an dem Modell der Europäischen Union orientieren. Dabei vergleicht er Israel in diesem Modell mit Deutschland, die Rolle der arabischen Nachbarländer Syrien, Libanon und Palästina ist die der Beneluxstaaten, in der Rolle von Italien befindet sich Jordanien und die Rolle von Frankreich übernimmt Ägypten.

Die Europäische Union kann einen Beitrag zur multilateralen Lösung beitragen, indem sie nicht die Vermittlerrolle, sondern eben die Modellrolle einnimmt. Es kann aber nicht nur die Europäische Union als Modell dienen, auch die nordische Gemeinschaft oder die südostasiatische Gemeinschaft wären mögliche Vorbilder.448 Mit dieser Sechs-Staaten-Lösung, wie Galtung sie nennt, sollte ein Gleichgewicht zu Israel hergestellt werden.449

Um eine Nahost-Gemeinschaft zu bilden, müssten elf Punkte eingehalten werden: Als Erstes müssten die Resolutionen 194, 338, 242 und die Grenzen von 1967 für einen Staat Palästina anerkannt werden. In einem zweiten Punkt müsste Ost-Jerusalem als Hauptstadt Palästinas, aber auch das Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge akzeptiert werden. Über eine Zahl der Rückkehrenden könnte im weiteren Verlauf noch verhandelt werden. Das Bilden einer Nahost-Gemeinschaft aus den Staaten Israel, Palästina, Syrien, Libanon, Jordanien und Ägypten ist der dritte Punkt:450 Dabei fungieren alle als Vollmitglieder für die Regelung über Waffen, Handel und Wasser und als übergeordnete Organisation für Sicherheit. Als Viertes muss die Gemeinschaft finanziell, aber auch durch die Modellrolle von der EU, der nordischen Gemeinschaft und ASEAN unterstützt werden. Um dem kleinen Palästina zu helfen, müssten Jordanien und Ägypten Land an Palästina verpachten, was der fünfte Punkt in diesem Friedenspaket ist.451 Dass in diesen Ländern wenig Begeisterung über diesen Vorschlag herrscht, ist nicht weiter verwunderlich, was auch Galtung bewusst ist. Für Jordanien und Ägypten würde dies eine Verringerung ihrer Souveränität bedeuten. Galtung jedoch sieht es viel mehr „als ein Darlehen an einen armen Cousin“452. Als sechsten Punkt

447 Vgl. Pabst: Der Nahostkonflikt, 2018, S. 212–217.

448 Galtung, Johan: Die Konfliktformationen im Nahen und Mittleren Osten und die Rolle der Europäischen Union am Beginn des 21. Jahrhunderts. S. 283. In: Roithner, Thomas: Europa Macht Frieden. Die Rolle

Österreichs. (=Beiträge zur Friedensforschung 42). Münster 2003, S. 282–287. Im Folgenden zitiert als: Galtung:

Die Konfliktformationen im Nahen und Mittleren Osten, 2003.

449 Vgl. Galtung: Die Konfliktformationen im Nahen und Mittleren Osten, 2003, S. 283.

450 Vgl. Galtung: Transformation des Israel/Palästina-Konflikts, 2007, S. 188.

451 Vgl. Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 148.

452 Galtung: Transformation des Israel/Palästina-Konflikts, 2007, S. 189.

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müssten Israel und Palästina Föderationen mit einem „Kantonen-Ausgleich“453 werden, das heißt, es müsste zwei jüdische Kantonen in Palästina und zwei arabische Kantonen in Israel geben.454 In einem siebten Punkt wendet sich Galtung noch einmal der Frage nach Jerusalem zu. Dabei kann es entweder zwei Hauptstädte Ost- und Westjerusalem geben oder eine Verbindung der beiden als Bundesstadt. Wichtig ist hierbei, dass allen Glaubensrichtungen der Zugang zu den heiligen Stätten gewährt wird. Dies könnte auch bei einem geteilten Jerusalem möglich sein.455 Achtens müsste das Recht auf Rückkehr nach Israel anerkannt werden, wobei man über die Zahl der Rückkehrenden hinsichtlich der Kantone verhandeln müsste. Als neunten Punkt muss eine ökonomische Zusammenarbeit zwischen Israel und Palästina ausgehandelt werden, bei der auf Gleichheit und Symmetrie geachtet wird.456 Darunter fallen auch gemeinsame Friedenserziehung und Grenzpatrouillen. Im vorletzten Punkt muss eine „massive Stationierung von UN-Beobachtungs-Truppen“457 stattfinden und im letzten Punkt muss es zu einem Wahrheits- und Versöhnungsprozess kommen.458 Galtung ist der Überzeugung, dass in naher Zukunft neue Ideen aufkeimen werden und dass eine Transformation des Konfliktes möglich ist. Auch heute wünschen sich viele Menschen im Nahen Osten Gewaltlosigkeit und Frieden, was ihn in seiner Annahme bestärkt.459

In dieser Arbeit wird ersichtlich, dass es verschiedenste Lösungsstrategien für den Israel-Palästina-Konflikt gibt, wobei sich diese hinsichtlich ihres Potenzials teilweise stark unterscheiden. Es gibt auch weitere Lösungsansätze, viele Friedensprojekte und -missionen, auf die in dieser Arbeit jedoch nicht eingegangen werden kann.

Um jedoch überhaupt einen Schritt in Richtung Frieden machen zu können, muss zuerst ein Dialog möglich gemacht werden und eine Aufarbeitung der Geschichte stattfinden.

453 Galtung: Transformation des Israel/Palästina-Konflikts, 2007, S. 189.

454 Vgl. Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 148.

455 Vgl. Galtung: Transformation des Israel/Palästina-Konflikts, 2007, S. 189.

456 Vgl. Ebda. S. 190.

457 Galtung: Die Transcend-Methode und ihre Anwendung, 2007, S. 149.

458 Vgl. Ebda. S. 149.

459 Vgl. Transcend Media Service. Bericht vom 20. 12. 2010. Online unter:

https://www.transcend.org/tms/2010/12/german-interview-mit-johan-galtung/ [19. 04. 2018].

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